Filme erzählen Geschichten, indem sie uns etwas zeigen. Dabei ist nicht nur das, was sie uns zeigen, entscheidend, sondern auch wie sie uns etwas zeigen: Wie wird unser Blick auf einen Raum, eine Figur, ein Geschehen gelenkt? Wie werden unsere Vorstellungen und Gefühle angesprochen? Inwiefern zeigt sich eine ethische oder politische Haltung in der ästhetischen Form eines Films?
Für die Auseinandersetzung mit solchen Fragen eignen sich Filme, wie das Märchenmusical "Eselshaut" (Peau d'âne, Jacques Demy, F 1971), die nicht explizit gesellschaftspolitische Themen behandeln, sondern durch die Eigenart ihrer Gestaltung zu einer genauen Betrachtung einladen. Die Verfilmung des gleichnamigen Märchens von Charles Perrault (1694) knüpft an die Musicals des klassischen Hollywoodkinos an, ist aber auch geprägt von der Hippiekultur und der Popart seiner Entstehungszeit Anfang der siebziger Jahre. Indem der Film auf grundlegende, schon im frühen Kino entwickelte Tricktechniken zurückgreift, erweckt er die wunderbare Welt des Märchens und kommentiert diese durchaus ironisch in Hinblick auf die darin angelegten Differenzen des Sozialen und des Geschlechts. Er spricht daher jüngere und ältere Zuschauer*innen gleichermaßen an.
Strategien der Filmvermittlung
Um für die Formen des filmischen Erzählens zu sensibilisieren, bieten sich zwei Strategien an, die der Filmforscher und -vermittler Alain Bergala in Interner Link: Kino als Kunst (2006) vorschlägt: der Vergleich von Filmausschnitten, die eine ähnliche Situation oder minimale Handlung erzählen sowie filmpraktische Übungen, welche dazu anregen, die Entscheidungen beim Drehen einer Szene selbst nachzuvollziehen. Im Nachdenken über mögliche Varianten schärft sich das Bewusstsein, dass dieselbe Situation unterschiedlich gedreht und damit erzählt werden kann, und dass sich darin eine Haltung zum Erzählten ausdrückt.
Die folgende Analyse konzentriert sich auf die Auflösung einer Szene – das heißt auf die Frage, wie eine Handlungseinheit im Raum durch die Kamera in einzelne Einstellungen aufgelöst wird. Diese Frage ist grundlegend für die filmische Praxis und Ästhetik, denn nur, was gedreht wurde, kann später auch montiert werden. Die Auflösung entscheidet darüber, wie ein vorgefundener Ort filmisch transformiert wird, wie Figuren 'in Szene' gesetzt werden und wie der Blick der Zuschauer*innen durch die Kameraführung gelenkt wird.
Die Auflösung einer Szene
Besonders dafür geeignet ist die Szene der Ringprobe aus "Eselshaut", die selbst die Variationen einer Standardsituation durchspielt: Die Frauen eines Königreichs müssen antreten und einen Ring probieren, damit der Thronfolger die Auserwählte finden kann. Allein der Prinz weiß indessen, dass "die Richtige" ihm dem Ring in einem selbstgebackenen Kuchen bereits vorher übermittelt hat. Dieses bekannte Märchenmotiv spricht eine grundlegende, gerade für Jugendliche relevante Frage an: Wie bilden sich Paare? Wer passt zu wem, wer erwählt wen? Darüber hinaus können auch weitergehende Fragen diskutiert werden, etwa zur Erzählform des Märchens und anderer Liebesgeschichten, in denen arme Mädchen von reichen Prinzen gerettet werden. Im Folgenden werden verschiedene Gesichtspunkte der Auflösung skizziert, welche die Ringprobe in "Eselshaut" vorführt.
Räumliche Kontinuität
Die ersten beiden Auftritte der Kandidatinnen folgen demselben Muster, das den etablierten Regeln filmischer Kontinuität entspricht: Die Kamera filmt das Geschehen aus zwei Achsen, die den Thronsaal um den Prinzen erschließen. Eine auf den Eingang zentrierte Externer Link: Totale zeigt das Eintreten einer Frau in den Saal, danach wird in derselben Achse zweimal näher herangeschnitten, um das Niederknien vor dem Prinzen (in Halbtotale) und das Probieren des Rings (im Detail die Hand) darzustellen. Danach zieht sich die Kamera wieder zurück, wechselt in der abschließenden totalen Aufnahme jedoch die Achse, um den Abtritt zur anderen Seite zu filmen. Die Schnitte sind hier motiviert durch die Handlung, sie verknüpfen scheinbar kontinuierliche Bewegungen und entsprechen dem Wunsch, das Geschehen erst zu überblicken, um dann Wesentliches näher zu betrachten.
Da diese Abfolge mehrfach wiederholt wird, fallen die folgenden Variationen besonders ins Auge und legen eine Deutung des Geschehens nahe. Wenn beispielsweise beim dritten Mal die Kamera verfrüht die Achse wechselt und die abschließende Totale entfällt – dann wird dieser Frau buchstäblich der würdevolle Abtritt verweigert, sie wird filmisch hinauskomplimentiert. Unser Urteil darüber, ob sie zum Prinzen passt, spiegelt sich in der filmischen Inszenierung.
Zeitraffung
Später folgt eine radikale Verkürzung. Drei Detailaufnahmen zeigen das Gesicht des Prinzen, das Gesicht der niederknienden Frau, und die Hände, die den Ring probieren. Der Raum existiert nur noch in unserer Vorstellung. Stattdessen tritt in der Wiederholung derselben Handlung das Serielle hervor: die Reihung von Frauen, die sehr verschieden aussehen und in ihrer Rolle als erfolglose Anwärterinnen doch gleich sind. Im Gesicht des Prinzen ist die zunehmende Enttäuschung ablesbar. Der Rhythmus der Schnitte entspricht dem der Musik, die nun die Wortwechsel ersetzt. Die Frauengesichter, die in die Einstellungen 'schweben' erzeugen eine fließende Bewegung. Die Musikalität und Ästhetik des Moments treten in den Vordergrund.
Soziale Unterschiede
Schon zu Anfang der Szene wird die soziale Hierarchie durch die von dem Zeremonienmeister befohlene Reihung der Frauen witzig pointiert. Dementsprechend wird auch der Wechsel von den standesgemäßen 'Edelfrauen' zu den Dienerinnen betont. Dem ersten Kammermädchen wird der Auf- und Abtritt in einer zentrierten Totalen verweigert. Stattdessen tritt sie von der Seite in eine Externer Link: halbtotale Anordnung ein. Sie erscheint also erst in unserem Blickfeld, als sie schon vor dem Thron steht. Die Raumtiefe wird hier von den Frauen verstellt, die schon abgelehnt wurden. Wie die Haltung des Prinzen, der sich demonstrativ abwendet, vermittelt diese Bildgestaltung den Eindruck, dass die Frau nicht erwartet wird, nicht erwünscht ist.
Wer ist die Auserwählte?
Die Prinzessin tritt als letzte auf und zwar als "Eselshaut" getarnt. Sie hat sich – wie zuvor im Märchen erzählt wurde – mit dem Fell eines Esels verkleidet und, angesichts der Heiratsabsichten ihres Vaters, als Dienstmagd versteckt. Die ursprüngliche Auflösung der Szene wird nun wieder aufgegriffen, der Ausgang ist hier jedoch schon verstellt. Im Unterschied zu den anderen Variationen wird diese Szene zudem zeitlich gedehnt. Zwischenschnitte auf die schockierten oder erstaunten Gesichter des Königspaares und des Hofstaates, sowie die Ohnmacht einer Hofdame bauen Spannung auf. Auch wird der zögernde Gang von "Eselshaut" bis zum Thron innerhalb einer Einstellung in voller Länge gefilmt und nicht im Schnitt verkürzt. Die empfundene Zeitdehnung lädt das Geschehen mit Bedeutung auf und kommentiert es: Der Anblick der Frau im Eselsfell erscheint genauso ungeheuerlich wie ihre plötzliche Verwandlung in eine schöne Prinzessin. Die Ringprobe endet nun mit einer neuen Blickrichtung, die aus der Perspektive des Königspaares gefilmt ist. Das Paar tritt in einer vollkommen symmetrischen, zentralperspektivisch angeordneten Externer Link: Totalen auf uns zu, als würde damit nun eine (universelle) Ordnung wiederhergestellt und das Zepter an die nachfolgende Generation übergeben.
Das Zauberhafte
Die Verwandlung erfolgt hier – ganz unspektakulär – als ein Effekt der Montage. In der ersten Totale, von vorne, träg die Darstellerin (Catherine Deneuve) ein zerschlissenes weißes Hemd unter der Eselshaut. In der entgegengesetzten Totale, von hinten, wirft sie sie die Eselshaut ab, darunter kommt ein goldenes Gewand zum Vorschein. Die Magie beruht wie in anderen Szenen des Films auf Montagekonventionen, die wir so sehr verinnerlicht haben, dass wir sie als Abbild der Realität wahrnehmen.
Anhand der verschiedenen Variationen der Ringprobe in "Eselshaut" lassen sich somit grundlegende Aspekte der filmischen Montage vermitteln: die Auflösung des Raumes, die Raffung und Dehnung der Zeit, die Konstruktion der Realität, das Erzählen und das Kommentieren von Handlungen, die Musikalität und Ästhetik. Die Szene spielt mit unseren Erwartungen und hält uns dadurch einen Spiegel vor. Die Art und Weise wie diese Situation gedreht wird, deutet das Geschehen. Dabei werden die im Märchen angelegten sozialen Hierarchien und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervorgehoben und verdeutlicht.
Aber Klischees werden nicht nur ausgestellt, sondern auch unterwandert. Am Ende steigt der Prinz vom Thron herab, um sich an die Seite seiner Auserwählten zu stellen. Wenn zuvor alle Frauen um ihn als Mittelpunkt kreisten, so wird diese Bewegung (endlich) umgekehrt. Er selbst wird nun von seiner künftigen Frau an der Hand geführt.
Aber auch dieses Happy End erhält einen Missklang. Denn vor dem Erscheinen von 'Eselshaut' probiert eine junge Obdachlose in zerrissener Kleidung den Ring. Nach der seriellen Verkürzung wird sie erneut wie die Edelfrauen eingeführt. Sie könnte die Auserwählte, das arme Mädchen sein, das in Märchen durch die Gunst eines Prinzen gerettet wird. Aber sie läuft als einzige zurück durch den Eingang. Sie muss zurückkehren, woher sie gekommen ist: Das Versprechen des sozialen Aufstiegs gilt eben doch nicht für alle und schon gar nicht jenseits der Märchenwelt.
Literaturempfehlungen
Beller, Hans (Hg.): Handbuch der Filmmontage. Praxis und Prinzipien des Filmschnitts. (= Film, Funk, Fernsehen – praktisch; Bd. 5), München: TR-Verlagsunion 1993.
Alain Bergala: Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo, Hrsg. von Bettina Henzler und Winfried Pauleit. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer. Bonn: bpb.
Bettina Henzler: Stadtansichten. Zum Vergleich als Stadtansichten. Der Vergleich von Bildern und Filmausschnitten als Vermittlungsmethode. In: Henzler, Zahn, Pauleit 2013.
Bettina Henzler: Hand-Werk in Agnès Vardas "Jacquot de Nantes". Zur phänomenologischen Dimension von Filmbildung. In: Friederike Rückert (Hg.): Bewegte Welt Bewegte Bilder, München: kopaed 2018, S.33-52.
Claude und Francis Desbarats: Filmstandbilder. Für eine schulische Vermittlung von Kino als Kunst. In: Bettina Henzler, Winfried Pauleit (Hg.): Filme sehen, Kino verstehen. Methoden der Filmvermittlung. Marburg: Schüren 2006, S. 33-65.
Alain Philippon: Cahiers de Notes sur Peau d'âne, hg. v. Eugène Andréanszky, Edition École et cinéma, 2005.
Astrid Ofner: Jacques Demy / Agnès Varda. Publikationsreihe der Viennale, Marburg: Schüren 2006.
Dr. Bettina Henzler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bremen mit Schwerpunkt Filmwissenschaft und Filmvermittlung. Sie leitet das Forschungsprojekt "Filmästhetik und Kindheit" und ist freiberuflich als Projektleiterin, Referentin und Beraterin der Filmvermittlung tätig.