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Konstituierung der Demokratie 1918/1919 | Weimarer Republik | bpb.de

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Konstituierung der Demokratie 1918/1919

Ernst Piper

/ 22 Minuten zu lesen

Im Sommer 1918 erklärt die Oberste Heeresleitung den Ersten Weltkrieg für verloren und plädiert für Waffenstillstandsverhandlungen. Revolutionäre Unruhen führen das Ende der Monarchie in Deutschland herbei. Durch maßgeblichen Einfluss der SPD wird das Reich eine parlamentarische Demokratie, deren Repräsentanten das Waffenstillstandsabkommen und einen umstrittenen Friedensvertrag unterzeichnen.

Kriegsende und Revolution

Bereits während des Krieges ist die Lebensmittelversorgung unzureichend, dies verstärkt auch die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung. Warteschlange vor einem Metzgerei im süddeutschen Raum. (© Knorr + Hirth / Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 28. Juli 1914 hatte der Erste Weltkrieg begonnen, der an der Westfront bald zu einem verlustreichen Stellungskrieg erstarrte. In vier Jahren fielen dem Krieg weltweit etwa 15 Millionen Menschen zum Opfer, darunter rund neun Millionen Soldaten und über sechs Millionen Zivilisten. Allein in Deutschland waren zwei Millionen militärische und 700.000 zivile Todesfälle, darunter viele Hungertote, zu beklagen.
Nach der Hungersnot des "Steckrübenwinters" 1916/17 hatte es im Frühjahr 1917 wegen der schlechten Lebensmittelversorgung bereits in verschiedenen Orten Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegeben. Im Januar 1918 erreichten die Streiks dann eine neue Qualität:

Nach der russischen Oktoberrevolution und dem deutsch-russischen Waffenstillstand am 15. Dezember 1917 war das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg absehbar. Die kommunistischen Bolschewiki hatten unter Führung Lenins durch einen Staatsstreich die Macht ergriffen und Lenin wollte selbst um den Preis sehr harter Friedensbedingungen den Krieg beenden, um die Herrschaft der Bolschewiki zu stabilisieren. Diese Entwicklung beflügelte die Hoffnung der kriegsmüden, durch Hungersnöte geschwächten Bevölkerung, dass es endlich Frieden geben würde.

Am 28. Januar 1918 traten in Berlin rund 400.000 Arbeiter und Arbeiterinnen der kriegswichtigen, metallverarbeitenden Industrie in den Streik. Den Vorsitz der Streikleitung übernahm Richard Müller, der eine führende Rolle bei den Revolutionären Obleuten spielte. Diese hatten innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen in verschiedenen Industriebetrieben ein unabhängiges Netzwerk frei gewählter Vertrauensleute gebildet, lehnten den Krieg ab und verstanden sich als eine betrieblich organisierte Arbeiteropposition.

Gestreikt wurde Ende Januar 1918 nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Städten. Insgesamt waren mehr als eine Million Menschen im Ausstand. Der Streik war aber nicht nur für das Wilhelminische Kaiserreich eine Herausforderung, sondern auch eine Gefahr für die SPD.

Die Partei der Arbeiterbewegung hatte sich im Kaiserreich gegen alle Widerstände der herrschenden Eliten behauptet und seit den Reichstagswahlen 1912 die mit Abstand stärkste Fraktion im Reichstag gestellt. Trotz aller inneren Distanz zur Monarchie hatte sie unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Ebert und (seit 1917) Philipp Scheidemann mehrheitlich die erforderlichen Kredite zur Finanzierung des Krieges mit bewilligt, innenpolitische Konflikte zurückgestellt, auf Arbeitskämpfe verzichtet und die Kriegsanstrengungen mitgetragen.

Diese sogenannte Burgfriedenspolitik geschah allerdings um den Preis der Spaltung: Die pazifistischen Kräfte, die diesen Kriegskurs nicht mittragen wollten, wurden 1917 aus der Partei ausgeschlossen und gründeten unter Führung von Hugo Haase die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Der größere Teil der Mitglieder verblieb in der SPD, die deshalb umgangssprachlich auch als Partei der Mehrheitssozialdemokraten (MSPD; hier im Weiteren: SPD) bezeichnet wurde.

Auch die kleine Gruppe der Linksradikalen um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die seit 1916 die illegalen "Spartakusbriefe" herausgab und deshalb "Spartakusgruppe" genannt wurde, schloss sich der USPD an, ging dann allerdings ab November 1918 eigene Wege.

Angesichts der eskalierenden Streiksituation wollte die SPD unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, die große Mehrheit der traditionell sozialdemokratischen Arbeiterschaft stehe nicht mehr hinter ihr. Deshalb trat der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert in die Streikleitung ein, obwohl er den Streik eigentlich ablehnte. Er wollte sicherstellen, dass der Streik sich nicht ausweitete, sondern zu einem baldigen Ende kam. Da sich die Obrigkeit nicht verhandlungsbereit zeigte und bewaffnete Verbände mobilisierte, wurde der Streik abgebrochen – ein offener Kampf gegen das Militär war keine Option.

Nachdem Russland im März 1918 mit dem Friedensschluss von Brest-Litowsk endgültig aus dem Krieg ausgeschieden war, unternahmen die Deutschen im Sommer 1918 an der Westfront eine letzte militärische Offensive. Doch die Anstrengungen scheiterten und das Deutsche Reich musste am 8. August 1918 eine schwere Niederlage hinnehmen. Daraufhin erklärte die Oberste Heeresleitung (OHL) – Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff, der die faktische Leitung innehatte, – den Krieg an der Westfront für verloren und plädierte für die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen.

Kaiser Wilhelm II. kündigte an, das parlamentarische System solle nun auch in Deutschland eingeführt werden. Am 3. Oktober ernannte er den süddeutschen Liberalen Prinz Max von Baden zum neuen Reichskanzler. Am 28. Oktober traten mit dem "Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung" die sogenannten Oktoberreformen in Kraft. Die Regierung benötigte nunmehr das Vertrauen des Reichstags und dieser erhielt darüber hinaus die Kompetenz für Kriegserklärungen und Friedensschlüsse, die bisher der Kaiser innegehabt hatte. In letzter Sekunde war das Deutsche Reich zur konstitutionellen Monarchie geworden.

Praktische Auswirkungen hatte das allerdings nicht mehr, denn Prinz Max blieb auch ohne Wahl durch den Reichstag im Amt und weder die Oberste Heeresleitung noch die Seekriegsleitung machten Anstalten, sich auf den Boden der Oktoberreformen zu stellen. Angesichts der unabwendbaren deutschen Niederlage hatten die verbleibenden alliierten Kriegsgegner des Deutschen Reiches, die USA, Großbritannien und Frankreich, inzwischen auch kein Interesse mehr an Verhandlungen, zumal eine wichtige Vorbedingung, der Rücktritt des Kaisers, noch immer nicht erfüllt war.

In dieser Situation berief Prinz Max mit den Reichstagsabgeordneten Philipp Scheidemann und Gustav Bauer erstmals zwei Sozialdemokraten zu Staatssekretären, um sie als Repräsentanten der stärksten Reichstagsfraktion in die Regierungsarbeit einzubinden.

Das Ende der Monarchie

Bereits am 7. November 1918 erklärte Kurt Eisner, der Vorsitzende der bayerischen USPD, den bayerischen König Ludwig III. für abgesetzt. Innerhalb weniger Tage wurden alle 22 gekrönten Häupter, die in Deutschland bis dahin regiert hatten, abgesetzt oder traten zurück. Der Kaiser hatte Berlin bereits am 28. Oktober verlassen und sich in sein militärisches Hauptquartier im belgischen Spa begeben.

Der Kieler Matrosenaufstand, der am 3. November begonnen hatte und sich im Land rasch ausweitete, nahm Wilhelm II. zwar die letzten Illusionen, dass seine Machtposition noch eine Zukunft hatte. Dennoch zögerte er und überlegte, nur als Kaiser, nicht aber als preußischer König und Oberbefehlshaber des Heeres zurückzutreten.

Daraufhin gab Prinz Max am 9. November 1918 eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekannt. Um die Mittagszeit erschienen die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann im Reichskanzler-Palais, wo sie von Prinz Max, dem Vizekanzler und weiteren Regierungsmitgliedern erwartet wurden. Der Reichskanzler fragte die SPD-Politiker, ob sie angesichts der revolutionären Stimmung im Land für Ruhe und Ordnung garantieren könnten, was Scheidemann bejahte. Prinz Max trug daraufhin unter Zustimmung der anwesenden Staatssekretäre Ebert als dem Vorsitzenden der größten Reichstagsfraktion das Amt des Reichskanzlers an.

Zum Abschluss verständigten Prinz Max und Ebert sich darauf, eine möglichst bald einzuberufende Nationalversammlung über die Frage der künftigen Staatsform entscheiden zu lassen. Doch schon wenig später, um 14 Uhr, rief Scheidemann vor dem Reichstag die "deutsche Republik" aus, sehr zum Ärger Eberts, mit dem er dies nicht abgesprochen hatte. Und nach weiteren zwei Stunden verkündete der Spartakist Karl Liebknecht von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses die "freie sozialistische Republik Deutschland".

Die zweifache Ausrufung der Republik durch Scheidemann und Liebknecht zeigte bereits in der Stunde ihrer Gründung überdeutlich, dass die Revolutionäre ganz unterschiedliche Ziele hatten. Die Mehrheitssozialdemokraten wollten eine parlamentarische Demokratie mit einer sozialen Verfassung. Die Spartakisten, die damals noch Teil der USPD waren und Ende des Jahres 1918 die KPD gründeten, erstrebten dagegen die von Karl Marx propagierte "Diktatur des Proletariats".

Zunächst hatte der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert daran gedacht, die Zusammenarbeit mit der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei und dem katholischen Zentrum fortzusetzen. Die drei Parteien hatten im Juli 1917 im Deutschen Reichstag gemeinsam eine Friedensresolution durchgesetzt, die auf einen Verständigungsfrieden mit den Kriegsgegnern abzielte und das bisherige Kriegszielprogramm verwarf. Seitdem arbeiteten sie in einem Interfraktionellen Ausschuss zusammen.

Doch angesichts der beträchtlichen Anhängerschaft der USPD unter den Arbeitern entschloss Ebert sich, mit der USPD über die Bildung einer rein sozialistischen Regierung zu verhandeln. Die bisherigen Staatssekretäre, wie die Ressortminister damals hießen, blieben allerdings im Amt. Neun Staatssekretäre waren parteilos, drei gehörten dem Zentrum an, zwei der SPD, je einer den Nationalliberalen und der Fortschrittlichen Volkspartei.

Waffenstillstand

Am Morgen des 11. November 1918 betrat der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, der inzwischen Staatssekretär ohne Geschäftsbereich geworden war, einen Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne. Dort unterzeichnete er im Auftrag von Friedrich Ebert das Waffenstillstandsabkommen, das den Ersten Weltkrieg faktisch beendete. Die vorausgehenden Verhandlungen, die einem Diktat gleichkamen, hatte der gemeinsame Oberbefehlshaber der Alliierten an der Westfront, der französische Marschall Ferdinand Foch, geleitet.

Das Abkommen enthielt harte Bedingungen. Neben der Einstellung der Feindseligkeiten verlangte es:

  • die sofortige Räumung aller besetzten Gebiete einschließlich Elsass-Lothringens,

  • die Rückführung aller deportierten Einwohner in ihre Ursprungsländer,

  • die umgehende Freilassung aller Kriegsgefangenen,

  • die sofortige Übergabe von 5.000 Kanonen, 30.000 Maschinengewehren, 3.000 Minenwerfern und 2.000 Flugzeugen,

  • die Räumung der deutschen linksrheinischen Gebiete sowie die Einrichtung einer 30 bis 40 Kilometer breiten neutralen Zone auf dem rechten Rheinufer,

  • die Rückführung der Truppen, die noch in den mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten standen, hinter die eigenen Grenzen,

  • den Verzicht auf Ansprüche aus den Friedensverträgen mit Rumänien und Russland,

  • die Auslieferung aller U-Boote und die Abrüstung aller Kriegsschiffe.

QuellentextWiedereingliederung und Versorgung der Kriegsteilnehmer, Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen

[…] Am 11. November 1918 endeten für das Deutsche Reich die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs mit einem Waffenstillstand […]. […]. Über fünf Millionen Soldaten standen noch im Westen und Osten jenseits der deutschen Grenzen. Sie mussten zügig zurückgeführt und demobilisiert werden und sollten dann bald wieder einen Arbeitsplatz erhalten.

Andere, weniger kurzfristig zu bewältigende Herausforderungen kamen hinzu. Die Zahl der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen erreichte mit dem Ersten Weltkrieg eine bisher ungekannte Dimension. 2,7 Millionen Soldaten kehrten mit dauerhaften Schäden heim und verlangten, gestützt auf neue Organisationen, materielle Hilfe vom Staat. 600.000 Witwen und 1,2 Million Waisen waren zu versorgen.

[…] Die Herausforderungen […] vermochte die junge Republik gut zu bewältigen. Unerwartet schnell gelang die Rückführung und Reintegration der Soldaten in das Arbeitsleben. Ende Januar 1919 erreichten die letzten Soldaten aus dem Westen deutschen Boden, zwei Monate später war auch der Rücktransport aus dem Osten abgeschlossen. Dazu trug bei, dass bis Dezember im Westen ein Drittel der dort zum Zeitpunkt des Waffenstillstands stationierten Soldaten ihre Einheiten auf eigene Faust in Richtung Heimat verlassen hatte. Andere Truppenverbände gelangten geordnet bis zur Reichsgrenze oder zum Rhein und lösten sich dann in gleicher Weise auf. Bis zum Waffenstillstand hatten die Soldaten an der Front ihre Stellungen gehalten – jetzt wollten alle rasch nach Hause.

Dort fanden sie tatsächlich bald wieder einen Arbeitsplatz. Nur kurzzeitig schnellten in den ersten Monaten des Jahres 1919 die Arbeitslosenzahlen in die Höhe. Die anhaltende Inflation und der gerade zwischen Unternehmern und Gewerkschaften vereinbarte Achtstundentag erleichterten die Wiedereingliederung der heimgekehrten Männer ebenso wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und eine Ausweitung des Personals von Staatsunternehmen wie Post und Eisenbahn. So konnten die vormaligen Soldaten Krieg und Gewalt hinter sich lassen und in ein Alltagsleben zurückfinden, das ihnen im Inflationsboom der ersten Nachkriegsjahre ein relativ sicheres Einkommen bot und mehr Freizeit als zuvor.

Dem stand auch nicht der punktuelle Bürgerkrieg 1919/20 entgegen, in dem in Berlin, München und anderen Orten neu aufgestellte Truppenverbände und bewaffnete Arbeiter gegeneinander kämpften. Während die Tötungsdelikte in den ersten Nachkriegsjahren zunahmen, dann aber wieder zurückgingen, lag die übrige Gewaltkriminalität deutlich unter dem Niveau von vor 1914 und war nach anfänglichem Anstieg ebenfalls wieder rückläufig. Dass die zurückgekehrten Soldaten durch ihren Kriegseinsatz umfassend und nachhaltig "brutalisiert" worden wären, lässt sich nicht konstatieren.

Der Reintegrationsprozess forderte freilich seinen Preis. Viele Frauen, die während des Kriegs Arbeitsplätze in der Industrie eingenommen hatten, wurden aus ihnen wieder verdrängt. […] In den folgenden Jahren setzte sich die langfristige Tendenz der Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit […] wieder fort und öffneten sich ihr bisher verschlossene Berufe. Eine bloße Restauration der Vorkriegsverhältnisse folgte aus der Reintegration der heimkehrenden Männer also nicht.

Die Weimarer Republik, die sich ausdrücklich als Sozialstaat definierte, stellte sich auch der sozialpolitischen Herausforderung zunächst mit Erfolg. Das Reichsversorgungsgesetz von 1920 gewährte Renten für die Kriegsbeschädigten gemäß dem Grad der Behinderung und dem sozialen Status vor dem Krieg sowie Hilfen bei der Ausbildung und Arbeitsplatzsuche. Allerdings hielten die finanziellen Leistungen, auch für Witwen und Waisen, mit der Inflation danach nicht Schritt. Die an sich begrüßenswerte Fokussierung auf die Reintegration in das Arbeitsleben erzeugte zudem eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Kriegsbeschädigten, wegen ihres Opfers fürs Vaterland herausgehoben behandelt zu werden, und der Sichtweise der übrigen Gesellschaft, die sie zunehmend als ungerechtfertigt Klagende empfand. […]

Dirk Schumann, "Nachkriegsgesellschaft. Erbschaften des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik", in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 18–20/2018, S. 33 ff.

Deutschland sollte so weit geschwächt werden, dass eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen unmöglich war.

Ringen um die künftige Regierungsform

Rat der Volksbeauftragten

Rätedemokratie. Eigene Darstellung auf Basis von "Menschen und Politik". Sekundarstufe II (© Westermann Gruppe, Braunschweig 2019, S. 47)

Die USPD zeigte sich in der Frage der Regierungsbildung kompromissbereit und machte starke Abstriche von ihrem ursprünglichen Forderungskatalog, der die sofortige Errichtung der Diktatur des Proletariats vorgesehen hatte. So konnte sich schon am 10. November der Rat der Volksbeauftragten konstituieren, dem je drei Vertreter der SPD und der USPD angehörten. Für wenige Wochen fanden die beiden Flügel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung noch einmal zusammen, wobei Ebert als Vorsitzender der mit Abstand größten deutschen Partei und ernannter Reichskanzler von Anfang an eine dominierende Rolle spielte. Die Mitglieder des Rates waren formal den Staatssekretären übergeordnet, de facto aber auf deren Sachkenntnisse angewiesen. Man hatte auch der kleinen Gruppe der Spartakisten eine Mitarbeit angeboten, aber Karl Liebknecht lehnte ebenso ab wie Richard Müller, der Vorsitzende der linken Gewerkschaft der Revolutionären Obleute.

Am Abend des 10. November tagten im Cirkus Busch die 3000 von den Berliner Soldaten und Arbeitern gewählten Vertrauensmänner. Für die verschiedenen Strömungen sprachen die Vorsitzenden von MSPD und USPD Friedrich Ebert und Hugo Haase, außerdem Karl Liebknecht für die Spartakisten. Liebknecht klagte die Sozialdemokraten an, "die heute mit der Revolution gehen und vorgestern noch Feinde der Revolution waren". Doch seine Anklage fand wenig Beifall. Vielmehr ertönten stürmische Rufe nach Einigkeit. Eberts Bekanntgabe, dass die beiden sozialdemokratischen Parteien gemeinsam den Rat der Volksbeauftragten gebildet hatten, löste dementsprechend großen Jubel und Zustimmung aus.

Am Ende wurde ein Vollzugsrat gewählt, der aus je 14 Arbeitern und Soldaten bestand. Sieben Vertreter der Arbeiterschaft kamen von der SPD, während die sieben USPD-Mandate von den Revolutionären Obleuten übernommen wurden, die mit Richard Müller auch den Vorsitzenden stellten. Die Spartakisten waren nicht vertreten. Der Vollzugsrat war gewissermaßen der Arbeitsausschuss der Arbeiter- und Soldatenräte, die – so ihr Selbstverständnis – als Ausdruck des revolutionären Volkswillens ein provisorisches Parlament gebildet hatten.

Der Rat der Volksbeauftragten wiederum sollte im Auftrag des Vollzugsrates für die politische Umsetzung der von den Arbeiter- und Soldatenräten formulierten Ziele sorgen: "Die Träger der politischen Macht sind jetzt Arbeiter- und Soldatenräte. (…) Die rasche und konsequente Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel ist nach der sozialen Struktur Deutschlands und dem Reifegrad seiner wirtschaftlichen und politischen Organisation ohne starke Erschütterung durchführbar. Sie ist notwendig, um aus den blutgetränkten Trümmern eine neue Wirtschaftsordnung aufzubauen, um die wirtschaftliche Versklavung der Volksmassen und den Untergang der Kultur zu verhüten."

QuellentextAufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918

An das deutsche Volk!

Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie verkündet schon jetzt mit Gesetzeskraft folgendes:

  1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben.

  2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.

  3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben.

  4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.

  5. Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden.

  6. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.

  7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen.

  8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt, ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter.

  9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen werden hiermit wieder in Kraft gesetzt.

Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen kurzem veröffentlicht werden. Spätestens am 1. Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten. Die Regierung wird alles tun, um für ausreichende Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und Gemeinde.

Auf dem Gebiete der Krankenversicherung wird die Versicherungspflicht über die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden.

Die Wohnungsnot wird durch Bereitstellung von Wohnungen bekämpft werden.

Auf die Sicherung einer geregelten Volksernährung wird hingearbeitet werden.

Die Regierung wird die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit und Sicherheit der Person schützen.

Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.

Auch für die Konstituierende Versammlung, über die nähere Bestimmung noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht.

Ebert    Haase    Scheidemann    Landsberg    Dittmann    Barth

Zitiert nach: Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918–1933. Herausgegeben von Wolfgang Michalka / Gottfried Niedhart, dtv-Dokumente, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co.KG München 1980, S. 30 f.

Dieses radikale Programm fand jedoch kaum Eingang in die politische Arbeit. Der Vollzugsrat erließ zwar eine Vielzahl von Gesetzen und Anordnungen, die klassische Grundrechte wie die Meinungsfreiheit betrafen und vor allem auf dem Gebiet der Sozialpolitik für die Menschen spürbare Verbesserungen brachten. So wurde beispielsweise zum 26. November 1918 der Achtstundentag eingeführt, ein sozialpolitischer Meilenstein. Aber umwälzend im Sinne einer sozialistischen Revolution waren diese Regelungen nicht.

Parlamentarismus oder Rätesystem?

Eigene Darstellung (© bpb)

Jahrzehntelang war die SPD eine Partei des Klassenkampfs gewesen, die sich in grundsätzlicher Gegnerschaft zum Staat befunden hatte. Nun standen die Sozialdemokraten plötzlich selbst an der Spitze des Staates und sahen ihre Aufgabe vor allem darin, den Übergang in eine neue Nachkriegsordnung – soweit möglich – ohne Blutvergießen zu bewältigen. Eberts Ziel war es, die Arbeiter- und Soldatenräte, die in vielen Städten als Ordnungskräfte des Übergangs entstanden waren, so rasch wie möglich zu entmachten und die Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Dabei kam ihm der Umstand zustatten, dass in den allermeisten Städten die Arbeiter- und Soldatenräte von den Mehrheitssozialdemokraten dominiert wurden. Diejenigen, die das Rätesystem zur Grundlage der Verfassung einer sozialistischen Republik machen wollten, waren bei weitem in der Minderheit. Nur in wenigen Städten, etwa in Bremen und in München, gab es ernsthafte Versuche zur Errichtung einer Räterepublik.

QuellentextMünchner Räterepublik

Wie alle gekrönten Häupter musste auch der bayerische König bei Kriegsende abdanken. Am 7. November 1918 stürmte eine revolutionär gestimmte Gruppe, die vor allem aus Soldaten bestand, mit Kurt Eisner an der Spitze zu den Kasernen, die alle kampflos eingenommen wurden. Eisner, der ursprünglich der SPD angehörte und ein radikaler Pazifist war, hatte sich im Jahr zuvor der USPD angeschlossen. Er rief den "Freistaat Bayern" aus und wurde am Tag darauf von einem provisorischen Nationalrat zum bayerischen Ministerpräsidenten und zum Außenminister ernannt. Als am 12. Januar 1919 Landtagswahlen stattfanden, erhielt die USPD nur drei der 180 Landtagsmandate. Am 21. Februar befand sich Eisner auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des neugewählten Landtags, um dort den Rücktritt seiner Regierung zu erklären, als er von dem jungen Nationalisten Anton Graf Arco hinterrücks erschossen wurde.

Am 17. März konstituierte sich der neu gewählte bayerische Landtag im ruhigeren Bamberg und wählte im Einvernehmen mit dem Zentralrat des Münchner Arbeiter- und Soldatenrates eine Regierung unter Vorsitz des Sozialdemokraten Johannes Hoffmann. Als am 21. März in Ungarn eine Räterepublik ausgerufen wurde, entfachte dies die revolutionäre Stimmung in München jedoch erneut: In der Nacht vom 6. auf den 7. April beschloss der dortige Zentralrat, der anders als in den meisten deutschen Großstädten von der USPD dominiert wurde, mit großer Mehrheit, seinerseits eine Räterepublik auszurufen. Die Mehrheitssozialdemokraten beteiligten sich an dem Unternehmen, obwohl sie eigentlich dagegen waren. Die KPD lehnte das Experiment in ihrer Mehrheit entschieden ab.

Die erste Räteregierung entwickelte in ihrer nur eine Woche dauernden Amtszeit zahllose Sozialisierungspläne. Doch schon am 13. April kam es zu einem Putsch gegen die Herrschaft der Räte, der mit Billigung der Regierung Hoffmann, aber auch der Münchner Mehrheitssozialdemokraten stattfand. Mehrere Mitglieder der Räteregierung und des Zentralrates wurden verhaftet. Als am selben Tag die Putschisten in einem blutigen Gegenangriff besiegt wurden, gingen die Sympathien eines Großteils der Münchner Arbeiterschaft auf die KPD über. Der für den folgenden Tag ausgerufene Generalstreik wurde deshalb auch allgemein befolgt.

Nun setzte auch die Regierung Hoffmann als letztes Mittel auf die militärische Intervention von außen, die sie bisher vermieden hatte, um die bayerische Militärhoheit zu wahren. Am 14. April bat Hoffmann Reichswehrminister Noske um die Abkommandierung von Reichstruppen nach Bayern. Als diese näher rückten, plädierten die Unabhängigen Sozialdemokraten dafür, mit der Regierung Hoffmann zu verhandeln, während die Kommunisten für den bewaffneten Kampf eintraten und am 28. April das Polizeipräsidium stürmten.

Am 1. Mai begann der Einmarsch der Exekutionstruppen in München. Einer der führenden Männer war Oberst Franz Xaver Ritter von Epp (1868–1946), der ein eigenes Freikorps befehligte. Das Freikorps Epp und die anderen Truppen stießen bei der Eroberung Münchens nur vereinzelt auf Widerstand und hatten kaum Verluste zu beklagen. Trotzdem richteten sie ein Blutbad an. Laut amtlicher Statistik wurden in den Tagen nach der "Befreiung" Münchens 557 Menschen getötet. In Wirklichkeit dürfte die Zahl der Toten etwa doppelt so hoch gewesen sein.

Die Spartakisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, damals noch Teil der USPD, publizierten am 10. November in ihrer Zeitung "Die rote Fahne" ein Programm, das ihren Wunsch nach einer ganz anderen Staatsform deutlich machte. Sie forderten die Entwaffnung der gesamten Polizei, die Übernahme aller Behörden und Kommandostellen durch den Arbeiter- und Soldatenrat, die Beseitigung des Reichstags und aller Parlamente und die Errichtung eines reichsweiten Arbeiter- und Soldatenrates, die Abschaffung aller Dynastien und Einzelstaaten und stattdessen "eine einheitliche sozialistische Republik Deutschland".
An das Programm schloss sich eine Notiz der Redaktion an. Sie schickte "ihren ersten und heißesten Gruß der föderativen sozialistischen Sowjetrepublik und bittet sie, unseren russischen Brüdern kundzutun, dass die Berliner Arbeiterschaft den ersten Jahrestag der russischen Revolution gefeiert hat durch die Vollbringung der deutschen Revolution."

Nachdem der Regimewechsel erstaunlich rasch und unblutig über die Bühne gegangen war, kam es im Dezember 1918 in der deutschen Hauptstadt zu ersten Spannungen. Am 6. Dezember schossen Gardefüsiliere, Soldaten eines Infanterieverbandes der preußischen Armee, mit Maschinengewehren auf eine belebte Straßenkreuzung in Berlin-Mitte. Innerhalb weniger Minuten richteten sie ein Blutbad an, das mehr Opfer forderte als die Umwälzungen vom 8. und 9. November.

Eine Gruppe schwerbewaffneter Soldaten und Matrosen, die von einigen Offizieren niedrigen Ranges angeführt wurden, nötigte Ebert anschließend, die Reichskanzlei zu verlassen und auf die Straße zu kommen. Sie wollten ihn zum Reichspräsidenten ausrufen, was er aber ablehnte. Zeitgleich wurde der Vollzugsrat vorübergehend verhaftet. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass dies ein rechter Putschversuch zur Entmachtung des Arbeiter- und Soldatenrates war. Die Hintergründe des Zwischenfalls konnten aber nie wirklich aufgeklärt werden.

Am 16. Dezember kamen Abordnungen der Arbeiter- und Soldatenräte aus ganz Deutschland in Berlin zu ihrem ersten Reichsrätekongress zusammen. Unter den Delegierten waren 288 Mehrheitssozialdemokraten, denen nur 88 Vertreter der USPD gegenüberstanden. Die Spartakisten stellten lediglich zehn Delegierte. So war es nicht überraschend, dass sich der von den Mehrheitssozialdemokraten befürwortete Weg in eine parlamentarische Demokratie durchsetzte. Der Antrag von Ernst Däumig (USPD), das Rätesystem zur Grundlage der Verfassung einer deutschen sozialistischen Republik zu machen, wurde mit 344 gegen 89 Stimmen abgelehnt, mit 282 Ja-Stimmen angenommen wurde dagegen der Antrag von Max Cohen (MSPD), am 19. Januar 1919 eine Verfassunggebende Nationalversammlung zu wählen.

QuellentextDiskussion um die Nationalversammlung auf dem Reichsrätekongress

Max Cohen [MSPD] […]: Nur eine starke Zentralgewalt [...] kann dafür sorgen, daß die Glieder im Innern wieder zu einem richtigen Zusammenarbeiten gelangen. [...] [Aber es] kann keine Zentralgewalt mit starker Autorität […] geben, wenn sie nicht von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes getragen ist. Parteigenossen, Kameraden, es gibt nach meiner festen Überzeugung nur ein einziges Organ, das diesen Volkswillen feststellen kann: Das ist die allgemeine deutsche Nationalversammlung, zu der jeder Deutsche, gleichviel ob Mann oder Frau, in allen Gebieten, die zu Deutschland gehören wollen, wählen kann. Wie man auch über die Arbeiter- und Soldatenräte denken mag […], in jedem Falle drücken die Arbeiter- und Soldatenräte nur einen Teilwillen, niemals aber den Willen des ganzen Volkes aus. Dieses festzustellen, darauf kommt es an. […]

Parteigenossen, man kann eben Sozialismus durch Gewalt und durch Dekrete nicht einführen; das hat uns das russische Beispiel gezeigt. […] Die Genossen sagen: Wenn eine baldige Nationalversammlung zusammentritt, bekommen wir keine sozialistische Mehrheit, wir müssen deshalb die Sozialisierung vorher so schnell wie möglich beschließen. Parteigenossen, ich bin direkt der gegenteiligen Auffassung. Wenn wir eine sozialistische Mehrheit bekommen wollen, müssen wir die Nationalversammlung so schnell wie möglich einberufen. […] Es wird nicht mehr Sozialismus durchführbar sein, als die Mehrheit des Volkes will. […]

Ernst Däumig [USPD] […]: Wenn die Geschichte dieser Revolutionswochen in Deutschland geschrieben werden wird, dann wird man sich lächelnd fragen: waren denn die Leute so blind, daß sie nicht sahen, daß sie sich selbst den Strick um den Hals legten?! Denn das muß doch jedem Klardenkenden einleuchten, daß die jubelnde Zustimmung zur Nationalversammlung gleichbedeutend ist mit einem Todesurteil für das System, dem Sie jetzt angehören, für das Rätesystem. […] Im Wirtschaftsleben werden mithilfe der Nationalversammlung und des Bürgertums die Gewerkschaften alten Stils natürlich die Arbeiterräte aus den Betrieben ganz schnell herausgedrängt haben. […] Man spricht in Bezug auf das Rätesystem von der Diktatur […]. Die Diktatur ist zweifellos mit dem Rätesystem verbunden. Aber was sich in Russland durch die historischen Gesetze aufzwang, braucht noch lange nicht in Deutschland der Fall zu sein. Ich gehöre nicht zu denen, die mechanisch und sklavisch das russische Beispiel nachzuahmen versuchen. […]. Aber das, was sich aus der großen Geschichte der russischen Revolution ergibt, haben wir uns nutzbar zu machen […].

Allgemeiner Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands vom 16. bis 21. Dezember 1918 im Abgeordnetenhaus Berlin. Stenographische Berichte, 7. Sitzung, 19. Dezember 1918, Berlin 1918, S. 105 ff.

Max Cohen (1876–1963) trat 1902 in die SPD ein und war von 1912 bis 1918 Mitglied des Deutschen Reichstags. Als Vertrauensmann der Berliner Soldatenräte wurde er in den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte Groß-Berlin gewählt. 1920 bis 1933 gehörte er dem Vorläufigen Reichswirtschaftsrat an, der allerdings nie die ihm in der Weimarer Verfassung zugedachte Bedeutung gewann. 1934 emigrierte er nach Frankreich, wo er 1963 starb.

Ernst Däumig (1866–1922) trat 1898 in die SPD ein. Er arbeitete für verschiedene sozialdemokratische Zeitungen, zuletzt für den "Vorwärts", wurde aber 1916 entlassen, weil er die Burgfriedenspolitik nicht mittragen wollte. 1917 schloss er sich der USPD an. Außerdem gehörte er der Führung der Revolutionären Obleute an und war Mitglied des Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte Groß-Berlin. Däumig gehörte dem linken Flügel der USPD an und plädierte für das Rätesystem sowie gegen die Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung. Während des Kapp-Putsches war er Mitglied der Zentralen Streikleitung Groß-Berlin. Bei den Wahlen im Juni 1920 wurde er in den Deutschen Reichstag gewählt. Als sich der linke Flügel der USPD im Dezember 1920 zur VKPD vereinigte, übernahm er gemeinsam mit Paul Levi den Vorsitz.

Weihnachtskämpfe 1918 und Januaraufstand 1919

Eine gravierende und folgenreiche Konfrontation fand an Weihnachten 1918 statt. Im Rat der Volksbeauftragten hatte es seit einiger Zeit Auseinandersetzungen um die Militärpolitik gegeben. Diese spitzten sich zu, als Angehörige der Volksmarinedivision – eine Formation revolutionärer Matrosen, die sich im November gebildet hatte – vehement auf die Zahlung rückständigen Soldes drängten. Die Matrosen brachten am 23. Dezember die Reichskanzlei, die sie eigentlich bewachen sollten, in ihre Gewalt und nahmen den Berliner Stadtkommandanten Otto Wels (MSPD) als Geisel. Am Tag darauf kam es zu heftigen Kämpfen zwischen den Matrosen und Soldaten, die Generalleutnant Wilhelm Groener – seit Oktober Nachfolger General Ludendorffs in der OHL – auf Eberts Bitte in die Stadt entsandt hatte. Es gab Tote auf beiden Seiten, wobei die im Häuserkampf unerfahrenen Frontsoldaten erhebliche Verluste erlitten.

Diese Ereignisse an Weihnachten 1918 führten dazu, dass die Vertreter der USPD den Rat der Volksbeauftragten unter Protest verließen. Stattdessen traten die Mehrheitssozialdemokraten Gustav Noske und Rudolf Wissell zusätzlich in den Rat ein. Noske erhielt den Befehl, eine bewaffnete Macht zur Verteidigung der Regierung zu organisieren und dabei verstärkt auch auf Freikorps zu setzen. Freikorps waren Verbände aus ehemaligen Soldaten und ungedienten Freiwilligen, die in ihrer großen Mehrheit entschieden antirevolutionär und antidemokratisch gesinnt waren (siehe weiter unten).

Am 4. Januar 1919 wurde der Berliner Polizeipräsident Emil Eichhorn (USPD) vom Rat der Volksbeauftragten abgesetzt, weil er während der Weihnachtskämpfe mit den revolutionären Matrosen der Kriegsschiffe kollaboriert hatte. Seine Absetzung wurde von den Revolutionären als Provokation empfunden. Am Tag darauf beschloss eine Versammlung von etwa 70 Revolutionären Obleuten und dem Zentralvorstand der Berliner USPD mit großer Mehrheit, den Kampf um die Macht aufzunehmen, obwohl die Revolutionäre dem Rat der Volksbeauftragten, den sie absetzen wollten, militärisch kaum etwas entgegenzusetzen hatten.

Am 6. Januar begann der Januaraufstand, der in der DDR aus propagandistischen Gründen als Spartakusaufstand bezeichnet wurde, obwohl die Spartakisten dabei nur eine untergeordnete Rolle spielten. Ab dem 8. Januar folgte die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands, der innerhalb von vier Tagen zusammenbrach. Die Führer der kurz zuvor gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, hatten sich geweigert, die Stadt zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Am 15. Januar wurden sie auf Befehl des Generalstabsoffiziers der Garde-Kavallerie-Schützen-Division Waldemar Pabst von Soldaten ermordet.

Weimarer Reichsverfassung und Versailler Friedensvertrag

Verfassunggebende Nationalversammlung

Am 19. Januar 1919 wurde die Verfassunggebende Nationalversammlung gewählt. An dieser Wahl konnten sich erstmals alle Deutschen vom vollendeten 20. Lebensjahr an beteiligen. Es war eine allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahl. Nun galt nicht mehr das Mehrheits-, sondern das Verhältniswahlrecht. Dieses hatte die SPD bereits seit 1891 gefordert, weil sie durch das Mehrheitswahlrecht und das Stichwahlsystem stets benachteiligt gewesen war. Das Verhältniswahlrecht, das heute noch gilt, erhielt sogar Verfassungsrang.

Außerdem führte das Deutsche Reich als eines der ersten Länder das aktive und passive Wahlrecht für Frauen ein. Neben 386 Männern gehörten 37 Frauen der Nationalversammlung an. Das Wahlalter wurde von 25 auf 20 Jahre gesenkt, sodass 36,3 Millionen Menschen wahlberechtigt waren, von denen 83 Prozent auch zur Wahl gingen. Ein wichtiger Unterschied zum heutigen System bestand darin, dass es keine Sperrklausel gab. So waren neben den sechs größeren Parteien in der Nationalversammlung auch drei Splittergruppen vertreten, die insgesamt nur 1,6 Prozent der Stimmen erhalten hatten und zusammen sieben Abgeordnete entsandten. Diese Zersplitterung steigerte sich kontinuierlich, sodass 1930 schließlich 15 verschiedene Parteien und Gruppierungen im Reichstag vertreten waren.

QuellentextDie Einführung des Frauenwahlrechts

[… A]m 19. Januar 1919 gab es das in Deutschland zum ersten Mal: wählende Frauen. Den Beschluss zu einem Frauenwahlrecht hatte der Rat der Volksbeauftragten, die sozialdemokratische Übergangsregierung, wenige Monate zuvor, am 12. November 1918, gefällt. Die Wahlbeteiligung im darauffolgenden Januar war mit 83 Prozent außerordentlich hoch, es ging immerhin um die Zukunft, um die verfassunggebende Nationalversammlung. In Baden und in Württemberg durften Frauen bereits einige Tage früher Regionalparlamente wählen.

Obwohl die "Damenwahl" viel Spott hervorrief, bemühten sich die Parteien im Januar 1919 intensiv um die neue Wählergruppe. Der Schriftsteller Victor Blütghen mochte Frauen noch raten: "Getrost wähl’ wie der Mann, den du liebst." Die Parteistrategen waren meist klüger. Die Linksliberalen von der DDP luden zu Wahlrechtskursen ein. Die Broschüre "Frauen! Lernt wählen!" fand ungezählte Leserinnen. Und der SPD-Politiker Eduard Dietz konstatierte: "Die Frau steht gegenwärtig im Mittelpunkt des politischen Interesses, und alle Parteien von der Linken bis zur äußersten Rechten bemühen sich auf das Lebhafteste um sie."

Es war ein hoffnungsvoller Beginn: In der Nationalversammlung saßen schließlich, mit den Nachrückerinnen, die später noch ins Parlament kamen, 41 Frauen, von insgesamt 423 Abgeordneten. Der Frauenanteil betrug 9,7 Prozent – ein Wert, den der Deutsche Bundestag übrigens erst 1983 wieder erreichen sollte. Das Frauenwahlrecht gehört zu den im Schatten von 1933 lange eher verkannten, weil sehr progressiven Zügen der Weimarer Demokratie. In den klassischen Demokratien Großbritannien (1928) und Frankreich (1944) wurde es erst viel später eingeführt.

Zuvor jedoch, bis zum Ende des Kaiserreichs 1918, galten Frauen als Bürger zweiter Klasse – ganz offiziell und gesetzlich festgelegt. Sie besaßen weder das aktive noch das passive Wahlrecht, politisches Engagement war stark beschränkt, und viele Zeitgenossen fanden, das sollte auch so bleiben. […] Die SPD war es […], die als einzige Partei das "Wahl- und Stimmrecht ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen" forderte und dafür schon im Erfurter Programm von 1891 eintrat. […]

Nach dem Jubel über die Durchsetzung des Frauenwahlrechts war das Wahljahr 1919 dann von einer gewissen Ernüchterung begleitet. Frauen strömten zwar zahlreich an die Urnen, beeinflussten das Ergebnis der Wahl zur Nationalversammlung jedoch keineswegs so, wie die Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung oder die Sozialdemokraten sich das vorgestellt hatten: Frauen wählten am 19. Januar 1919 teils spürbar konservativer als die Männer.

Die gelegentlich aufgebrachte Behauptung allerdings, ohne die Wählerinnen hätten die sozialdemokratischen Parteien oder gar die SPD alleine die absolute Mehrheit bekommen, entbehrt statistisch jeder Grundlage. Eine systematische Wahlanalyse wie heute – mit gezielten Befragungen am Wahltag – gab es 1919 noch nicht. Einen Trend erlaubten nur jene wenigen Wahlkreise, in denen Stimmzettel von Männern und Frauen getrennt ausgewertet wurden. Hier gab es allerdings teils sehr deutliche Abweichungen. In Köln bekamen die Sozialdemokraten 46,1 Prozent der männlichen, aber bloß 32,2 Prozent der weiblichen Stimmen. Die Gründe hierfür sind vielfältig, Hauptursache war wohl die enge kirchliche Bindung vieler Frauen in besonders katholischen oder protestantischen Regionen – und dass die Arbeiterbewegung insgesamt doch eine Männerwelt geblieben war.

Für progressive Aktivistinnen wie die Autorin Lida Gustava Heymann war dies eine herbe Enttäuschung. Heute würde sie vielleicht über die Netzwerke der "alten weißen Männer" klagen, damals schrieb sie über die "altersschwachen Greise", die bereits im "selig dahingeschiedenen Reichstage" saßen und nun, "so unglaublich das auch scheint, von deutschen Männern – und leider auch Frauen – wiedergewählt worden sind". Eine von Heymanns engsten Mitstreiterinnen, Anita Augspurg, die mit ihr im Vorstand des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine saß, bekam die Auswirkungen des Wahlverhaltens selbst zu spüren. Die bekannte Juristin und Pazifistin kandidierte für die USPD für einen Sitz im bayerischen Parlament, wurde aber von den männlichen Kandidaten auf einen der hinteren Listenplätze gedrängt. Sie war also nicht dabei, als die ersten Frauen in Bayern Politik gestalten konnten. Auch im Reichstag selbst fehlten wichtige Vorkämpferinnen der Frauenbewegung. […]

Ob die weiblichen Abgeordneten damals in die "typisch weiblichen" Themenbereiche gedrängt wurden oder es in vollem Bewusstsein taten, es als geschicktes Instrument der Klientelpolitik verstanden, ist heute schwer zu beurteilen: Frauen wie Marie Juchacz, Marie Zettler, Elisabeth Lüders und Johanna Tesch beanspruchten Themenkomplexe, in denen Frauen angeblich besonders kundig waren – die Pflege der Armen, Kranken und Kinder, aber auch die Arbeitsbedingungen des Proletariats. Damit gelten sie heute als entscheidende Wegbereiterinnen der modernen Sozialpolitik.

All das hatte 1933 ein Ende. Im Dritten Reich kam der große Rückschlag: Die Nazis vertraten ein zutiefst rückwärtsgewandtes, völkisches Frauenbild. Frauen sollten jetzt zu Hause bleiben, Mütter sein und sich um die Familie kümmern. Erst im Mai 1949 setzte unter anderem die sozialdemokratische Juristin Elisabeth Selbert – die in Weimarer Zeiten beklagt hatte, insgesamt sei die Gleichberechtigung damals "eine papierene" geblieben – den expliziten Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes durch. Seitdem ist sehr viel vorangegangen, doch zur völligen Gleichberechtigung wird es noch ein weiter Weg sein. […]

Joachim Käppner / Theresa Parstorfer, "Die Macht der Frauen", in: Süddeutsche Zeitung vom 19. Januar 2019

QuellentextMarie Juchacz

Am 19. Februar 1919 erhob erstmals eine Frau in einem deutschen Parlament ihre Stimme. Sie begann ihre Rede, die seitens ihrer Partei mit großem Zuspruch begleitet wurde, mit den Worten "Meine Herren und Damen", was für große Heiterkeit sorgte. Marie Juchacz, 1879 geboren, war damals 39 Jahre alt. Nach dem Besuch der Volksschule hatte sie als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin und Krankenpflegerin gearbeitet, bevor sie eine Schneiderlehre absolvierte. 1908 trat sie der SPD bei und machte dort rasch Karriere. Nach der Spaltung der Partei holte Ebert sie 1917 in den Parteivorstand. Als Nachfolgerin von Clara Zetkin, die sich der USPD angeschlossen hatte, wurde sie Leiterin des Frauenbüros und Chefredakteurin der "Gleichheit – Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen".

Am 13. Dezember 1919 gründete Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als "Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD" und war bis 1933 Vorsitzende. Nach der NS-Zeit wurde die AWO 1946 wieder gegründet und gehört heute mit 210.000 Mitarbeitenden zu den sechs Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Juchacz zunächst ins Saargebiet. Nach dem Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich floh sie zuerst nach Frankreich und gelangte nach Kriegsausbruch nach New York, wo sie bis 1949 lebte. Dort gründete sie die "Arbeiterwohlfahrt USA – Hilfe für die Opfer des Nationalsozialismus", die nach Kriegsende die Menschen im zerstörten Deutschland mit Paketsendungen unterstützte. 1949 kehrte Juchacz aus dem Exil zurück und wurde Ehrenvorsitzende der AWO. 1956 starb sie in Düsseldorf.

Am 6. Februar trat die Nationalversammlung erstmals im Deutschen Nationaltheater in Weimar zusammen. Nach intensiven Beratungen hatte man sich gegen Berlin als Tagungsort entschieden. Ebert sagte zur Begründung: "Die Verlegung der Nationalversammlung nach dem Herzen Deutschlands wird den Einheitsgedanken, die Zusammengehörigkeit des Reiches mächtig stärken." Neben den Vorbehalten vor allem der südlichen Länder gegen die Reichshauptstadt spielte sicher auch eine Rolle, dass die Sicherheitssituation in Berlin so kurz nach der Niederschlagung des Januaraufstands noch immer unübersichtlich war. Der gewählte Tagungsort prägte den Namen Weimarer Republik für die erste Demokratie auf deutschem Boden.

Die SPD, die schon bei den letzten Reichstagswahlen vor dem Krieg die mit Abstand stärkste Partei gewesen war, steigerte ihren Stimmenanteil nochmals und erreichte 37,9 Prozent, war jedoch von der erhofften absoluten Mehrheit weit entfernt. Die katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei kamen auf 19,7 Prozent und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), die als Nachfolgepartei der Fortschrittlichen Volkspartei angesehen werden kann, erzielte 18,5 Prozent.

Diese Parteien, SPD, Zentrum, BVP und DDP, die schon 1917 im Interfraktionellen Ausschuss zusammengearbeitet hatten, bildeten gemeinsam die Regierung der sogenannten Weimarer Koalition. Die KPD hatte die Wahl boykottiert, weil sie eine sozialistische Revolution wollte und die Wahl zur Nationalversammlung ablehnte. Die USPD kam lediglich auf 7,6 Prozent. Auf der rechten Seite des Parteienspektrums erreichten die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 10,3 Prozent und die Deutsche Volkspartei (DVP) 4,4 Prozent.

Der Eindruck großer Stabilität, den das Wahlergebnis suggerierte, relativierte sich allerdings schon bald, wie dann die ersten regulären Reichstagswahlen 1920 (siehe auch den Interner Link: Unterabschnitt Reichstagswahlen 1920 im folgenden Kapitel) zeigen sollten. Die erste deutsche Demokratie war nach der verheerenden Niederlage im Ersten Weltkrieg unter schwierigen Umständen zustande gekommen. Die gesellschaftlichen Eliten standen dem neuen System zum größten Teil mit Distanz, wenn nicht offener Feindschaft gegenüber. Die Ministerialbürokratie und die Justiz bestanden aus in der Kaiserzeit ausgebildeten Beamten, die sich in ihrer großen Mehrheit einer autoritär-monarchistischen Tradition verpflichtet sahen. In der Reichswehr gab es zahlreiche Monarchisten wie zum Beispiel General von Lüttwitz und Nationalisten wie General von Seeckt, der die Demokratie ablehnte und dennoch bis 1926 Chef der Obersten Heeresleitung war. Etliche junge Frontoffiziere sympathisierten mit nationalrevolutionären Gruppierungen wie der NSDAP (siehe auch den Unterabschnitt Interner Link: Anfänge der NSDAP im folgenden Kapitel).

Ein attraktives Sammelbecken für republikfeindliche Kräfte waren die Freikorps, deren Hilfe sich auch der Rat der Volksbeauftragten bediente, da er über keine eigenen militärischen Machtmittel verfügte. In der Frühphase der Weimarer Republik gab es etwa 365 Freikorps, die offiziell den militärischen Kommandobehörden des Deutschen Reiches unterstanden, aber sehr unterschiedliche Organisationsstrukturen hatten und zum Teil ein ausgeprägtes Eigenleben führten.
Viele dieser Freikorps gingen aus der Garde-Kavallerie-Schützen-Division hervor, die bei der Niederschlagung des Januaraufstands eine führende Rolle gespielt hatte. Im Baltikum waren in der Bürgerkriegsphase, die sich an den Ersten Weltkrieg anschloss, viele Freikorps-Soldaten an den Kämpfen beteiligt. Der offizielle Auftrag der "Baltikumer" war es, das Vordringen der Bolschewiki nach Ostpreußen zu verhindern. Diese letzten Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs waren nur auf die Führer der Freikorps vereidigt.

Weimarer Reichsverfassung

Die Verfassung der Weimarer Republik (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 50 070)

Bereits am 10. Februar 1919 hatte die Nationalversammlung ein "Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt" erlassen, durch das entscheidende Weichen gestellt wurden. In diesem Gesetz war für das neu geschaffene Amt des Reichspräsidenten eine starke Stellung vorgesehen und bereits am Tag darauf wurde Friedrich Ebert zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählt.

Der Verfassungsausschuss versuchte bei seiner Arbeit, verschiedenen Überlegungen Rechnung zu tragen. Entsprechend den politischen Verhältnissen und den die Regierung tragenden Parteien musste ein Kompromiss zwischen den bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie gefunden werden. In der Weimarer Verfassung gab es erstmals einen Grundrechtskatalog, bei dem vor allem die Vorstellungen der Sozialdemokraten zum Tragen kamen.

QuellentextDie neue Frau: grundsätzlich gleichberechtigt?

[…] Erstmals wurden Frauen in der Weimarer Verfassung als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannt: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten", lautete Paragraf 109. Was zunächst wie eine einfache Formel aussah, entpuppte sich durch die Einschränkung "grundsätzlich" als problematisch. Denn mit dieser Bestimmung wurde eine grundlegende Revision geschlechterspezifischer Ungleichbehandlung von Frauen etwa im Ehe- und Scheidungsrecht, aber auch in Vermögensfragen, weiterhin blockiert.

Gesellschaftlich war die Auffassung, dass Männer und Frauen "grundsätzlich" verschieden seien, so tief verankert, dass die wenigen Frauenrechtlerinnen und Politiker, die sich für die Gleichberechtigung ohne Einschränkungen einsetzten, kaum Gehör fanden. Entsprechend gab es nur wenige Initiativen für eine Novellierung von Gesetzen und auch keine politischen Mehrheiten für grundlegende Revisionen im Reichstag. Das Familienrecht von 1900, in dem eine patriarchale Familienstruktur sowie die Verfügungsmacht des Ehemannes über das Vermögen, die Arbeit und den Körper seiner Frau festgelegt wurde, blieb letztlich unangetastet. Damit fehlte den Frauen aber eine wesentliche Voraussetzung für eine tatsächliche Gleichstellung.

Deutlich wurde dies vor allem bei jenen Themen, die traditionell allein von Männern besetzt waren, etwa im Bereich der Rechtsprechung bei der Frage, ob Frauen zum Amt des Schöffen oder Geschworenen zugelassen werden sollten. Dies war bereits zu Zeiten des Kaiserreichs eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegungen gewesen. Die Vertretung der Länder, der Reichsrat, führte 1924 zu diesem Anliegen aus, dass der Mann "überwiegend eine Abneigung dagegen (habe), sich von Frauen aburteilen zu lassen und sich ihrem Urteil zu unterwerfen"; ähnlich argumentierte der Deutsche Richtertag. Die Abgeordneten des Reichstages nahmen deshalb die Bestimmung in das fragliche Gesetz auf, dass Frauen die Wahl zum Amt ablehnen könnten und mindestens einer der Schöffen ein Mann sein müsse.

Einfacher war es hingegen, Ausnahmegesetze für weibliche verheiratete Beamte zu erhalten, trotz eines in Paragraf 128 der Verfassung klar formulierten Verfassungsauftrages, solche abzuschaffen. Die spezifischen Regelungen, die Kündigung von verheirateten Beamtinnen aufgrund von Defiziten in den öffentlichen Haushalten, wurden nur sehr zögerlich bis 1929 abgeschafft – um 1932 in der Wirtschaftskrise wieder eingeführt zu werden. Auch in der Frage des Scheidungsrechts konnte eine Liberalisierung nicht gegen die Stimmen der Konservativen und des Zentrums durchgesetzt werden.

Also eigentlich nichts Neues für und von Frauen in der Weimarer Republik? Eine solche Schlussfolgerung wäre ebenso falsch wie eine einseitige Betrachtung der 1920er Jahre allein unter dem Stichwort "neue Frau". Frauen hatten nach dem Krieg mehr und neue Optionen für ihre persönliche Lebensführung, konnten sich teilweise auch in neuen Räumen ausprobieren. Dazu zählte nicht nur der Bereich der Politik, sondern auch der Sport, die Freizeitgestaltung, Berufsausbildungsangebote und überhaupt der öffentliche Raum. Inwieweit diese Angebote aber genutzt werden konnten, hing von der sozialen Lage ab und auch vom Wohnort.

Eine beliebte Freizeitbeschäftigung für junge Menschen war der Kinobesuch – doch war ein solcher meistens nur in größeren Städten möglich. Zwar lebten Anfang der 1930er Jahre mehr als dreißig Prozent der Deutschen in Großstädten, aber immer noch ein Drittel auf dem Land, wo es in der Regel weder ein Theater noch eine Tätigkeit als Angestellte im Kontor für junge Frauen gab. Die neuen Arbeitsmöglichkeiten für junge Frauen entstanden in urbanen Zentren und dort auch nur in einigen industriellen Bereichen sowie in Handel und Verwaltung. Die Mehrheit aller Frauen fand weiterhin Beschäftigung als "mithelfende Familienangehörige" im Geschäft des Mannes oder Vaters in Stadt und Land.

Gegenüber der Vorkriegszeit absolvierten jedoch mehr Mädchen aus dem Arbeitermilieu eine Berufsausbildung, und in wohlhabenden Familien erwarben Mädchen zunehmend nicht nur höhere Bildungsabschlüsse, sondern entschieden sich auch, ein Studium aufzunehmen. Damit waren junge Frauen verstärkt auch in der städtischen Öffentlichkeit sichtbar – allein und auf dem Weg zur Arbeit, zur Universität, ins Kino oder im Café. Auch stieg der Anteil von Frauen in Sportvereinen signifikant, vor allem im Bereich Gymnastik und Leichtathletik.

Der erweiterte Handlungsraum gerade für junge Frauen spiegelte sich in der Mode der Zeit wider, den kürzeren, leichteren Kleidern sowie sportlichen Kurzhaarfrisuren. Und auch die Medien verbreiteten Bilder von erfolgreichen, selbstständigen, aber auch umstrittenen Frauen, seien es bekannte Politikerinnen wie Gertrud Bäumer oder Katharina von Kardorff-Oheimb, Künstlerinnen wie die Tänzerinnen Josephine Baker und Valeska Gert, die Schauspielerin Marlene Dietrich oder die Kabarettistin Claire Waldoff. In den Großstädten, vor allem in Berlin, entwickelten sich erstmals eigene Frauenlokale jenseits des klassischen Clubs der Frauenvereine, in denen sich lesbische Frauen trafen und ganz nach eigenen Wünschen ihre Freizeit gestalteten.

Doch sollte das medial weitverbreitete Bild der "neuen Frau" nicht darüber hinwegtäuschen, dass die große Mehrheit der Frauen ihre Individualität nur in den Grenzen der sozialen und geschlechtsspezifischen Möglichkeiten leben konnte.

Kirsten Heinsohn, "'Grundsätzlich' gleichberechtigt. Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive", in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 18–20/2018, S. 39 ff.

Artikel 109 Absatz 1 legte fest: "Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Bisher bestehende soziale Schranken entfielen, denn in Artikel 109 Absatz 2 hieß es: "Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden." Um noch einmal zu betonen, dass niemand benachteiligt werden sollte wegen seiner Herkunft oder Religion, hieß es in Artikel 128 Absatz 1: "Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen." Damit dies keine leeren Worte blieben, sollte auch das Schulwesen ganz neu geordnet werden. Es gab nun eine allgemeine Schulpflicht von acht Jahren, alle sollten dieselbe "Volksschule" besuchen und für das mittlere und höhere Schulwesen sollten Standesunterschiede und Religion keine Rolle mehr spielen. Des Weiteren garantierte die Verfassung das Recht auf Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Koalitionsrecht, das Recht auf geheime Wahl, das Briefgeheimnis, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit.

QuellentextSchulpolitik

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte es in Preußen erste Pläne für ein einheitliches, flächendeckendes Schulsystem ohne Rücksicht auf die soziale Herkunft gegeben. Hundert Jahre später, nach der Novemberrevolution, stand das Thema erneut auf der Tagesordnung. Die laizistischen Parteien SPD und DDP wollten ein einheitliches und gestuftes Schulsystem, das nur noch staatlicher Aufsicht unterstehen sollte. Die Zentrumspartei war ebenfalls dafür, die Trennung der Schüler nach Ständen abzuschaffen, vertrat aber in religiösen Fragen Positionen, die denen der beiden anderen Parteien genau entgegengesetzt waren. Am liebsten hätte das Zentrum die 1872 abgeschaffte kirchliche Schulaufsicht wieder eingeführt. Außerdem sollten auf Wunsch der Eltern "Bekenntnisschulen" errichtet werden und der Religionsunterricht sollte unbedingt ein Pflichtfach sein. Das katholische Zentrum war von 1919 bis 1932 an allen Reichsregierungen beteiligt und gehörte auch der preußischen Landesregierung an und hatte so, trotz begrenzter Wählerbasis, eine starke Machtposition.

Auf Philipp Scheidemann, der nach wenigen Monaten wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten in der Frage des Friedensvertrags zurücktrat, folgte am 21. Juni 1919 die von dem Sozialdemokraten Gustav Bauer geführte Regierung. Bei den Koalitionsverhandlungen wurde heftig um die Schulpolitik gerungen. Der schließlich erzielte "Weimarer Schulkompromiss" war die Voraussetzung dafür, dass das Zentrum der Regierung beitrat. Artikel 144 der Weimarer Verfassung regelte, dass das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates stand. Artikel 145 war in gewisser Weise der wichtigste: "Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich." Die "Vorschulen", die bisher Kinder aus bessergestellten Familien besuchten, um anschließend aufs Gymnasium zu wechseln, wurden durch das Reichsschulgesetz vom 28. April 1920 aufgehoben. Stattdessen gingen die ersten vier Jahre alle Kinder zusammen auf die Volksschule. (Das war ein Kompromiss, die Sozialdemokraten hatten für acht Jahre plädiert.)

Im Artikel 146 hieß es einerseits, "für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend." (Absatz 1) Andererseits besagte der zweite Absatz: "Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten." Artikel 149 bestimmte: "Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen."

Die Kinder sollten zu demokratischen Staatsbürgern erzogen werden: "In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben." (Artikel 148) Zum Ende der Schulpflicht erhielt jeder ein Exemplar der Verfassung.

Ein Symbol des preußischen Militarismus war die 1878 errichtete Königlich Preußische Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin. Sie war nicht nur ein Realgymnasium, sondern zugleich auch die Kaderschmiede für die militärische Elite des Deutschen Reiches. Der Versailler Friedensvertrag erzwang ihre Auflösung und 1920 wurde Fritz Karsen, einer der bedeutendsten Bildungsreformer der Weimarer Zeit, zum Oberstudiendirektor der neuen Staatlichen Bildungsanstalt ernannt. Doch die Schüler waren noch die alten, sie standen der Weimarer Demokratie zum großen Teil aggressiv ablehnend gegenüber und versuchten schon bei der Eröffnungsfeier die schwarz-rot-goldene Fahne zu entfernen. Nach drei Monaten wurde Karsen abgelöst und durch einen konservativen Studiendirektor ersetzt, der den Schülern im Internat die gewohnte Selbstverwaltung zugestand.

Fritz Karsen war Gründungsmitglied des "Bundes Entschiedener Schulreformer", der Pädagogen vereinte, die den in seiner großen Mehrheit kaisertreuen und reaktionären Deutschen Philologenverband verließen, um neue kultur- und bildungspolitische Ideen wirksam fördern zu können. Karsen, seit 1921 Direktor des Neuköllner Kaiser-Friedrich-Gymnasiums, gliederte dort eine Grundschule an, eine Volksschuloberstufe und eine Oberschule, sodass ein Gesamtsystem mit 13 Klassenstufen entstand. Es war dies die erste integrierte Gesamtschule in Deutschland. Außerdem gab es an der Schule, die seit 1929 Karl-Marx-Schule hieß, Arbeiter-Abiturientenkurse, die es den Absolventen ermöglichten, das Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg nachzuholen.

Auf der anderen Seite wurden die Grundzüge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht in Frage gestellt; von den Ideen, jenseits des Parlaments ein Rätesystem zu etablieren oder Schlüsselindustrien zu sozialisieren, blieb kaum etwas übrig. Lediglich die USPD vertrat hier wie auch in anderen Fragen weitergehende Forderungen, wurde aber regelmäßig von den anderen Parteien überstimmt. Auch ihr Vorschlag, einen Einheitsstaat zu schaffen, fand keine Zustimmung.

Die Länder blieben erhalten und bekamen, wie schon im Kaiserreich, mit dem Reichsrat neben dem Reichstag eine eigene Kammer. Der Reichsrat setzte sich aus Vertretern der 18 deutschen Länder zusammen, die von den Landesregierungen entsandt wurden. Er stand in der Tradition des deutschen Föderalismus. Der Dominanz Preußens wurden dabei Grenzen gesetzt. Das Land umfasste sowohl nach Bevölkerung als auch nach Fläche mehr als 60 Prozent des Deutschen Reiches. Aber im Reichsrat gab es eine Höchstgrenze von 40 Prozent der Stimmen für ein Land. Preußen hatte nicht mehr die starke Vetoposition, die das Land bis 1918 gehabt hatte.

Der Reichstag wurde in seinen Kompetenzen deutlich gestärkt. Während er im Kaiserreich im Wesentlichen nur über das Budgetrecht verfügt hatte, war die Regierung jetzt dem Parlament verantwortlich. Der Reichskanzler wurde zwar vom Reichspräsidenten ernannt, konnte aber vom Reichstag mit einem Misstrauensvotum gestürzt werden. Der Reichspräsident konnte den Reichstag auflösen, der Reichstag wiederum konnte mit einer Zweidrittelmehrheit eine Volksabstimmung über die Absetzung des Reichspräsidenten beschließen.

Das Volk konnte über die Wahlen hinaus auch durch den Volksentscheid direkt Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen (Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921). Dem Volksentscheid ging ein Volksbegehren voraus, bei dem mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten das Volksbegehren unterstützen mussten. Beim Volksentscheid selbst entschied die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Allerdings konnte ein Beschluss des Reichstages durch einen Volksentscheid nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligte. Sollte durch einen Volksentscheid eine Verfassungsänderung herbeigeführt werden, so musste die Mehrheit aller Wahlberechtigten zustimmen. An diesen Bestimmungen scheiterten in der Weimarer Zeit alle drei Versuche, einen Volksentscheid zum Erfolg zu bringen.

Die Weimarer Republik war eine parlamentarische Demokratie, aber der Reichspräsident, der als Staatsoberhaupt an die Stelle des Kaisers trat, gebot über eine große Machtfülle. Er war mit weitreichenden, fast diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Das war auch die Absicht des DDP-Abgeordneten Hugo Preuß, der als "Vater der Weimarer Reichsverfassung" gilt. Da eine Mehrheit der sozialistischen Parteien bei künftigen Wahlen durchaus denkbar schien, sollte ein mit großer Machtfülle ausgestatteter Reichspräsident ein überparteiliches Gegengewicht zum Parlament bilden. Diese Rolle konnte er umso besser ausfüllen, als die politische Zersplitterung der Parteienlandschaft immer mehr zunahm und vor allem die republikfeindlichen Parteien an den politischen Rändern zunehmend stärker wurden, was die Handlungsfähigkeit des Reichstages minderte. Die Sozialdemokraten protestierten vergeblich dagegen, dass hier ein "Kaiserersatz" geschaffen werde.

QuellentextHugo Preuß

Hugo Preuß wurde 1860 in eine jüdische Kaufmannsfamilie in Berlin geboren. Er studierte Jura, promovierte 1883 in Göttingen und habilitierte sich 1889 als Staatsrechtler an der Universität Berlin, konnte aber, da er nicht getauft war, dort nicht Professor werden. Erst 1906 erhielt er seine erste Professur an der neu gegründeten Handelshochschule Berlin; 1918 wurde er dann deren Rektor.

Hugo Preuß engagierte sich politisch auf dem linken Flügel des Liberalismus. 1895 wurde er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung für die Freisinnige Vereinigung, 1910 bis 1918 war er ehrenamtlicher Stadtrat des Berliner Magistrats für die Fortschrittliche Volkspartei. 1918 war er Mitbegründer der DDP. Von 1919 bis zu seinem Tod war er Mitglied der Preußischen Landesversammlung und des Preußischen Landtags.

Friedrich Ebert berief Preuß am 15. November 1918 zum Staatssekretär im Reichsamt des Innern und beauftragte ihn mit dem Entwurf einer Reichsverfassung. In den am 3. Februar 1919 vorgelegten Verfassungsentwurf hatte Preuß auf Eberts besonderen Wunsch auch einen Katalog von Grundrechten aufgenommen, der dann bei den Beratungen in der Nationalversammlung auf die Initiative des Vorsitzenden der DDP Friedrich Naumann noch erweitert wurde. Der Verfassungsentwurf knüpfte in vielem an die Paulskirchenverfassung an, was bei den konservativen Parteien Kritik hervorrief, die lieber auf die vom König oktroyierte (verfügte) preußische Verfassung von 1848/50 zurückgegriffen hätten.

Hugo Preuß war vom 15. Februar bis zum 20. Juni 1919 im Kabinett von Philipp Scheidemann der erste Reichsinnenminister der Weimarer Republik. Allerdings wurde er anschließend nicht wieder ins Kabinett berufen, sodass seine Unterschrift unter der Verfassung, die wesentlich auf seine Ideen zurückging, aber erst am 31. Juli verabschiedet wurde, fehlt. Preuß war bis zuletzt ein kämpferischer Vertreter der Weimarer Demokratie. 1924 schloss er sich dem neu gegründeten "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" an, verstarb aber im Jahr darauf.

Die Weimarer Republik war folglich ein semipräsidentielles Regierungssystem. Der Reichspräsident wurde für sieben Jahre direkt vom Volk gewählt, was ihm eine starke und unabhängige Stellung verlieh. Er vertrat das Deutsche Reich völkerrechtlich, hatte den militärischen Oberbefehl und konnte, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkam, das Militär auch im Landesinneren einsetzen, was Friedrich Ebert auch mehrfach tat. Nach Absatz 2 des Artikels 48 konnte der Reichspräsident, wenn "im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten" und zu diesem Zweck auch Grundrechte außer Kraft setzen. Dieser Artikel wurde von den Juristen so interpretiert, dass der Reichspräsident mit Hilfe von Notverordnungen die Gesetzgebungskompetenz des Reichstages umgehen konnte, was dann in der Zeit der Präsidialkabinette (siehe auch das Kapitel "Interner Link: Zerstörung der Demokratie 1930 - 1933") häufig geschah.

Einen erbitterten Streit gab es über die Staatsflagge. SPD, Zentrum und eine Minderheit der DDP-Abgeordneten traten für die Farben Schwarz-Rot-Gold ein, die schon in der Revolution von 1848 offiziell zu den deutschen Bundesfarben erklärt worden waren. Die USPD plädierte für eine rote Fahne, die rechten Parteien wollten an der schwarz-weiß-roten Reichsflagge festhalten, die seit 1871 die Flagge des Deutschen Reiches gewesen war. Dies war ein symbolisch aufgeladener Konflikt zwischen Kaiserreich und Republik, zwischen Monarchie und Demokratie.

Am Ende wurde mit 211 zu 90 Stimmen Schwarz-Rot-Gold zu den neuen Nationalfarben bestimmt, gleichzeitig sollten aber die Handelsflagge und die Reichskriegsflagge Schwarz-Weiß-Rot mit einem schwarz-rot-goldenen Gösch – einem kleinen Obereck innerhalb der Flagge – sein. Das war ein problematischer Kompromiss, der bei offiziellen Anlässen regelmäßig zu Auseinandersetzungen darüber führte, wie nun geflaggt werden sollte. Ein starkes Bekenntnis zur Demokratie gab der Wehrverband "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" ab, dem sich vor allem Mitglieder der SPD, aber auch des Zentrums und der DDP anschlossen. Am 12. März 1933 wurden dann durch Erlass des Reichspräsidenten die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzflagge als Reichsfarben eingeführt.

In mancher Hinsicht blieb die Weimarer Republik ein defizitäres Staatswesen. Sie verfügte nicht über ein Repertoire allgemein anerkannter Repräsentanten, Symbole und Rituale. Es gab keinen Nationalfeiertag, keine Orden und Ehrenzeichen, kein in allen Teilen des Volkes anerkanntes Staatsoberhaupt. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wurde immer wieder von Kommunisten wie Deutschnationalen geschmäht, angefeindet und als Landesverräter verleumdet. Nicht einmal die neuen Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold standen außerhalb des Streits der Parteiungen, weshalb es bei offiziellen Anlässen immer wieder zu Auseinandersetzungen über das Hissen der Fahnen an öffentlichen Gebäuden kam.

Am 31. Juli 1919 wurde die Verfassung mit 262 gegen 75 Stimmen angenommen. Die Ja-Stimmen kamen von den Regierungsparteien, die Nein-Stimmen von den Parteien am linken und rechten Rand, von der USPD, der DNVP und einem Großteil der DVP-Abgeordneten. Inzwischen war am 28. Juni 1919 auch der Versailler Friedensvertrag unterzeichnet worden. Die Verfassung und der Friedensvertrag bildeten gemeinsam die "äußeren und inneren Grundgesetze der Weimarer Republik" (Alexander Gallus).

Versailler Friedensvertrag

Bereits vom 29. Oktober bis 4. November 1918 hatte in Paris eine interalliierte Konferenz stattgefunden, bei der Amerikaner, Briten und Franzosen, die drei wichtigsten Siegermächte, sich über Waffenstillstandsbestimmungen und Grundlagen für die nachfolgenden Friedensverhandlungen verständigten. Am 5. November wurde das Ergebnis der Beratungen den Deutschen in einer von US-Außenminister Robert Lansing unterzeichneten Note übermittelt.

Die Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles (© mr-kartographie, Gotha 2021)

Die Lansing-Note stellte klar, was unter der Forderung des US-Präsidenten Woodrow Wilson nach "Wiederherstellung der besetzten Gebiete" zu verstehen war: Deutschland sollte "für alle durch seine Angriffe zu Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schäden Ersatz leisten". Hier war schon ein zentrales Thema des Versailler Vertragswerks angesprochen. Der im Kampf Unterlegene sollte nicht nur für die unmittelbaren Kriegsschäden Reparationszahlungen leisten, wie das nach Kriegen allgemein üblich war, sondern auch für alle mittelbaren Kriegsfolgen aufkommen. Dies war der Ausgangspunkt für die sehr weitreichenden Bestimmungen des Artikels 231 des späteren Friedensvertrages, des sogenannten Kriegsschuldartikels.

Die Verhandlungen über den Friedensvertrag begannen am 18. Januar 1919 – auf den Tag genau 48 Jahre nach der Proklamation des deutschen Kaiserreiches – in Paris. Es waren einseitige Verhandlungen. 32 Nationen nahmen an den Beratungen teil, von Belgien bis Uruguay, nur die Besiegten waren nicht zugelassen. Die eigentlichen Beratungen konzentrierten sich auf den "Rat der Vier", Woodrow Wilson, den französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, den britischen Premierminister Lloyd George und den italienischen Ministerpräsidenten Vittorio Emanuele Orlando.

Die deutsche Verhandlungsdelegation, geleitet von Außenminister Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau, durfte erst im April 1919 anreisen, als das Ergebnis der Beratungen bereits feststand. Am 7. Mai wurde den Deutschen der ausgearbeitete Vertragstext im Spiegelsaal von Versailles überreicht, Änderungsvorschläge durften sie nur schriftlich vortragen.

Die Bedingungen, auf die sich die Sieger nach langen und komplizierten Verhandlungen geeinigt hatten, waren ein Kompromiss, gleichwohl sehr hart für die Deutschen. Deutschland sollte nicht nur alle eroberten Gebiete zurückgeben, sondern auch 13 Prozent seines eigenen Territoriums verlieren, künftig auf schwere Waffen und eine Luftwaffe völlig verzichten sowie außerordentlich umfangreiche Reparationszahlungen leisten, deren genaue Höhe von einer eigenen Kommission ermittelt werden sollte. Die Kombination aus hohen Reparationszahlungen bei gleichzeitiger Liquidierung deutscher Auslandsguthaben und handelspolitischen Beschränkungen bedeutete gewaltige wirtschaftliche Belastungen. Das Rheinland wurde entmilitarisiert, das Saarland bis zu einer für 1935 angesetzten Volksabstimmung vom Deutschen Reich abgetrennt.

Entscheidender Stein des Anstoßes aber war aus deutscher Sicht der Artikel 231, der am Beginn des Abschnitts über Wiedergutmachungen platziert war: "Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber aller Verluste und aller Schäden verantwortlich sind, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben." Das Wort Schuld kam nicht vor. Aber in dem Artikel wurde die Alleinschuld am Kriegsausbruch festgeschrieben, um die für das Deutsche Reich sehr einschneidenden Friedensbedingungen juristisch und moralisch zu legitimieren. In Deutschland reagierte die Öffentlichkeit auf diesen "Kriegsschuldartikel" mit großer Empörung.

Philipp Scheidemann, der seit Februar 1919 Reichsministerpräsident war, wie der erste Ministerpräsident hieß, lehnte die Unterzeichnung ab und trat mit seinem gesamten Kabinett zurück. Am 23. Juni 1919 billigte die Weimarer Nationalversammlung das geringfügig modifizierte Vertragswerk dennoch, sodass es am 28. Juni vom neuen Außenminister, dem Sozialdemokraten Hermann Müller, und von Reichsverkehrsminister Johannes Bell, der dem Zentrum angehörte, unterschrieben werden konnte. Die Berliner "Tägliche Rundschau" erschien daraufhin mit der Schlagzeile: "Der Vernichtungsfriede unterzeichnet."

Ernst Piper, 1952 in München geboren, lebt heute in Berlin. Er ist apl. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und hat zahlreiche Bücher zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts publiziert, zuletzt "Geschichte des Nationalsozialismus. Von den Anfängen bis heute" (2018) und "Rosa Luxemburg. Ein Leben" (2018).