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Der kurze Brief zum langen Licht | Magazin #2019 | bpb.de

Magazin #2019 Vorwort Ein Lied als kleiner Waffenschein Pole: Der tiefe Schatten von 1989 geht zurück Der kurze Brief zum langen Licht 15. März 1989 2018 – Das Jahr, in dem wir erwachsen wurden Zone 1989 war erst der Anfang eines endlosen Kampfes um Demokratie Menschen des Wortes Die friedlichen Revolutionen Dreißig Jahre danach. Mit dem Degen. Wandtexte Europa Vor dreißig Jahren – Zeit der Freude und der Hoffnung Der kleine Trompeter Impressum

Der kurze Brief zum langen Licht

Zoltán Danyi

/ 5 Minuten zu lesen

Wenn ich mir alles recht überlege, dann kann ich sagen, dass ich eigentlich nur mit dem langen Licht ein Problem habe.

Unter langem Licht verstehe ich das Licht der Autolampen, wenn sie auf die größte Reichweite eingestellt sind, das nennen wir bei uns langes Licht, obwohl mich einmal ein Bekannter aus Ungarn auslachte, als ich ihm gegenüber etwas von langem Licht sagte.

Und er verbesserte mich, dass man das so nicht sage, das heißt Fernlicht, sagte dieser Ungar aus Ungarn, aber mir gefällt Fernlicht nicht, das bedeutet meiner Ansicht nach sowieso was anderes, Fernlicht gibt es im Stadion, wobei das laut dem Ungarn aus Ungarn Flutlicht heißt, ich jedenfalls nenne das lange Licht weiterhin langes Licht.

Für uns in der Vojvodina ist das der Name, und wenn ich etwas anderes sagte, hätte ich das Gefühl zu lügen, denn langes Licht ist etwas anderes als Fernlicht, und wenn ich das eine gegen das andere austauschte, hätte ich das Gefühl zu lügen, und was Lügen anbelangt, habe ich auch ein Problem, sowohl, wenn ich lüge, als auch, wenn ich dahinterkomme, dass man mich angelogen hat, und das wiederum bedeutet, dass ich vorhin nicht ganz die Wahrheit gesagt habe, denn ich habe nicht nur ein Problem mit dem langen Licht, sondern auch mit der Lüge, ich nenne ein Beispiel.

Dreißig Jahre lang sagte ich sehr oft Scheiße, jeder oder fast jeder Satz endete damit, andere um mich herum reden auch so, und damals dachte ich noch, ich müsste mich nach dem richten, was die anderen um mich herum machen, denn wenn ich mich nach sie richtete, zum Beispiel, indem ich sprach, wie sie sprachen, dann bliebe ich in jeder Situation Herr der Lage, was natürlich ein Irrtum war, und es brauchte viel Zeit, bis ich dahinterkam, aber als ich dahintergekommen war, fing mich die viele Scheiße, die ich sagte, zu stören an, und ich musste etwas tun, und um es nicht mehr so oft zu sagen, fing ich an, in längeren Sätzen zu sprechen, damit ich seltener Scheiße sagte, so versuchte ich mich zu disziplinieren, später fing ich an, stumm für mich zu wiederholen, sag nicht Scheiße, sag nicht Scheiße, hast du verstanden, keine Scheiße, keine Scheiße, so wollte ich mich vom krankhaften Scheiße-Sagen losmachen.

Erneut kostete es mich etwas Zeit, aber schließlich begriff ich, dass ich mit diesem Mantra ausgerechnet das wiederholte, was ich mir abgewöhnen wollte, andererseits sah ich auch ein, dass, natürlich, auch das eine Lüge war, was ich da vor mich hinsagte, was ich immerzu bei mir wiederholte, denn es gab sehr wohl eine Menge Scheiße, um mich herum sagten es alle oder fast alle immerzu, während alles voller Lüge war, aber ich fürchte, ich komme vom Thema ab, es sollte ja ursprünglich um das lange Licht gehen, und ich wollte nur soviel dazu sagen, dass die langen Lichter mir in den Augen weh tun, und ich verstehe nicht, warum man sie nicht abstellt, ich verstehe nicht, wieso die Autofahrer das lange Licht nicht abstellen können oder wollen, Tatsache ist, dass sie es seit dreißig Jahren nicht mehr abstellen können oder wollen, und wenn ich nachts irgendwo hin muss, weil ich Kurierfahrer bin, kann sein, dass ich das noch nicht erwähnt habe, ich bin also Kurierfahrer, und wenn ich nachts jemanden oder et-was holen oder bringen muss, dann tun mir die Lichter der entge-genkommenden Autos immer in den Augen weh, entweder leuchtet mir die eine oder die andere oder beide Lampen ins Auge, und es hilft nicht, wenn ich aufblende, sie sollen das lange Licht abstellen, denn wenn sie es abstellen, wird die Situation auch nicht viel besser, höchstens ein Mnü, denn auch ihr sogenanntes kurzes Licht ist nicht gut eingestellt, und wenn es vorher die linke Lampe war, die mir die Augen ausbrannte, dann wird es jetzt die rechte sein, und ich weiß nicht mehr, was ich noch tun könnte, und was besser wäre, wenn ich aufblende oder wenn ich in dieser Situation nicht aufblende, aber meistens blende ich auf, sollen sie doch auch blind werden, hol der Teufel ihre Mutter.

Diese Situation ist weder für mich gut noch für sie, weder sie sehen gut bei solchen Lichtern noch ich, weil wir nicht den Weg beleuchten, sondern nur in die Augen der anderen blinken und so können wir nicht sehen, wohin wir überhaupt fahren, und wir können nicht wissen, was uns dort, wohin wir fahren, erwartet, und natürlich sehen wir auch die Hindernisse nicht rechtzeitig, und das ist nicht mehr nur unangenehm, sondern auch gefährlich, gefährlich für uns selbst und für andere, aber da pfeifen wir drauf, wir stellen die Lampen nicht richtig ein, lieber leuchten wir uns gegenseitig ins Auge, und umsonst gibt es Regeln, denn wir pfeifen auch auf Regeln, lieber zahlen wir dem Polizisten was und brennen einander gegenseitig die Augen aus, und keiner sieht mehr etwas, und wir fluchen nur noch, beleidigen gegenseitig unsere Mütter, unsere serbischen, ungarischen oder rumäni-schen Mütter, anstatt dass wir die gottverdammten Lampen einstellen würden, denn man kann sie einstellen, jedem Autofahrer wird beigebracht, wie man die Lampen einstellen kann, und falls wir zu blöd sind und es selber nicht hinbekommen, können wir zu einem Mechaniker gehen, der es für uns tut, es kostet noch nicht mal viel, oder jedenfalls nicht soviel, wie die Polizisten zu schmieren, aber das ist uns schon alles egal, wir kümmern uns nicht darum, im Grunde bemerken wir es gar nicht, dass die Lampen falsch leuchten, wir haben uns schon so sehr daran gewöhnt, dass das so läuft, wir denken, das müsse so sein, das Ganze ist halt eine einzige Scheiße, sagen wir und brennen einander gegenseitig die Augen aus, denn wir haben vergessen, wie es ist, wenn die Dinge in Ordnung sind, und wir haben nicht einmal eine Vorstellung davon, wie es sein könnte, wenn wirklich alles in Ordnung wäre.

Aus dem Ungarischen von Terézia Mora

Fussnoten

Zoltán Danyi, geb. 1972 in Senta/Jugoslawien, studierte Philosophie und Literatur. 2003 debütierte er als Lyriker. Für seinen ersten Roman "Der Kadaverräumer" (Herbst 2018 auf Deutsch) wurde er mit dem Miklós-Mészöly-Preis ausgezeichnet. Danyi, ein Angehöriger der ungarischen Minderheit in Serbien, lebt als Rosenzüchter in Senta.