Parlament stemmt sich gegen Ausrufung des Kriegsrechts
Yoon hatte am 3. Dezember 2024 im Zuge eines Haushaltsstreits das Kriegsrecht verhängt und Soldaten zum Parlament in Seoul beordert, um dieses vollständig abzuriegeln. Er soll befohlen haben, gezielt Abgeordnete zu verhaften. Als Reaktion hatte die oppositionelle „Demokratische Partei des Miteinanders“ (Deobureo-minju-dang, DP) die Bevölkerung dazu aufgerufen, das Parlament zu verteidigen. Daraufhin versammelten sich zahlreiche Menschen auf dessen Gelände und verhinderten ein Eindringen des Militärs in den Hauptsaal der Nationalversammlung. Es gelang ausreichend Parlamentariern, sich in der Nationalversammlung einzufinden, um in einer eilig einberufenen Abstimmung das Kriegsrecht nach wenigen Stunden wieder aufzuheben. Neben der Opposition stimmten auch manche Abgeordnete aus der Regierungspartei „Macht der Staatsbürger“ (Gungminui-him, engl. People Power Party, PPP) dafür, das Kriegsrecht zu beenden, das Yoon weitreichende Machtbefugnisse gegeben hätte.
Yoon begründete seinen gescheiterten Versuch, die Staatsgewalt an sich zu reißen, mit dem nicht endenden Haushaltsstreit sowie dem Vorwurf, die linke Opposition agiere staatsfeindlich und sei von kommunistischen Kräften aus
Das Verfassungsgericht bestätigte am 4. April die vorläufige Amtsenthebung Yoons durch das Parlament. Dadurch wurde diese dauerhaft gültig. Die Richter kamen einstimmig zu dem Schluss, Yoon hätte das Kriegsrecht nicht verhängen dürfen, weil es keine nationale Krise gab. Außerdem habe er gegen das Gesetz verstoßen, als er Soldaten zum Parlament befahl, um eine Aufhebung des Kriegsrechts durch die Nationalversammlung zu verhindern. Laut Verfassung des 52 Millionen Einwohner zählenden Landes muss innerhalb von 60 Tagen nach dem Votum des Gerichts ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden.
Das politische System Südkoreas
Die Republik Korea hat eine Präsidialverfassung. Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der regulär alle fünf Jahre direkt vom Volk gewählt wird. Der Präsident hat eine relativ große Machtfülle, darf allerdings nach einer Amtszeit nicht wieder antreten.
Das Parlament hat eine Kammer. Der Nationalversammlung mit 300 Sitzen obliegt die Gesetzgebung sowie die Kontrolle über die Staatsfinanzen. Doch der Präsident kann zum Beispiel gegen Gesetzesbeschlüsse des Parlaments ein Veto einlegen, welches nur mit Zweidrittelmehrheit überwunden werden kann. Gehören Präsident und Parlamentsmehrheit wie zuletzt verschiedenen politischen Lagern an, kann dies zu einer gegenseitigen politischen Blockade führen.
Der Präsident bestimmt zudem maßgeblich die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes. Er kann in Krisenzeiten Verordnungen und das Kriegsrecht erlassen – beides jedoch unter strengen Voraussetzungen und parlamentarischer Kontrolle. Das Staatsoberhaupt ist auch Oberbefehlshaber der Armee.
Raues politisches Klima
Yoons versuchter Machtübernahme gingen monatelange Konflikte zwischen seiner konservativen PPP und der oppositionellen sozialliberalen DP voraus. Letztere hat seit der Wahl im Mai 2024 zwar die Mehrheit im Parlament, jedoch keine Zweidrittelmehrheit, sodass Präsident Yoon Gesetzesinitiativen der DP blockieren konnte. Umgekehrt war Yoon mangels parlamentarischer Mehrheit politisch weitgehend handlungsunfähig, auch seine Gesetzesvorhaben wurden regelmäßig blockiert. Beide Seiten agierten unnachgiebig, das politische Klima wurde rauer. Durch den Putschversuch geriet Südkorea schließlich in die schwerste Krise seit seiner Demokratisierung im Zuge der Verfassungsreform von 1987.
In den vergangenen Monaten kam es in Südkorea immer wieder zu Massenprotesten. Hunderttausende hatten nach dem Putschversuch für eine Amtsenthebung Yoons demonstriert. Dabei gab es große Kundgebungen der Opposition, auf denen gefordert wurde, Yoon den Prozess zu machen. Zugleich gingen jedoch auch Tausende Anhänger Yoons und der Regierungspartei auf die Straße, um gegen seine Amtsenthebung zu mobilisieren. Teils kam es zu Gewalt, insbesondere nach der Verhaftung Yoons im Januar. So verwüsteten gewalttätige Anhänger Yoons ein Gerichtsgebäude und griffen Oppositionspolitiker an.
Wer tritt zur Wahl an?
Aussichtsreichster Kandidat ist Oppositionsführer Lee Jae-myung von der DP. Lee war bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2022 angetreten, verlor jedoch sehr knapp mit 0,7 Prozentpunkten Abstand. 2024 wurde er bei einem politisch motivierten Messerangriff schwer verletzt. Die DP gilt als liberal und setzt sich für einen Ausbau des Sozialstaats ein. Lee steht für eine versöhnlichere
Lee wird beschuldigt, in einem früheren Wahlkampf durch das Verbreiten „falscher Informationen“ gegen das Wahlrecht verstoßen zu haben. Eine Verurteilung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe wurde im März zunächst vom Obersten Gerichtshof von Seoul gekippt. Dieser Freispruch wurde wiederum in höherer Instanz aufgehoben. Ein Berufungsgericht soll nun den Prozess ab Mitte Juni fortsetzen. In weiteren Verfahren werden Lee zudem Meineid, Untreue, unerlaubte Geldüberweisungen nach Nordkorea sowie die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
Die bisherige Regierungspartei PPP war zuletzt gespalten. Teile standen hinter der Absetzung Yoons, andere gehen von einer groß angelegten Verschwörung gegen ihn aus. Ins Rennen schickt die Partei nun den stark konservativen Kim Moon-soo. Im Umgang mit Nordkorea gilt er als Hardliner.
Als weitgehend chancenlos gilt Lee Jun-seok von der Mitte-rechts „Reform Partei“ (Gaehyeok sindang, RP).
Was waren die Themen im Wahlkampf?
Wirtschaft leidet unter Staatskrise
Ein großes Thema im Wahlkampf war neben der Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie dem Umgang mit Nordkorea auch die Zukunft der Demokratie: Der vereitelte Putsch sowie die anhaltende politische Unsicherheit haben nicht nur dem Ansehen der südkoreanischen Demokratie geschadet. Auch die Wirtschaft leidet unter der Staatskrise. Wegen der instabilen politischen Lage und der
Große soziale Ungleichheit
Dabei benötigt das Land mehr Wachstum. Die Schere zwischen Arm und Reich geht zunehmend auseinander. Immer mehr Südkoreaner arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Obwohl das Ausbildungsniveau in Südkorea insgesamt hervorragend ist, klagen insbesondere jüngere Menschen über berufliche Perspektivlosigkeit. Südkorea hat die niedrigste Geburtenrate weltweit und leidet unter dem damit einhergehenden demografischen Wandel. Die Altersarmut ist die mit Abstand höchste im OECD-Durchschnitt. Als positives Zeichen für die Funktionsfähigkeit des politischen Systems des Landes werten manche die Einigung der PPP und DP auf eine Rentenreform im März dieses Jahres: Mit großer Mehrheit stimmte das Parlament für einen späteren Renteneintritt, höhere Beiträge sowie eine höhere Rente.
Starke Polarisierung
Daran, dass die Stimmung zwischen den politischen Lagern in Südkorea aufgeheizt ist und der Wahlkampf äußerst hart geführt wird, ändert aber auch dieser Kompromiss nichts. Hartnäckig halten sich bei Yoons Anhängern Gerüchte über angeblich chinesische Einflussnahme und einer Wahlfälschung bei den Parlamentswahlen 2024. Dem Putschversuch vom 3. Dezember ging bereits eine jahrelange Polarisierung der Politik Südkoreas voraus. Sie gilt als Höhepunkt einer längerfristigen Erosion demokratischer Normen im Land.
Lee in Umfragen vorne
Oppositionsführer Lee Jae-myung lag in Umfragen kurz vor der Wahl weit vor allen anderen Kandidaten. Die DP war in den Wochen nach dem Putschversuch erfolgreich darin, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und sich als Verteidiger der Demokratie zu inszenieren. In einer Erhebung von Mitte Mai kam Lee Jae-myung auf über 50 Prozent der Stimmen, für Kim Moon-soo von der PPP würde weniger als ein Drittel der Wähler votieren und Lee Jun-seok von der RP käme auf weniger als 10 Prozent der Stimmen.
Wie könnte es nach der Wahl weitergehen?
Mit 57 Prozent der Sitze verfügt die DP derzeit selbst ohne mit ihr verbündete Parteien über eine satte Mehrheit in der Nationalversammlung. Da das konservative Lager zerstritten ist, fürchten manche Beobachter, dass nach einem möglichen Erdrutschsieg von Lee Jae-myung die institutionelle Kontrolle der Exekutive durch die Legislative zu schwach wäre.
Beobachter rechnen auch deshalb damit, dass Lee nach einem möglichen Wahlsieg auf ein Gesetz hinarbeiten wird, das ihn vor strafrechtlicher Verfolgung schützt. Das Oberste Gericht des Landes hat den Prozess gegen Lee auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Ob er im Falle eines Wahlsiegs weiter angeklagt werden kann, ist nach geltendem Recht umstritten. Manche Rechtswissenschaftler argumentieren, es gebe bereits gemäß der jetzigen Gesetzeslage eine Immunität für amtierende Präsidenten. Einer alternativen Rechtsauslegung zufolge wäre es dagegen möglich, ein bereits begonnenes Verfahren wie im Fall Lees fortzusetzen. Kritiker warnen, Lee könne den Rechtsstaat aushöhlen.
Experten gehen im Falle eines Wahlsiegs Lees auf absehbare Zeit von anhaltenden Spannungen aus. Klar ist: Die Herausforderungen, die die nächste Regierung lösen muss, sind enorm. Neben dem demografischen Wandel, sozialen Problemen wie den explodierenden Mieten sowie der Wirtschaftskrise hat die Regierung auch große Herausforderungen auf internationaler Ebene zu bewältigen: etwa das zuletzt noch weiter abgekühlte Verhältnis zu Nordkorea, das immer imperialistischer agierende China sowie den Handelsstreit mit den USA. Auch die Aussöhnung mit der einstigen Kolonialmacht Japan bleibt weiterhin schwierig.