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Fiskalpakt/-vertrag der EU | bpb.de

Fiskalpakt/-vertrag der EU

M. Große Hüttmann

Der F. [lat.: fiscus = Haushalt, pactum = Abkommen; engl.: »Fiscal Compact«] wurde auf dem EU-Frühjahrsgipfel im März 2012 von 25 der (damals) 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten feierlich unterzeichnet (ohne Großbritannien und Tschechische Republik). Der F. (offizieller Titel: »Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion«) ist Teil einer Reihe von neuen Instrumenten der EU zur nachhaltigen Bekämpfung der seit 2010 wachsenden Staatsschuldenkrise und der Haushaltskonsolidierung in den Eurostaaten (z. B. Euro-plus-Pakt, Europäisches Semester, Sixpack). Es ist der bislang jüngste Versuch der EU, eine unkontrollierte Schuldenpolitik in den Eurostaaten in Zukunft zu verhindern. Die brit. und die tschech. Regierung lehnen den F. ab, weil er ihrer Ansicht nach zu stark in nationale Hoheitsrechte (Budgetrecht) eingreift. Der F. geht zurück auf Initiative der dt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und wurde auf dem EU-Gipfel am 9.12.2011 in Brüssel in seinen Grundzügen beschlossen. Da Großbritannien auf dem Gipfel im Dezember 2011 die für Vertragsänderungen notwendige Einstimmigkeit durch ein Veto verhinderte, einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs darauf, die Bestimmungen zur Konsolidierung der nationalen Haushalte außerhalb des EU-Vertrags im Rahmen eines formell völkerrechtlichen Vertrags zu verankern. Der F. tritt in Kraft, wenn er von 12 Eurostaaten ratifiziert worden ist; bis Dezember 2012 hatten ihn bereits 16 Staaten (darunter auch Deutschland und Österreich) ratifiziert, sodass der F. am 1.1.2013 in Kraft treten konnte. Zentrale Ziele des F. sind: die (verfassungs-)rechtlich untermauerte (Selbst-)Verpflichtung der EU-Staaten, künftig eine solide Haushaltspolitik zu betreiben (u. a. durch die Einführung von »Schuldenbremsen« in den nationalen Verfassungen) sowie die Schaffung von Wirtschaftswachstum und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten. Um zu verhindern, dass die Vorgaben des F. wie die Kontrollmechanismen des 1997 eingeführten Eurostabilitäts- und -wachstumspaktes von den EU-Staaten umgangen werden können, sind Vorkehrungen getroffen worden: Die EU-Kommission hat stärkere Kontrollrechte, sie berichtet, ob die EU-Staaten in ihren nationalen Verfassungen oder in anderer rechtlicher Form die laut F. verpflichtenden Schuldenbremsen eingeführt haben; ist dies nicht der Fall, sind die 3 EU-Staaten, die zusammen als Triopräsidentschaft den Vorsitz in der EU für 1½ Jahre führen, verpflichtet, den säumigen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Verweigert der angeklagte Staat weiterhin die Einführung einer Schuldenbremse, so kommt es zu einer weiteren Klage mit der Verhängung von Zwangsgeld. Zudem ist das Abstimmungsverfahren im Rat laut F. so organisiert, dass nur unter erschwerten Bedingungen eine Mehrheit zustande kommt, die den Sanktionsmechanismus ins Leere laufen lassen würde (Hintergrund: 2003 konnte die dt. und frz. Regierung den Sanktionsmechanismus des alten Eurostabilitäts- und -wachstumspaktes blockieren; dies galt vielen Experten als »Sündenfall«, weil er als Freibrief für unsolide Haushaltspolitik in den Eurostaaten betrachtet werden konnte. Ein solch leichtes Umgehen der Regeln soll durch die schärferen Regeln im F. verhindert werden). In Deutschland war die Bundesregierung bei der Ratifizierung des F. auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, um die für Grundgesetzänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu erreichen; dies gab SPD und GRÜNEN die Möglichkeit, die Zustimmung von politischen Zugeständnissen abhängig zu machen (Finanztransaktionssteuer, EU-Wachstumsprogramme). Skeptiker bezweifeln eine tief greifende Wirksamkeit des F. in der aktuellen Situation, weil drängende Probleme der Staatsschuldenkrise (z. B. Kapitalschwäche vieler europ. Banken) nicht angegangen werden. Zudem wird kritisiert, dass der F. die politischen Gestaltungsspielräume im Allgemeinen und die Haushaltspolitik im Besonderen in den EU-Staaten zu stark der parlamentarischen und demokratischen Verantwortung entziehe. Andererseits zeigen sich hier die politischen Konsequenzen einer gemeinsamen Währung, in der die (unkontrollierte) Haushaltspolitik eines Eurostaates zu spürbaren und ggf. negativen Auswirkungen in allen anderen Eurostaaten führen kann. In Deutschland wurde gegen den F. (und den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM) vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geklagt; in einem Urteil vom 12.9.2012 hat das BVerfG die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung der Ausfertigung der dt. Gesetze abgelehnt, jedoch Vorgaben in Bezug auf die Haftungsobergrenze und die Informationspflicht gegenüber dem Bundestag formuliert, die zu beachten sind.

Literatur

  • F. Heinemann u. a.: Feigenblatt oder fiskalische Zeitenwende? Zur potenziellen Wirksamkeit des Fiskalvertrags, in: integration, H. 3/2012, S. 167-182.

  • S. Peers: The Stability Treaty: Permanent Austerity or Gesture Politics?, in: European Constitutional Law Review, H. 3/2012, S. 404-441.

  • S.Smeets/D. Beach: Political and instrumental leadership in major EU reforms. The role and influence of the EU institutions in setting-up the Fiscal Compact, in: Journal of European Public Policy, H.1/2020, S.63-81.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: M. Große Hüttmann

Siehe auch:

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