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Demografie | bpb.de

Demografie

Sebastian Kurtenbach

Begriffsbestimmung

Das Wort Demografie, als Zusammensetzung aus Demos (Volk) und Graphos (Beschreibung), bezieht sich auf die wissenschaftliche Untersuchung spezifischer reproduktionsrelevanter Merkmale geografisch und zeitlich einzugrenzender Gruppen. Das kann sowohl alle Einwohnerinnen eines Landes oder eines Stadtteils zu einem Zeitpunkt, aber auch die Entwicklung von Bevölkerungszusammensetzungen zwischen Zeitpunkten bedeuten. Damit ist Demografie die Wissenschaft der Bevölkerungsentwicklung. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind Fertilität, Migration und Alterung. Über Wissen zu demografischen Prozessen können u. a. politische Entscheidungen beeinflusst werden, wie die Einrichtung von Kindertagesstätten oder die Schaffung von Pflegeplätzen. Dadurch ruht in der Untersuchung demografischer Prozesse immer auch ein politikberatender Aspekt. Allerdings ist Demografie keine eigenständige Wissenschaft, sondern interdisziplinär angelegt. Daher versammeln sich unter dem Überbegriff „Demografie“ auch unterschiedliche Ansätze, wie die Analyse von Wanderungsmustern und -motiven, des potenziellen Partnermarktes, intergenerationaler Beziehungen, Folgen gesundheitlicher Einschränkungen für familiäre Beziehungen, dem Wohnverhalten von Paaren oder die Untersuchung von Pendelpraktiken für Partnerstabilitäten.

Methodisch wird vor allem auf statistische Daten und damit auf quantitative Analysen zurückgegriffen. Dadurch werden sowohl Zustandsbeschreibungen geliefert als auch Veränderungen in der Vergangenheit und Zukunft verdeutlicht. Auch sind internationale Vergleiche möglich. Dabei werden häufig Daten der amtlichen Statistik ausgewertet, wobei es für Einstellungen und für soziale Handlungen Befragungen bedarf, wofür dann häufig Panel-Untersuchen herangezogen werden (siehe z. B. PAIRFAM oder SOEP). Es finden sich auch qualitative oder Mehr-Methoden-Ansätze. Folgend wird ein Überblick zu den drei maßgeblichen Bereichen des Forschungszweigs gegeben.

Fertilität, Mortalität und Migration

Die Betrachtung von Geburten- und Sterbetrends zielt auf die Untersuchung der Entwicklung der Bevölkerung ohne Zu- oder Abwanderung ab. Einzeln betrachtet beschäftigt sich die Frage nach der Geburtenentwicklung vor allem mit der Entscheidung für oder gegen die Realisierung eines Kinderwunsches. Bei solchen entscheidungstheoretischen Analysen werden entweder personale Merkmale, wie z. B. Bildung, einbezogen und als Prozess theoretisch modelliert (Huinink 2016). Eine weitere Perspektive betrachtet die Rahmenbedingungen, unter denen Entscheidungen zum Kinderwunsch gefällt werden. Hier wird, auch durch politische Diskussionen begleitet, die Infrastrukturausstattung von Kommunen oder Regionen, z. B. mit Betreuungsplätzen für Kindertagesstätten, untersucht. Ergebnisse weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen der Ausstattung mit solchen und der Geburtenzahl hin (Klüsener et al. 2013). Untersuchungen zur Mortalität konzentrieren sich ebenso auf individuelle Merkmale wie dem Gesundheitsverhalten, Einkommen oder Lebensstil sowie auf Rahmenbedingungen wie der Sozialstruktur. Während im Feld der Untersuchung zu Geburten eher Schnittstellen zur Familiensoziologie und Familienpolitik bestehen, beziehen sich diese bei Mortalität eher auf gesundheitswissenschaftliche und -politische Themen.

Migration ist eine weitere Determinante der Bevölkerungsentwicklung. Dabei werden sowohl interregionale Umzugsmuster, wie zwischen Stadt und Land, als auch internationale Wanderungen beschrieben. Bei der Untersuchung von Migration werden drei Themen besonders diskutiert. Erstens Push- und Pull-Faktoren, also Gründe, wieso Menschen ihren ursprünglichen Wohnort für einen anderen aufgeben. Push-Faktoren beziehen sich dabei auf Ursachen der Abwanderung, Pull-Faktoren auf die Gründe der Zuwanderung, an dem jeweilig konkreten Ort. Zweitens die Zuwanderergruppe selbst. Hier werden beispielsweise das Alter, die Familienstruktur sowie die Bildungsabschlüsse der Migrierenden betrachtet. Drittens die Folgen der Zu- oder Abwanderung für die verlassenen oder aufnehmenden Städte oder Länder. Dazu gehört beispielsweise ein erhöhter Druck auf dem Wohnungsmarkt in Großstädten mit Zuwanderungsgewinnen einerseits und fallenden Immobilienpreise in verlassenen ländlichen Regionen andererseits (Bertelsmann Stiftung 2013).

Zwischen der natürlichen Bevölkerungsentwicklung (Geburten und Sterbefälle) und Wanderungsbewegungen (Zu- und Fortzüge) bestehen Verknüpfungen, welche sich insbesondere bei Untersuchungen zum Wandel der demografischen Strukturen eines Landes, einer Region, Stadt oder eines Stadtteils zeigen (Strohmeier et al. 2007). Aus dem Zusammenspiel der demografischen Merkmale wie Medianalter oder Anzahl der Geburten pro Frau, der Bestandbevölkerung sowie der mobilen Bevölkerungsgruppen, kann die zukünftige demografische Struktur, mitsamt der jeweiligen Herausforderungen, in der jeweils betrachteten räumlichen Einheit besser beurteilt werden. In Deutschland ist eine Überalterung der Bevölkerung festzustellen, obwohl die Bundesrepublik in den letzten Jahren Zuwanderungsgewinne verzeichnet.

Räumliche Untersuchung von Demografie

Der demografische Wandel in Deutschland fällt regional sehr unterschiedlich aus, was auch die politische Reaktion auf ihn erschwert. Beispielsweise ist in einer Kommune das Angebot von Pflegeplätzen zu gering, während in einer anderen Tagespflegeplätze für unter 3-Jährige fehlen. Auch wird der demografische Wandel als Querschnittsaufgabe gesehen, weil er unterschiedliche Politikbereiche wie Familien-, Gesundheits- aber auch Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik gleichzeitig berührt. In Deutschland gibt es mehrere Muster räumlicher demografischer Differenzierung:

  • Ost-West Unterschiede: Die Alterung der Gesellschaft ist in den neuen Ländern bereits wesentlich stärker vorangeschritten als in den alten Ländern. Gründe hierfür sind die niedrigen Geburtenzahlen nach der politischen Wende 1989, die verstärkte Abwanderung junger Menschen sowie heute das Fehlen von Frauen im gebärfähigen Alter.

  • Stadt-Land Unterschiede: Die Großstädte, mitsamt ihren Vororten, gewinnen seit mehreren Jahren kontinuierlich an Bevölkerung durch Zuzüge aus den ländlicher geprägten Regionen. Sowie aus dem Ausland Gründe liegen an den besseren Bildungschancen für Jüngere sowie höheren Erwerbschancen in neuen Wirtschaftszweigen, wie Unternehmen der Digitalwirtschaft.

  • Industrielle Prägung oder Dienstleistungsorientierung: Während beispielsweise in NRW die Ruhrgebietsstädte, trotz zahlreicher Hochschulen, kontinuierlich an Bevölkerung verlieren bzw. altern, sind die Städte der Rheinschiene, wie Köln oder Düsseldorf eher prosperierend. Hier ist vor allem die Wirtschaftsstruktur zu nennen, die sich im Ruhrgebiet immer noch in einer Transformation von einer Industrie- hin zu einer Dienstleistungsprägung befindet.

Demnach muss eine demografiesensible Politik die räumlichen Unterschiede zwischen, aber auch innerhalb von Kommunen berücksichtigen. Das bedeutet, dass sowohl die Situation vor Ort, mitsamt der abzuleitenden Prognosen, berücksichtigt werden muss als auch die Wünsche der Bevölkerung, beispielsweise in der Ausstattung mit Plätzen zur Kinderbetreuung oder Angeboten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Aus dieser Perspektive sind raum- und gruppenbezogene demografische Analysen für politische Steuerung unerlässlich.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Sebastian Kurtenbach

Fussnoten