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Die Erblast des Euro – eine kurze Geschichte der Europäischen Währungsunion | Europa und der Euro | bpb.de

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Die Erblast des Euro – eine kurze Geschichte der Europäischen Währungsunion

Werner Abelshauser

/ 18 Minuten zu lesen

Die Finanzmarktkrise hat auch die Euro-Zone tief erschüttert. Die historische Perspektive schärft den Blick für eine problematische politische Ökonomie des Euro – relativiert aber auch die denkbare Fallhöhe.

Einleitung

Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland." Mit diesen Worten verteidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 10. Mai 2010 in den Abendnachrichten ihre Zustimmung zu dem "Rettungsschirm" der Europäischen Union (EU), der mit einem Fonds von 440 Milliarden Euro der internationalen Spekulation gegen die finanzielle Stabilität der südeuropäischen Mitgliedsländer ("Olivengürtel") Einhalt gebieten soll. Und um keinen Zweifel am Ziel des hastig für den 7. Mai 2010 in Brüssel zusammengerufenen Gipfeltreffens der europäischen Staats- und Regierungschefs aufkommen zu lassen, fügte sie hinzu, das "beispiellose Paket" diene dem Schutz und der Stärkung der gemeinsamen Währung. Merkel wollte offenbar den Eindruck vermeiden, es gehe bei der dramatischen Aktion am Vorabend von Wahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland erneut um die unpopuläre Rettung von Banken.

In Wirklichkeit stand aber gerade diese auf der europäischen Agenda, und anders als im deutschen Herbst 2008 war die Bundesregierung dazu auf europäischer Ebene nicht legitimiert. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU erlaubt Hilfen für andere Mitglieder des Euro-Raumes nur als Reaktion auf Naturkatastrophen oder "außergewöhnliche Ereignisse", die sich der Kontrolle des verschuldeten Staates entziehen. Offenkundig ging es bei den dramatischen währungspolitischen Manövern der EU-Staaten aber nicht um die Stützung des Euro-Kurses, der mitten in der Weltwirtschaftskrise eher den Wettbewerbern Sorgen machen musste. Hinter der finanziellen Generalmobilmachung stand vielmehr die Angst der Euro-Länder vor dem Zusammenbruch ihres Währungsraumes. Eine direkte Intervention, um die 1992 in Maastricht vereinbarte finanzpolitische Disziplin gegen den Souveränitätsanspruch der betroffenen Mitgliedstaaten durchzusetzen oder wenigstens deren Zahlungsfähigkeit zu sichern, wird freilich durch die Verträge nicht gedeckt. Der 1997 im "Stabilitätspakt" von Amsterdam vereinbarte Sanktionsmechanismus lässt sich im Ernstfall nicht nutzen, weil er gegen souveräne Staaten nicht durchsetzbar ist. Daher das Ablenkungsmanöver, das den Besonderheiten der in der Öffentlichkeit wenig bekannten politischen Ökonomie der europäischen Integration geschuldet ist.

Aber auch der zweite institutionelle Pfeiler der Europäischen Währungsunion wankt. Die von der Finanzmarktkrise erzwungene Rückkehr zu keynesianischen Krisenstrategien steht der Konvergenz nationaler Stile der Wirtschaftspolitik ebenso im Wege wie der Annäherung der Finanzierungsregeln von Staatsausgaben, der Struktur der nationalen Finanzmärkte oder der Arbeitsmarktpolitik. Der Primat keynesianischer Arbeitsmarktstrategien hatte in den 1970er und 1980er Jahren verhindert, dass sich das Europäische Währungssystem (EWS) zu einer Währungsunion mauserte. Seine Mitglieder traten in das EWS ein und verließen es wieder, wie es ihnen konjunkturpolitisch geboten schien. Nachdem dieser währungspolitische Ausweg mit der Einführung der Gemeinschaftswährung versperrt ist, müssen sich die Fliehkräfte des europäischen Binnenmarktes andere Wege suchen - nach 2008 unter denselben Rahmenbedingungen, die vor 1996 die Umsetzung des Ziels einer einheitlichen europäischen Währung verhindert haben. Auch aus dieser Perspektive lohnt es sich, die (Vor-)Geschichte der Europäischen Währungsunion zu kennen, um mögliche Erblasten des Euro zu identifizieren.

Und last but not least gibt es noch einen weiteren Grund zurückzublicken. Parallel zu der Bereitstellung des Rettungspakets ist die Europäische Zentralbank (EZB) dazu übergegangen, den europäischen Geschäftsbanken marode Staatspapiere der "PIGS-Länder" abzukaufen und diese Intervention über die Notenpresse zu finanzieren. Indem sie die Banken entlastet, will sie die Voraussetzung schaffen, zahlungsunfähige Mitglieder der Euro-Zone im Sinne einer geordneten Insolvenz umzuschulden, ohne die Gläubigerbanken mit in den Abgrund zu ziehen. So notwendig diese weitere Maßnahme zur Bankenrettung auch sein mag, setzt sie doch den in zehn Jahren mühsam errungenen Ruf der währungspolitischen Unabhängigkeit aufs Spiel. Bisher schien es so, als könnte die EZB das stabilitätspolitische Erbe ihres Frankfurter role models (der Deutschen Bundesbank) antreten und so für die Kontinuität deutscher "Stabilitätskultur" in Europa sorgen. Nun droht die zweite Entmachtung der Bundesbank. Die Konsequenzen könnten weit über die Währungspolitik hinausreichen. Mit der Krise schwindet das Vertrauen, die Währungsunion werde den Prozess der europäischen Integration geradezu zwangsläufig voranbringen.

Vergebliche Anläufe

Eine gemeinsame Währungspolitik zählte von Anfang an ausdrücklich zu den Zielen der 1957 durch die Römischen Verträge ins Leben gerufenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Walter Hallstein, der erste Kommissionspräsident, ergriff schon 1962 die Initiative für eine dreistufige Währungsunion, die jedoch scheiterte. Stattdessen übernahm die Deutsche Bundesbank allmählich die Rolle eines zentralen währungspolitischen Akteurs in Europa, dessen Entscheidungen sich andere Zentralbanken - nicht immer freiwillig - von Fall zu Fall anschlossen. Dem entsprach die Entwicklung der D-Mark zu einer Ankerwährung der Gemeinschaft. Auf den internationalen Devisenmärkten wuchsen gleichzeitig die Turbulenzen, weil die USA die Privilegien, die seit der Konferenz von Bretton Woods (1944) mit dem US-Dollar als Leitwährung der westlichen Welt verbunden waren, zur Finanzierung des Vietnamkrieges missbrauchten. Die Europäer sahen sich deshalb 1970 zum Handeln gezwungen und beschlossen die stufenweise Einführung einer Wirtschafts- und Währungsunion bis 1980 (Werner-Plan).

Es war aber schon bald abzusehen, dass die hochgesteckten Ziele einer politischen Union, die der Luxemburger Ministerpräsident Pierre Werner in der dritten Stufe erreichen wollte, nicht realistisch waren. Sie sah nicht nur ein europäisches Zentralbanksystem vor, sondern auch ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Entscheidungsgremium, das dem Europäischen Parlament verantwortlich sein sollte. Während die deutsche Seite dies für unverzichtbar hielt, war Frankreich nicht bereit, den EWG-Vertrag in diese Richtung zu erweitern. Als Kompromiss einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, zunächst nur die erste Stufe zu realisieren. Damit reduzierte sich der Plan auf die Durchsetzung geringerer Schwankungsbreiten der europäischen Wechselkurse und auf gegenseitige Kredithilfen, die im Falle von Währungsspekulationen gegen einzelne Währungen der Gemeinschaft in Anspruch genommen werden konnten. Schließlich wurden 1973 zur Stabilisierung der innereuropäischen Handelsbeziehungen feste Wechselkurse vereinbart, die sich nur innerhalb geringer Bandbreiten bewegen durften, während der Kurs der europäischen Währungen zum US-Dollar frei schwankte. Dieser Regelung schlossen sich auch die designierten neuen Mitglieder Dänemark, Großbritannien und Irland an. Damit hatten die Europäer einen ersten wichtigen Schritt zur währungspolitischen Emanzipation von den Vereinigten Staaten gemacht.

Die Funktionsfähigkeit dieses Europäischen Wechselkursverbundes war freilich auf einen Grundkonsens über monetäre Disziplin angewiesen, der in den 1970er Jahren fehlte. Noch immer beharrten die meisten Staaten auf der keynesianischen Vorstellung, Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit nicht zuletzt mit Instrumenten der Geld- und Währungspolitik zu bekämpfen. Vor die Wahl gestellt, die Wechselkursstabilität auf Kosten der konjunkturpolitischen Handlungsfähigkeit des Nationalstaates zu verteidigen oder im großen Stil Beschäftigungspolitik zu treiben, entschieden sich die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) für die Autonomie ihrer nationalen Wirtschaftspolitik. Steigende Arbeitslosigkeit während der Ölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre verstärkte diese Neigung noch.

Infolgedessen ging es unter dem Dach des Wechselkursverbundes bald zu wie in einem Taubenschlag. Frankreich verließ den Verbund gleich zweimal (1974 und 1976), nachdem es zwischenzeitlich wieder zurückgekehrt war. Auch Italien, Norwegen und Schweden zogen es vor, eigene Wege zu gehen. Über die zweite und dritte Stufe des Werner-Plans wollte unter diesen Bedingungen niemand mehr sprechen. Der Plan scheiterte auch am deutsch-französischen Gegensatz, der nicht zuletzt aus der führenden Rolle der Deutschen Bundesbank resultierte. Die Frankfurter Notenbank war unabhängig genug, um sich für den Vorrang der inneren und äußeren Währungsstabilität zu entscheiden - oft genug gegen den erklärten Willen der Bundesregierung, die aus konjunktur- und arbeitsmarktpolitischen Gründen einen expansiven Kurs bevorzugt hätte. Andere Länder wollten und mussten sich der stabilitätsorientierten Führung der Bundesbank nicht anschließen, so dass Ende 1978 der D-Mark-Block aus Westdeutschland, Dänemark und den Beneluxstaaten allein im Wechselkursverbund blieb, während die Währungen der übrigen EG-Staaten sich frei am Markt bewegten. Über die Tatsache der währungspolitischen Spaltung hinaus wuchs damit die Gefahr eines Scheiterns der Gemeinschaft.

Das Europäische Währungssystem

Bundeskanzler Helmut Schmidt (1974-1982) suchte daher nach verlässlichen Partnern, um in Europa eine Zone der Währungssicherheit zu schaffen, die den währungspolitischen Graben durch die EG überwinden sollte. Die Gründung des EWS, die 1978 auf der Bremer Ratstagung zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing verabredet wurde, war deswegen von hoher politischer Bedeutung. Schmidt war schon 1974 fest davon überzeugt, dass "die Schaffung und Anwendung gleicher ökonomischer Instrumentarien für eine Wirtschaftsunion" auf längere Sicht unerlässlich seien. Gleichzeitig zweifelte er aber an der Machbarkeit einer weitergehenden "supranationalen Koordination der ökonomischen Politiken". Theoretisch hielt er es zwar für denkbar, "dass unter Angebot sehr hoher deutscher Opfer (volle Bereitstellung und Hingabe unserer Währungsreserven, hohe finanzielle Beiträge unter Inkaufnahme von Reallohn-Einbußen in der BRD, Aufgabe des Preisstabilitätszieles) in den anderen EG-Hauptstädten neue Regierungen oder Regierungspersonen von der Notwendigkeit zum Sprung ins kalte Wasser überzeugt werden könnten". Ein Fehlschlag einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzregierung erschien Schmidt aber - wie er in einer geheimen Denkschrift festhielt - wahrscheinlicher als ihr Erfolg. Neben der wenig attraktiven gemeinsamen Agrarpolitik blieb daher nur "ein vorsichtiger, für uns nicht allzu verlustreicher Beginn einer Politik des regionalen Ausgleichs". Er machte sich aber nichts vor: "Agrarpolitik und Regionalpolitik dienen dabei in Wahrheit viel weniger der Strukturanpassung zwischen Mezzogiorno oder Schottland und Ruhr-Rhein-Main-Gebiet oder Paris; sie sind vielmehr Verkleidung eines horizontalen Finanzausgleichs."

Schmidt sprach damit eine Methode an, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Integration zieht. Supranationale Wegmarken wurden verdeckt gesetzt und der Souverän, also das "Volk" in den Mitgliedstaaten, bis auf wenige Ausnahmen nicht in die Entscheidungen einbezogen. Der alte Wechselkursverbund blieb unter dem Namen Wechselkursmechanismus in wesentlichen Teilen auch im EWS bestehen. Allein bis 1983 kam es darin zu sieben Leitkursanpassungsrunden mit 21 Auf- und Abwertungen beteiligter Währungen, darunter vier Aufwertungen der D-Mark und drei Abwertungen des Französischen Franc. Allerdings einigten sich die beiden "Staatsökonomen" auf die Einführung der neuen europäischen Währungseinheit "European Currency Unit" (ECU). Sie diente als Bezugsgröße bei der Berechnung der Währungsrelationen, fungierte als Rechnungseinheit in einem neu geschaffenen Kreditmechanismus zwischen den Staaten und sollte nicht zuletzt die D-Mark wenigstens auf der symbolischen Ebene der Politik ersetzen. In die virtuelle Korbwährung ECU ging allerdings die D-Mark doch zu 30 Prozent ein, während der Franc mit 20 Prozent und das britische Pfund mit 12 Prozent die nächsten Plätze belegten. Um zu Kurs stützenden Interventionen fähig zu werden, brachten alle Mitgliedstaaten zunächst 20 Prozent ihrer Gold- und Devisenreserven in einen Fonds ein, der alle zwei Jahre in der selben Größenordnung aus den nationalen Reserven weiter gefüllt werden sollte. Danach wäre das EWS bis 1989 vollendet gewesen.

Die monetaristische Wende

Der Erfolg des EWS hing vor allem davon ab, ob die Nationalstaaten bereit waren, geld- und währungspolitische Souveränität abzugeben. Dies setzte ein grundlegendes Umdenken voraus. Den ersten Anstoß dazu gab der 1981 ins Amt gekommene amerikanische Präsident Ronald Reagan, der im selben Jahr auf dem Weltwirtschaftsgipfel der G7 in Ottawa die Parole ausgab, "dass traditionelle keynesianische Rezepte nicht weiterhelfen". Die Vereinigten Staaten folgten nunmehr konsequent der Geldlehre Milton Friedmans, die in einer stabilen und langfristig kalkulierbaren Entwicklung der Geldmenge die Grundvoraussetzung für stetiges wirtschaftliches Wachstum sah. Dies bedeutete die Abkehr von interventionistischen Praktiken an den Devisenmärkten. Als Frankreich 1983 ebenfalls vom Keynesianismus abrückte und sich dem stabilitätsorientierten Kurs der Bundesbank anschloss, zog dies auch andere Mitglieder des EWS mit. Bis 1987 gab es "nur" noch fünf Leitkursanpassungen mit 15 neuen nationalen Wechselkursen und damit eine gewisse Konsolidierung des Systems. Danach trat das EWS in eine entscheidende Phase, in der Leitkursanpassungen kaum noch notwendig wurden und - wenn überhaupt - lediglich für das System weniger wichtige klassische südeuropäische Weichwährungen betrafen. 1990 trat auch Großbritannien dem EWS bei. Optimismus machte sich breit, ließ Insider von einem "system of frozen parities" sprechen und weckte im Publikum die Illusion einer de facto bereits bestehenden Währungsunion.

Tatsächlich war der Einsatz der nationalen Geld- und Währungspolitik zur Überwindung von Konjunktur- und Arbeitsmarktproblemen in den meisten Mitgliedstaaten seit Jahren aus der Mode gekommen. Die monetaristische Theorie Friedmans hatte sich durchgesetzt. Sie etablierte auch dort, wo Geldwertstabilität bis dahin nicht im Rang eines wirtschaftspolitischen Leitziels gestanden hatte, neue Spielregeln der Geldpolitik. Begünstigt wurde dieser Ausbruch neuer Denkweisen aus dem Elfenbeinturm der Wirtschaftswissenschaft in die Welt der Banken und der Politik durch das Versagen der vertrauten keynesianischen Rezepte. In der "kleinen Weltwirtschaftskrise" der 1970er Jahre blieben kreditfinanzierte staatliche Ausgabenstöße in den Wirtschaftskreislauf auf dem Arbeitsmarkt nicht nur weitgehend wirkungslos, sondern verringerten über ihre Verschuldungswirkung auch dramatisch den Handlungsspielraum nationaler Wirtschaftspolitik. In dem Maße, wie die Globalsteuerung der Nachfrage versagte, wurden Interventionen in den Wirtschaftskreislauf obsolet und durch Planung und Kontrolle der Geldversorgung ersetzt.

Eine neue Institution war geboren, neue Spielregeln durchgesetzt und damit erstmals realistische Grundlagen geschaffen, um einen Erfolg versprechenden Plan einer europäischen Währungsunion zu verfolgen. Insoweit verdankt der Euro seinen Aufstieg zur westeuropäischen Gemeinschaftswährung der kollektiven Abkehr von den Prinzipien keynesianischer Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik.

Die Europäische Währungsunion

Vor diesem Hintergrund rückte die Europäische Währungsunion schon lange vor Maastricht, wo Ende 1991 ihre Bedingungen formuliert wurden, auf einen der vordersten Plätze der europäischen Agenda. Sie gehörte zu den zentralen Forderungen der "Einheitlichen Akte", mit der vor allem die Bundesregierung 1987 den ins Stocken geratenen Zug der europäischen Integration wieder anschieben wollte. Allerdings waren gerade auf deutscher Seite die Konsequenzen einer Währungsunion noch lange nicht ausdiskutiert und insofern die Rechnung ohne den Wirt, die Bundesbank, gemacht. Wie auch schon bei früheren Schritten in die europäische Integration entwickelte das Thema seine Eigendynamik, kamen übergeordnete politische Überlegungen hinzu und spielten letzten Endes auch unvorhergesehene Einflüsse, wie etwa die deutsche Vereinigung, eine entscheidende Rolle.

Der Vertrag von Maastricht ging im Ergebnis weit über die Forderung nach der Vollendung des Binnenmarktes hinaus. Er öffnete die EU dem globalen Wettbewerb, indem er den Mitgliedstaaten auferlegte, den Kapitalverkehr auch gegenüber Drittstaaten zu liberalisieren. Damit kehrte der Kapitalmarkt in Europa wieder zu dem Zustand zurück, der schon bis 1914 gegolten hatte, als Europa der Kern einer offenen, multilateralen und dynamischen Weltwirtschaft gewesen war. Der Vertrag war dazu gemacht, die letzten Hindernisse zu beseitigen, die der Fortsetzung der Globalisierung der Märkte noch im Wege standen. Er riss aber auch den letzten Damm ein, der die uneingeschränkte und unkontrollierte Herrschaft des globalen Finanzmarktkapitalismus noch verhindern konnte. Damit gab die EU eine Bastion auf, die zum Zeitpunkt der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gerade für die Bundesregierung wichtig gewesen war, um der eigenen Weltmarktorientierung eine sichere Basis zu geben - und eine Fluchtburg im Falle einer Weltwirtschaftskrise. In Maastricht mauserte sich die Union von einer Schutzgemeinschaft nationaler Volkswirtschaften zu einem global player, der die offene Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Wettbewerber nicht länger scheuen wollte, ohne freilich die eigenen, europäischen Interessen und Spielregeln auf dem Weltmarkt zu definieren.

Die Idee, Westeuropa eine gemeinsame Währung zu stiften, die dem US-Dollar in allen Funktionen einer Leitwährung Paroli bieten konnte, passte in diesen Rahmen. Es wäre dafür nicht zwingend notwendig gewesen, die Deutsche Bundesbank zu entmachten, die bis dahin - mit wechselndem Erfolg - auf die Einhaltung der Spielregeln für eine einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik gedrungen hatte. Paradoxerweise war es aber gerade die Chance der Rückgewinnung gesamtdeutscher Souveränität, welche die Bundesregierung geneigt machte, der französischen Forderung nach Eingliederung der Bundesbank in ein europäisches System der Zentralbanken nachzugeben. Dies lag gewiss nicht im westdeutschen Machtinteresse, dessen wichtigste Ressourcen in der führenden Rolle der Bundesbank und der D-Mark als erfolgreiche Ankerwährung lagen. Es war jedoch der Preis, den die Bundesrepublik für die französische Zustimmung zur Lösung ihrer nationalen Frage entrichten musste.

Wie schon bei der Gründung der Montanunion 1951 war es wieder der deutsche Gulliver, der seine Vormacht auf einem wichtigen Feld der europäischen Integration zur Disposition stellte - diesmal, um sich in Mehrheitsentscheidungen der Zwerge von Frankfurt einbinden zu lassen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die großen wissenschaftlichen Kontroversen, die das Zustandekommen der Europäischen Währungsunion begleitet haben, für die politische Entscheidung kaum eine Rolle spielten. Schlechte Erfahrungen mit früheren europäischen Währungszusammenschlüssen wurden nicht aufgearbeitet. Fragen, ob die Euro-Zone ein "optimaler Währungsraum" sein oder der Währungsunion zwingend eine politische Union vorausgehen müsste, blieben offen. Die EU-Konvergenzkriterien von Maastricht und der "Stabilitätspakt" von Amsterdam sollten das Fehlen eines einheitlichen politischen Steuerungswillens wenigstens teilweise kompensieren. Die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Konvergenz des Währungsraums ruhte im Wesentlichen auf dem monetaristischen Konsens in der Geld- und Konjunkturpolitik, der - wie es schien - das keynesianische Politikmuster dauerhaft abgelöst hatte.

Der Vertrag von Maastricht sah in seiner dritten Stufe - spätestens 1999 - die "unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung einer einheitlichen Währung" vor. Voraussetzung dafür war die Einhaltung der in Maastricht eingeführten Verpflichtung zur Haushaltssolidität, die sich - auch über die Einführung des Euro hinaus - vor allem an zwei Kriterien orientierte. Das laufende Defizit aller öffentlichen Haushalte eines Landes darf grundsätzlich nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen und die öffentliche Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent des BIP hinausgehen. Weitere Konvergenzbedingungen sehen für Beitrittskandidaten zur Währungsunion Inflationsraten (langfristige Zinssätze) vor, die nicht mehr als 1,5 (2,0) Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei stabilsten Länder liegen dürfen. Darüber hinaus sollten mindestens zwei Jahre lang vor der Einführung der Gemeinschaftswährung keine Spannungen im Wechselkursmechanismus des EWS auftreten. Nachdem diese Bedingungen weitgehend erfüllt waren, entschied der Europäische Rat 1996 mit qualifizierter Mehrheit die "automatische" Einführung der Gemeinschaftswährung Euro zum 1. Januar 1999, um sie ab Mitte 2002 zum alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel in der "Euro-Zone" auszurufen.

Da das Deutsche Grundgesetz eine Volksabstimmung über den Vertrag nicht zulässt, musste das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit der Aufgabe der Währungssouveränität entscheiden. Die Karlsruher Richter hielten den Transfer von Rechten auf ein Gremium der Vertragsstaaten zwar für zulässig und gaben damit den Weg für die Vertragsratifizierung frei. In ihrem Grundsatzurteil zogen sie aber auch die Grenzen der Wirksamkeit des Vertrages und betonten die Prärogative des Grundgesetzes (und des Bundesverfassungsgerichts) vor dem europäischen Recht. Vor allem aber pochten sie auf die Auflösbarkeit des Vertrages von Maastricht, falls seine Regeln grundlegend verletzt würden. Weit über währungspolitische Fragen hinaus baute das höchste deutsche Gericht damit hohe Schranken vor dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einem supranationalen europäischen Bundesstaat auf.

Vertragsgemeinschaft souveräner Staaten

Von Anfang an haben es die Teilnehmer am europäischen Einigungsprozess versäumt, ihr Verhältnis zum europäischen Souverän zu klären. Der supranationale Status der Montanunion war auf der strukturellen Diskriminierung des deutschen Partners gegründet, der allein nennenswerte Souveränität aufgeben musste. Als ein neuer Anlauf 1957 zum Abschluss der Römischen Verträge führte, waren die beteiligten Regierungen nicht mehr bereit, nationale Souveränitätsrechte nach dem Muster der Montanunion einer supranationalen Behörde zu übertragen. Zur Debatte stand jetzt nur noch eine Vertragsgemeinschaft souveräner Staaten, die - wie das Bundesverfassungsgericht richtig erkannte - fest entschlossen waren, "dauerhaft die Herren der Verträge" zu bleiben. Die Hoffnung auf die Überwindung der "Nationalstaaterei" gründete sich umso mehr auf die funktionalistische Theorie der Integration. Unter ihrer Geltung wurden das Vertrauen auf die Zwangsläufigkeit wirtschaftlich-technokratischer Integrationsprozesse und die integrative Logik der Märkte zur politischen Lebenslüge der Gemeinschaft.

Auch der Vertrag von Maastricht hat die Grenze zu supranationalen Herrschaftsstrukturen in der EU nicht überschritten, wohl aber auf zentralen Politikfeldern perspektivisch überdehnt. Gerade dort wird jetzt der Inspektionseffekt der weltweiten Wirtschaftskrise am deutlichsten sichtbar. Die Währungsunion lebte bis dahin recht gut vom Vertrauen auf die Zwangsläufigkeit marktgesetzlicher Integrationsprozesse, das als ideologisches Schmiermittel den Prozess der europäischen Einigung von Anfang an begleitet und erleichtert hat. Die EU vermied, wo immer es möglich war, die Konfrontation mit dem Souverän und verschaffte so den Mitgliedstaaten größere Handlungsfreiheit, als sie demokratisch legitimiert war. Diesem Prinzip verdankt auch die Europäische Währungsunion ihre Existenz. Jetzt, da in der Krise Verwerfungen des Euro-Währungsraumes sichtbar werden, die Entscheidungen unumgänglich machen, verbieten sich weitere Ausweichmanöver.

Epilog

Als die europäischen Staats- und Regierungschefs am 7. Mai 2010 ihr "Rettungspaket" für die überschuldeten Länder im Süden der Euro-Zone schnürten, schienen sie von der Entwicklung überrascht. Glaubwürdig ist dies nicht, war doch die Problematik längst bekannt und wurde im kleinen Kreis der Banker und Finanzpolitiker offen diskutiert. So trafen sich die wichtigsten deutschen Anleger "under the auspices of the German Finance Ministry" schon ein Jahr zuvor im Berliner Hotel Adlon, um das Risiko auszuloten. Man war sich rasch einig: Gerade weil Staatsbankrotte drohten, sei die Anlage in gefährdete Staatspapiere hoch rentabel, könne man sich doch auf ein bail out der EU - also ein Einspringen der Staatengemeinschaft - verlassen. Sollte der Kapitalmarkt die politische Ökonomie der europäischen Integration besser verstanden haben als die Politik?

Der Blick in die Geschichte der Europäischen Währungsunion macht zwei Erblasten in der politischen Ökonomie des Euro deutlich. Solange die EU ihr Verhältnis zum europäischen Souverän nicht geklärt hat, fehlt es auch der Währungsunion im Ernstfall an Handlungsautonomie. Der horizontale Finanzausgleich zwischen den wirtschaftlich starken und schwachen Ländern ist dafür ein wichtiges Beispiel. Der Einstieg in eine "Transferunion" stand schon in den 1970er Jahren im Hintergrund aller Entscheidungen, ohne dass das Problem offen angesprochen wurde. Möglicherweise ist der günstigste Zeitpunkt verpasst worden. Jedenfalls erscheint heute die Zustimmung des europäischen Souveräns unwahrscheinlich. Hier liegt aus historischer Perspektive die schwerste Hypothek europäischer Währungspolitik.

Die zweite gegenwärtige Herausforderung - die Rückkehr des Keynesianismus - mag leichter zu bestehen sein. Der hohe Preis, den staatliche Handlungsfähigkeit als Folge des deficit spending zu entrichten hat, dürfte die Einsicht fördern, dass keynesianische Finanzpolitik zwar als ultima ratio zur Abwehr eines wirtschaftlichen Kreislaufzusammenbruchs unverzichtbar ist, nicht aber als alltägliches Mittel der Konjunkturpolitik. Langfristig gesehen könnte diese Erkenntnis die Stabilität des europäischen Währungsraumes sogar stärken.

Sollte die Euro-Zone aber auseinanderbrechen, wäre - wie der Blick in die europäische Währungsgeschichte zeigt - kein Rückfall in die währungspolitische Steinzeit zu befürchten. Es würde nicht viel länger dauern als ein Wochenende, bis die nationalen Währungen wieder eingeführt wären. Ein Währungssystem fester Wechselkurse wie in den 1990er Jahren würde den meisten Anforderungen der europäischen Wirtschaft durchaus genügen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den Vorgängen auf dem Gipfeltreffen siehe Peter Ludlow, In the Last Resort. The European Council and the Euro Crisis, Spring 2010, Eurocomment Briefing Note, (2010) 7-8.

  2. Am 5. Oktober 2008 hatte sie schon einmal als "Retterin des Sparbuchs" auftreten müssen, als sie öffentlich versprach: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." Mit diesem massiven Investment immateriellen staatlichen Kapitals reagierte sie auf unübersehbare Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden bank run, also die Gefahr, dass zahlreiche Bankkunden aus Sorge vor einem Crash ihr Geld gleichzeitig abheben. Vgl. Dyrk Scherff, "Wir waren sehr nah am Abgrund", in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28. Juni 2009, S. 39.

  3. Vgl. Artikel 122 (2) und 125 der Konsolidierten Fassung des Vertrags, Amtsblatt der EU Nr. C83 vom 30.3.2010, S. 57f.

  4. Vgl. Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt, Amtsblatt der EU Nr. C 236 vom 2.8.1997.

  5. Das despektierliche Akronym meint die Länder Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Ursprünglich diente es als Kampfbegriff angelsächsischer Spekulanten, um die finanzielle Reputation dieser Länder zu erschüttern.

  6. Vgl. Report to the Council and the Commission on the Realization by Stages of Economic and Monetary Union in the Community (Werner-Report), in: Bulletin of the European Communities, Supplement II, Luxembourg, October 1970.

  7. Exposee zur aktuellen ökonomischen Problematik unter dem Gesichtspunkt ihrer außenwirtschaftlichen Bedingtheiten, 15. April 1974 (amtlich geheimgehalten), Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), Depositum Matthöfer (DM) 014.

  8. Vgl. Deutsche Bundesbank, Internationale Organisationen und Gremien im Bereich von Währung und Wirtschaft (Sonderdrucke der Deutschen Bundesbank 3), Frankfurt/M. 19975, S. 120f.

  9. Vermerk über das Gespräch des Bundeskanzlers mit Präsident Reagan am 19. Juli 1981 in Montebello, Montebello, den 20. Juli 1981, AdsD, DM 031.

  10. Bank for International Settlements, 63rd Annual Report, Basel 14. Juni 1993, S. 6.

  11. Vgl. John Gillingham, European Integration, 1950-2003. Superstate or New Market Economy?, Cambridge, MA 2003, Kap. 10 und 11.

  12. Vgl. Aufzeichnung für die Kabinettsitzung zum Gemeinsamen Markt, 4.10.1956, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, B 2, Bd. 155.

  13. Vgl. Werner Abelshauser, Europas Schicksal: Wirtschaft oder Politik? Die Montanunion als Lehrstück europäischer Integration (Schriften der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets 24), Bochum 2008.

  14. Vertrag über die Europäische Union, Amtsblatt der EU Nr. C 191 vom 29. Juli 1992, Art. 3a.

  15. Vgl. "Maastricht-Urteil" vom 12.10.1993, BVerfGE 89/155.

  16. Vgl. W. Abelshauser (Anm. 13).

  17. Vgl. Werner Abelshauser, It's not the economy, stupid. Die politische Ökonomie der europäischen Integration in der Krise, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, (2010) 1, S. 1-23.

  18. Euromoney, Germany Conference: Building a new financial architecture, 29./30. April 2009. Das Panel "German fixed income investors in unchartered territory: a road map" etwa war einhellig der Meinung, dass sich der Kauf maroder Staatspapiere auf jeden Fall lohne, weil im Ernstfall die EU intervenieren würde. Der vorsichtige Hinweis des Verfassers auf das no-bail-out-Gebot der Verträge löste unter den Panelisten (MEAG Munich Ergo, Lupus alpha, DWS Investments und McKinsey & Company) Heiterkeit aus.

  19. Sollte die 1961 geschaffene komplette D-Mark-Reserve tatsächlich nach 2002 vernichtet worden sein, wie die Bundesbank behauptet, bliebe immer noch der Rückgriff auf Methoden, die sich 1948 bei der Einführung der D-Mark in Berlin bewährt haben (Kupon-Mark, Bären-Mark).

Dr. phil., Dipl.-Volkswirt, geb. 1944; Forschungsprofessor für Allgemeine Geschichte (Wirtschaftsgeschichte) an der Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33501 Bielefeld. E-Mail Link: werner.abelshauser@uni-bielefeld.de