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Zivilgesellschaft | bpb.de

Zivilgesellschaft

Annette Zimmer

Geschichte und Mehrdimensionalität des Konzepts

Frühe Anfänge

Zivilgesellschaft als Begriff kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die bis in die Antike zurückreicht. Der griechische Philosoph Aristoteles verstand „societas civilis“ als politische Gemeinschaft und ideale Lebensweise freier Bürger. In der Zeit des 17./18. Jahrhunderts verstanden Vertragstheoretiker und Moralphilosophen in Britannien Zivilgesellschaft ebenfalls als Konzept eines guten und gerechten Zusammenlebens. Im frühen 19. Jahrhundert hat Alexis de Tocqueville mit seiner Reisebeschreibung „Über die Demokratie in Amerika“ einen wichtigen Beitrag zur Konkretisierung von Zivilgesellschaft als spezifische Form des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens geleistet. Am Beispiel der USA zeigte er die Potenziale freiwilliger Vereinigungen (Assoziationen, Vereine) für friedliches Zusammenleben, Problembewältigung und Selbstorganisation von Bürgern. Freiwillige Vereinigungen, einschließlich loser Netzwerke gelten seitdem als organisatorische Infrastruktur von Zivilgesellschaft. Den zivilgesellschaftlichen Organisationen wird gemeinhin die Qualität einer „Schule der Demokratie“ zugesprochen, in der Verfahren des Meinungsaustausches sowie das Prozedere von Kompromissbildung und Verständigung erprobt und erlernt werden. Allerdings wurde von Max Weber schon 1924 auf dem ersten deutschen Soziologentag darauf aufmerksam gemacht, dass Engagement in der Zivilgesellschaft nicht unbedingt positiv konnotiert sein muss und anstelle zu Kritik- und Kompromissfähigkeit auch zu passivem Untertanengeist oder sogar zur Verstärkung von Abgrenzungs- und Schließungstendenzen führen kann.

Zivilgesellschaft und Bürgertum

Ferner ist für das Begriffsverständnis im deutschsprachigen Raum die Frühschrift von Karl Marx „Zur Judenfrage“ herauszustellen, in der er zwischen „Citoyen“ und „Bourgeois“ differenzierte. Während Marx den „Citoyen“ als politisch engagierten Bürger beschrieb, charakterisierte er den „Bourgeois“ als reinen Wirtschaftsbürger, der vorrangig Eigeninteressen verfolgt und weder am allgemeinen Wohl noch an der politischen Gemeinschaft interessiert ist. Auf Grund dieser Differenzierung erhielt der Begriff der „Bürgergesellschaft“ in der Folge im deutschen Sprachraum einen negativen Beigeschmack. Inzwischen hat eine umfangreiche historische Forschung zu Bürgertum und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert nachgewiesen, dass es sich um komplexe Phänomene handelt (Kocka 2008). Innovatives Unternehmer- und großzügiges Mäzenatentum prägten das Bürgertum damals ebenso wie eine obrigkeitsstaatlich-autoritäre Gesinnung. Heute wird Bürgergesellschaft als Synonym von Zivilgesellschaft verwandt. Einen wesentlichen Beitrag zur begrifflichen Klärung hat 2002 die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ geleistet. Der gleichnamige Bericht der Kommission bietet eine umfassende Bestandsaufnahme des Forschungsstands zu Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement in Deutschland.

Zivilgesellschaft und Diskurs

Wurde Zivilgesellschaft in der Antike und frühen Moderne als Idee vom guten Leben und im 19. Jahrhundert als Raum der Selbstorganisation vorrangig des Bürgertums konzeptualisiert, kam im 20. Jahrhundert eine weitere Funktionszuschreibung hinzu. Zivilgesellschaft wurde jetzt als gesellschaftliche Sphäre gedacht, wo Meinungsbildung zu Positionen von gesellschaftlich-politischer Relevanz erfolgt. Demnach trägt aus der kritischen Perspektive des marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci die Zivilgesellschaft wesentlich dazu bei, den gesellschaftlichen Status-quo zu stabilisieren und eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlich-politischen Machtverhältnisse unmöglich zu machen. Grund hierfür ist die „kulturellen Hegemonie“ des Bürgertums, das als meinungsbildende Klasse den Diskurs und damit auch das politische Agenda-Setting in der Zivilgesellschaft bestimmt.

Ganz anders dagegen ist die Interpretation der Zivilgesellschaft als Optionsraum gesellschaftlicher Diskurse durch Jürgen Habermas. Das Zusammenspiel von Gesellschaft und Politik ist für Habermas Ergebnis „kommunikativen Handelns“, wobei die Zivilgesellschaft als Scharnier fungiert. In der Tradition von de Tocqueville setzt sich für Habermas die Zivilgesellschaft „aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten“ (Habermas 1992, S. 443). Zivilgesellschaft ist sowohl Ort gesellschaftlich-politischer Meinungs- und Identitätsbildung wie auch Transmissionsriemen zwischen gesellschaftlichen Interessen und Politik. Diese Lesart beinhaltet eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die sich durch einen hohen Grad an Selbstorganisation von Bürgern_innen auszeichnet und in der Meinungsbildung gewaltfrei und unter Akzeptanz der Position des Gegenübers erfolgt. Habermas diskurstheoretische Konzeption von Zivilgesellschaft beinhaltet eine idealistische Komponente, den Ausbau von Demokratie und Gerechtigkeit. Dass Gruppen, soziale Bewegungen und Initiativen auch für unzivile Positionen ein- und unfair oder gewaltsam auftreten können, war nicht Thema der Theorie des kommunikativen Handelns.

Wiederentdeckung und konzeptionelle Klärung

Trotz Tradition und prominenter Vertreter war Zivilgesellschaft als Begriff lange Zeit auf den akademischen Kontext und hier auf die politische Philosophie und Ideengeschichte beschränkt. Dies änderte sich erst Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals wurde Zivilgesellschaft von den Dissidentenbewegungen in Osteuropa sowie von jenen Kräften in Lateinamerika aufgegriffen, die sich gegen die dortigen Militärdiktaturen richteten. Zivilgesellschaft wurde jetzt als demokratischer Gegenentwurf zum autoritären Status quo konzeptualisiert. Es war die Idee einer Zivilgesellschaft, die sich gegen einen ungerechten und antidemokratischen Staat richtete. Dieses Verständnis schwingt heute immer dann mit, wenn z. B. in den Medien auf Zivilgesellschaft als Alternative zu autoritären und/oder anti-demokratischen Regimen im globalen Süden oder dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion Bezug genommen wird.

Allerdings wurde in den 1980er-Jahren Zivilgesellschaft in etablierten Demokratien, etwa in Europa oder den USA, nicht als Alternative zum Status-quo gesehen, sondern vor allem mit sozialen Bewegungen und Reformprojekten mit direkter politischer Beteiligung von Bürger_innen in Verbindung gebracht. Insbesondere die „Neuen Sozialen Bewegungen“, wie die Friedens-, Dritte-Welt-, Anti-Atomkraft- oder Neue Frauenbewegung, galten als Ausdruck einer Zivilgesellschaft, die Reformen einforderte, sich aber durch Gewaltfreiheit und Toleranz auszeichnete. Die Gleichsetzung von Zivilgesellschaft mit gesellschaftlichen Initiativen, die post-materialistische Werte vertreten, mehr Partizipation in der Politikgestaltung fordern und für eine offene Gesellschaft, die sich durch Toleranz und Respekt auszeichnet eintreten, ist unter den heutigen Bedingungen nicht mehr angezeigt.

Zunehmend wird auf die „dunklen Seiten“ von Zivilgesellschaft verwiesen, wobei auf jene Gruppen und Bewegungen Bezug genommen wird, die wie einst die nationalsozialistische Bewegung in der Weimarer Republik und heute z. B. Pegida als national-identitäre Bewegung, antidemokratischen Werten das Wort reden und sich durch Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit bis hin zu militantem Rassismus auszeichnen. Ob diese Gruppen überhaupt zur Zivilgesellschaft gerechnet werden können, ist abhängig vom Begriffsverständnis, durchaus fraglich.

Einen wichtigen Beitrag zur konzeptionellen Klärung hat der Historiker Jürgen Kocka geleistet, der ein dreidimensionales Konzept entwickelte (Kocka 2003, S. 31). Kocka unterscheidet zwischen einer normativen, einer habituellen sowie einer deskriptiv-analytischen Komponente von Zivilgesellschaft. Die normative Komponente ist Thema der politischen Theorie und Philosophie mit ihrem zentralen Anliegen einer theoriegeleiteten Basierung von politischer und gesellschaftlicher Teilhabe und Gerechtigkeit (vgl. Kocka 2003, S. 32). Die habituelle Komponente bezieht sich auf einen bestimmten Typus sozialen Handelns, nämlich im ganz wörtlichen Sinne auf den zivilen Umgang miteinander, gewaltfrei und kompromissorientiert. Es ist eine Gesellschaft, die sich durch Zivilität auszeichnet. Dass ihre Mitglieder „zivil“ miteinander umgehen, wird unterstützt durch politische Rahmenbedingungen, die ebenfalls durch „Zivilität“ geprägt sind. Hierzu zählen die verfassungsrechtlich garantierten Menschen- und Grundrechte ebenso wie die Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Ermöglichung menschenwürdiger Lebensumstände. Die dritte Dimension von Zivilgesellschaft ist nach Kocka akteurszentriert. Hier geht es um konkret handelnde Personen, die selbstorganisiert tätig werden, und zwar nicht in traditionellen Familienstrukturen und auch nicht im Rahmen von privatwirtschaftlichen Unternehmen oder staatlichen Behörden, sondern primär in einem gesellschaftlichen Bereich jenseits von Markt, Staat und Privatsphäre und damit im Kontext von Vereinen, Netzwerken, informellen Zirkel, sozialen Beziehungen und Nichtregierungsorganisationen. Wenn diese Organisationen sich jedoch nicht durch Zivilität sowohl hinsichtlich ihrer Zielsetzungen wie auch ihrer Aktionsformen auszeichnen, sind sie gemäß der normativen Definition von Kocka nicht zur Zivilgesellschaft zu zählen. Dies gilt für Pegida als antiliberale Bewegung ebenso wie für die Mafia als selbstorganisierte Vereinigung.

Zivilgesellschaft konkret

Die akteurszentrierte Dimension der Zivilgesellschaft

Wird in Medien auf Zivilgesellschaft Bezug genommen, geht es in der Regel um die akteurszentrierte Dimension, um Aktivist_innen, wie den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo aus China, der sich für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in seinem Land eingesetzt hat, um Bürger_innen, die unbezahlte Arbeit leisten, oder um Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), gemeinnützige Einrichtungen (NPOs) sowie freiwillige Vereinigungen, etwa Gewerkschaften, Vereine oder Verbände. Diese übernehmen vielfältige Aufgaben: Sie erstellen Dienstleistungen, vertreten Mitgliederinteressen, weisen auf Missstände hin, helfen Opfern von Naturkatastrophen, markieren Wanderwege oder ermöglichen Freizeitaktivitäten. Im Übergang von „government“ zu „governance“ haben Organisationen der Zivilgesellschaft als Untersuchungsgegenstand der Sozialwissenschaften an Bedeutung gewonnen. Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wurden vor einigen Jahren insbesondere von den Internationalen Beziehungen als Hoffnungsträger einer demokratischeren Politikgestaltung auf internationalem Terrain entdeckt (Brunnengräber et al. 2005). Die in die NGOs gesetzten Erwartungen sind inzwischen einer realistischeren Einschätzung ihrer Möglichkeiten und ihres politischen Gewichts gewichen. Die Verwaltungswissenschaften fokussieren auf Rolle und Funktion von NPOs in wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und betrachten diese primär als Politikimplementatoren des Staates. Demgegenüber fokussiert die Politische Soziologie auf die Momente Affinität, Mitgliedschaft und Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen. Im Rahmen der Partizipationsforschung werden freiwillige Vereinigungen einerseits als Akteure zur Bündelung und Vertretung von Interessen in den Blick genommen; andererseits gelten sie in der Nachfolge von Max Weber als „Sozialisationsinstanzen“ und Ideologieproduzenten, deren Relevanz für die Bildung „sozialer Milieus“ nicht zu unterschätzen ist. Ob sie eher Prozesse der gesellschaftlichen Integration oder aber der Schließung befördern ist eine empirische Frage.

Der Freiwilligen- und der ZIVIZ-Survey

Seit 1999 wird im 5-Jahres-Turnus unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der Freiwilligensurvey durchgeführt. Der Survey zielt auf die Erfassung der individuellen Aktivitäten der Bürger_innen ab. Gemäß den Ergebnissen des Survey ist fast jeder zweite Bundesbürger freiwillig engagiert (BMSFJ 2016, S. 21). Die Engagementquote (43,6 Prozent) hat sich im Berichtszeitraum kontinuierlich erhöht. Männer sind in der Regel engagierter als Frauen; Engagement ist auf dem Land ausgeprägter als in der Stadt; Je besser die Ausbildung, desto ausgeprägter das Engagement; Bürger_innen mit Migrationshintergrund sind weniger aktiv. Wie schon von de Tocqueville beschrieben, engagiert man sich meist in einer freiwilligen Vereinigung, wobei Freizeit der beliebteste Bereich ist, gefolgt von Sozialem. Allerdings nimmt das projektorientierte und damit nicht an eine konkrete Organisation gekoppelte Engagement, kontinuierlich zu.

Das Pendant zum Freiwilligensurvey ist der „ZIVIZ-Survey“, eine Befragung, die im 4-Jahres Turnus von einer Tochtergesellschaft des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft durchgeführt wird. Befragt werden mehr als 630.000 eingetragene Vereine, private Stiftungen, gGmbHs und gemeinnützige Genossenschaften (Primer et al. 2017). Gemäß den Ergebnissen von 2017 nimmt die Anzahl der Organisationen weiterhin zu; ferner arbeitet die Mehrheit der Organisationen auf rein ehrenamtlicher Basis. Doch gemäß den Ergebnissen des Survey wird es schwieriger, Engagierte zu finden. Ferner boomen die Fördervereine als ein spezifischer Typ der zivilgesellschaftlichen Organisation. Auch zeigen die Ergebnisse, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in beachtlichem Umfang in die Unterstützung von Neubürger_innen mit Migrationserfahrung sowie in die Flüchtlingshilfe eingebunden sind. Sogar jede vierte Organisation, die sich an der ZIVIS-Befragung beteiligt hat, gab an, Angebote für Migrant_innen vorzuhalten. Als vergleichsweise neuen Tätigkeitsbereich weist der Survey Fair-Trade-Vereinigungen sowie Organisationen der internationalen Enwicklungszusammenarbeit und Völkerverständigung aus (Primer et al. 2017, S. 14).

Obgleich dem bürgerschaftlichen Engagement eine große Bedeutung zukommt, sind viele NPOs in beachtlichem Umfang professionalisiert und arbeiten überwiegend mit hauptamtlich Beschäftigten. Als Sozialunternehmen sind sie u. a. in die Daseinsvorsorge (Gesundheits- und Sozialbereich) und Entwicklungshilfe eingebunden und als Partner des Staates mit der Erstellung von Leistungen betraut. Mit mehr als 2,3 Millionen Beschäftigten kommt den gemeinnützigen Dienstleistern eine beachtliche arbeitsmarktpolitische Bedeutung in Deutschland zu. Anhand ökonomischer Kennzahlen (Arbeitsplätze, Einnahmen, freiwillig geleistete Arbeit) wird von der Projektgruppe „Zivilgesellschaft in Zahlen“ auch die Wirtschaftskraft der Organisationen ermittelt, die in ihrer Gesamtheit als Nonprofit-Sektor bezeichnet werden (Zimmer und Priller 2007).

Die Dauerbeobachtung sowohl des bürgerschaftlichen Engagements als auch der gemeinnützigen Organisationen anhand ökonomischer Kennzahlen dient der quantitativ-statistischen Erfassung und somit Sichtbarmachung eines umfänglichen Bereichs unserer sozialen Realität, der lange Zeit von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst wurde. Die Surveys geben Auskunft über Entwicklungstendenzen, wie etwa die Zunahme des eher ungebundenen Engagements, und Trends, wie etwa den Boom der Fördervereine. Sie können aber nicht als Indikatoren für die Zivilität einer Gesellschaft herangezogen werden oder als Gradmesser für den Tiefgang der Demokratie dienen.

Resümee

Zivilgesellschaft ist ein traditions- und facettenreiches Konzept. Als „politische Utopie“ ist sie Thema der Politischen Philosophie und Theorie. Als ziviler Umgang miteinander dient der Begriff als normative Leitlinie gewaltfreien und toleranten Zusammenlebens. In ihrer akteurszentrierten Dimension kann Zivilgesellschaft quantitativ erfasst werden, als Engagement von Personen sowie als Spektrum von Leistungen, erstellt durch freiwillige Vereinigungen sowie Sozialunternehmen (NPOs) und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Doch können aus der Quantität freiwilliger Vereinigungen weder Rückschlüsse auf die zivile Qualität einer Gesellschaft noch auf Ausprägung oder Stabilität der Demokratie gezogen werden.

Der Grund hierfür liegt darin, dass sich in freiwilligen Vereinigungen häufig Menschen zusammenschließen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religion, Ethnie oder ideologischen Orientierung über Gemeinsamkeiten verfügen und diese auch bewahren wollen. Ferner entstehen freiwillige Vereinigungen u. a., weil man bestimmte politisch-ideologische Ziele erreichen will und sich einer ganz bestimmten politischen Richtung verbunden fühlt. Die Mitgliedschaft in einer Vereinigung dient dann dazu, die eigene ideologische, politische oder religiöse Position zu bewahren und zu festigen. Mit anderen Worten: „zivil“ können freiwillige Vereinigungen nur dann sein, wenn die ideologische, ethnische oder religiöse Prägung der Organisation deutlich abgeschwächt ist.

Auch ist es keineswegs so, dass Zivilgesellschaft in Form von freiwilligen Vereinigungen, Sozialunternehmen und Nicht-Regierungsorganisationen nur in demokratisch-verfassten Ländern anzutreffen ist. Es gibt zahlreiche Beispiele hybrider und autoritärer Regime, in denen NPOs als soziale Dienstleister und Stiftungen als potente Finanziers gemeinwohlorientierter Vorhaben boomen und sogar in komplexen Governance Arrangements eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten, während zeitgleich und im gleichen Land andere Organisationen, die sich z. B. für Menschrechte (China) oder Umweltanliegen (Russland) einsetzen, staatlicherseits unterdrückt und verfolgt werden. Doch ohne Zivilgesellschaft erstarrt eine Gesellschaft und ein Regime in sich selbst, da es keine Möglichkeit gibt, alternative Positionen und Konzepte zu reflektieren und diese auch real auszuprobieren.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Annette Zimmer

Fussnoten