Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
Konjunkturpolitik
Die Konjunkturpolitik ist kurzfristig ausgerichtet und benutzt hauptsächlich Instrumente der Prozesspolitik. Der Konjunkturverlauf lässt sich in vier Phasen einteilen:- Aufschwung (oder Expansion),
- Hochkonjunktur (oder "Boom"),
- Abschwung (oder Rezession), und im schlimmsten Fall
- Depression, die tiefe Wirtschaftskrise.
Arbeitslosigkeit in der Rezession führt bei den Betroffenen zu Einkommensverlusten und ruft häufig Existenzängste hervor. Es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in den Staat und in die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung insgesamt schwindet. Umstritten ist allerdings, ob und mit welchen Instrumenten der Staat das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wahren und Fehlentwicklungen korrigieren kann. Sollte der Staatshaushalt, also Staatsausgaben und Steuersätze, eingesetzt werden ("Fiskalpolitik") oder die Geldpolitik der Zentralbank?
Noch in den 1970er Jahren gingen viele Wirtschaftspolitiker davon aus, dass es einen dauerhaften Zielkonflikt zwischen den Zielen Vollbeschäftigung und Preisstabilität gebe. Daraus wurde dann abgeleitet, dass die Wirtschaftspolitik Vollbeschäftigung durch die Hinnahme einer höheren Inflationsrate "erkaufen" könne. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wird mit dem Satz zitiert: "Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit." Heute vertritt die Wirtschaftswissenschaft die These, dass es einen solchen Zielkonflikt zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität - wenn überhaupt -, nur kurzfristig gibt. Inflation wird nicht mehr als "Öl für den Wirtschaftsmotor" angesehen, und die Erhöhung der Inflationsrate gilt nicht mehr als angemessenes Mittel, um die Beschäftigung zu erhöhen. Langfristig wird stattdessen Preisstabilität als Voraussetzung für Vollbeschäftigung angesehen.
Die Grundlinien dieser konjunkturpolitischen Diskussion lassen sich durch die Begriffe "nachfrageorientierte" und "angebotsorientierte Wirtschaftspolitik" beschreiben. In der wirtschaftspolitischen Praxis finden wir heute Mischformen beider Konzepte. Die nachfrageorientierte Konjunkturpolitik zielt auf kurzfristige Erfolge, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ist eher langfristig angelegt.
Die in der Regel nachfrageorientierte Stabilitätspolitik stehtder Marktwirtschaft skeptisch gegenüber. Ihre Konzeption geht auf den englischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) zurück. Seine Grundthese lautet, dass sich in der Marktwirtschaft nicht automatisch ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bildet, in dem Vollbeschäftigung herrscht. Wenn die Wirtschaftssubjekte negative Entwicklungen erwarten und deshalb ihre Güternachfrage einschränken, führt dies zur Unterauslastung der Volkswirtschaft und damit zu Arbeitslosigkeit. Der Therapievorschlag besteht darin, dass der Staat durch seine Fiskalpolitik eine gleichmäßige Auslastung der Volkswirtschaft sicherstellt. Er ergreift dabei prozesspolitische Maßnahmen wie die fallweise Veränderung der Staatsausgaben und der Steuersätze zur Belebung der Nachfrage. Die Rezession soll der Staat dadurch bekämpfen, dass er seine erhöhten Ausgaben durch Staatsverschuldung finanziert und somit "deficit spending" betreibt. Im Boom soll diese Staatsverschuldung dann wieder abgetragen werden.
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Quellentext
Nachfrageorientierung im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre
1966/67 kam es in der Bundesrepublik Deutschland zur ersten schweren Rezession (Konjunkturrückgang) der Nachkriegszeit. Die Arbeitslosigkeit, die man schon überwunden glaubte, trat erneut auf, gleichzeitig erhöhte sich die Inflationsrate, während das Wirtschaftswachstum seine Dynamik verlor.
Der aus heutiger Sicht geringfügige Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 2,1 Prozent erschütterte die für die Erhard-Ära leitende Auffassung, dass die Marktwirtschaft in sich stabil sei und staatliche Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe (Prozesspolitik) möglichst vermieden werden sollten.
Es setzte ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik ein. Kennzeichnend hierfür ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) vom 8. Juni 1967. Es stellte der Regierung zusätzliche prozesspolitische Instrumente zur Verfügung wie Rücklagen zum Konjunkturausgleich, Variationen der Steuersätze und der Staatsausgaben sowie Steuervergünstigungen für Investitionen. Der Übergang zu einer nachfrage-orientierten Stabilitätspolitik vollzog sich auf der Grundlage einer Problemanalyse des neuen Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD): Nach ihr reichten die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft nicht aus, um Inflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern, und die geldpolitischen Instrumente der Bundesbank wirkten zu langsam und nicht durchschlagend genug. Deshalb sollten die öffentlichen Haushalte eingesetzt werden, um die Konjunktur zu steuern (antizyklische Fiskalpolitik).
Die Konjunkturkrise von 1966/67 konnte mit diesem Konzept überwunden werden, aber einem kurzen Boom zu Beginn der 1970er Jahre folgte 1974/75 erneut eine - europaweite - Rezession. Sowohl die Arbeitslosenquoten als auch die Inflationsraten, die durch Ölpreiserhöhungen ausgelöst wurden, stiegen an. Dieser Rezession folgte ein nur schwacher Aufschwung. In vielen Staaten kamen deshalb Zweifel auf, ob die antizyklische Fiskalpolitik noch dazu geeignet war, die Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
Hans-Jürgen Schlösser
Der aus heutiger Sicht geringfügige Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 2,1 Prozent erschütterte die für die Erhard-Ära leitende Auffassung, dass die Marktwirtschaft in sich stabil sei und staatliche Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe (Prozesspolitik) möglichst vermieden werden sollten.
Es setzte ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik ein. Kennzeichnend hierfür ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) vom 8. Juni 1967. Es stellte der Regierung zusätzliche prozesspolitische Instrumente zur Verfügung wie Rücklagen zum Konjunkturausgleich, Variationen der Steuersätze und der Staatsausgaben sowie Steuervergünstigungen für Investitionen. Der Übergang zu einer nachfrage-orientierten Stabilitätspolitik vollzog sich auf der Grundlage einer Problemanalyse des neuen Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD): Nach ihr reichten die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft nicht aus, um Inflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern, und die geldpolitischen Instrumente der Bundesbank wirkten zu langsam und nicht durchschlagend genug. Deshalb sollten die öffentlichen Haushalte eingesetzt werden, um die Konjunktur zu steuern (antizyklische Fiskalpolitik).
Die Konjunkturkrise von 1966/67 konnte mit diesem Konzept überwunden werden, aber einem kurzen Boom zu Beginn der 1970er Jahre folgte 1974/75 erneut eine - europaweite - Rezession. Sowohl die Arbeitslosenquoten als auch die Inflationsraten, die durch Ölpreiserhöhungen ausgelöst wurden, stiegen an. Dieser Rezession folgte ein nur schwacher Aufschwung. In vielen Staaten kamen deshalb Zweifel auf, ob die antizyklische Fiskalpolitik noch dazu geeignet war, die Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
Hans-Jürgen Schlösser
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Quellentext
Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in Großbritannien
In Großbritannien und den USA wurde in den 1970er Jahren das Konzept der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (Supply Side Economics) verfolgt - nach der Devise: Mehr Markt, weniger Staat. Die Konjunktur- und Wachstumsschwäche der 1970er Jahre wurde nicht auf mangelnde Güternachfrage zurückgeführt, sondern auf ungünstige Angebotsbedingungen für die Unternehmen. Zur Erhöhung der Investitionsbereitschaft sollten daher die Unternehmenssteuern gesenkt, Staatsbetriebe privatisiert und Vorschriften, zum Beispiel im Umweltschutz und bei Genehmigungsverfahren für neue Anlagen, abgebaut werden. Umverteilung als Mittel zur Bekämpfung von Armut wurde abgelehnt und die Sozialpolitik zurückgefahren. Diese Wirtschaftspolitik beruhte auf konservativen Werthaltungen, sie propagierte zum Beispiel Disziplin in Schule und Gesellschaft und betonte den Vorrang staatlicher Autorität, insbesondere gegenüber Kommunen und Universitäten.
1979 wandte sich in Großbritannien die Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher grundsätzlich gegen prozesspolitische, insbesondere gegen fiskalpolitische Eingriffe und vertrat einen scharfen Kurs gegenüber den Gewerkschaften. Leitlinien der Wirtschaftspolitik waren
Der Verkauf von staatseigenen Betrieben war ein Hauptmerkmal der britischen Wirtschaftspolitik. Der staatliche Sektor war sehr umfangreich, da unter den Vorgängerregierungen seit den 1940er Jahren zahlreiche Unternehmen verstaatlicht worden waren. Ziele der Privatisierungen waren die Steigerung der Produktivität, Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer unter dem Druck des Marktes und die Chance für mehr Menschen, Eigentum an Unternehmen zu erlangen. Hinzu trat das Interesse, der Staatskasse Einnahmen zuzuführen. Zu den renommierten staatlichen Betrieben, die sich leicht verkaufen ließen, gehörten British Aerospace, Jaguar, Britoil, British Telecom und British Gas. Außerdem wurden staatliche Wohnungen an die Mieter verkauft. In Europa hatte zu dieser Zeit niemand Erfahrungen mit Privatisierungen im großen Stil, und die britische Regierung nahm eine Pionierrolle ein, handelte aber auch nicht fehlerlos. Erfolge blieben aus, wenn kein Wettbewerb eingeführt und lediglich ein öffentliches durch ein privates Monopol ersetzt wurde. Als Negativbeispiel gilt auch die Privatisierung von Britsh Rail, weil die erhoffte Sanierung des maroden Streckennetzes der unfallträchtigen britischen Staatsbahn nach dem Verkauf ausblieb.
Insgesamt stärkten die Privatisierungen jedoch den Privatsektor und das Unternehmertum und führten zu erheblichen Produktivitätssteigerungen. Als größter Erfolg der Thatcher-Regierung gilt neben der Senkung der Inflationsrate die Einleitung eines allgemeinen Stimmungswandels von einer Atmosphäre des Niedergangs hin zu Aufbruch und Optimismus.
Hans-Jürgen Schlösser
1979 wandte sich in Großbritannien die Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher grundsätzlich gegen prozesspolitische, insbesondere gegen fiskalpolitische Eingriffe und vertrat einen scharfen Kurs gegenüber den Gewerkschaften. Leitlinien der Wirtschaftspolitik waren
- Verstetigung der Wirtschaftspolitik, also keine kurzfristigen Maßnahmen,
- strikte Kontrolle der Geldmenge durch Regeln, nicht durch fallweise Eingriffe,
- straffe Ausgabendisziplin,
- langfristige Steuersenkungen zur Erhöhung der Leistungsbereitschaft,
- bewusste Hinnahme hoher Einkommensunterschiede.
Der Verkauf von staatseigenen Betrieben war ein Hauptmerkmal der britischen Wirtschaftspolitik. Der staatliche Sektor war sehr umfangreich, da unter den Vorgängerregierungen seit den 1940er Jahren zahlreiche Unternehmen verstaatlicht worden waren. Ziele der Privatisierungen waren die Steigerung der Produktivität, Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer unter dem Druck des Marktes und die Chance für mehr Menschen, Eigentum an Unternehmen zu erlangen. Hinzu trat das Interesse, der Staatskasse Einnahmen zuzuführen. Zu den renommierten staatlichen Betrieben, die sich leicht verkaufen ließen, gehörten British Aerospace, Jaguar, Britoil, British Telecom und British Gas. Außerdem wurden staatliche Wohnungen an die Mieter verkauft. In Europa hatte zu dieser Zeit niemand Erfahrungen mit Privatisierungen im großen Stil, und die britische Regierung nahm eine Pionierrolle ein, handelte aber auch nicht fehlerlos. Erfolge blieben aus, wenn kein Wettbewerb eingeführt und lediglich ein öffentliches durch ein privates Monopol ersetzt wurde. Als Negativbeispiel gilt auch die Privatisierung von Britsh Rail, weil die erhoffte Sanierung des maroden Streckennetzes der unfallträchtigen britischen Staatsbahn nach dem Verkauf ausblieb.
Insgesamt stärkten die Privatisierungen jedoch den Privatsektor und das Unternehmertum und führten zu erheblichen Produktivitätssteigerungen. Als größter Erfolg der Thatcher-Regierung gilt neben der Senkung der Inflationsrate die Einleitung eines allgemeinen Stimmungswandels von einer Atmosphäre des Niedergangs hin zu Aufbruch und Optimismus.
Hans-Jürgen Schlösser