Gemeinsam arbeiten – gemeinsam mehr wissen?
Kollaboratives Arbeiten in der historisch-politischen BildungspraxisDie Werkstatt der bpb testet nicht nur Bildungsmaterial. Sie erprobt auch neue Veranstaltungsformate und Methoden des kollaborativen Arbeitens. Welche Erfahrungen haben wir dabei gesammelt? Was unterscheidet Kooperation von Kollaboration? Und wie lässt sich kollaboratives Arbeiten im Bildungsbereich umsetzen? Eine Zusammenfassung.

Arbeitsteilung ist etwas zutiefst Menschliches. Nur Menschen können Perspektiven und Intentionen teilen und auf dieser Basis an gemeinsamen Aktivitäten und Zielen arbeiten, so der Anthropologe und Verhaltensforscher Michael Tomasello. Arbeitsteilung wird meist kooperativ organisiert: durch gemeinsame, formelle und informelle Vereinbarungen und die Zusammenarbeit in hierarchisch organisierten Teams.
Kooperation und Kollaboration
Von der Kooperation zur Kollaboration ist es nur ein Schritt. Wichtig beim kollaborativen Arbeiten ist die Ablösung von hierarchischen Arbeitsstrukturen. Inhalte und Ziele eines Arbeitsprozesses werden in diesem Fall von allen Beteiligten gemeinsam und transparent ausgehandelt, Rollen und Aufgaben ergeben sich dynamisch und – das ist das Besondere – entsprechend den individuellen Fähigkeiten aller Beteiligten. Alle tragen mit ihren jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen zur Lösung einer Gesamtaufgabe bei.Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines Kollaborationsprozesses ist die Überzeugung, dass diese Form der Zusammenarbeit für bestimmte Prozesse effektiver und (mittelfristig) effizienter sein kann. Auch wenn kollaboratives Arbeiten oft eine – kurzfristig arbeitsintensive – Umstellung in der Arbeitsorganisation bedeutet: Die Beziehungen der Beteiligten gestalten sich intensiver, die Motivation kann durch selbstgewähltes Aufgaben- und Ressourcenmanagement langfristig höher ausfallen, die Identifikation mit dem Arbeitsprozess und -produkt steigt, komplexere Probleme und Aufgaben können gelöst werden. Soweit die Theorie.
Veränderungen, die auch unsere Bildungsprozesse verändern
Kollaborativ zusammen zu arbeiten bedeutet auch, Differenzen nicht als Problem, sondern als Chance zu begreifen – und das ist eine gute Basis für gelingende Bildungsprozesse in einer Gesellschaft, die sich zunehmend als heterogen begreift und Lernen inklusiv gestalten möchte. Wie der Lehrer und Dozent der Medienpädagogik Johannes Klas bereits für den Bereich der Medienpädagogik formuliert hat, braucht und stärkt kollaboratives Arbeiten kompetenzorientiertes Lernen: Die Polarität vom defizitären Lernenden und allwissenden Lehrenden kann durch kollaboratives Arbeiten und Lernen aufgelöst werden; der Lehrende müsste den Lernprozess nicht mehr isoliert und allein planen. Jede(r) kann seine Kompetenzen einbringen und darauf aufbauend sich im Verlauf eines Projektes neue aneignen.Doch wie kann kollaboratives Arbeiten im Bereich der historisch-politischen Bildung konkret umgesetzt und mithilfe digitaler Strukturen und Tools unterstützt werden? Die Werkstatt hat in den vergangenen Monaten einige Erfahrungen dazu gemacht (für mehr Informationen klappen Sie die Kästen auf):
Open Educational Development: Gemeinsam Entwickeln
Offene Bildungsmaterialien (OER) sollen gemeinsam genutzt werden. Warum sie nicht also auch kollaborativ erstellen und zudem alle Interessierten daran teilhaben lassen? So passiert beim OED-Prozess von werkstatt.bpb.de.
Gesetzt waren lediglich die thematischen Bezugspunkte „Rechtsextremismus“ und „100 Jahre Erster Weltkrieg“. Der Ablauf, die Rollen der Beteiligten und die Endprodukte wurden gemeinsam im Prozess diskutiert und erarbeitet. Die Organisation, Moderation und transparente Dokumentation der Veranstaltungsreihen wurde zentral durch das Team der Werkstatt durchgeführt. Als größte Herausforderung bestätigte sich die in ähnlichen Arbeitsprozessen beobachtete Beteiligungskurve: Viele übernehmen kleine Arbeitspakete (Mitdiskutieren, Dokumentation, kleinere Rechercheaufträge), Wenige übernehmen größere Arbeitspakete (größere Rechercheaufträge, Verfassen längerer Texte o.ä.). Alle Projektergebnisse waren und sind hier öffentlich einsehbar.
Kollaborative Sprints: Gemeinsam schnell umsetzen
Unter Zeitdruck und in kleinen Teams auf neue Ideen kommen und sie gleich noch realisieren - das sind Ziele sogenannter „Sprints“. Digitale Tools können den Arbeitsprozess dabei unterstützen. Große Herausforderung: die knapp bemessene Zeit.
HistoryCampus 2014: Gemeinsam multiperspektivisch produzieren
Innovative „Geschichtsprodukte“ sollen vor allem junge Leute an längst vergangene Ereignisse heranführen. Der HistoryCampus 2014 bot das passende kollaborative Umfeld.
- Haus des Friedens: Konzeption eines internationalen Hauses (Museum/Gedenkstätte) der Geschichte
- Feldpost im Duett: Entwicklung einer Audiocollage auf Basis von Feldpostbriefen (Erster Weltkrieg) und aktueller Nachrichten/Posts/Tweets in den sozialen Medien (Syrienkrieg, Arabische Revolutionen)
- HistoryHackathon: Die Teilnehmenden entwickeln auf Basis von vorliegenden Daten Konzepte für digitale Produkte bzw. Bildungsangebote (z.B. eine App) zum Thema “Erster Weltkrieg” und programmieren diese im Anschluss gemeinsam als Prototyp
Es zeigte sich in allen beschriebenen Beispielen, dass kollaborative Arbeitsprozesse von kurzen, weitgehend „unterbrechungsfreien“ Settings mit kleinen heterogenen Teilgruppen profitieren. Solche kollaborativen Workshops sind für alle Teilnehmenden intensive Lern- und Arbeitserfahrungen. Sie bedingen und fördern die Aushandlung von Rollen, die Diskussion von Perspektiven und Wahrnehmungen und die bewusste Verortung der eigenen Fähigkeiten und Positionen. Auch die wertschätzende Einbindung der individuellen Sprach- und Vermittlungskompetenzen, sowie biographischen und beruflichen Erfahrungshintergründe wurden von allen Beteiligten als persönlich sehr gewinnbringend angesehen.
Kollaboratives Arbeiten (auch) in der Schule?!
Auch wenn die oben genannten Beispiele und Experimente außerhalb von schulischen Strukturen stattfanden, ist die Übertragung in die Schule durchaus möglich. Jedoch kann eine Kultur des kollaborativen Arbeitens und Lernens nicht ohne die Akzeptanz und den Wunsch der Lehrenden gelingen.Für den Anfang empfiehlt es sich, ein zeitlich, inhaltlich und formal möglichst überschaubar skaliertes Projekt anzugehen:
- die kollaborative Dokumentation einer Unterrichtsstunde oder eines Teamtreffens mithilfe eines beschränkt öffentlichen Online-Editors (z.B. Public Pad);
- ein kollaboratives Brainstorming mithilfe einer Online-Mindmap (z.B. Mindmeister)
- die kollaborative Entwicklung eines Textes für die Schul-Homepage
Auf einer übergeordneten Ebene könnte zukünftig die Implementierung kollaborativer Arbeitsprozesse in die Schulentwicklung einbezogen werden, d.h. dass die Schulleitung gegenüber den Lehrenden und Lernenden die Möglichkeiten und Grenzen einer Kultur der Arbeitsteilung bzw. Zusammenarbeit kommunizieren und fördernde Rahmenbedingungen schaffen kann. Die Verbesserung der räumlich-technischen Ausstattung und die Unterstützung bei Koordination und Anerkennung der Lehrer- und Schülerleistungen aus kollaborativen Arbeitsprozessen sind dabei besonders wichtig.
In letzter Konsequenz liegt es jedoch an den Lehrenden selbst, ob diese in Teams und Netzwerken denken und arbeiten wollen. Wie jede Veränderung bedeutet auch das kollaborative Arbeiten zunächst mehr Aufwand. Die Öffnung hin zu einer kollaborativen und offenen Lernkultur verlangt dabei vor allem den klaren Abschied vom (Selbst-)Bild des „Gatekeepers“ und „Monopolisten“ von Wissen. Wie in den aufgezeigten Beispielen zu sehen, können sie aber auch ganz neue Möglichkeiten eröffnen.