Meinung: Geteilte Bildung ist halbe Bildung


Beispiele: Wikiwijs, Open Discovery Space und EduTags
Ein gutes Beispiel, weil durch seine Macher schonungslos analysiert, ist die holländische OER-Plattform Wikiwijs. Nach fünf Jahren wurde das Projekt eingestellt, die 635.000 OER im Wikiwijs-Repository sind dennoch weiterhin verfügbar. Eines der zentralen Probleme war die Qualität der Medien, die viele Nutzer und Nutzerinnen frustrierte. Die Erwartung, dass die Nutzerbasis durch fleißiges Bewerten die Spreu vom Weizen trennen würde, bestätigte sich nicht. Noch mehr enttäuschte aber die Bereitschaft der Lehrkräfte, ihre Inhalte mit den anderen Nutzern und Nutzerinnen zu teilen. Eine im Jahr 2013 unter Lehrenden durchgeführte Befragung zeigte, dass überhaupt nur 2,9% dafür offen waren. Die Autorinnen und Autoren der Studie Wikiwijs - An unexpected journey and the lessons learned towards OER nehmen diese Ergebnisse allerdings nicht zum Anlass, an ihrer Idee zu zweifeln, sondern fordern stattdessen, auf Lehrende gesetzlich und politisch mehr Druck auszuüben.Auch wenn die Evaluationen noch nicht verfügbar sind, hat man dem Vernehmen nach im Projekt Open Discovery Space ähnliche Erfahrungen gemacht. 15 Millionen Euro (davon 7 Millionen EU-Mittel) wurden in eine Plattform investiert, auf der Lehrende, Schüler und Schülerinnen e-Learning-Inhalte einstellen oder finden, modifizieren und wiederum teilen sollten. Das Projekt war europaweit aufgesetzt, 2000 Schulen sollten gezielt im Umgang mit der Plattform geschult werden. Kenner des Projekts berichten, dass eine ganze Reihe an Projektzielen verfehlt wurde, nicht zuletzt, weil man die Nutzer und Nutzerinnen nicht zum Teilen animieren konnte.
Es ließen sich weitere Fälle nennen, in denen sich die "Kultur des Teilens" nicht so recht einzustellen scheint, und das nicht nur im Bereich des Austauschs von Medien, sondern auch beim Versuch, freie Inhalte zu bewerten, zu qualifizieren und besser auffindbar zu machen. Seit einiger Zeit versucht etwa der Deutsche Bildungsserver zusammen mit der Universität Duisburg, das Angebot an freien Bildungsressourcen im Netz zu erschließen. Lehrkräfte sollen auf der Plattform EduTags Links zu OER so verschlagworten, dass sie für alle anderen leichter und gezielter zugänglich sind. Da derlei Initiativen nicht den Beweis ihrer Wirtschaftlichkeit antreten müssen, lassen sich Erfolg und Misserfolg schwer auseinanderhalten. Mit Blick auf die Tiefe und Breite des Angebots – der Suchbegriff "Verbformen" etwa bringt genau ein (1) Suchergebnis – liegt allerdings der Verdacht nahe, dass sich die breite Lehrerschaft noch nicht recht zum "edutaggen" hinreißen lässt.
Die totale Einfalt verhindern
Dass Lehrerinnen und Lehrer bislang zaghaft sind, zu teilen, ist insofern erstaunlich, als dass das Teilen von Unterrichtsideen, Verlaufsplänen und kompletten Unterrichtsmedien so alt sein dürfte wie die Schule selbst. Man hätte also erwarten können, dass mit den Möglichkeiten des Internets alle Dämme brechen. Nun muss man sich dem beliebten Sport, die Zukunft von allem Möglichen in Zeiten des Internets vorherzusagen, nicht anschließen. Das Internet wird die Schule zweifelsohne fundamental verändern. Vielleicht brechen die Dämme dann, vielleicht aber auch nicht. Wenn wir allerdings von der "Kultur des Teilens" in der Bildungswelt nicht allzu viel erwarten können, wäre es fatal, auf sie zu setzen. Tatsächlich geschieht dies heute aber schon in vielen Ländern Europas. In Polen etwa werden seit diesem Jahr im unteren Sekundarbereich die Preise für Schulbücher und Arbeitshefte gesetzlich auf lächerlich niedrigem Niveau festgesetzt und gleichzeitig im staatlichen Auftrag Bildungsmedien unter freier Lizenz hergestellt. Man hofft, das vielfältige Angebot der im Wettbewerb stehenden Verlage durch die Vielfalt geteilter und rekombinierter Inhalte der Lehrkräfte zu ersetzen – und dabei eine Menge Geld zu sparen. Wenn sich hier die "Kultur des Teilens" nicht rasch einstellt, wird – statt Vielfalt – kommen, was immer kommt, wenn der Staat zentral Bildungsmedien erstellen lässt, nachdem er den Wettbewerb ausgeschaltet hat: die totale Einfalt.Gegenposition - Geteilte Bildung ist doppelte Bildung

Zum Beitrag "Geteilte Bildung ist doppelte Bildung"
Newsletter werkstatt.bpb.de
Der Werkstatt-Newsletter informiert regelmäßig über Neuigkeiten und Aktivitäten des Projekts werkstatt.bpb.de. Melden Sie sich gleich an!
Hätten Sie es gewusst?
Quiz: Digitale Bildung und Nachhaltigkeit
Was bedeutet eigentlich BNE und wie lassen sich digitale Geräte nachhaltig nutzen? Testen Sie Ihr Wissen zum aktuellen Themenschwerpunkt in unserem Quiz!
werkstatt.bpb.de in Social Media
Schlagworte
Was bedeutet Web 2.0 für die politische Bildung? Das Archiv des Weblogs pb21.de bietet Praxisbeispiele, Anleitungen und Tipps um das Web 2.0 als Werkzeug der politischen Bildung.
Im Archiv von werkstatt.bpb.de finden Interessierte viele informative Artikel, Interviews und Videos zum Thema zeitgemäße Vermittlung von Zeitgeschichte und Politik in Schulen und in der außerschulischen Bildung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie Migration und Digitalisierung.
Spezial
OER - Material für alle
Über den Einsatz sogenannter Open Educational Resources (OER) im Unterricht wird schon seit einigen Jahren diskutiert. In den Schulen selbst jedoch führt das Thema noch immer ein Schattendasein. Dieses Spezial soll Abhilfe schaffen: Die Beiträge liefern Grundlagen zum Thema freie Bildungsmaterialien und bieten Hilfestellungen, um OER von der Theorie in die schulische Praxis zu überführen.
Publikation zum Thema
Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung
Der Band ist konzipiert als Lern-/Lehrbuch für alle, die sich über die Grundlagen politischer Bildung und inklusiver Arbeit orientieren wollen. Beiträge aus Politikdidaktik, (Sonder-)Pädagogik und Beispiele aus der Praxis zeigen Gelingensbedingungen für inklusive Bildungsarbeit/Empowerment auf.Weiter...