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Parlamentswahl in der Ukraine | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in der Ukraine

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Am Sonntag (28. Oktober) hat die Ukraine für die kommenden fünf Jahre ein neues Parlament gewählt, die Werchowna Rada. Nach ersten Ergebnissen liegt die Regierungskoalition von Präsident Viktor Janukowitsch klar in Führung. Die Parlamentswahl galt als Test für den Stand des Demokratisierungsprozesses der Ex-Sowjetrepublik. Mit besonderem Interesse beobachtete auch die EU die Abstimmung.

Anhänger der Opposition – unter ihnen der Literat Dmytro Pavlychko – fordern am 8. Septeber 2012 in Kiew die Freilassung von Julia Timoschenko und das Ende der Angriffe auf den unabhängigen TV-Sender TVi. (© picture-alliance/AP)

Nach Auswertung von 20 Prozent der Wahlzettel bestätigen sich die Prognosen: die Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch kann vermutlich weiter mit den Kommunisten regieren. Sie kommt demnach auf rund 38 Prozent der Stimmen, die verbündeten Kommunisten auf fast 16 Prozent. Allerdings schafft die Opposition einen Achtungserfolg. So kommt die Partei von Julia Timoschenko mit fast 21 Prozent auf Platz zwei, die von Box-Weltmeister Vitali Klitschko schafft erstmals den Einzug in das ukrainische Parlament und kommt auf etwa 12 Prozent der Stimmen. Auch die rechtsradikale Swoboda sitzt mit 7 Prozent der Stimmen erstmals im Parlament. Die Partei ist Mitglied der "Europäischen Allianz nationaler Bewegungen", der so umstrittene Parteien wie der französische Front National oder die British National Party angehören.

Insgesamt werden 450 Abgeordnete in das neue Parlament in Kiew einziehen. Im November 2011 hatte das Parlament ein neues Wahlgesetz verabschiedet, wonach die Parlamentswahlen nach einem gemischten System abgehalten werden. Die Hälfte der 450 Abgeordneten wird über Parteilisten auf der Basis des Verhältniswahlrechts mit einer Fünf-Prozent-Hürde gewählt. Die andere Hälfte wird nach dem Mehrheitswahlrecht in 225 Direktwahlkreisen ermittelt.

Die wichtigsten Parteien

Insgesamt stellten sich 22 Parteien mit mehr als 2.600 Bewerbern über die Parteilisten zur Wahl. Darüber hinaus bewarben sich rund 3.100 Kandidaten um die Direktmandate.

Die Partei der Regionen
Die Partei der Regionen (PR) stellt derzeit mit Wiktor Janukowitsch und Mykola Asarow sowohl den Präsidenten als auch den Premierminister des Landes. Außenpolitisch tritt die vorwiegend im russischsprachigen Osten des Landes erfolgreiche Partei ambivalent auf. Sie spricht sich sowohl für eine Freihandelszone mit und Reisefreiheit in der EU als auch für enge politische Bindungen zum Kreml aus. Acht Jahre nach der "Orangenen Revolution" bezeichnen Beobachter die Ukraine unter Janukowitsch als gelenkte Demokratie nach russischem Vorbild.

Batkiwschtschyna
Unter dem Dach der von Julia Timoschenko gegründeten Partei Batkiwschtschyna (Vaterland) trat die sogenannte "Vereinigte Opposition" zur Wahl an. Sieben Parteien hatten sich im Vorfeld der Wahl zu diesem Parteienbündnis zusammengeschlossen. Das Bündnis hatte zunächst die ehemalige Ministerpräsidentin Timoschenko demonstrativ als Spitzenkandidatin aufgestellt, sie durfte jedoch als Gefängnisinsassin nicht für das Parlament kandidieren. In einem höchst umstrittenen Prozess war sie wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Deshalb führte Arsenij Jazenjuk, Vorsitzender der Partei Front Smin (Front der Veränderung), das Bündnis an. Die hauptsächlich im pro-europäischen Westen des Landes verankerte "Vereinigte Opposition" strebt eine schnelle Ratifizierung des EU-Assoziierungsabkommens an.

Die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen
Die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen (UDAR) ist eine relativ neue Partei. 2010 wurde sie von Vitali Klitschko gegründet. Die Partei des auch in Deutschland bekannten Boxweltmeisters hatte im Vorfeld der Parlamentswahlen entschieden, sich nicht der "Vereinigten Opposition" anzuschließen. Außenpolitisch strebt sie langfristig eine Mitgliedschaft in der EU an. Innenpolitisch konzentriert sich die Partei auf Bürokratieabbau, Korruptionsbekämpfung und demokratische Reformen.

Die Ukraine nach der "Orangenen Revolution"

Julia Timoschenko hatte 2004 zusammen mit Viktor Juschtschenko die sogenannte "Orangene Revolution" angeführt, die den aktuellen Präsidenten Janukowitsch als Premierminister zum Rücktritt zwang und wesentlich zur Stärkung demokratischer Strukturen in der Ukraine beitrug. Viktor Janukowitsch hatte damals nach offiziellen Ergebnissen die Präsidentschaftswahl gewonnen. Nach wochenlangen Protesten und Wahlfälschungsvorwürfen wurde die Wahl jedoch annulliert –- Viktor Juschtschenko ging als Sieger aus der Neuwahl hervor. Gemeinsam wollten Timoschenko und Juschtschenko das Land für den Westen öffnen und einen Beitritt zu NATO und EU vorantreiben – doch seit der Revolution haben sie sich zerstritten. Der Machtkampf zwischen den einstigen Verbündeten verhinderte jahrelang wichtige politische Reformen.

Beziehungen zur EU

Im Zuge der "Orangenen Revolution" hatte die EU 2008 begonnen, ein umfassendes Freihandels- und Assoziierungsabkommen (DCFTA) mit der Ukraine auszuhandeln. Nach der Wahl von Viktor Janukowitsch zum ukrainischen Präsidenten Anfang 2010 kam es jedoch zu einer Verfolgung führender Köpfe der Opposition, die in der Verhaftung und Verurteilung Julia Timoschenkos im Oktober 2011 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Auch die Einschränkung der Arbeit unabhängiger Medien und NGOs, Korruption, die besorgniserregende Menschenrechtslage sowie die fehlende Unabhängigkeit des Justizapparats haben dafür gesorgt, dass die EU das Assoziierungsabkommen vorläufig auf Eis gelegt hat.

Wahlen unter Beobachtung

Die Wahlen am Sonntag standen im Fokus zahlreicher offizieller ausländischer Beobachter – insbesondere der EU. Das Urteil über die Gesetzmäßigkeit und die Transparenz des Wahlprozesses könnte großen Einfluss auf das zukünftige Verhältnis der Ukraine zur EU haben. So haben mehrere tausend ausländische Beobachter von Europarat, OSZE, NATO, dem EU-Parlament und verschiedenen Einzelstaaten in die Ukraine entsendet, um die Parlamentswahl zu überwachen.

Auch die Regierung in Kiew schien sehr interessiert, keinen Zweifel am korrekten Ablauf des Urnengangs aufkommen zu lassen: Aufwendig ließ sie in mehr als 30.000 Wahllokalen Webkameras einbauen – "um Fälschungen zu verhindern", wie die Wahlkommission im Vorfeld betonte.

Der Blick richtet sich nun auf das mit Spannung erwartete Urteil der internationalen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die am Montag (29. Oktober) über den Verlauf der Wahlen berichten sollen.

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