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Potenzial Wasserstoff | Energiepolitik | bpb.de

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Potenzial Wasserstoff Energiesystem der Zukunft?

Sylvia Schattauer

/ 14 Minuten zu lesen

Wasserstoff gilt als Zukunftstechnologie einer nachhaltigen Energieversorgung. Der Umsetzung stehen jedoch noch weitreichende Hürden in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik entgegen. Die Klimaziele sowie die aktuelle Energiekrise erfordern ein zügiges Handeln.

Wasserstoff als "Energiespeicher der Zukunft" oder gar "Klimaretter"? – die Hoffnungen auf einen Ausweg aus Klima- und Energiekrise durch Wasserstofftechnologien sind groß. Doch warum eigentlich Wasserstoff? Was kann er, was kann er nicht? Und was ist notwendig, um ihn einzusetzen? In diesem Beitrag werden die Potenziale des neuen Hoffnungsträgers ausgelotet, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch mit Blick auf zukünftige Aspekte der Markt- und Preisgestaltung.

Eigenschaften, Gewinnung, Nutzung

Wasserstoff ist das chemische Element mit der geringsten Atommasse und kommt am häufigsten vor; sein Anteil an allen Stoffen im Universum, der sogenannte Massenanteil, beträgt etwa 70 Prozent. Dieser ist auf der Erde mit 0,03 Prozent deutlich geringer, und Wasserstoff liegt als natürliches Vorkommen überwiegend gebunden beispielsweise in Wasser, aber auch in Erdgas wie Methan oder in Erdöl vor. Um den Wasserstoff aus diesen Bindungen abzuspalten, ist Energie notwendig. Die Gewinnung aus fossilen Energiequellen erfolgt großtechnisch über Dampfreformierung (steamreforming) aus Erdgas oder über die partielle Oxidation von Erdöl oder Raffinerierückständen. Da bei beiden Verfahren Kohlendioxid als Nebenprodukt entsteht, wird das Produkt umgangssprachlich auch als "grauer Wasserstoff" bezeichnet. Die klimaneutrale Alternative ist die Herstellung mittels Elektrolyse, das heißt die Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff mithilfe elektrischen Stroms. Hierbei gibt es unterschiedliche technologische Ansätze mit unterschiedlichen Wirkungsgraden, etwa alkalische Elektrolyseure (AEL), Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyseure (PEM) oder Hochtemperatur-Elektrolyseure (HTEL).

Wasserstoff bietet einen entscheidenden Vorteil: Er ist speicherbar. Im Druckspeicher wird er unter hohem Druck (bis zu 800bar) zum Beispiel in Kunststoffbehältern gelagert. Aufgrund des geringen Gewichts ist dieser Speicher gut für kleine Mengen geeignet und findet beispielsweise bei Fahrzeugtanks Anwendung. Größere Mengen lassen sich verflüssigt (LH2) und unter Umgebungsdruck bei tiefen Temperaturen (Siedepunkt −252,8 Grad Celsius) lagern und transportieren, wobei Verflüssigung und Kühlung energetisch mitberücksichtigt werden müssen. Die Möglichkeiten der reversiblen wie irreversiblen chemischen Bindung bieten weitere Optionen für Langstreckentransporte. Zusätzlich kann der Transport über Pipelines erfolgen. Diese werden bereits für den Transport von Wasserstoff in industriellen Produktionsanalgen bis zu einer Entfernung von 200 Kilometern genutzt. Auch die Beimischung im Erdgasnetz ist möglich, hierbei ist jedoch immer der anvisierte Einsatzbereich von Wasserstoff zu berücksichtigen, da er zum Beispiel für die notwendige Qualität im Mobilitätssektor besonders aufbereitet werden muss.

Auch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sind ein Grund für das gesteigerte Augenmerk auf das Element Wasserstoff. Hierbei gilt es zunächst, zwischen der stofflichen und der energetischen Verwendung zu unterscheiden. Stofflich kommt das Element in der chemischen Industrie zum Einsatz, um unverzichtbare Grundstoffe wie Ammoniak oder Methanol zu erzeugen, und im Bereich der Raffinerien, um Rohöl zu verarbeiten – beides Einsatzgebiete mit jahrzehntelanger Tradition, die ein großer Wirtschaftsfaktor für Deutschland sind. In der energetischen Nutzung liegt zusätzlich ein hohes Potenzial. So besteht die Möglichkeit, die Erzeugung durch Elektrolyse umzukehren und mittels Brennstoffzellensystemen Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) chemisch direkt in elektrische Energie umzuwandeln. Die Umkehrung spart Verbrennungsprozesse, bei denen thermische Energie zunächst in mechanische Arbeit umgewandelt und erst anschließend im Generator Strom erzeugt wird. Für das Prinzip der Rückverstromung gibt es, analog zur Elektrolyse, unterschiedliche technologische Ansätze, die sich im Reifegrad und im Einsatzverhalten unterscheiden. Die Bandbreite reicht von alkalischen Brennstoffzellen, Polymerelektrolyt-Brennstoffzellen bis zu Hochtemperatur-Polymerelektrolytmembran-Brennstoffzellen oder auch Direktmethanol-Brennstoffzellen und Phosphorsäure-Brennstoffzellen. Die Einsatzgebiete der Rückverstromung liegen im Bereich der Energieversorgung und werden in Blockheizkraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung sowie für die autarke und unterbrechungsfreie Stromversorgung genutzt. Aber auch im Bereich der Antriebstechnik ist Wasserstoff eine nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen und steht in der Mobilität an Land, zu Wasser und in der Luft vor dem Sprung vom experimentellen Betrieb zum serienmäßigen Einsatz.

Wasserstoff ist also keine Energiequelle wie Erdöl, Wind oder Sonnenenergie, sondern ein Energiespeicher. Darüber hinaus kann Wasserstoff klimaneutral hergestellt werden, lässt sich leicht transportieren, vielfältig einsetzen, und bei seiner Verwendung entstehen keine Schadstoffe. Mit diesen Voraussetzungen wird Wasserstoff zukünftig ein wesentlicher Baustein für die Transformation in Richtung einer klimaneutralen Volkswirtschaft sein. Er ist durch die unterschiedlichen Herstellungs- und Verwendungsmöglichkeiten essenziell sowohl für den Umbau des Energiesystems in Richtung Speicherbarkeit der volatil erzeugten erneuerbaren Energien als auch im Rohstoffeinsatz für die "Dekarbonisierung" oder "Defossilisierung" der Industrie. Folglich ist der Aufbau einer sektorenübergreifenden und nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft einer der entscheidenden Bausteine zur Erreichung der Klimaziele bis 2045 – national, europaweit und global. Um die Treibhausgasemissionen nachhaltig zu reduzieren, ist mittel- und langfristig die Entwicklung zu "grünem Wasserstoff" notwendig, bei dessen Erzeugung der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammt. Über grünen Wasserstoff und elektrischen Strom aus erneuerbaren Energiequellen können in Zukunft viele chemische Stoffwandlungen in der Grundstoffindustrie klimaneutral betrieben und das Stromnetz entlastet werden. Durch die Kombination der Ausgangsstoffe Kohlendioxid und Wasserstoff mit grünem Strom lassen sich schon heute immer mehr Stoffwandlungsprozesse klimaneutral betreiben, wobei auch eine immer größere Menge Kohlendioxid recycelt werden kann. Zukünftig muss demnach auch eine Wertschöpfungskette für den Kohlenstoffkreislauf aufgebaut werden.

Der Weg zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft unter Sicherstellung der Versorgungssicherheit und regionaler Wertschöpfung ist jedoch kein Selbstläufer. Der Handlungsdruck nimmt auf der einen Seite zwar zu, auch bedingt durch unerwartete Einflüsse wie die Gaskrise und die damit verbundenen neuen globalen Weichenstellungen. Auf der anderen Seite sorgen rein wirtschaftliche Interessen mit Blick auf die globale Energiesituation für einen enormen Zuwachs bei fossilen Energiequellen wie Öl und Kohle. Die Transformation deutlich zu beschleunigen, ist derzeit notwendiger denn je, da neben den Klimazielen nunmehr auch Aspekte der Versorgungssicherheit verstärkt zu berücksichtigen sind.

Der verfügbare Zeitraum hat sich aktuell deutlich verengt. Es ist daher wichtig, Innovationen noch stärker voranzutreiben, auch wenn sie nur bedingt zu den tagesaktuell benötigten Lösungen zur Sicherung der Energieversorgung beitragen. Windenergieanlagen, Elektrolyseure oder Pipelines werden zumindest in Deutschland nicht über Nacht installiert. Eine ganzheitliche Wasserstoffwertschöpfungskette, bei der die einzelnen Teilaspekte nicht grundlegend entwickelt, aber an eine industrielle Nutzung angepasst werden müssen, kann ebenfalls nicht kurzfristig etabliert werden. Es hätte in den vergangenen Jahren deutlich mehr Engagement bedurft, um den Übergang von der Forschung in die industrielle Anwendung zu fördern. Treiben wir die Weiterentwicklung und Marktetablierung der Wasserstoffwertschöpfungskette jetzt umfangreich voran, wird diese mittel- und langfristig nationale und globale Lösungen im Bereich der Klimaproblematik wie der Versorgungssicherheit bieten. Die Zukunft besteht nicht aus einer einzigen Lösung, sondern aus einer Kombination aus Technologieoffenheit und -diversität, gepaart mit Planungssicherheit und Umsetzungswillen.

Wasserstoffmarkt und industrielle Anwendung

Zurzeit ist der Markt für klimaneutralen Wasserstoff noch überschaubar. 2020 lag der deutschlandweite Einsatz mit etwa 1,1 Millionen Tonnen pro Jahr nahezu vollständig im Bereich der chemischen Industrie und basierte auf grauem, also aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff. Eine eigene Wasserstoffbranche, analog zu Wind- und Solarenergie, gibt es derzeit noch nicht. Erzeugt und verteilt wird der Wasserstoff über Produzenten von technischen Gasen wie Linde oder Airliquide sowie durch die chemische Industrie in Selbsterzeugung innerhalb der Prozessketten.

Die Industrie insgesamt und die chemische Industrie im Besonderen stehen nun vor der großen Herausforderung, fossile Eingangsstoffe und Energieträger auf klimaneutrale Alternativen umzustellen. So ist nicht nur die Verfügbarkeit zu gewährleisten, auch die Herausforderungen innerhalb der chemischen Prozessketten sind zu beachten, wie etwa die Anpassung von zum Teil seit Jahrzehnten etablierten, industriellen Prozessen mit hohen Wasserstoffbedarfen wie die Methanol- und Ammoniaksynthesen. Zudem gilt es, völlig neue Technologien und industrielle Prozesse für die Defossilisierung der chemischen Industrie zu entwickeln. Beide werden zukünftig einen entsprechend hohen Zusatzbedarf an klimaneutralem Wasserstoff entwickeln. Auch die Stahlindustrie steht vor der technologischen Herausforderung, die aktuellen Hochofentechnologien auf alternative Technologien zur Erzeugung klimaneutralen Stahls umzustellen. Analog zur chemischen Industrie besteht der Handlungsbedarf zum einen mit Blick auf die Verfügbarkeit von klimaneutralem Wasserstoff, zum anderen mit Blick auf den Umbau der technologischen Prozesse. Dabei ist auch aus ökonomischer Sicht auf den Erhalt und den Aufbau zukunftsfähiger Wirtschaftszweige zu achten.

Die zukünftigen Bedarfe der Industrie an klimaneutralem Wasserstoff zur Umsetzung der jeweiligen Dekarbonisierungsstrategien sind bereits beziffert und gehen von einem stetig steigenden Bedarf ab 2026 aus. Bereits im Jahr 2030 soll sich der jährliche Bedarf allein in Deutschland auf über 3 Millionen Tonnen und im Jahr 2050 auf über 18 Millionen Tonnen summieren, verbunden mit der Annahme, dass alle Sektoren wie die chemische Industrie, die Stahlbranche, der Mobilitätssektor und auch der Wärmemarkt ihren CO2-Fußabdruck mithilfe klimaneutralen Wasserstoffs vollständig oder teilweise minimieren. Eine Anpassung der Wasserstoffproduktion, der dazugehörigen Elektrolyse-Technologie und der Transportlogistik sind unter anderem aus ökonomischer Sicht von essenzieller Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie. Um dies im anvisierten Zeitraum zu erreichen, stehen wir als Gesellschaft vor der Herausforderung, alle Glieder der aktuell nur marginal vorhandenen Wertschöpfungskette gleichzeitig aufzubauen und diese auch marktfähig zu etablieren. Im Hinblick auf den Aufbau zukünftiger globaler Energie- sowie Wasserstofflieferungspartnerschaften ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die deutlich über die Landesgrenzen hinausweist. Wenngleich – vor allem mit Blick auf die deutsche Industrie – der Aufbau von regionalen Strukturen einer der ersten wichtigen Schritte ist, wird die notwendige Aufbauarbeit insgesamt noch eine Menge Experimente erfordern, sei es im Zusammenspiel von Ausbau der regenerativen Energien und Produktion oder von Speicherung und Transport von Wasserstoff. Schlussendlich werden diese Maßnahmen dazu beitragen, Wasserstoff wirtschaftlich einzusetzen, die Klimaziele zu erreichen und Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Wird der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft ganzheitlich entlang der Wertschöpfungsketten, also ökologisch, wirtschaftlich nachhaltig und sektorübergreifend betrieben, können über die Technologieentwicklung neue Märkte und Exportpotenziale erschlossen werden. Gelingt es zum Beispiel, die Offshore-Windenergie an den europäischen Küsten zu nutzen, um Wasserstoff und Kohlendioxid aus dem Seewasser zu gewinnen, Synthesegase herzustellen und die entsprechenden Energie- und Stoffströme mit denen der Grundstoffindustrie, des Kunststoffrecyclings und der sich schnell entwickelnden industriellen Bioökonomie zu kombinieren, würde dies einen entscheidenden Weg zur Umstellung der Chemie- und Grundstoffindustrie auf ressourceneffiziente und klimaneutrale Prozesse eröffnen. Die Offshore-Wasserstoffproduktion steht am Anfang und ist, um das Ziel einer kostengünstigen Produktion von Wasserstoff zu erreichen, mit entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsaufgaben konfrontiert, dafür aber sehr vielversprechend.

Preisgestaltung, Fertigungskapazitäten und Transportstrategien

Zur Etablierung einer grünen Wasserstoffwirtschaft wird es entscheidend sein, wie die Preise für die Erzeugung des Wasserstoffs gestaltet werden. Dies ist abhängig vom eingesetzten Energieträger (grüner Strom für grünen Wasserstoff), den Investitionskosten für die Umwandlungsanlagen (Elektrolyseure samt vor- und nachgelagerter Infrastruktur) sowie der Verfügbarkeit und Auslastung der Umwandlungsanlagen (Volatilitätsrisiko) inklusive Speicher- und Transportstrategien. Grauer Wasserstoff bildet aktuell den Vergleichsmaßstab, wobei die Entwicklung stark von politischen Entscheidungen abhängig sein wird. Bei der Preisentwicklung wird aber auch die Abhängigkeit von erheblichen Innovationsfortschritten im Bereich der Herstellung, des Transportes und der Konversion der Anwendungsbereiche (Stahlerzeugung, chemische Industrie, Mobilität und Wärme) deutlich. Relevant sind im Bereich des grünen Wasserstoffs vor allem die Bereitstellung der Elektrolyseure, die regenerative Stromerzeugung und die verfahrenstechnische Umstellung der Derivatherstellung. Diese Aspekte der Wasserstoffwertschöpfungskette gilt es, zügig und gleichzeitig auf- und auszubauen. Hierbei ist auch ein schneller Transfer von Forschungsergebnissen hin zur industriellen Implementierung entscheidend.

Die gute Nachricht ist: Die notwendigen Basistechnologien entlang der Wertschöpfungskette sind vorhanden. Wind- und Sonnenenergie sind etabliert, sollten aber neben dem Direktverbrauch im Energiesystem massiv ausgebaut werden. Allein für die Nutzung des volatilen Überangebots ist die Speicherung der regenerativen Energie in Form von Wasserstoff ein Schritt nach vorn. Aber für sich genommen ist dieses Verfahren weder unter den aktuellen Rahmenbedingungen derzeit wirtschaftlich betreibbar noch können die dabei erzeugten Mengen den industriellen Bedarf langfristig decken. Bei der Kopplung und Umsetzung der Wasserstoffprozesskette ist zudem noch Pionierarbeit zu leisten. Eine Windenergieanlage mit einem Elektrolyseur zu koppeln und eine Wasserstofftankstelle zu versorgen, ist technologisch möglich und auf dem Papier leicht darstellbar. Für die praktische Umsetzung sind jedoch Zwischenschritte notwendig, die sich auch rechnen müssen: von der Genehmigung über die Beschaffung sowie die Detailkonzipierung von Stromkabel, Transformator und Wasserstoffspeicher bis zur Aufreinigung. Dies erschwert es aktuell, mögliche Strategien für den Markteinstieg mit den notwendigen massiven Investitionsentscheidungen zu untersetzen und regionale Konzepte, auch unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit, zügig anzugehen. Daraus resultiert, dass sich zwar weltweit durchaus Projekte zum Aufbau von Elektrolysekapazitäten im mehrstelligen Gigawatt-Bereich in der Konzeptphase befinden, von denen auch für etwa 25 Prozent eine Machbarkeitsstudie erfolgt ist, sich aktuell jedoch lediglich etwa 500 Megawatt installierte Leistung im Betrieb befinden. Verbunden mit der Zielsetzung der Bundesregierung aus dem "Osterpaket" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, in Deutschland 2030 eine Leistung von 10 Gigawatt Elektrolysekapazität installiert zu haben, wird die Dringlichkeit regionaler Umsetzungsstrategien deutlich. Der lange Weg der Fördermittelbeantragung und umständliche Genehmigungsverfahren stehen schnellen Schritten entgegen. Zudem muss das Problem der Verfügbarkeit aller erforderlichen Komponenten in entsprechenden Mengen und Preisen zügig angegangen werden.

Ein Blick auf die Verfügbarkeit von Elektrolyseursystemen macht einen Teil der Herausforderung deutlich. Aufgrund der aktuell geringen Marktnachfrage werden Elektrolyseure meist projektbezogen und in kleinen Stückzahlen hergestellt. Es gibt nur wenige Lieferketten, und diese sind nur fragmentiert ausgeprägt. Investitionen der involvierten Unternehmen erfolgen zögerlich, da Unsicherheiten bezüglich Zeitpunkt, Geschwindigkeit und Umfang der Etablierung in den Energiemarkt bei derzeit noch geringer Nachfrage bestehen. Somit gibt es heute wenige Produktionstechnologien und Kapazitäten, die für eine hochratenfähige Fertigung unter den Gesichtspunkten Standardisierung und hoher Prozessautomation der Produktions- und Prüftechnik optimiert sind. Der potenzielle Mehrbedarf an grünem Wasserstoff geht mit einem nennenswerten Aufbau der global installierten Elektrolyseleistung und dem Ausbau der erneuerbaren Energien einher. Abhängig von dem jeweiligen Szenario sollen im Jahr 2030 global zwischen 75 und 234 Gigawatt Elektrolyseleistung vorhanden sein. Dieser Markthochlauf ist aber nur umsetzbar, wenn die Wasserstofftechnologien sowohl wirtschaftlich als auch technisch und regulatorisch wettbewerbsfähig zu alternativen Energieträgern sind. Um die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff zu verbessern, sind signifikante Kosteneinsparungen zu erzielen, etwa beim Elektrolyseursystem und dessen Komponenten. So belaufen sich die Kosten für einen PEM-Elektrolyseur in Abhängigkeit der Anlagengröße aktuell auf 700 bis 1200 US-Dollar pro Kilowatt. Bei der alkalischen Elektrolyse sind 650 bis 950 US-Dollar pro Kilowatt aufzuwenden. Die Kosten, die vom Markt akzeptiert werden, liegen dagegen zwischen 350 und 450 US-Dollar pro Kilowatt. Demnach müssen die Kosten bei der PEM-Technologie um bis zu 70 Prozent und bei der alkalischen Elektrolyse um bis zu 50 Prozent reduziert werden. Es besteht also Handlungsbedarf: Optimiertes Design und Materialeinsatz sowie der Hochlauf der Serienfertigung sind eine Grundvoraussetzung für den Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft. Umfangreiche Ansätze werden bereits intensiv in Projekten wie H2Giga verfolgt, deren Entwicklung – neben guten Bedingungen – jedoch Zeit erfordert.

Parallel ist es möglich, neue Handelswege zu etablieren und die schlecht transportierbaren regenerativen Energien durch transportfähigen Wasserstoff auszugleichen. Langfristig können so grüner Wasserstoff und seine Derivate aus europäischer und außereuropäischer Herstellung zusätzlich zu einer heimischen Produktion den notwendigen Bedarf decken, um Klimaneutralität zu erreichen. Aber auch hierbei sind zwei Aspekte zu beachten. Zum einen bedarf es auch an anderen globalen Standorten zunächst des Aufbaus entsprechender Herstellungskapazitäten, beginnend bei der Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien über den Aufbau von Wasserstofferzeugungskapazitäten mittels Elektrolyse. Zum anderen brauchen auch diese Standorte Transportstrategien, sei es in Form von gasförmigem oder flüssigem Wasserstoff oder Derivaten wie Ammoniak, Methanol und so weiter.

Zusammenfassung

Innovation ist unbestrittener Treiber für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, vor allem bei der Etablierung neuer Wertschöpfungsketten, wie sie für die Wasserstoffwirtschaft notwendig sind. Im Bereich der Forschung ist nicht nur eine kontinuierliche Grundlagenforschung nötig, sondern auch angewandte Forschung zur industriellen Etablierung. Ebenfalls sollten Aus- und Weiterbildung für Fachkräfte priorisiert werden.

Was heißt das für den kurz-, mittel- und langfristigen Forschungsbedarf? Grundsätzlich ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft, Sicherheit, Lebensdauer, Zuverlässigkeit, Kostenreduktion, Rohstoffverfügbarkeit und Resilienz zu gewährleisten. Nicht allein die Technologie selbst muss überzeugen, entscheidend sind auch Vertrauen und Akzeptanz durch Sicherheit, Wirtschaftlichkeit durch lange Lebensdauer sowie hohe Zuverlässigkeit.

Bevor grüner Wasserstoff verteilt und eingesetzt werden kann, muss dieser zunächst in entsprechenden Mengen und mittel- wie langfristig zu wettbewerbsfähigen Preisen erzeugt werden. Dabei ist die Anpassung der Fertigungskapazitäten von Wasserstoffsystemen und deren Komponenten ein Schlüsselaspekt. Dies kann – in Anbetracht der Dringlichkeit – zunächst auf Basis bestehender, bisher meist für die Manufakturherstellung konzipierter Systeme erfolgen. Parallel besteht jedoch großer Forschungsbedarf durch die analytische Optimierung von Design und Materialien sowie deren passgenauen Fertigungstechnologien, um frühzeitig Fortschritte in Hinblick auf Kosten, Energie- und Materialeinsatz, Sicherheit und Lebensdauer zu erreichen.

Weiterer Bedarf von Entwicklungs- und Forschungsinfrastruktur zielt unter anderem auf den Testbetrieb von industriellen Elektrolyseuren im Megawattmaßstab ab, um Betriebs-, Leistungs- und Verschleißdaten unter realitätsnahen Betriebsbedingungen zu ermitteln. Dies ist insbesondere beim dynamischen Betrieb mit (simulierten) Lastschwankungen entsprechend der Bereitstellung von erneuerbaren Energien nötig. Auf Basis dieser Daten können dann Betriebsmodelle entwickelt und Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden. Diese helfen, die Auslegung und den Betrieb für die industrielle Anwendung zu optimieren sowie die Integration in Prozessschritten zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die Integration von Einzelanlagen in komplette Energiesysteme unter Berücksichtigung der dabei entstehenden Wechselwirkungen auf der physikalischen und der betriebswirtschaftlichen Ebene ein zentraler Aspekt.

Ein weiterer und bisher unterschätzter Punkt betrifft die anstehende Umstellung der bestehenden Anlagen im verarbeitenden Sektor der Stahl- und Chemieindustrie sowie im Bereich der Raffinerien, im Kontext der Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen zur Defossilisierung des Luft- und Schiffsverkehrs. Dies ist kurzfristig parallel zum Hochlauf einer klimaneutralen Wasserstoffproduktion anzugehen und umfasst die Aufgabe, jahrzehntealte Produktionsprozesse im laufenden Betrieb zu dekarbonisieren. Dazu bedarf es technologische Weiterentwicklung, zum Beispiel im Bereich der Methanol- und Ammoniaksynthese, oder grundlegende neue Prozesstechnologien. Für alle Prozesse, einschließlich Stahlherstellung und E-Fuels, gibt es bereits eine breite technologische Basis. Die Herausforderung ist es, diese an den industriellen Maßstab anzupassen und dabei alle ökonomischen und ökologischen Fragestellungen zu berücksichtigen. Schlussendlich sind auch die Themen der Offshore-Wasserstoffproduktion sowie die Digitalisierung des Energiesystems mit dem Aspekt der Einbindung einer Wasserstoffwertschöpfungskette mit erheblichem technologischen Entwicklungsbedarf behaftet.

So muss auch forschungsseitig vieles parallel und teilweise im Vorgriff angegangen werden. Zusammen mit den passenden politischen Rahmenbedingungen und einem stärkeren industriellen Umsetzungswillen lässt dies einen vorsichtig optimistischen Blick in die Zukunft zu, zumal neue Prozesse und Technologien auch wirtschaftlicher Motor sein können und somit eine besondere Art des Strukturwandels bilden, der energiepolitisch motiviert ist.

In allen Bereichen ist der zeitliche Vorsprung bei der Überführung der sehr guten technologischen Basis mit entsprechenden Innovationen entscheidend und für eine klimaneutrale Volkswirtschaft essenziell. Eine etablierte Wasserstoffwirtschaft kann einige aktuelle Probleme zukünftig lösen und sowohl Klimaschutz aktiv voranbringen als auch neue Märkte und Arbeitsplätze schaffen sowie schlussendlich Wohlstand ermöglichen. Voraussetzung ist, dass bald gehandelt wird.

ist kommissarische Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES. Außerdem ist sie Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates der Bundesregierung.
E-Mail Link: sylvia.schattauer@iwes.fraunhofer.de