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Am Steuer? | Das Auto | bpb.de

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Am Steuer? Instrumente und Anwendungsfelder der Verkehrspolitik

Oliver Schwedes

/ 16 Minuten zu lesen

Die Verkehrspolitik sieht sich jüngst mit neuen Gestaltungsaufgaben konfrontiert. Die zentrale Frage ist, wie sie künftig ökologische Ziele mit ökonomischen und sozialen Anforderungen verbinden kann und welche Instrumente ihr dafür zur Verfügung stehen.

Die Verkehrspolitik erfährt aktuell eine Renaissance. Während jahrzehntelang ihre vornehmste Aufgabe offenbar darin bestand, den stetig wachsenden Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten, indem die notwendige Infrastruktur zur Verfügung gestellt und der fließende Verkehr möglichst reibungslos organisiert wurde, werden jetzt neue Gestaltungsaufgaben an sie herangetragen. Zum einen gerät der alte Entwicklungspfad zunehmend in die Kritik, weil er den angestrebten Nachhaltigkeitszielen widerspricht. Zum anderen wandelt sich in der Bevölkerung das Verständnis von Verkehr und Mobilität. Durch beides ist das etablierte und dominierende System der Automobilität berührt, dass bisher alle Nachhaltigkeitsziele konterkariert und den Anforderungen einer wachsenden Stadtbevölkerung widerspricht.

Damit sieht sich die Verkehrspolitik von drei Seiten gefordert: Erstens muss sie das Verkehrssystem auf eine Weise neu organisieren, dass es seinen Beitrag zur Erreichung der politisch vereinbarten Klimaziele leistet. In diesem Zusammenhang muss zweitens der enge Zusammenhang von Wirtschafts- und Verkehrswachstum aufgelöst werden. Drittens schließlich sieht sich die Verkehrspolitik zunehmend in der Pflicht, den neuen Nutzungsanforderungen wachsender Teile der Stadtbevölkerung gerecht zu werden, die immer lauter artikuliert werden und heute weit mehr umfassen als das private Automobil. Die zentrale Frage lautet, wie die Verkehrspolitik zukünftig die ökologischen Ziele mit den ökonomischen und sozialen Anforderungen verbinden kann und welche Instrumente ihr dafür zur Verfügung stehen.

Bevor ich im Folgenden die verkehrspolitischen Instrumente und denkbare Anwendungsfelder vorstelle, soll zunächst auf das aktuelle Verkehrssystem und die sich daraus ergebenden verkehrspolitischen Herausforderungen eingegangen werden. Die damit gewonnene Einsicht eröffnet Perspektiven für eine neue integrierte Verkehrspolitik, die den ideologisch geprägten Konflikt für oder gegen das Auto durch eine politische Entscheidung auflöst, und die sich an übergeordneten Gemeinwohlzielen orientiert.

Die Autogesellschaft

Immer wieder gibt es gesellschaftliche Phänomene, von denen die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen meinen, sie seien immer schon so gewesen, woraus sie schließen, es könne auch gar nicht anders sein. Dieser fehlende Möglichkeitssinn ist gleichermaßen entlastend und beruhigend und erfüllt damit eine wichtige Funktion, solange der eingeschlagene Entwicklungspfad erfolgreich beschritten wird. Das gilt seit Ende des Zweiten Weltkriegs insbesondere für das Verkehrssystem beziehungsweise den Automobilismus – "er rollt und rollt und rollt …" Zum Problem wird der fehlende Möglichkeitssinn hingegen in Zeiten eines dynamischen gesellschaftlichen Wandels und angesichts der daraus resultierenden Herausforderungen. Das fehlende historische Verständnis dafür, dass alles schon einmal ganz anders war und deshalb auch in Zukunft alles ganz anders sein könnte, entfaltet dann bei den Betroffenen starke Beharrungskräfte, die den notwendigen gesellschaftlichen Wandel behindern oder sogar blockieren.

Das Auto wird mittlerweile als etwas so Selbstverständliches wahrgenommen, dass viele Menschen mit seinem drohenden Verlust die gesamte Gesellschaft, in der sie leben, infrage gestellt sehen. In der Folge stellen sich Existenzängste ein, die entsprechenden Widerspruch erzeugen. Das beginnt mit dem wirtschaftlichen Wohlstand, der eng mit der deutschen Automobilindustrie verbunden wird, und reicht bis zur gesellschaftlichen Teilhabe jeder und jedes Einzelnen, die häufig an das private Automobil geknüpft ist. Und tatsächlich handelt es sich bei dem Automobilismus um ein technisches Großsystem, das die gesamte Gesellschaft jahrzehntelang auf vielfältige Weise geprägt hat, in die mehrere Generationen selbstverständlich hineingewachsen sind und mit der viele sich identifizieren.

Um die Herausforderung richtig einschätzen zu können, mit der sich die Verkehrspolitik konfrontiert sieht, wenn sie die selbstgesteckten Klimaziele erreichen will, muss man sich vor Augen führen, wie sehr die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse der Autonutzung dienen. Auch hier gilt, dass viele Dinge als selbstverständlich vorausgesetzt werden, obwohl es lange gedauert hat, bis die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen waren, die eine Nutzung des privaten Autos durch die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt erst ermöglicht haben. Teilweise mussten sie erst gegen massiven Widerstand durchgesetzt werden. Entstanden ist ein Verkehrssystem, das auf rund 650.000 Straßenkilometern basiert, 14.500 Tankstellen und 430 Raststätten umfasst, und dessen reibungsloser Betrieb durch mehr als 10.000 Fahrschulen und über 36.000 Kraftfahrzeugwerkstätten aufrechterhalten wird.

Die genannten Infrastrukturen müssen ihrerseits unterhalten werden, von Baufirmen, Betreibern von Tankstellen, Rast- und Werkstätten und anderen mehr. Gespeist wird das Verkehrssystem von den Automobilkonzernen, die Jahr für Jahr 3,4 Millionen Neuwagen für den deutschen Markt produzieren. Schließlich werden die Autofahrerinnen und Autofahrer auf das Engste betreut, um sich in diesem System sicher bewegen zu können, angefangen mit der Verkehrserziehung in der Grundschule, über die Fahrschulausbildung zur Erlangung des Führerscheins und die alltägliche Kontrolle von Regelverstößen durch die Polizei, bis zu den diversen Auto-Klubs, die ihre Mitglieder auch für das verbleibende Restrisiko noch versichern. In dem Maße, wie das Funktionieren unserer Gesellschaft von diesen Voraussetzungen abhängig ist, können wir von einer "Autogesellschaft" sprechen.

Diese zugegebenermaßen nur grobe Skizze der Autogesellschaft sollte immerhin gezeigt haben, wie sehr das Auto als existenzieller Bestandteil der Gesellschaft verankert ist, und dass dies einen realen Hintergrund hat, der nicht durch moralische Appelle gegen das Auto und für den öffentlichen Verkehr aufzulösen ist. Vielmehr geht es hier um eine Vielzahl handfester Interessen, die von der Verkehrspolitik zu berücksichtigen sind und die gleichzeitig massiven Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung nehmen. Allerdings handelt es sich bei der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um die zukünftige Bedeutung des Automobils nur um das Symptom für ein tieferliegendes Strukturproblem, das von den eigentlichen verkehrspolitischen Herausforderungen ablenkt. Nicht das Auto ist das Problem, sondern das Verkehrswachstum.

Wachstumsspirale

Gemessen am Basisjahr 1990 hat der Verkehrssektor bis heute keinen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels geleistet. Vielmehr ist er der einzige gesellschaftliche Sektor, in dem die CO2-Emissionen weiter steigen (Abbildung 1). Wie lässt sich erklären, dass in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen Erfolge zu verzeichnen sind, nicht aber im Verkehr? Zunächst ist festzuhalten, dass der Verkehrssektor in den vergangenen Jahrzehnten große Effizienzgewinne zu verzeichnen hat. So konnten etwa durch technische Innovationen in der Motorenentwicklung der Benzinverbrauch und in der Folge die CO2-Emissionen kontinuierlich reduziert werden. Dass die CO2-Emissionen insgesamt dennoch weiter steigen, zeigt, dass technische Innovationen allein offensichtlich nicht zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung beitragen.

Abbildung 1: CO2 -Emissionen nach Sektoren (© Quelle: Sachverständigenrat Umwelt, Umsteuern erforderlich: Klimaschutz im Verkehrssektor, Sondergutachten, Berlin 2017.)

Die Ressourcen im Verkehrssektor werden aber nicht nur effizienter eingesetzt, sondern auch effektiver. Das heißt, Materialien werden in wachsenden Maße recycelt. Autos werden mittlerweile zu 20 bis 30 Prozent aus wiederverwendeten Rohstoffen produziert. Aber wie die Effizienzstrategie hat auch die Effektivitätsstrategie offenbar ihre Grenzen: Obwohl beide seit Jahrzehnten verfolgt werden, befindet sich der Verkehrssektor bis heute nicht auf einem nachhaltigen Entwicklungspfad. Wie weit wir von der Vision entfernt sind, Autos irgendwann einmal vollständig recyceln zu können, wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass viele Materialien eben nicht wiederverwendet werden können und die meisten derjenigen, die wiederverwendet werden, nur einmalig recycelt werden können.

Vor diesem Hintergrund und dem begrenzten Zeithorizont, der zum Gegensteuern noch zur Verfügung steht, um Erfolge im Verkehrssektor zu erreichen, können wir uns nicht allein auf die Effizienz- und die Effektivitätsstrategie verlassen. Denn die erreichten Erfolge wurden durch das stetige Verkehrswachstum aufgezehrt: Wo einerseits pro Auto weniger Benzin verbraucht wird, werden andererseits längere Strecken zurückgelegt. Und diejenigen, die Autos mit recycelten Materialien herstellen, produzieren heute mehr Autos als jemals zuvor, die zudem immer größer und schwerer werden. Spätestens hier stellt sich die Frage nach den Gründen für das bis heute anhaltende Verkehrswachstum, das alle anderen Bemühungen so erfolgreich konterkariert.

Ein Schlüssel für das Verständnis des stetigen Verkehrswachstums liegt in der Bedeutung des Verkehrs für die wirtschaftliche Wohlfahrt im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Hierbei spielt insbesondere die Produktivkraft durch Arbeitsteilung eine Rolle, wie sie der Ökonom Adam Smith schon im 18. Jahrhundert am Beispiel einer Stecknadelmanufaktur eindrucksvoll beschrieb: "Ein Arbeiter, der noch niemals Stecknadeln gemacht hat, und auch nicht dazu angelernt ist (…), könnte, selbst wenn er sehr fleißig ist, täglich höchstens eine, sicherlich aber keine zwanzig Nadeln herstellen." Die Aufteilung des Produktionsprozesses in 18 Arbeitsschritte aber steigere die Nadelproduktion gewaltig: "Ich selbst habe eine kleine Manufaktur dieser Art gesehen, in der nur 10 Leute beschäftigt waren, so daß einige von ihnen zwei oder drei solcher Arbeiten übernehmen mußten. Obwohl sie nun sehr arm und nur recht und schlecht mit dem benötigten Werkzeug ausgerüstet waren, (…) waren die 10 Arbeiter imstande, täglich etwa 48.000 Nadeln herzustellen (…)."

Diese Ausdifferenzierung hat sich bis heute fortgesetzt. Während Smith jedoch noch die Arbeitsteilung unter einem Dach vor Augen hatte, wurden schon bald danach einzelne Arbeitsschritte ausgelagert in andere Produktionsstandorte im selben Dorf, derselben Stadt, derselben Region. Heute hat sich eine globale Arbeitsteilung etabliert, die es erlaubt, dass an vielen Orten der Welt günstig Teile produziert werden, die in Deutschland schließlich zu Autos zusammengesetzt werden. Denkbar ist dies alles nur auf der Basis internationaler Logistikketten, mit denen die einzelnen, räumlich getrennten Arbeitsschritte wieder zusammengeführt werden. Hierdurch wird eine Wachstumsspirale befeuert, die dazu führt, dass immer mehr Verkehr immer schneller über immer weitere Distanzen organisiert werden muss.

Dieser Entwicklungsdynamik ist einerseits der bis heute steigende Wohlstand der Nationen zu verdanken, andererseits aber eben auch das dazu notwendige Verkehrswachstum mit seinen negativen Effekten. Hinzu kommt, dass die beschriebene Produktionsweise mit ihrer arbeitsteiligen Ausdifferenzierung die Grundlage bildet für eine soziale Ausdifferenzierung, die sich in einem extensiven privaten Lebensstil äußert, der in zunehmendem Maße auf Verkehr angewiesen ist. Während früher (Groß-)Familien nicht nur unter einem Dach gelebt, sondern auch produziert haben, ist die (Klein-)Familie heute nur noch eine private Lebensform unter anderen. Daneben gibt es eine wachsende Zahl von Alleinerziehenden- und Single-Haushalten, die dieselben Wege zurücklegen, wie zuvor die Groß- beziehungsweise Kleinfamilien. Dadurch, dass die Wege nun aber nicht mehr gebündelt, sondern vorwiegend individuell zurückgelegt werden, fallen in der Summe mehr Wege an. Die Vielfalt der Lebensformen hat sich längst auch internationalisiert: Eine Vielzahl von Menschen lebt oder arbeitet heute im Ausland und pendelt regelmäßig zu den Angehörigen nach Hause oder wird von diesen besucht. Die Ursachen dieser "Multilokalität", die als gesellschaftliches Phänomen immer wichtiger wird, werden zunehmend auch von der Wissenschaft in den Blick genommen.

Aus den beschriebenen Entwicklungen folgt die basale verkehrswissenschaftliche Einsicht, dass es zusätzlich zu den technischen Innovationen und der effektiven Ressourcennutzung im Verkehrssektor notwendig ist, unser gemeinsames Wirtschaften wie auch unser privates Zusammenleben neu zu organisieren, und zwar auf eine Weise, die es ermöglicht, die Wachstumsspirale zu durchbrechen: Es gilt, das Verkehrsaufkommen und die Geschwindigkeit zu reduzieren, indem die zu überwindenden Distanzen verringert werden. Wenn damit das anzustrebende Ziel beschrieben ist, stellt sich die Frage, welche Instrumente der Verkehrspolitik zur Verfügung stehen, um dieses Ziel zu erreichen.

Integrierte Verkehrspolitik

Die Verkehrspolitik orientiert sich traditionell an den Wachstumsprognosen im Verkehr und richtet danach ihre Maßnahmen aus. Lange Zeit griff sie dabei vor allem auf zwei Handlungsfelder zurück, die Infrastruktur und den Verkehr: Auf angekündigtes Verkehrswachstum wurde einerseits mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur reagiert, andererseits durch die Organisation der Verkehrsflüsse, etwa durch intelligente Ampelschaltungen, um Stauungen zu vermeiden. Das Ergebnis war eine Anpassungsplanung, wobei das Ziel, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten, an den Wünschen der Wirtschaft orientiert war.

In dem Maße, wie die traditionelle Verkehrspolitik mit ihrer Anpassungsplanung an Grenzen stieß, wurde sie ab Anfang der 2000er Jahre durch eine integrierte Verkehrspolitik abgelöst, an deren Anfang politisch definierte Ziele stehen. Das übergeordnete Ziel einer integrierten Verkehrspolitik ist nicht mehr die einseitige Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses zum Zwecke ökonomischer Prosperität, sondern eine nachhaltige Verkehrsentwicklung, die ökonomische, soziale und ökologische Ansprüche gleichermaßen berücksichtigt. Durch die Neuausrichtung der Verkehrspolitik an politisch definierten Nachhaltigkeitszielen orientiert sie sich an den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Menschen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, tritt zu den zwei traditionellen Handlungsfeldern Infrastruktur und Verkehr als drittes Handlungsfeld die Mobilität hinzu.

Hier gilt das Augenmerk den Menschen, die in ihrem Verhalten im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung unterstützt werden sollen. Dabei bemisst sich die Mobilität am Grad gesellschaftlicher Teilhabe und nicht am Verkehrsaufkommen. Verkehr und Mobilität werden also bewusst unterschieden, da sie im Alltag nicht selten weit auseinanderfallen – beispielsweise, wenn gering beschäftigte Arbeitnehmende, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, täglich Pendlerwege von 100 Kilometern Länge bewältigen müssen. Der individuelle Möglichkeitsraum ist damit für die betroffenen Personen stark eingeschränkt, obwohl sie weite Strecken zurücklegen und in diesem Sinne hochgradig mobil sind. In diesem Fall steht das relativ geringe Einkommen, das den Grad der gesellschaftlichen Teilhabe und die Möglichkeiten individueller Bedürfnisbefriedigung bestimmt, in keinem angemessenen Verhältnis zu dem dafür notwendigen Verkehrsaufwand und den damit verbundenen Kosten. Im gegensätzlichen Fall erreichen städtische Arbeitnehmende ihren gutbezahlten Arbeitsplatz fußläufig und sind – indem sie in jeder Hinsicht an dem reichhaltigen Stadtleben teilhaben können – sehr mobil, ohne großen Verkehrsaufwand betreiben zu müssen.

Die integrierte Verkehrspolitik umfasst mit dem Infrastrukturmanagement, dem Verkehrsmanagement und dem Mobilitätsmanagement somit drei Handlungsfelder, in denen sie gestaltend einwirken kann (Abbildung 2). Mit der begrifflichen Unterscheidung von Verkehr und Mobilität ist es ihr zudem möglich, eine nachhaltige Verkehrsentwicklung zu verfolgen, die die Mobilität der Bevölkerung gewährleistet und das Verkehrsaufkommen mit seinen negativen Begleiteffekten reduziert. Um die gesamte Fülle der möglichen Instrumente erfassen zu können, die der Verkehrspolitik zur Verfügung stehen, ist in jedem Handlungsfeld zwischen Angeboten und Restriktionen zu unterscheiden – in den Verkehrswissenschaften auch als Pull- und Push-Maßnahmen bezeichnet. In dem einen Fall werden Menschen durch attraktive Angebote angezogen (pull, etwa durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs), im anderen Fall werden sie durch restriktive Maßnahmen in ihrem Verhalten in eine bestimmte Richtung gedrängt (push, etwa durch Geschwindigkeitsbegrenzungen).

Abbildung 2: Die drei Handlungsfelder integrierter Verkehrspolitik (© bpb)

Instrumente

Innerhalb der drei genannten Handlungsfelder stehen der Verkehrspolitik grundsätzlich drei Kategorien von Instrumenten zur Verfügung. Erstens kann sie sich der Instrumente der Ordnungspolitik bedienen, die alle Formen rechtlicher Ge- und Verbote umfassen. Diese reichen vom Gebot ständiger Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme in Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung über Geschwindigkeitsbegrenzungen bis zum Verbot, bestimmte Emissionsgrenzwerte zu überschreiten.

Zweitens verfügt die Verkehrspolitik über Instrumente der Prozesspolitik, womit kurzfristige Maßnahmen im Rahmen der zuvor durch die Ordnungspolitik gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen bezeichnet sind. Für die Verkehrspolitik sind diesbezüglich insbesondere die monetären Maßnahmen (Steuern und Subventionen) sowie der konkrete Unterhalt und Bau von Infrastruktureinrichtungen ("reale Maßnahmen") von Bedeutung. Zu den monetären Maßnahmen zählen unter anderem die Kraftfahrzeugsteuer und die Mineralölsteuer sowie die Subventionen im öffentlichen Verkehr.

Drittens schließlich kann die Verkehrspolitik, indem sie auf die Veränderung von Strukturdaten zielt, eine Strukturpolitik verfolgen. Die integrierte Verkehrspolitik betrachtet dabei die verkehrlichen Wirkgefüge in den Bereichen der sozialen Verhältnisse, der Technik, der Wirtschaft, der Umwelt sowie der Politik, um darauf Einfluss zu nehmen. Strukturpolitische Maßnahmen umfassen beispielsweise sektorübergreifende Kooperationen zwischen den politischen Handlungsfeldern Verkehr, Stadt und Umwelt mit dem Ziel, verkehrsarme Raumstrukturen zu schaffen und die negativen Umwelteffekte zu reduzieren. Ein weiteres Ziel strukturpolitischer Überlegungen und Konzepte ist eine vollständige Neuorganisation des Verkehrssystems, um die beiden bis heute weitgehend unabhängig nebeneinander existierenden Systeme des privaten Autoverkehrs und des Umweltverbunds mit seinem öffentlichen Verkehr und dem Rad- und Fußverkehr zu einem Gesamtsystem zu verbinden.

Der Einsatz der verschiedenen verkehrspolitischen Instrumente setzt freilich eine politische Entscheidung voraus. Dies klingt naheliegend, ist in der Verkehrspolitik aber keinesfalls selbstverständlich. Denn das Politikfeld Verkehr war in den zurückliegenden Jahrzehnten vielmehr durch einen Mangel an politischen Entscheidungen geprägt. Was zunächst wie ein Widerspruch erscheint, klärt sich bei genauerer Betrachtung und unter Berücksichtigung des Wesens politischer Entscheidungen auf: Denn eine politische Entscheidung setzt wenigstens zwei Alternativen voraus, die sich zumindest teilweise widersprechen – es bedarf also einer echten Entscheidungssituation, die nicht durch einen Kompromiss aufgelöst werden kann. Im Ergebnis zeichnet sich eine politische Entscheidung dadurch aus, dass sie sich für das eine (Interesse A) ausspricht und gleichzeitig gegen etwas anderes (Interesse B) wendet.

Die verkehrspolitischen Entscheidungen schlagen sich im Einsatz von Pull- und Push-Maßnahmen nieder. Das lässt sich an dem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen Verfechtern des privaten Autos und Verfechtern des öffentlichen Verkehrs verdeutlichen: Seit den 1970er Jahren verfolgt die Verkehrspolitik das programmatische Ziel, die Menschen zum Umstieg vom privaten Auto zum öffentlichen Verkehr zu bewegen. Die Programmatik wurde aber bis heute nicht mit entsprechenden politischen Entscheidungen verbunden. Stattdessen ist seitdem eine Parallelfinanzierung auf unterschiedlichen Ausgangsniveaus zu beobachten: Zwischen 1994 und 2018 wurde der öffentliche Verkehr im Rahmen des Regionalisierungsgesetzes mit rund 172 Milliarden Euro subventioniert. Daraufhin hat sich seine Verkehrsleistung im selben Zeitraum um 36 Prozent erhöht, und die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr sind sogar um 56 Prozent gestiegen. Doch parallel zur Subventionierung des öffentlichen Verkehrs erfolgte eine vielfach höhere Förderung des privaten Autoverkehrs, der daraufhin in gleichem Maße gewachsen ist, sodass sich in der Folge des allgemeinen Verkehrswachstums die jeweiligen Anteile am gesamten Verkehrsaufkommen und der Verkehrsleistung nicht verändert haben. Mehr noch, den Prognosen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zufolge wird sich an diesem Verhältnis auch bis 2030 nichts ändern: Heute wie in der Zukunft entfallen zwei Drittel der Verkehrsleistung im Personenverkehr auf den motorisierten Individualverkehr (Abbildung 3).

Abbildung 3: Anteilige Verkehrsleistung der Verkehrsmittel nach zurückgelegten Personenkilometern (© bpb)

Dies zeigt, dass es nicht ausreicht, durch massive finanzielle Förderungen ein attraktives Angebot zu schaffen und darauf zu hoffen, dies würde die Menschen zu einem Wechsel der Verkehrsmittel bewegen. Vielmehr würde sich eine echte politische Entscheidung für den öffentlichen Verkehr dadurch auszeichnen, dass sie sich gleichzeitig mit entsprechenden Push-Maßnahmen gegen den Autoverkehr wendet, um ihn weniger attraktiv zu gestalten. Darüber hinaus wird deutlich, dass der öffentliche Verkehr im Wettbewerb mit dem Auto die Wachstumsspirale im Verkehrssektor ebenfalls befeuert und sich damit von einem Teil der Lösung zu einem Teil des Problems wandelt.

Vor dem Hintergrund, dass 80 bis 90 Prozent des Verkehrsaufkommens in der Region entstehen, insbesondere durch Pendlerverkehre, die in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen haben und deren Distanzen zugleich immer größer geworden sind, muss eine Strukturpolitik auf neue Raumstrukturen gerichtet sein. Diese sollten so beschaffen sein, dass es eben nicht notwendig ist, immer mehr Verkehr immer schneller über immer größere Distanzen zu organisieren. Um einen solchen Strukturwandel zu bewältigen, sollte die Prozesspolitik kurzfristig insbesondere darauf gerichtet sein, die Finanz- und Steuerarchitektur zu reformieren, die durch milliardenschwere Fehlanreize heute noch die alten Strukturen aufrechterhalten. Mit den frei werdenden Finanzmitteln könnten die realen Maßnahmen im Bereich des Unterhalts und Baus von Infrastruktureinrichtungen neu ausgerichtet werden. So hat das Umweltbundesamt für das Jahr 2012 Fehlsubventionen in Höhe von insgesamt 57 Milliarden Euro berechnet – eine Summe, mit der sich beispielsweise mehrere Schnellbahnstrecken finanzieren ließen. Eine verkehrspolitische Entscheidung im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, die den selbstgesteckten klimapolitischen Zielen ernsthaft verpflichtet ist, würde sich für die Schiene und die Wasserwege aussprechen und gleichzeitig den Straßenverkehr zum Beispiel durch eine Pkw-Maut weniger attraktiv gestalten.

Schließlich müssten die vielfältigen hier nur schlaglichtartig angedeuteten prozess- und strukturpolitischen Maßnahmen im Verkehrssektor auch ordnungspolitisch neu gefasst werden. Das heißt, der rechtliche Rahmen müsste im Sinne einer Verkehrsentwicklungspolitik definiert werden, die Verkehr effizient und effektiv organisieren und ein weiteres Verkehrswachstum vermeiden will. Beispielgebend ist diesbezüglich das Berliner Mobilitätsgesetz, das erstmals eine Rechtsgrundlage für alle Verkehrsmittel bildet, wobei der öffentliche Verkehr, der Radverkehr und der Fußverkehr priorisiert werden. Die damit verbundenen Pull-Maßnahmen sollen durch Push-Maßnahmen flankiert werden, die eine Nutzung des privaten Autos in der Stadt erschweren, beispielsweise durch die Aufhebung des kostenfreien privaten Parkens im öffentlichen Stadtraum. Diese Anstrengungen müssten vom Bundesgesetzgeber durch entsprechende Reformen der Bundesgesetze wie dem Straßen- und dem Straßenverkehrsgesetz unterstützt werden, deren Rahmensetzung heute noch die Autonutzung auf Kosten anderer Verkehrsmittel einseitig bevorzugt.

Fazit

Bei der Kontroverse um das Für und Wider des Autos handelt es sich um einen ideologischen Schlagabtausch, der von der eigentlichen verkehrspolitischen Herausforderung ablenkt, die Mobilität der Menschen im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe zu gewährleisten und gleichzeitig das Verkehrswachstum einzudämmen.

Die Bundesregierung hat jüngst erst festgestellt, dass sie ihre Klimaziele für das Jahr 2020 deutlich verfehlen wird. In ihrem aktuellen Projektionsbericht 2019 hat sie zudem angekündigt, die Klimaziele auch bis 2030 nicht einzuhalten, sollten nicht weitergehende politische Entscheidungen getroffen werden. Ein wesentlicher Grund besteht darin, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zu einer CO2-Reduktion bis heute nicht leistet und Erfolge in anderen Sektoren kompensiert. Vor diesem Hintergrund wurde ein Klimakabinett einberufen, um einen "Klimapakt" mit notwendigen Maßnahmen zu verabschieden, der eine Kurskorrektur einleitet. Die darin vorgestellten Ergebnisse demonstrieren jedoch vielmehr ein business as usual, insgesamt sollen 54 Milliarden Euro vor allem für positive Anreize ausgegeben werden. Die nochmals erhöhte Pendlerpauschale steht dabei exemplarisch für einen jahrelang gepflegten Fehlanreiz: Mit ihr wird für alle Verkehrsmittel gleichermaßen das Pendeln über immer größere Distanzen subventioniert. Auf diese Weise wird das Verkehrswachstum ingesamt unterstützt und das zentrale Problem einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung nur noch vergrößert.

Allein mit positiven Anreizen und ohne restriktive Maßnahmen ist ein Gestaltungsanspruch kaum erkennbar. Das Steuer der Verkehrspolitik bleibt weiter unbesetzt.

ist promovierter Politikwissenschaftler und Professor an der Technischen Universität Berlin, wo er das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung am Institut für Land- und Seeverkehr leitet. E-Mail Link: oliver.schwedes@tu-berlin.de