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Landespolitik

Roland Sturm

/ 29 Minuten zu lesen

Die Länder haben eigene Regierungen, Parlamente, Parteiensysteme und Gerichte. Dabei funktionieren Länder häufig als Laboratorien, in denen spätere Entwicklungen auf Bundesebene wie neue Koalitionen, vorweggenommen werden.

Landtag in Hannover: Der neue niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil trägt am 19. Februar 2013 seine Regierungserklärung vor. (© picture-alliance/dpa/Peter Steffen)

Einleitung


Länder haben Staatsqualität. Sie sind keine Verwaltungseinheiten des Bundes, sondern werden vom Willen des Landesvolkes getragen und haben ihre eigene demokratische Legitimation. Im deutschen Föderalismus haben die Länder das Recht, ihre Politik auf der Basis von Landesverfassungen eigenständig zu gestalten und dazu eigene politische Institutionen wie Regierungen, Parlamente, Verfassungsgerichte und Verwaltungen zu unterhalten.
Länder sind Laboratorien der Demokratie. Neue Formen bürgerschaftlicher Beteiligung, Verfassungsreformen, neue politische Inhalte und neue Parteien bzw. Koalitionen wurden und werden auf Länderebene häufig zuerst "ausprobiert". Was in einem Land erfolgreich ist, kann zum Vorbild für andere Länder werden und gelegentlich auch für den Bund. Beispielhaft zeigt sich das an der Auseinandersetzung um ein Mehr an direkter Demokratie. Je wichtiger direktdemokratische Verfahren und die direkte Wahl politischer Repräsentanten auf Landes- und Gemeindeebene werden, desto mehr wird ihr Einsatz auch für die Bundesebene diskutiert.

Landesregierungen


Die Regierungen der Länder sind den Landesparlamenten gegenüber verantwortlich. In fast allen Ländern wird der Regierungschef bzw. die Regierungschefin vom Parlament mit der absoluten Mehrheit der Stimmen gewählt. Dies ist mehr als ein formaler Akt. Regieren mit knappen Mehrheiten ist auch in den Ländern möglich, birgt aber das Risiko, dass die Regierungsmehrheit abhandenkommt. So hat die geheime Wahl des Ministerpräsidenten nicht selten zu überraschenden Ergebnissen geführt, indem Kandidaten und Kandidatinnen für das Amt des Ministerpräsidenten trotz einer parlamentarischen Mehrheit nicht gewählt wurden. Der niedersächsische Landtag versagte beispielsweise 1976 nach dem altersbedingten Rücktritt des populären Regierungschefs Alfred Kubel (SPD) in der Mitte der Legislaturperiode zwei sozialdemokratischen Nachfolgekandidaten die Mehrheit. Zum Ministerpräsidenten wurde schließlich Ernst Albrecht von der CDU gewählt. In Schleswig-Holstein wollte sich Heide Simonis mit Unterstützung des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) 2005 zur Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen wählen lassen. Geplant war, dass diese Minderheitsregierung sich durch den SSW parlamentarisch unterstützen lassen würde. In vier Wahlgängen gelang es nicht, die parlamentarische Mehrheit von SPD, Grünen und SSW in eine Mehrheit für die Wahl von Heide Simonis umzusetzen. CDU und SPD einigten sich danach auf eine "Große Koalition" mit dem vom Landtag schließlich gewählten neuen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU).

Wahl des Regierungschefs (Die Verwendung dieser Grafik ist honorarpflichtig.)

In Nordrhein-Westfalen muss der Ministerpräsident aus den Abgeordneten des Landtages hervorgehen. In anderen Ländern können die Parteien dagegen auch Regierungschefs von außerhalb des Landtags ins Amt bringen, zum Beispiel 1992 Bernhard Vogel (CDU) in Thüringen oder 2008 Horst Seehofer (CSU) in Bayern. In sieben Ländern muss nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch die Landesregierung insgesamt die Zustimmung des Landtags finden, so in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. In Bremen wird jeder einzelne Senator vom Landesparlament gewählt.

Deutliche Unterschiede zwischen den Verfassungen der Länder finden sich auch bei den Regelungen zur Abwahl einer Landesregierung. In zehn von 16 Ländern gibt es das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums, um einen Ministerpräsidenten abzuwählen und gleichzeitig einen Amtsnachfolger zu bestimmen (Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen).

Alle Landtage können jedoch der Regierung das Vertrauen entziehen. Meist richtet sich eine solche, bisher eher selten wahrgenommene Initiative gegen die Regierung als Ganzes. Die Vertrauensfrage, die der Regierungschef (im Saarland die Landesregierung) an das Parlament richtet, führt zu Neuwahlen, wenn er die Abstimmung verliert. Sie ist allerdings in den Landesverfassungen von Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen nicht vorgesehen.

In wenigen Ländern steht zusätzlich das Instrument der Ministeranklage wegen vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verfassungsbruch zur Verfügung. Für diese Anklage des Landtags ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Zum bisher einzigen Mal – und erfolglos – setzten CDU und FDP in Rheinland-Pfalz 2011 dieses Instrument gegen den damaligen Justizminister Heinz Georg Bamberger (SPD) ein. Die Ministeranklage fand sich bereits in den Länderverfassungen von vor 1949 und sollte ursprünglich nationalsozialistische Bestrebungen im Amt verhindern.

Koalitionsregierungen

Regierungen in den Ländern sind meist – aber nicht immer – Koalitionsregierungen. Doch in einer Reihe von Ländern, zum Beispiel Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen, konnte eine Partei auch schon periodisch allein regieren. Schon hier wird offensichtlich, dass Landespolitik vielfältig ist und keineswegs nur Bundespolitik im Kleinen. Es gibt eine Tradition konservativer Regierungen im Süden Deutschlands (einschließlich Sachsens) und eine Tradition sozialdemokratischer Erfolge im Norden. Diese grobe Einteilung ist weder unveränderbar noch immer zutreffend. Parteipolitisch konstant ist bisher nur, dass die CSU eine dominierende Rolle in der bayerischen Politik spielt und dass die Hochburgen der Partei "Die Linke" in Ostdeutschland liegen. Länder haben über die Jahre hinweg teilweise sehr langfristig ihre politische "Farbe" gewechselt. Von 1947 bis 1991 dominierte beispielsweise die CDU alleine oder (ab 1951) in Koalitionen mit der FDP die Landespolitik in Rheinland-Pfalz. Der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl war hier von 1969 bis 1976 Ministerpräsident. Nach 1991 wurde die SPD zur bestimmenden Partei im Mainzer Landtag und stellte, zum Teil in sozialliberalen Koalitionen mit der FDP bzw. in einer Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen, die Landesregierung. Ministerpräsidenten wurden hier zwei spätere Parteivorsitzende der SPD: Rudolf Scharping und Kurt Beck.

Koalitionsregierungen auf Länderebene enden anders als im Bund häufiger vor dem Ablauf der Legislaturperiode. Von 1990 bis 2012 scheiterte etwa jede zehnte Koalition, von 1949 bis zur deutschen Einheit passierte dies noch öfter. In der Anfangszeit der Bundesrepublik hatte das mit schärferen politischen Grundsatzkonflikten zu tun, die sich zum Beispiel an der Frage der Trennung von Schulen nach Konfessionen entzündeten. Immer gab es aber auch persönliche Gründe im Umgang der Spitzenpolitiker miteinander, Skandale und wahltaktische Überlegungen, die das Ende von Koalitionen auf der Landesebene besiegelten. Die bayerische Spielbankenaffäre führte 1957 in München zum vorzeitigen Ende der Viererkoalition aus SPD, FDP, GB/BHE und BP; der Grundstücks- und Bauskandal um den Steglitzer Kreisel hatte 1981 das Aus der SPD/FDP-Koalition in West-Berlin zur Folge. Zweimal beendeten Landesverfassungsgerichte bestehende Koalitionen durch ihre Urteile zum Wahlgesetz des betreffenden Landes. In Hamburg führte eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1993 zu Neuwahlen am 19. September 1993, da laut Urteil die innerparteiliche Kandidatenauswahl der CDU nicht nach demokratischen Grundsätzen vonstatten gegangen war. Das Landesverfassungsgericht von Schleswig-Holstein formulierte in seinem Urteil vom 30. August 2010 einen Kompromiss: Einerseits sei das Ergebnis der vorangegangenen Landtagswahl gültig, andererseits aber verstoße das Wahlgesetz gegen die Verfassung. Statt sofortiger Neuwahlen legte das Gericht den Landtag auf einen Neuwahltermin bis spätestens September 2012 fest. Die Wahl fand dann am 6. Mai 2012 statt.

Bundespolitik spielt für den Zusammenhalt einer Länderkoalition heute kaum noch eine Rolle. Schon die Entscheidung für einen Koalitionspartner treffen Landesparteien in weitgehender Unabhängigkeit von der Bundespartei und gelegentlich auch gegen deren Willen. In der 1960er-Jahren, als es in Deutschland ein Parteiensystem mit nur drei koalitionsfähigen Parteien (SPD, Unionsparteien und FDP) auf Bundesebene gab, war die Bonner Regierungskoalition noch gelegentlich ein "Muster" für die Länder, so zum Beispiel in Baden-Württemberg: Nachdem Kurt Georg Kiesinger (CDU) 1966 Bundeskanzler der ersten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD geworden war, ging auch sein Nachfolger im Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Hans Filbinger (CDU), eine Große Koalition ein und trennte sich von seinem in Flügelkämpfe zerstrittenen liberalen Koalitionspartner. Die Große Koalition wurde in Baden-Württemberg nach der Landtagswahl 1968 erneuert und hielt länger als ihr Bonner Vorbild (bis 1972). Landespolitische Weichenstellungen durch das Ende einer Koalition hatten in den 1960er-Jahren umgekehrt aber auch Vorbildwirkung für den Bund. Die neu entstandene Koalition aus SPD und FDP in Nordrhein-Westfalen (1966-1980) bereitete den Weg für die sozialliberale Koalition in Bonn (1969-1982). Bereits im Juli 1967 kam aus der nordrhein-westfälischen FDP der Vorschlag, den Bundespräsidenten aus den Reihen der SPD zu stellen. Dieser bundespolitisch weithin beachtete Vorstoß für eine sozialliberale Wende im Bund führte 1969 dazu, dass Gustav Heinemann mit den Stimmen von SPD und FDP zum ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten gewählt wurde.

Landtagswahlen


Landtagswahlen geben dem Souverän, dem Volk eines Landes, die Möglichkeit, sich selbst eine parlamentarische Vertretung und damit indirekt eine Regierung zu geben. Sie finden zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach unterschiedlichen Wahlsystemen statt. Immer wieder gibt es den Vorschlag, alle Landtagswahlen auf einen Termin zusammenzulegen. Dies wird unterschiedlich begründet: So ließe sich zum Beispiel Geld sparen und die Wahlbeteiligung erhöhen. Ebenso könne damit ein "Dauerwahlkampf" in Deutschland vermieden werden und die Bundespolitik über längere Perioden ungestört bleiben, ohne einem "Test" bei Landtagswahlen unterzogen zu werden. Ein solcher Vorschlag muss jedoch schon aus technischen Gründen scheitern: Die Landespolitik ist selbstständig; niemand kann voraussehen, wann und wo beispielsweise vorzeitige Neuwahlen erforderlich werden. Wichtiger aber ist, dass an einem Tag in der ganzen Bundesrepublik stattfindende Landtagswahlen zu einer Quasi-Bundestagswahl mutieren würden. Die Bundespolitik würde die landespolitischen Themen überlagern, was dem Sinn von Landtagswahlen widerspräche. Zwar spielen bundespolitische Themen bei Landtagswahlen eine Rolle, und die Regierungsbildung nach der Wahl hat Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und damit auf die Gesetzgebung auf Bundesebene. Wichtige landespolitische Themen bleiben jedoch durchaus wahlentscheidend – wie beispielsweise in Hamburg 2011 bei der Wahl zur Bürgerschaft, dem Hamburgischen Parlament, die Schulpolitik eines der beherrschenden Themen war. Die Wahlergebnisse auf Bundes- und Landesebene zeigen zudem ein unterschiedliches Stimmverhalten in Bezug auf parteipolitische Präferenzen. Dies lässt sich zum Teil durch die niedrigere Beteiligung bei Landtagswahlen erklären, aber auch durch die höhere Popularität bestimmter Landesparteien, wenn es um Landesthemen geht. Parteien, die bei Landtagswahlen absolute Mehrheiten gewinnen, erreichen diese nicht automatisch wieder bei Bundestagswahlen. Parteien, vor allem auch deren Spitzenkandidatin bzw. deren Spitzenkandidat, werden in den Ländern anders wahrgenommen als im Bund.

Wahlsysteme der Länder

Wahlsysteme, nach denen die Landtage der Bundesländer gewählt werden, haben sich im Laufe der Zeit weitgehend einander angeglichen. Erst seit Kurzem zeichnet sich eine Tendenz zu größerer Vielfalt und Experimentierfreude ab. Eine Annäherung gab es zunächst hinsichtlich der Länge der Legislaturperiode der Landesparlamente. In den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik hatten die meisten Länder ihre Landtage noch alle vier Jahre wählen lassen. Dann wuchs die Überzeugung, dass eine längere Legislaturperiode ihre Arbeitsfähigkeit verbessern könnte, weil der parlamentarische Zeitdruck gemindert würde. Heute gibt es in allen Ländern mit Ausnahme Bremens fünfjährige Legislaturperioden.

Die meisten Länder führten auch die Zweitstimme bei Wahlen und die bei der Bundestagswahl angewandte personalisierte Verhältniswahl ein. Ausnahmen blieben Baden-Württemberg und das Saarland, wo bei Wahlen nur eine Stimme abgegeben wird. Für alle Länder gilt eine Fünfprozenthürde für den Einzug in den Landtag. In einigen Ländern genügen auch Direktmandate (in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein genügt jeweils eins, in Sachsen genügen zwei), um selbst beim Scheitern an der Fünfprozenthürde den Einzug in den Landtag zu schaffen. Der SSW in Schleswig-Holstein ist von der Fünfprozentklausel befreit. Als Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein genießt er, wie andere nationale Minderheiten in Deutschland (z. B. die Sorben in Brandenburg und Sachsen), nach deutschem und internationalem Recht einen besonderen Schutz. Das Bremer Wahlergebnis wird in zwei Wahlgebieten, Bremen und Bremerhaven, ermittelt, wobei die Fünfprozenthürde getrennt für jedes Wahlgebiet zur Geltung kommt.

Auf der kommunalen Ebene ist inzwischen in allen Ländern in Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008 die Sperrklausel gefallen. Bündnis 90/Die Grünen hatten damals gegen die Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein geklagt, die Partei "Die Linke" schloss sich dieser Klage an. Da Schleswig-Holstein als einziges der deutschen Länder bis 2008 über kein eigenes Landesverfassungsgericht verfügte, musste in dieser Landesangelegenheit das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Es stellte fest, dass die Sperrklausel gegen die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit verstößt. Eine solche Einschränkung ist aus der Sicht des Gerichts für die kommunale Ebene nicht gerechtfertigt, da hier eine Vielzahl auch von kleineren Parteien die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen nicht beeinträchtigt.

Wahlbeteiligung: In Bund und Ländern wird die mangelnde Wahlbeteiligung als Gefährdung demokratischer Teilhabe und Mitentscheidung diskutiert. In den Ländern ist die Wahlbeteiligung meist noch deutlich geringer als auf Bundesebene. Die Bürgerinnen und Bürger messen Landtagswahlen anscheinend weniger Bedeutung bei, ohne zu bedenken, dass es hier um andere Themen als bei der Bundestagswahl geht, die aber für ihr Leben nicht weniger wichtig sind.

Ein Versuch, künftige Wählerinnen und Wähler für die Politik zu gewinnen, ist die Veranstaltung von Juniorwahlen in Schulen. Hier wird vorher ausführlich informiert, sodass in einem zweiten Schritt mit dem nötigen Wissen die Wahlentscheidung fallen kann. Die Ergebnisse dieser Wahlübung werden am Wahlabend bekanntgegeben, sind aber selbstverständlich ohne Bedeutung für das tatsächliche Wahlergebnis.

Wahlalter: Zudem soll eine Senkung des Wahlalters für eine höhere Beteiligung an Wahlen sorgen. Dies ist aber nicht unumstritten. Gegner argumentieren, dass bei einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre dieses von der Volljährigkeit entkoppelt wird. Warum, fragen die Kritiker, soll jemand über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden, den diese Gesellschaft noch nicht für reif hält, für sich selbst zu sorgen und in anderen Lebensbereichen Verantwortung zu übernehmen? Weiterhin führen sie ins Feld, dass die Betroffenen selbst bei Umfragen von der Idee einer Wahl mit 16 nicht begeistert waren, was sich mit der niedrigen Wahlbeteiligung der 16- bis 18-Jährigen bei der Bremer Landtagswahl von 2011 bestätigte.

Für die Einführung des Wahlalters 16 bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit in den jeweiligen Landesparlamenten bzw. in Bayern und Hessen einer Volksabstimmung. In Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein dagegen könnte das Wahlalter durch eine einfache Änderung des Wahlgesetzes neu festgelegt werden. Das Wahlalter bei Kommunalwahlen wäre auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt mit einfacher Mehrheit änderbar. Neun Länder (Niedersachsen 1996, Sachsen-Anhalt 1998, Schleswig-Holstein 1998, Mecklenburg-Vorpommern 1999, Nordrhein-Westfalen 1999, Bremen 2007, Brandenburg 2011, Baden-Württemberg und Hamburg 2013) haben das kommunale Wahlrecht ab 16 Jahre eingeführt. Und auch bei Landtagswahlen scheint sich, trotz der erwähnten kritischen Einwände, ein Trend zur Herabsetzung des Wahlalters anzudeuten. Bremen hat als erstes Land 2009 diesen Schritt getan und bei der Wahl 2011 erste Erfahrungen damit gemacht. Brandenburg zog 2011 mit einer Änderung der Landesverfassung nach und legte mit den Stimmen von SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU ebenfalls das Wahlalter auf 16 Jahre fest. Im Februar 2013 folgte Hamburg: Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, Grünen, Linken und einige FDP-Abgeordnete stimmten dafür.

Wahlrecht: Diskutiert wird des Weiteren, ob sich das Wahlrecht so ausgestalten lässt, dass mehr Bürgerbeteiligung möglich wird. In Hamburg und Bremen entschied sich das Parlament, das Kumulieren, also das Häufeln von mehreren Stimmen auf eine Bewerberin bzw. einen Bewerber, ebenso zu gestatten wie das Panaschieren, also die Verteilung der Stimmen auf Personen, ohne Rücksicht, auf welcher Parteiliste sie stehen. Die Wählerinnen und Wähler konnten so ihre Präferenzen genauer anzeigen und sich eigene Listen zusammenstellen. In Bremen hatten die Wähler bei der Landtagswahl 2011 jeweils fünf Stimmen, die sie auf diese Weise einsetzen konnten.

In Hamburg wurde bereits die Wahl 2008 unter einem neuen Wahlrecht durchgeführt. Im Jahr darauf wurden die Mitwirkungsmöglichkeiten noch einmal erweitert. Bei der Bürgerschaftswahl werden nun nicht nur Landeslisten der Parteien zur Wahl gestellt, es gibt auch 17 Wahlkreise, in denen jeweils drei bis fünf Sitze vergeben werden. Die Hamburger Wählerinnen und Wähler haben sowohl für die Wahlkreiswahl als auch für die Listenwahl fünf Stimmen. Nach der Zahl der erhaltenen Stimmen richtet sich, wer in die Bürgerschaft einzieht. Der Gestaltungsspielraum der Wählerinnen und Wähler ist groß. Sie können Personen unterschiedlicher Parteilisten ihre fünf Stimmen geben, und sie können einzelne Personen durch das Häufeln von Stimmen besonders stärken.

Diese Neuerung des Wahlsystems bedeutet einen Gewinn an Mitwirkung, aber auch einen erhöhten Informationsbedarf. Circa drei Prozent der Stimmen waren ungültig, und die Wahlbeteiligung war so niedrig wie nie zuvor. Ähnliches galt für Bremen. Kritiker der neuen Wahlsysteme erhoben daraufhin den Vorwurf, Hamburg und Bremen hätten mit dieser Maßnahme ihr Ziel einer besseren Bürgerbeteiligung verfehlt.

Dennoch zeigt dieses Beispiel, wie die politischen Parteien sich für Fragen der Bürgerbeteiligung auf Landesebene öffnen können. Hamburg zog aus der Erfahrung aber auch die Konsequenz, die Bürgerinnen und Bürger durch stetes Basteln am Wahlrecht nicht zu überfordern. 2009 änderte die Bürgerschaft die Landesverfassung und legte fest, dass das Parlament das Wahlrecht nur noch mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen ändern kann. Damit wird eine weitgehend überparteiliche Übereinstimmung gewährleistet. Außerdem sind Gesetze, die das Wahlrecht betreffen, nun auch der direktdemokratischen Mitbestimmung zugänglich. Das heißt: 2,5 Prozent der wahlberechtigten Hamburgerinnen und Hamburger können verlangen, dass Wahlrechtsänderungen, die von der Bürgerschaft beschlossen wurden, durch einen Volksentscheid mit Zweidrittelmehrheit bestätigt werden müssen.

Landesparteiensysteme


Unterschiede in der Parteienlandschaft von Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern sind die Regel. Neue Parteien schaffen gelegentlich den Einzug in die Landtage – doch weitaus seltener in den Deutschen Bundestag. Die Stadtstaaten hatten hier wegen ihrer sich rascher wandelnden Sozialstruktur und dem politischen Gewicht ihrer universitären Jugend eine gewisse Vorreiterrolle. Den neuen Parteien kommt meist die niedrigere Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen zugute. Ihre Anhänger sind hoch motiviert und beteiligen sich in höherem Maße an der Wahl als die Anhänger anderer Parteien.

Das politische Spektrum der ausschließlich in den Landtagen vertretenen Parteien reicht vom rechtsextremistischen Protest über die populistische Mobilisierung des Bürgertums bis hin zur parteipolitischen Vertretung neuer gesellschaftlicher Strömungen. Mitte der 1960er-Jahre fand die rechtsextremistische NPD kurzfristig den Weg in eine Reihe von Landesparlamenten. Es gelang ihr, Kapital aus der Angst vor einer wirtschaftlichen Krise und der Ablehnung der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung der 68er zu schlagen. Ab 2004 zog die NPD erneut in Landtage ein, dieses Mal in Sachsen (2004 und 2009) und Mecklenburg-Vorpommern (2006 und 2011). Die Rechtsextremisten versuchten nun, mit ausländerfeindlichen Parolen und Versatzstücken aus dem sozialistischen Vokabular der untergegangenen DDR Protest aus verschiedenen Richtungen zu bündeln. Die ebenfalls rechts stehenden Republikaner reüssierten in Baden-Württemberg 1992 und 1996 vor allem mit ihrer radikalen Haltung in Fragen der Zuwanderung und der Aufnahme von Asylbewerbern. Höchst überraschend war der Wahlerfolg der rechtsextremistischen DVU in Sachsen-Anhalt 1998 (12,9 Prozent), denn außer der Tatsache, dass die Partei mit großem finanziellem Aufwand in Postwurfsendungen und auf Plakaten gegen "die da oben" polemisierte, war von ihr nichts bekannt, weder ein Kandidat noch ein Programm. Im parlamentarischen Tagesbetrieb "zerfiel" die Partei rasch und verschwand nach der nächsten Wahl aus der Landespolitik.

Neben rechtsextremistischen Parteien kamen auch Rechtspopulisten in den Ländern zu begrenzten Wahlerfolgen. In Hamburg organisierte sich aus der bürgerlichen Mitte eine gegenüber den traditionellen Parteien skeptische STATT-Partei. Sie wurde 1993 nicht nur in die Bürgerschaft gewählt, sondern auch Koalitionspartner der SPD in der Stadtregierung. Nach internen Auseinandersetzungen konnte die STATT-Partei bei der darauffolgenden Wahl 1997 die Wähler nicht mehr überzeugen und zog nicht erneut in die Bürgerschaft ein. Der Protest der "bürgerlichen Mitte" Hamburgs versammelte sich stattdessen 2001 hinter der Person des Richters Ronald Schill, der durch seine Gerichtsurteile in der Presse ein Law-and-order-Image aufgebaut hatte. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, genannt Schill-Partei, wurde 2001 zusammen mit der FDP Koalitionspartner der CDU. An Schills Versuchen, den Regierungschef Ole von Beust persönlich und politisch zu diffamieren, zerbrach die Koalition und damit auch die Schill-Partei. 2004 fanden deshalb vorgezogene Neuwahlen in Hamburg statt. Die Schill-Partei trat nicht mehr an. Weniger spektakulär war der Einfluss der Protestpartei "Arbeit für Bremen und Bremerhaven", die 1995 für eine Legislaturperiode in die Bremer Bürgerschaft gewählt wurde. In Bayern wurden die Freien Wähler, eine bundesweit sehr erfolgreiche kommunale Parteienformation, 2008 erstmals in den Landtag gewählt.

Verbreiterung des Parteien- und Koalitionsspektrums

Landtagswahlen bieten der Anhängerschaft neuer sozialer Bewegungen bzw. neuer gesellschaftlicher Strömungen eine erste Chance, sich parlamentarisch Gehör zu verschaffen. Bestes Beispiel hierfür sind die Grünen, die unter unterschiedlichen Bezeichnungen, zum Beispiel "Grüne Liste Umweltschutz" in Niedersachsen, "Alternative Liste" in Berlin oder "Grün-Alternative Liste" in Hamburg, zunächst bei Landtagswahlen erfolgreich waren. 1979 wurden sie in die Bremer Bürgerschaft gewählt, 1980 in das erste Parlament eines Flächenstaates, in Baden-Württemberg. Nachdem die Grünen auch in den hessischen Landtag eingezogen waren, traten sie 1985 mit Joschka Fischer, dem späteren deutschen Außenminister, als Umweltminister in einer Koalition mit der SPD in die Landesregierung Hessens ein. Ihr landespolitischer Erfolg setzte sich auch im Bund fort. Die Partei zog 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag ein und etablierte sich als neue Kraft in der deutschen Politik. Mit ihr veränderte sich auch das Spektrum der wichtigen politischen Themen: Umweltpolitik wurde ein eigenständiges Politikfeld. Ob das auch in Zukunft für das Thema Netzpolitik gilt, muss sich noch herausstellen. Vertreten wird dieses neue Politikfeld von der Piratenpartei, die seit 2011 den Weg in die Landesparlamente von Berlin, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein mit deutlich über der Fünfprozenthürde liegenden Ergebnissen geschafft hat, allerdings bei der Landtagswahl in Niedersachsen 2013 nur 2,1 Prozent der Stimmen erhielt.

Die Landespolitik bietet den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur Gelegenheit, ihre regionalen parteipolitischen Vorlieben ins Parlament zu wählen. Neue Parteienkonstellationen schaffen ebenso neue Koalitionsmöglichkeiten, von denen sich einige auch bundesweit durchsetzen. "Rot-grün" (SPD und Grüne) wurde erstmals 1985 in Hessen zu einer politischen Option; "Schwarz-grün" (CDU und Grün-Alternative Liste) 2008 in Hamburg. "Rot-rot" begann mit der Duldung einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen durch die PDS in Sachsen-Anhalt 1994 und wurde dann 1998 zuerst in Mecklenburg-Vorpommern zur Realität, als die SPD mit der PDS eine Regierungskoalition einging. Eine "Ampelkoalition" aus SPD, FDP und Bündnis 90 regierte erstmals 1990 in Brandenburg und in der Formation SPD, FDP und Grüne zuerst 1991 in Bremen; eine "Jamaikakoalition" aus CDU, FDP und Grünen fand sich erstmalig 2009 im Saarland zusammen. In Hamburg wurden auch Koalitionen mit lokalen bürgerlichen Protestparteien gebildet, die im Bund keine Rolle spielten. In Schleswig-Holstein kam es 2012 zu einer Dreierkoalition mit dem nur dort kandidierenden SSW. Im Bund sind Dreiparteienkoalitionen (rechnet man die CDU/CSU Fraktion als eine "Partei") bisher nicht üblich. Die Landespolitik bietet da möglicherweise bereits einen Blick in die Zukunft der Bundespolitik. Neue Koalitionsformate sind auch hier denkbar, und je mehr sich der Trend zur kurzfristigen Wahlentscheidung und zur Verbreiterung des Parteienspektrums durchsetzt, desto wahrscheinlicher ist das Ende der Ära der Zweierkoalitionen im Bund.

Direkte Demokratie


In Deutschland beschränkt das Grundgesetz auf Bundesebene den Spielraum für direktdemokratische Entscheidungen. Sie sind gefordert, wenn sich die Deutschen eine neue Verfassung geben wollen (Artikel 146 GG) und bei Vorhaben einer Neugliederung der Bundesländer (Artikel 29 GG). Nach dem vereinfachten Verfahren der Artikel 118 und 118 a, das die Entscheidung alleine den beteiligten Ländern überlässt und keine Bundesgesetzgebung erfordert, wurde bereits über eine Länderneugliederung abgestimmt. So entstand 1952 durch den Zusammenschluss der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern das Land Baden-Württemberg. Die Fusion Berlins und Brandenburgs, die die Landesparlamente schon beschlossen hatten, scheiterte 1996 in einem Volksentscheid.

In den Ländern gibt es dagegen auf kommunaler und auf Landesebene eine Reihe von Möglichkeiten zu direktdemokratischer Beteiligung. Diese sind sowohl "personenunmittelbar" (Direktwahl der Bürgermeister) als auch "sachunmittelbar" (Entscheidung über politische Vorhaben). Die Ausgestaltung der direktdemokratischen Verfahren unterscheidet sich von Land zu Land. Volksbegehren, bei denen ein bestimmter Anteil der Stimmen aller Wahlberechtigten (Quorum) erreicht werden muss, damit sie erfolgreich sein können, gehen Volksentscheiden voraus.

Auch aus anderen Gründen kann es zu Volksabstimmungen kommen. Die Entscheidung, das baden-württembergische Wahlvolk über den Bahnhofsneubau "Stuttgart 21" am 27. November 2011 abstimmen zu lassen, wurde von der Landesregierung nach Artikel 60, Absatz 3 der Landesverfassung herbeigeführt. Hier heißt es, dass die Landesregierung eine von ihr eingebrachte Gesetzesvorlage dem Volk zur Abstimmung vorlegen kann, wenn das Gesetz im Landtag keine Mehrheit findet und wenn ein Drittel des Landtags eine Volksabstimmung beantragt. Da die im März 2011 ins Amt gekommene grün-rote Regierung in der Frage "Stuttgart 21" nicht einig war, kam keine Regierungsmehrheit für einen Gesetzentwurf zustande. Damit das Ergebnis der Volksabstimmung zu "Stuttgart 21" gültig war, musste sich ein Drittel der Wahlberechtigten beteiligen.

Bestimmte Themenfelder werden von allen Landesverfassungen übereinstimmend von direktdemokratischer Einflussnahme ausgeschlossen, wie beispielsweise Haushaltspläne, Abgaben- und Besoldungsgesetze sowie Personalfragen. In einigen Ländern (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) kann mittels direktdemokratischer Instrumente der Landtag aufgelöst werden. Die Beteiligungshürden hierfür sind allerdings hoch, und bisher wurde noch kein Landtag durch Volksentscheid aufgelöst.

Unterschiede von Land zu Land wiederum gibt es bei den Durchführungsbestimmungen für direktdemokratische Verfahren ebenso wie bei deren thematischer Reichweite. Die wichtigsten Bestandteile von Durchführungsbestimmungen sind Quoren (also Beteiligungsschwellen, die überschritten werden müssen) und Fristen zur Initiierung eines Volks- oder Bürgerbegehrens. Hinzu kommt die Frage, ob die nötigen Unterschriften für ein solches Begehren frei oder in Amtsräumen gesammelt werden. Kommt es zum Entscheid, bestehen wiederum je nach Land unterschiedliche Quoren.

Volksbegehren

In der Landespolitik haben vor allem Volksbegehren zu den Schwerpunkten Bildung und Kultur sowie zu Fragen von Demokratie und Staatsorganisation Bedeutung. Beide Themenfelder betreffen originäre Landeskompetenzen. Fragen der Bildungs- und Kulturpolitik interessieren zudem viele Bürgerinnen und Bürger. Die Unzufriedenheit mit Schulsystemen und Einsparungen in der Bildungspolitik führten relativ häufig zur Einleitung von Volksbegehren. Dabei ging es entweder um den Erhalt der Lernmittelfreiheit oder um die Veränderung von Schultypen (christliche Schulen, Gesamtschulen). In vier Ländern wurde – allerdings erfolglos – ein Volksbegehren gegen die Einführung der Rechtschreibreform gestartet, die die Länder miteinander vereinbart hatten. Ein Scheitern der Rechtschreibreform-Vereinbarung in einzelnen Ländern hätte auch internationale Konsequenzen gehabt, denn die Schweiz und Österreich waren an dieser Vereinbarung beteiligt.

Volksbegehren und Volksentscheid in den deutschen Ländern: Regelungen (Die Verwendung dieser Grafik ist honorarpflichtig.)

Die Volksbegehren im Bereich Demokratiefragen konzentrieren sich auf Reformen mit dem Ziel, mehr direkte Demokratie in den Ländern zuzulassen. Zum einen wirkte hier das Vorbild anderer Länder, zum anderen war das ein Erfolg des Vereins "Mehr Demokratie e. V.". Nachdem der Verein 1995 in Bayern den kommunalen Bürgerentscheid durchsetzen konnte, machte er es sich in den Folgejahren zur Aufgabe, in Bund und Ländern für mehr Möglichkeiten direktdemokratischen Entscheidens zu streiten.

Von 1946 bis 2011 wurden insgesamt 269 direktdemokratische Verfahren eingeleitet. Davon waren im Durchschnitt 29 Prozent erfolgreich. Erst seit den 1990er-Jahren kann man von einer nennenswerten Praxis direkter Demokratie in den Ländern sprechen. Von 1990 bis 1999 wurden 94 Volksbegehren gezählt, und von 2000 bis 2011 waren es 147. In wenigen Ländern gab es die Möglichkeit des Volksbegehrens schon 1946 (Bayern, Hessen) bzw. 1947 (Bremen, Rheinland-Pfalz). Die Hürden für ein Volksbegehren waren damals zudem relativ hoch. Die Bürgerinnen und Bürger der norddeutschen Länder (Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) machten von direktdemokratischen Möglichkeiten am intensivsten Gebrauch.

Politische Parteien nutzen Volksbegehren als Möglichkeit politischer Mobilisierung, insbesondere wenn sie sich im Land in der Opposition befinden. Sie starten dabei solche Begehren selbst oder unterstützen Bürgerbewegungen organisatorisch und inhaltlich. Auf Landesebene oder in größeren Städten ist der Aufwand für ein Volksbegehren relativ hoch. Daher wachsen die Erfolgsaussichten, wenn eine politische Partei das Vorhaben unterstützt. Volksbegehren werden von ihren Unterstützern weniger als Konkurrenz zur Arbeit der Landesparlamente gesehen, sondern vielmehr als notwendige Ergänzung demokratischer Mitwirkung auf Landesebene. Selbst wenn ein Volksbegehren scheitert, hat es ein Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt. Auch in allen Kommunalverfassungen der Länder gibt es inzwischen die Möglichkeit von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren. Bereits 1956 ermöglichte Baden-Württemberg direktdemokratisches Entscheiden in den Kommunen. Die anderen Länder folgten diesem Vorbild erst seit den 1990er-Jahren. Als letztes Land führte Berlin 2005 das Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene ein. Am stärksten genutzt wird das kommunale Bürgerbegehren in Bayern.

QuellentextWie Hamburgs Bürger mitregieren

Wird Hamburg gezwungen, sein gesamtes Energienetz wieder in Eigenregie zu betreiben? Die Stadt ist dagegen. Aber am Tag der Bundestagswahl wird es einen Volksentscheid geben, dessen Initiatoren den vollständigen Rückkauf der Energienetze von den Energieunternehmen Vattenfall und Eon fordern. Volksentscheide sind in Hamburg für Senat und Bürgerschaft verbindlich. [...]

Es ginge dann um etwa zwei Milliarden Euro, welche die Stadt zahlen müsste. Aus Sicht der Haushälter ist die Summe nicht aufzubringen. Insofern geht es bei dem Streit jetzt auch darum, ob durch einen erfolgreichen Volksentscheid das Haushaltsrecht der Bürgerschaft verletzt wird. Dabei ist Artikel 50 der Verfassung Hamburgs zu beachten: "Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge können nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein." Die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft will die Berechtigung des Volksentscheids über die Energienetze deshalb gerichtlich klären. [...]

Was ein erfolgreicher Volksentscheid politisch bedeuten kann, weiß man in Hamburg nur zu gut. Als CDU und Grüne gemeinsam regierten, wollten sie die Einführung der Primarschule durchsetzen, scheiterten aber an einem Volksentscheid, den die Gegner der Primarschule unter dem Namen "Wir wollen lernen" für sich entschieden. Zwar sagen sowohl der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) als auch CDU und Grüne, die Koalition sei nicht am Scheitern der Schulreform zerbrochen, aber letztlich war es doch so. Von Beust trat damals unmittelbar vor dem Verkünden der Volksentscheid-Ergebnisse zurück.

Insofern weiß auch der amtierende Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), dass ein siegreicher Volksentscheid über die Energienetze seine Regierung in Turbulenzen stürzen könnte. Wie er selbst zu "Unser Hamburg – unser Netz" steht, hat er mehrfach klargemacht. Er hält nichts von einem vollständigen Rückkauf. Es nütze nichts, nur die Kupferkabel zu besitzen, sagte er.

Die Wortwahl ist interessant. Scholz will die Bedeutung der Sachentscheidung herunterspielen, um politisch gewinnen zu können. Er weiß, dass der Senat sich zurückhalten muss. Deshalb übernehmen andere die Kritik an "Unser Hamburg – unser Netz". Zuletzt war das der Präses der Hamburger Handelskammer, Fritz Horst Melsheimer, der sogar von einem "unrühmlichen Beispiel für direkte Demokratie" sprach und die Volksinitiative aufforderte, die Diskussion "zu versachlichen". Eine komplette Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze bringe keinen Mehrwert.

Die Initiative warf Melsheimer sogleich vor, er argumentiere unseriös. Die Chancen einer Rekommunalisierung würden die Risiken deutlich übersteigen. Die Energiekonzerne seien nur auf Profitmaximierung gepolt. Kommunale Unternehmen wie etwa die Stadtwerke München zeigten, wie konsequenter Klimaschutz und der Ausbau der erneuerbaren Energien funktioniere.

Politisch interessant ist, wer "Unser Hamburg – unser Netz" trägt: Attac Hamburg, der Bund für Umwelt und Naturschutz Hamburg (BUND), Diakonie und Bildung des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Hamburg-Ost, die Initiative "Moorburgtrasse stoppen", "Robin Wood" und die Verbraucherzentrale Hamburg. Wortführer ist Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND in Hamburg. Braasch spielte schon bei der Klage gegen die Elbvertiefung eine zentrale Rolle, die einen Aufschub der Arbeiten erreicht hat und damit Senat und Wirtschaft in Hamburg schockierte. Anwaltliche Unterstützung für die Initiative gibt der Grünen-Politiker Till Steffen. In der Zeit von Schwarz-Grün war er Justizsenator.

In keinem anderen Bundesland sind Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide so beliebt wie in Hamburg. Sie sind professionell organisiert. Im Fall der Schulreform haben sie auch gezeigt, wie die Bürgerschaft politisch ohnmächtig gemacht werden kann. Nicht nur hatten alle Fraktionen vor dem Volksentscheid für die Schulreform gestimmt, die Bürgerschaft hatte sogar einen eigenen Antrag beim Volksentscheid gegen "Wir wollen lernen" vorgelegt. [...]

Frank Pergande, "Ohnmächtige Bürgerschaft", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Februar 2013 (Externer Link: http://www.faz.net/-gpg-766v7)

Aktionsfelder der Landespolitik


Für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern ist es entscheidend, dass ihre Vertreter in den Landtagen ihre Anliegen aufgreifen können. In einem Föderalismus der Politikverflechtung, wo Bund und Länder Entscheidungen häufig gemeinsam treffen, ist dies weniger der Fall als in einem Föderalismus, der den Ländern größere Autonomie gewährt. Dennoch gibt es Bereiche wie Innere Sicherheit, Medien, Bildung und Verwaltung, bei denen es in erster Linie auf die Länder ankommt. Die Föderalismusreform I von 2006 hat die Palette ausschließlicher Länderkompetenzen noch erweitert, zum Beispiel um den Nichtraucherschutz, den Ladenschluss, den Strafvollzug sowie die Besoldung, die Versorgung und das Laufbahnrecht der Landesbeamten. Eine wichtige Verantwortung der Länder ist diejenige für ihre Kommunen. Die Länder verabschieden Kommunalverfassungen und helfen finanzschwächeren Kommunen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Das Strukturproblem für die Landesparlamente, dass wesentliche Entscheidungen vor allem in der Regierungszusammenarbeit mit dem Bund bzw. im Kontext europäischer Vorgaben fallen, bleibt allerdings bestehen.

Rundfunk und Fernsehen

Die Zuständigkeit für Rundfunk und Fernsehen ist den Ländern zunächst aus historischen Gründen zugewachsen. Die alliierten Siegermächte veranlassten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ihren Besatzungszonen die dezentrale Gründung von Rundfunkanstalten. Am 9. Juni 1950 gründeten die damaligen sechs Landesrundfunkanstalten Bayerischer Rundfunk, Hessischer Rundfunk, Radio Bremen, Süddeutscher Rundfunk (SDR), Südwestfunk (SWF) und Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) sowie – mit beratender Stimme – der Rundfunk im Amerikanischen Sektor Berlins (RIAS) die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD). Die Form der Arbeitsgemeinschaft garantiert ihren Mitgliedern bis heute volle Unabhängigkeit. Weitere Rundfunkanstalten kamen in den Ländern hinzu: In Berlin der Sender Freies Berlin (SFB) und, nach dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik, der Saarländische Rundfunk. Der NWDR wurde in den Westdeutschen Rundfunk und den Norddeutschen Rundfunk aufgeteilt. Nach der deutschen Einheit ging der RIAS 1994 im bundesweit sendenden Deutschlandradio auf, das gemeinsam von ARD und ZDF getragen wird. Nach der Wiedervereinigung neu entstanden sind der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB). 1998 schlossen sich SDR und SWF zum Südwestrundfunk (SWR) zusammen. ORB und SFB fusionierten 2003 zum Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB).

Die Rundfunklandschaft folgte also von Anfang an nicht exakt dem Prinzip: ein Land – eine Rundfunkanstalt, sondern war von den Entscheidungen der Besatzungsmächte geprägt. Später waren vor allem Kostengründe für die Zusammenschlüsse zu heute neun Rundfunkanstalten in 16 Ländern entscheidend. Aus Ersparnisgründen teilen sich beispielsweise auch die einzelnen Länderanstalten die Zuständigkeiten für Korrespondenten in aller Welt. Die Dritten Programme der Rundfunkanstalten, ebenso wie die Radioprogramme, sorgen dafür, dass über alle deutschen Länder berichtet wird. Gerade die Hinwendung der ARD zur regionalen Versorgung trägt wesentlich zum Bild des Föderalismus in der Öffentlichkeit bei und gibt Raum für Landespolitik in den Medien.

Die Rundfunkhoheit der Länder wurde 1961 durch das "Fernsehurteil" des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Es beendete die Pläne des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, ein vom Bund kontrolliertes deutschlandweites Fernsehen zu schaffen. Die SPD-regierten Länder Hessen und Hamburg riefen gegen dieses Vorhaben das Bundesverfassungsgericht an. Das Gericht betonte in seinem Urteil unter anderem, dass das Grundgesetz dem Bund keine Kompetenzen auf dem Politikfeld Rundfunk gibt, die über technische Fragen der Übermittlung hinausgehen. Die Zuständigkeiten der Länder seien zu beachten. Das Zweite Deutsche Fernsehen wurde 1963 durch einen Staatsvertrag zwischen den Ländern gegründet.

Wirtschaftspolitik der Länder

Die Länder sind bemüht, die heimische Wirtschaft im Rahmen eigener industriepolitischer Fördermaßnahmen zu unterstützen und die Arbeitsplätze, teilweise auch in weniger konkurrenzfähigen Industriezweigen, möglichst lange zu erhalten. Nordrhein-Westfalen und das Saarland setzten sich für eine Zukunft der Kohle- und Stahlindustrie ein, die seit Ende der 1960er-Jahre einem stetigen Strukturwandel ausgesetzt war. 2012 schloss die letzte Zeche im Saarland. 2018 wird die letzte Zeche in Nordrhein-Westfalen folgen. Für die Küstenländer hat der Erhalt der Werftindustrie eine ähnlich strategische Bedeutung. Infrastrukturprojekte der Länder dienen dazu, Investoren und Touristen anzulocken bzw. den Industriestandort attraktiver zu machen und das Image des Landes zu pflegen. Hamburg beteiligte sich als Aktionär an Firmen, um diese aus Schwierigkeiten zu retten (z. B. Kosmetikkonzern Beiersdorf, Linien-Reederei Hapag-Lloyd). Damit sollen Standortverlagerungen oder das Fusionieren mit Unternehmen ohne Bindung zum Stadtstaat verhindert werden. Das VW-Gesetz gibt dem Land Niedersachsen ein Vetorecht bei Unternehmensentscheidungen von Volkswagen. Nicht alle Projekte gelingen: Beispiele für problematische "Leuchtturmprojekte", die die finanziellen Risiken (Insolvenz bzw. Kostenüberschreitung) eines solchen Länderengagements verdeutlichen, sind das Nürburgring-Projekt in Rheinland-Pfalz, der Space Park in Bremen, der Ausbau des Saarlandmuseums oder die Elbphilharmonie in Hamburg.

Technologietransfer

Alle Länder sehen in der Bildung den "Rohstoff" für künftige wirtschaftliche Erfolge. Die Wissenschaftspolitik der Länder ist deshalb auch Teil der Strategien zur Weiterentwicklung von Forschung und Technologie. Ausgelöst von Bemühungen der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, den Technologietransfer von den Hochschulen in innovative Unternehmen zu verbessern, starteten in den 1980er-Jahren in allen Ländern Technologiezentren. Universitätsnah angesiedelt und unterstützt durch das Land, das die Grundausstattung der Zentren bereitstellt, sollen sie Start-up-Unternehmen und innovativen Gründern helfen, ihre neuen Produkte schneller marktfähig zu machen. In der Ulmer "Wissenschaftsstadt" wurde die direkte Anbindung der universitären Forschung an Forschungsabteilungen der Großindustrie (wie z. B. Daimler) verwirklicht. Zentrale Bezugsgruppe für die Wirtschaftspolitik der Länder sind die mittelständischen Unternehmen. Sie sind in besonderer Weise standorttreu und dem Land verbunden. Vor allem aber stellen sie Arbeitsplätze und – gemessen an der Betriebsgröße – die meisten Ausbildungsplätze bereit.

Mittelstandspolitik

Die Finanzierung der Kreditbedürfnisse des Mittelstandes geschieht zum größten Teil durch die im Besitz der Kommunen befindlichen Sparkassen, aber auch durch Fördermittel des Landes. Die Ministerpräsidenten verstehen sich als "Türöffner" für die Unternehmen ihres Landes und vertreten deren Interessen mit ihnen gemeinsam unter anderem auf Messen und Auslandsreisen. Vor der Finanzkrise von 2008 hatten die Länder schlagkräftige Landesbanken, die zum Teil im Besitz der Sparkassen waren. Während es bis Anfang der 1990er-Jahre noch bei allen (westdeutschen) Ländern Beteiligungen an einer Landeszentralbank gab, galt das 2011 nur noch für zwölf von 16 Ländern. Die Landesbanken hatten sich mit ihrem Geschäftsmodell immer mehr von ihrem öffentlichen Auftrag als Staats- und Sparkassenzentralbank sowie als Finanzierer des Mittelstandes entfernt. In der Bankenkrise nach 2008 erlitten sie wegen ihres Engagements im Investmentbanking bzw. anderer Fehlinvestitionen hohe Verluste. Heute haben die Landesbanken als Instrument der Landespolitik an Bedeutung verloren bzw. für einzelne Länder hohe Verbindlichkeiten hinterlassen. Sie mussten fusionieren oder wurden ganz abgewickelt. Übrig geblieben sind sechs Institute, die sich neue regionale Geschäftsfelder suchen müssen.

Glücksspielmonopol

Zu den Länderbefugnissen gehört auch die Regelung des Glücksspiels. Hier kooperieren die Länder, wie auch in einigen anderen Bereichen, per Staatsvertrag, also durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Ländern. Im Dezember 2011 unterzeichneten 15 der 16 Länder in Berlin einen neuen Glücksspielstaatsvertrag. Auch im Vorläufervertrag von 2007 war das Glücksspiel schon geregelt. Der Staatsvertrag geriet aber unter Druck, weil die Europäische Union in der bisherigen Tiefe der staatlichen Regelung des Wirtschaftszweigs Glücksspiel einen unzulässigen Eingriff in den europäischen Binnenmarkt sah. Die Länder betonen in ihrem neuen Glücksspielstaatsvertrag deshalb besonders die Ziele Suchtprävention und Jugendschutz. Schleswig-Holstein schloss sich der Einigung zunächst nicht an, nach dem Regierungswechsel 2012 nahm das Land jedoch Abstand von seinen liberaleren Regeln für Glücksspiele und beschloss, der Vereinbarung der anderen Länder beizutreten. Ob das Land damit auch die bereits erteilten Glücksspielkonzessionen an neue Anbieter zurücknehmen kann, ist juristisch noch ungeklärt.

Der Staatsvertrag hält am Lottomonopol der Länder fest. Für private Anbieter von Glücksspielen stehen nur 20 Lizenzen zur Verfügung. Auch das Internetverbot für Glücksspiele soll laut Staatsvertrag aufrechterhalten werden, was ausländische Anbieter, die circa 95 Prozent des Marktes in Deutschland kontrollieren, jedoch nicht betrifft, da sie nicht deutschem Recht unterliegen.

Das Bundesverfassungsgericht hält dieses Monopol nur bei einer konsequenten und glaubhaften staatlichen Suchtprävention für gerechtfertigt. Das Glücksspielmonopol der Länder ist auch bedroht, weil die EU-Kommission dieses als ungerechtfertigten Eingriff in den europäischen Binnenmarkt einstuft. Die Länder würden auf dieses Privileg jedoch nach wie vor ungern verzichten. Die nicht unerheblichen Lottoeinnahmen helfen ihnen, Kultur und Sport zu fördern. Außerdem sind Vorsitze von Landeslottogesellschaften beliebte und gut bezahlte Stellen.

Innere Sicherheit

Die Innere Sicherheit ist ein weiteres und besonders wichtiges Feld der Landespolitik. Die Landespolizei überwacht zum Beispiel die Sicherheit in und vor Fußballstadien und sorgt unter anderem für die friedliche Wahrnehmung des Demonstrationsrechts. Auch wenn die Aufgaben der Polizei in den verschiedenen Ländern ähnlich sind, ihre interne Organisation ist es nicht. Ob die Polizei diese an bestimmten Aufgaben ausrichtet oder an der regionalen Präsenz, bleibt den jeweiligen Ländern überlassen. Auch die Bezeichnungen der Dienststellen weichen voneinander ab: Die Polizeihauptwache in Nordrhein-Westfalen wäre in Niedersachsen ein Kommissariat. Gewichtigere Unterschiede bestehen in Detailregelungen polizeilicher Befugnisse wie beim "finalen Rettungsschuss" zur Rettung unbeteiligter Dritter, bei der Videoüberwachung oder bei verdachtsunabhängigen Kontrollen (Schleierfahndung). Zur Inneren Sicherheit gehört die Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz. Sie widmen sich der Abwehr von Gefahren, die etwa politischer und religiöser Extremismus für das Gemeinwesen bedeuten.

Der Strafvollzug, und somit auch die Verantwortung für die Unterbringung gefährlicher Straftäter, ist 2006 durch die damalige Föderalismusreform in die Hand der Länder gegeben worden. Sechs norddeutsche Länder kooperieren bei der Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung, also der Unterbringung von Haftentlassenen, die aber wegen der Gefahr, die weiter von ihnen ausgeht, nicht auf freien Fuß kommen sollen. Nach höchstrichterlichem Urteil muss sich ihr weiterer Gewahrsam baulich und qualitativ vom Strafvollzug unterscheiden. Die Länderzusammenarbeit soll Kosten sparen. In Niedersachsen, Hamburg und Brandenburg entstehen neue Einrichtungen für die Sicherungsverwahrung. Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Bremen können Sicherheitsverwahrte in jede der drei Einrichtungen bringen. Kooperationsbereit sind auch die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, allerdings ohne gemeinsam nutzbare Einrichtungen zu schaffen.

Auf dem Feld der Inneren Sicherheit wurde immer wieder deutlich, dass es der Zusammenarbeit der Landesbehörden untereinander sowie mit dem Bund bedarf, um Fehler und Effizienzverluste zu vermeiden. Kritiker der Länderkompetenzen im Bereich Innere Sicherheit, wie beispielsweise der frühere Bundesinnenminister Otto Schily, würden eine stärkere Rolle des Bundes beim Schutz der Öffentlichkeit vorziehen. Er forderte 2004 eine Zentralisierung des Verfassungsschutzes und mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt. Die bisherige föderale Struktur sei ein "Sicherheitsrisiko". Neu entflammte diese Debatte 2012 angesichts der eklatanten Fahndungspannen im Zusammenhang mit den Morden der rechtsextremistischen NSU.

Bildungspolitik

Ähnlich kritisch wird die Zuständigkeit der Länder für das Politikfeld Bildung gesehen. Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nussbaum formulierte 2012 provokant: "Ich persönlich könnte auch auf den Bildungsföderalismus gut verzichten." Günther Oettinger schlug 2007 in seiner Zeit als Ministerpräsident Baden-Württembergs ein bundesweites Zentralabitur vor, das in der Union einige Unterstützer fand. Innerhalb der Länder gibt es jedoch inzwischen, mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz, überall in der Bundesrepublik ein landesweites Zentralabitur. Unterschiede bestehen in der konkreten Ausgestaltung, beispielsweise in der Auswahl und Anzahl der zu prüfenden Kernfächer. Annette Schavan brachte als Bundesbildungsministerin auch die Idee ins Gespräch, den Bund einige Universitäten übernehmen zu lassen. Die Länder sehen darin aber keine Verbesserung, weil die verfügbaren Finanzmittel durch "Bundesuniversitäten" für alle Hochschulen weniger würden.

Die Kritiker des Bildungsföderalismus, welche sich an der aus ihrer Sicht zu großen Vielfalt stören, übersehen zum Teil, dass schon eine verstärkte Kooperation der Länder in der Bildungspolitik im Gange ist. Der Druck, der von Qualitätsvergleichen wie der PISA-Studie ausgeht, hat in allen Ländern zu Bemühungen um eine bessere Qualität der schulischen und universitären Bildung geführt. Ab 2017 können beispielsweise die Abituraufgaben aus einem gemeinsamen Pool mit gleich schweren Aufgaben von den Ländern ausgewählt werden. So bleibt einerseits die Landeszuständigkeit erhalten, und es ist andererseits für eine vergleichbare Qualität des Abiturs gesorgt.

Bildungspolitik ist das "Hausgut" der Länder. Sie tragen damit in einem wichtigen Feld die Verantwortung für die zukünftigen Lebenschancen der Jugendlichen und Kinder. Das Bemühen, den Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Ausbildungssystems zu entsprechen, hat inzwischen zu einer Erweiterung der Vielfalt der Schulformen geführt. Das klassische dreigliedrige System aus Haupt-, Realschule und Gymnasium besteht heute nur noch in Bayern. In den anderen Ländern wird auf unterschiedliche Weise versucht, Alternativen zur Hauptschule zu finden bzw. die Schulformen zu integrieren. In der Hochschulpolitik ist die Vielfalt ebenfalls gewachsen. Bachelor- und Masterabschlüsse sind nicht nur von Land zu Land, sondern von Universität zu Universität deutlich unterschiedlich. Studierende können mehr Spezialisierungen wählen, das Angebot wird aber auch unübersichtlicher. Nur eine Entwicklung verlief einheitlich: Studiengebühren wurden in immer weniger Ländern erhoben und 2013 in den letzten Ländern, die sie beibehalten hatten, Niedersachsen und Bayern, abgeschafft.

Die Bildungspolitik bleibt wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung eine Aufgabe, die die Länder – trotz der Kritik auch aus der Elternschaft, beispielsweise bei einem Wohnortwechsel über Landesgrenzen hinweg – nicht bereit sind, aufzugeben. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass es in der Gesellschaft eine Vielfalt pädagogischer Sichtweisen gibt, die sich auf Landesebene in der einen oder anderen Weise breiter niederschlagen können. Der Entscheidungsspielraum vor Ort wird in diesem Fall höher bewertet als die möglicherweise effizientere Ausrichtung an einer bundespolitischen Vorgabe.

Kulturpolitik

Kulturpolitik ist, wie die Bildungspolitik, vor allem Aufgabe der Länder. Über 80 Prozent der Kulturausgaben kommen aus den Haushalten der Länder und Kommunen. Letztere tragen dabei circa die Hälfte der Kulturbudgets. Im deutschen Föderalismus finden sich bedeutende Museen, Baudenkmäler oder Archive, wie die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig, nicht nur in der Hauptstadt Berlin, sondern im gesamten Land verteilt. Kommunale und Landesorchester und Theater sorgen für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung. Der Bund hat dank seiner finanziellen Möglichkeiten seine Rolle in der Kulturpolitik, vor allem in Kooperation mit den Ländern, nach der deutschen Einheit verstärkt. Seit 1998 gibt es einen "Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien" im Range eines Staatsministers im Bundeskanzleramt. Er unterstützt Stiftungen, Verbände, Festspiele (Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth), die Denkmalpflege und die Förderung national bedeutsamer Sammlungen von Kulturgut (z. B. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin) sowie die kulturelle Filmförderung. 2002 nahm die Kulturstiftung des Bundes mit Sitz in den Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale ihre Arbeit auf. Sie fördert Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeiten des Bundes. Die Länder sind zwar auf die finanzielle Unterstützung des Bundes bei einigen ihrer wichtigen Kulturaktivitäten angewiesen, sind aber skeptisch, wenn der Bund im Bereich Kultur eigenständige Initiativen startet.

QuellentextFür eine stärkere Rolle des Bundes

[...] Der deutsche Bildungsföderalismus hat eine zerklüftete Schullandschaft geschaffen, die weltweit ihresgleichen sucht: mit 16 unterschiedlichen Schulsystemen, Lehrplänen und Versetzungsordnungen. Anfang des Jahrhunderts hatte der Pisa-Schock die Kultusminister für kurze Zeit zusammengeschweißt. Getrieben von der Öffentlichkeit und dem Bund, verständigten sie sich auf Lernziele in den Kernfächern, sogenannte Bildungsstandards.

Doch seit die KMK (Kultusministerkonferenz) die Alleinzuständigkeit für die Schulen übernommen hat, ist der Druck weg – und jedes Interesse an einer gemeinsamen Bildungspolitik verflogen [...] Beispiele [...] lassen sich leicht finden:

  • Gleich nach den Veröffentlichungen der Pisa-Ergebnisse 2001 versprachen die Kultusminister, das größte Bildungsproblem gemeinsam anzugehen: die schlechten Deutschkenntnisse von Schülern mit Migrationshintergrund. Auf die Förderinitiative wartet man noch heute. Stattdessen bastelten sich die Kultusminister jeweils ihre eigenen Deutschtests und ließen ihre eigenen Sprachprogramme entwerfen. Leider weiß niemand, was sie taugen, da die Kultusminister sich bis heute weigern, deren Wirksamkeit testen zu lassen.


  • Die Ausbildung der Lehrer gehört zu den Dauerbaustellen der Schulpolitik. Sie gilt als praxisfern und unstrukturiert. Schon 1970 beklagte der damalige Bildungsrat, dass Lehrer nur schwer von einem Bundesland zum nächsten wechseln könnten. Heute haben Pädagogikstudenten sogar Probleme, die Universität innerhalb eines Bundeslandes zu wechseln, da fast jede Hochschule ihr eigenes Reformmodell ausprobiert. Jürgen Zöllner, bis zu seinem Ausscheiden im vergangenen Jahr dienstältester Bildungsverantwortlicher der Republik, bescheinigte den Ländern ein "Totalversagen" auf diesem Feld.


  • Selbst wenn sich die Kultusminister einig sind, schaffen sie es, die Eintracht als Wirrwarr zu tarnen. Viele Bundesländer haben die Hauptschulen aufgelöst und mit den Realschulen fusioniert. Zu einem gemeinsamen Namen für den neuen Bildungsgang hat es nicht gereicht: In Hamburg heißt er Stadtteilschule, in Berlin Sekundarschule, in Bremen Oberschule und in Schleswig-Holstein Regionalschule.

Schließlich soll niemand auf die Idee kommen, ein Land hätte ein sinnvolles Konzept vom Nachbarn abgekupfert. Mit mehr als einem Dutzend Neuerungen – der Schulinspektion, der früheren Einschulung, dem islamischen Religionsunterricht – haben die Kultusminister in den vergangenen Jahren die Schulen überzogen. Mit den Nachbarn abgestimmt oder gar im größeren Rahmen evaluiert wurde keine der Maßnahmen, selbst eine Großreform wie die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre nicht.

Das Denken eines Kultusministers endet an der Landesgrenze. In diesem Rahmen können manche Ressortpolitiker durchaus eine beachtliche politische Bilanz vorweisen. Für eine nationale Bildungsstrategie jedoch fehlen den Ländern der Wille, das Geld und die Strukturen. Ein Kollektivgremium wie die KMK, das bei wichtigen Fragen Einstimmigkeit verlangt und dessen Präsident turnusmäßig jedes Jahr wechselt, taugt per se nicht als Reformmotor. [...]

Niemand möchte, dass die Lehrpläne für ganz Deutschland in Berlin geschrieben werden. Genauso wenig verlangt irgendjemand, dass in Zukunft die Bundesbildungsministerin Lehrer oder Schulleiter in Flensburg oder Füssen aussucht. Vielmehr geht es darum, Bund und Ländern die Möglichkeit zu geben, in zentralen Fragen zusammenzuarbeiten. [...] Dabei wäre es eine Illusion, zu glauben, dass der Bund die Löcher in den Budgets der Länder stopft. Der Berliner Etat ist begrenzt, selbst wenn der Bund neue Steuermittel für die Schulen frei machen sollte. Die Bildung braucht den Bund jedoch vor allem als Druckmacher und Integrator. Er wird die Länder drängen, sich abzustimmen, Reformen zu prüfen und sich auf Standards zu einigen. [...]

Martin Spiewak, "Die Schulen brauchen jede Hilfe", in: Die Zeit Nr. 38 vom 13. September 2012 (Externer Link: http://www.zeit.de/2012/38/Schulen-Bildungspolitik-Kooperationsverbot)

QuellentextGegen zentralstaatlichen Dirigismus

Bei unseren europäischen Nachbarn erleben wir gegenwärtig eine Blüte des Föderalismus. Die Mehrheit der Schotten wünscht sich mehr Autonomie, die belgischen Sprachgruppen bauen die Zuständigkeiten ihrer Bundesstaaten aus, die Schweizer verteidigen ihre kantonale Unabhängigkeit. Auch Spanier, Franzosen und Italiener wollen weniger staatlichen Zentralismus.

Nur in der Bundesrepublik Deutschland hat der Föderalismus einen schlechten Ruf. Vielleicht, weil man verlernt hat wertzuschätzen, an was man gewöhnt ist. Dabei lassen es Bürger und Politiker nicht an abstrakten Bekenntnissen zum Föderalismus fehlen. Aber sobald es konkret wird, verunglimpft man ihn als "Kleinstaaterei".

Egal, ob es um das Abitur, ganz allgemein um Schulsysteme, um die Lehrerausbildung, das Hochschulwesen, die Lebensmittelaufsicht, die Atomaufsicht, den Verfassungsschutz, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder den Straßenbau geht – stets scheint es Argumente dafür zu geben, warum gerade in diesem Bereich Schluss sein sollte mit der Bundesstaatlichkeit.

Erstaunlicherweise setzen dabei Menschen, die sonst dem Staat kritisch gegenüberstehen, ein großes Vertrauen in den Zentralstaat. Wenn erst einmal die entsprechenden Zuständigkeiten in einer Bundesbehörde gebündelt seien, dann – so die Vorstellung – laufe alles wie am Schnürchen. Dabei zeigt die Lebenserfahrung bei bereits zentralisierten Aufgaben: Das ist mitnichten so. Im Gegenteil: Wenn auf Bundesebene etwas schief läuft, dann läuft es in einem viel größeren Maßstab schief.

Nehmen wir als Beispiel die Schulpolitik. Sicherlich mag es nervig sein, wenn bei einem Umzug von Oldenburg nach Stuttgart Schüler und Eltern mit neuen Anforderungen konfrontiert werden. Es kann auch sein, dass in einem Gymnasium in Bayern höhere Ansprüche gestellt werden als in einem Gymnasium in Berlin.

Ob das Gymnasium in Bayern dabei die gesellschaftlich besseren Ergebnisse erzielt, sei einmal dahingestellt. In jedem Fall aber ist dieser Unterschied das Resultat eines Wettbewerbs der Systeme. Wer sagt denn, dass ein Bundesschulministerium in Berlin den gymnasialen Standard auf bayerischem und nicht etwa auf bremischem Niveau festlegen würde?

Wie groß wäre das Geschrei, wenn plötzlich ein Ministerialrat in einer Berliner Zentralbehörde über schulische Angelegenheiten in Baden-Württemberg entschiede? Wenn bei entsprechender bundespolitischer Konstellation in Bayern die Gesamtschule durchgesetzt würde oder in Berlin wieder abgeschafft?

Zentralismus bringt nicht automatisch bessere Ergebnisse: Das französische Schulsystem mit seinen zentralstaatlich festgelegten Prüfungen erweist sich in den Pisa-Untersuchungen als keineswegs leistungsfähiger als das deutsche, föderalistische.

Der deutsche Föderalismus krankt nicht daran, dass die Bundesländer zu eigenständig sind, sondern daran, dass sie stets ihre regionalen Lösungen bundesweit durchsetzen möchten, dass sie also mit Unterschieden nicht umgehen können.

Das würde in unserem Beispiel heißen: Statt dass die Bayern versuchen, das bayerische Abitur in Bremen durchzusetzen, sollten sie die Bremer Abiturienten mit deren Hochschulreife akzeptieren. Bremen wiederum müsste sich bemühen, von den erfolgreicheren Bildungswesen zu lernen. Denn auch das gilt: ob Bund oder Länder, dem Grundgesetz sind alle staatlichen Ebenen verpflichtet. Und das fordert die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" in Deutschland, nicht die Gleichheit.

Sicherlich: Der Preis dieses wettbewerblichen, föderalen Systems sind Ungerechtigkeiten im Einzelfall. Es stellt auch hohe Anforderungen an die Flexibilität der Bundesbürger. Aber kein System ist hundertprozentig gerecht. Ein Ende des Föderalismus und ein zentralstaatlicher Dirigismus wären auf jeden Fall die schlechtere Alternative.

Markus Reiter, "Wider die Föderalismuskritik. Für einen Wettbewerb zwischen den Bundesländern", dradio.de, 21. Februar 2012 (Externer Link: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1682212/)

Professor Dr. Roland Sturm, Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Arbeitsgebiete: Vergleichende Politikwissenschaft (v. a. englischsprachige Länder), International vergleichende Politikfeldanalyse, Politische Wirtschaftslehre, Europäische Union und deutsche Politik (u. a. Föderalismus, Wahlen und Parteien)
Kontakt: E-Mail Link: Roland.Sturm@polwiss.phil.uni-erlangen.de