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(Spät-)Aussiedler aus Rumänien | (Spät-)Aussiedler in der Migrationsgesellschaft | bpb.de

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(Spät-)Aussiedler aus Rumänien

Gwénola Sebaux

/ 22 Minuten zu lesen

Im Rumänien vor 1945 stellten Deutsche, vor allem Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, nach den Ungarn die zweitgrößte Minderheit. Ihre Auswanderung hat die gesellschaftlich-kulturelle Landschaft Rumäniens nachhaltig verändert. In Deutschland fühlen sie sich mehrheitlich gut integriert und verfügen über sehr aktive landsmannschaftliche Netzwerke.

Aufnahmen von Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen Angehörige der Siebenbürger Sachsen in ihren Festtagstrachten. (© akg-images)

Die Aussiedlung von Deutschen aus Rumänien gehört zur allgemeinen Ost-West-Migration in Europa vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Umgekehrt war die Migration von deutschen Siedlern ins heutige Rumänien Teil der großen kontinentalen Auswanderung vom deutschsprachigen Raum nach Ost- und Südosteuropa und in die Habsburgischen Länder. Mit der Aussiedlung in die Bundesrepublik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endete die bis ins Mittelalter zurückreichende deutsche Kolonisationsgeschichte im Osten.

Ebenso wie die anderen, "klassischeren" Einwanderungen setzte die Aussiedlung komplexe und zum Teil langwierige politische, soziale und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse voraus. Der nun weitgehend abgeschlossene Aufnahmeprozess der (Spät-)Aussiedler hat langfristige, bis heute andauernde Auswirkungen in der deutschen Gesellschaft. Der sinngemäß besonders relevante Begriff "postmigrantisch" ist also auch in der Aussiedlerpolitik durchaus aufschlussreich.

Geschichtlicher Rückblick

Die Geschichte der Deutschen in den Gebieten, die später Rumänien wurden, begann Mitte des 12. Jahrhunderts mit der Einwanderung von angeworbenen Siedlern in Siebenbürgen, einem Kerngebiet des damaligen Königreichs Ungarn. Von Anfang des 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert kamen nach dem Rückzug des Osmanischen Reiches in mehreren Zügen weitere deutsche Siedlergruppen ins Banat und ins Sathmarer Land. Diese Gebiete wurden nach dem Ersten Weltkrieg zu Teilen Rumäniens.

"Rumäniendeutsche" ist die Sammelbezeichnung für diese sehr unterschiedlichen deutschsprachigen Gruppen, die sich durch Zeitpunkt und Ort ihrer Ansiedlung wie auch aufgrund ihrer vielfältigen Kulturtraditionen unterscheiden. Statt von der "deutschen Minderheit" müsste man im Plural von "deutschen Minderheiten" in Rumänien sprechen. Die historisch sowohl zahlenmäßig wie kulturell und politisch bedeutendsten deutschsprachigen Gruppen sind die Siebenbürger Sachsen in Mittelrumänien und die Banater Schwaben im heutigen Westrumänien. Die beiden deutschen Minderheiten konnten sich trotz massenhafter Aussiedlung während des Kalten Krieges und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks durch Zusammenrücken einigermaßen als eine sprachlich-kulturell und politisch eigenständige Gemeinschaft erhalten. Andere historisch bedeutende deutsche Siedlungsschwerpunkte sind schon während des Zweiten Weltkriegs infolge von Gebietsabtretungen Rumäniens an die Sowjetunion und wegen der Flucht vor den Sowjettruppen gänzlich oder fast gänzlich erloschen, wie im Falle der Buchenlanddeutschen, der Dobrudschadeutschen und der Sathmarer Schwaben.

Die Siebenbürger Sachsen

Die erste und älteste Gruppe bilden die Siebenbürger Sachsen. Um das Jahr 1150 folgten deutsche Bauern und Kleinadlige dem Kolonisationsruf des ungarischen Königs Geza II. und ließen sich in Siebenbürgen (Transsilvanien) nieder. Sie kamen überwiegend aus dem Rheinland und von der Mosel, aber auch aus dem heutigen Luxemburg und Belgien. Von den anderen Bevölkerungsgruppen – Rumänen, Szekler und Ungarn – wurden sie generell "Sachsen" genannt und bezeichneten sich selbst fortan auch so. Sie sollten neue Siedlungsgebiete erschließen und das Land vor den Osmanen militärisch sichern. Im Gegenzug wurden ihnen weitreichende Privilegien wie religiöse Freiheit und Verwaltungsautonomie eingeräumt. Seit der Reformation waren sie vorwiegend evangelisch-lutherisch. 1930 lebten rund 230.000 Sachsen in Siebenbürgen. Diese Zahl schrumpfte bis 1977 auf etwa 170.000, bis 1989 auf rund 100.000. Laut der Volkszählung von 2002 waren es nur noch 18.000. Durch die überraschende Wahl des Siebenbürger Sachsen Klaus Johannis, des ehemaligen Bürgermeisters von Sibiu/Hermannstadt, zum Staatspräsidenten Rumäniens im November 2014 rückte diese inzwischen sehr kleine Minderheit in den Fokus der deutschen Medien und Öffentlichkeit.

Die Banater Schwaben

Nachdem die Habsburger im Jahr 1718 das Banat, eine historische Region im Donauraum, von den Osmanen zurückerobert hatten, unternahmen sie die planmäßige Besiedlung des strategisch wichtigen Grenzgebiets. Schon 1718 kamen Handwerker und Ingenieure, um Befestigungen und Manufakturen in Temeswar (Timis¸oara), der wichtigsten Stadt des Banat, aufzubauen. Die "Kolonisten" kamen in drei "Schwabenzügen": unter Kaiser Karl VI (1722–26), unter Kaiserin Maria Theresia (1763–1773) und unter Kaiser Josef II (1780–90). Herkunftsregionen waren die westlichen und südwestlichen deutschen Gebiete Rheinpfalz, Trier, Hessen, Lothringen und Franken sowie Bayern und Württemberg. Die deutschen Siedler bildeten römisch-katholische, in mehrheitlich orthodoxer Umgebung hervorstechende, mal ethnisch gemischte, öfter aber geschlossene Siedlungen. Von den Nachbarethnien Rumänen, Ungarn und Serben wurden sie "Schwaben" genannt. Diese Fremdbezeichnung wurde zur Eigenbezeichnung.

Eine spezifische Gruppe bildeten die ab 1720 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Süden des Banats (Bergland) angesiedelten Bergleute aus Österreich und Böhmen. 1930 stellten die Deutschen mit 237.000 Personen über 22 Prozent der Bevölkerung im Banat und bildeten somit nach den Rumänen (51,6 %) und vor den Ungarn (16,5 %) die zweitstärkste Volksgruppe. Bei der Volkszählung 2002 bekannten sich im ganzen rumänischen Banat nur noch rund 25.000 Personen zur deutschen Volkszugehörigkeit.

Situation Anfang des 20. Jahrhunderts

Trotz starker Assimilationsbestrebungen des ungarischen Staates im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konnten Sachsen und Schwaben die deutsche Sprache und Kultur bewahren. Nach der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg weckten die Karlsburger Beschlüsse von 1918 große Hoffnungen auf stärkere Selbstbestimmung.

Die zugesagten Freiheiten wurden aber kaum in die Praxis umgesetzt. Politisch hatten die deutschen Minderheiten wenig Freiraum, kulturell durften sie sich immerhin weiter entfalten. Dies geschah unter anderem durch Weiter- bzw. Wiederaufbau eines vor allem in den Städten, aber auch in den ländlichen Gemeinden tragfähigen Bildungsnetzes mit berühmten Bildungseinrichtungen wie der prestigeträchtigen Banatia in Timis¸oara. Sie wurde in den 1920er-Jahren zur größten deutschen Bildungsstätte in Südosteuropa.

Zentrale Bedeutung hatten zudem das sehr aktive Vereinsleben, die deutschen kirchlichen Strukturen sowie die bäuerlichen Festbräuche und Traditionen. Durch gelebtes Brauchtum behielten die "Sachsen" und die "Schwaben" jahrhundertelang ein starkes Gemeinschaftsbewusstsein. Eng damit verbunden war ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein (Kolonisationsmythos), das im frühen 20. Jahrhundert und in der Zwischenkriegszeit durch deutsche Zeitungen, Literatur und große Jubiläumsfeste gefördert wurde.

Dennoch durchlebten die beiden wichtigsten deutschen Minderheiten manch historisch motivierte Rivalitäten. Die etablierten und zeitweise politisch starken Siebenbürger Sachsen galten in Rumänien als "staatstragende Minderheit", während die Banater Schwaben aufgrund einer erst dreihundertjährigen Geschichte "nur" als "wirtschaftstragende" Minderheit immerhin (zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg) ebenfalls Teil der Oberschicht waren und von den anderen Ethnien hoch geschätzt wurden.

In der gegenwärtigen Wahrnehmung sind die geschichtlichen Statusunterschiede noch nicht ganz bewältigt, auch wenn die beiden Gruppen viel gemeinsam haben. Beide wurden während der 1930er- und 1940er-Jahre als deutsche Minderheit teils zwangsweise, teils aus eigenem Antrieb von der NS-Propaganda mitgerissen und überrollt: Aufgrund der deutsch-rumänischen Annäherung durften sie 1940 unter starker Kontrolle Berlins die "Deutsche Volksgruppe in Rumänien" bilden. Ab 1943 dienten rund 57.000 vom Nationalsozialismus zum Teil begeisterte rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität in der Waffen-SS und in der Wehrmacht. Beide Volksgruppen erlebten im kommunistischen Rumänien das Schicksal der Deportation und der Diskriminierung. Beide waren letztendlich gleichermaßen von der massenhaften Aussiedlung nach Deutschland betroffen.

Die Aussiedlung – Ursachen, Hintergründe, Merkmale

Der rumänische Nachkriegskontext

Nach der staatlich verordneten Agrarreform zur Neuordnung der landwirtschaftlichen Produktion im März 1945 erfolgte die Totalenteignung der Großgrundbesitzer. Dies traf die wohlhabenden deutschen Bauern mit voller Wucht. Von 1946 bis 1950 wurde den Mitgliedern der deutschen Minderheit das Wahlrecht entzogen. Die Aberkennung der politischen Rechte und die Verstaatlichung des deutschen Schulwesens – allerdings mit Beibehaltung des muttersprachlichen Unterrichts – stellten einen drastischen Einschnitt in die Lebenswelt der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben dar. Dadurch wurden sie zu "Fremden in der Heimat".

Diese repressiven Maßnahmen des kommunistischen Regimes trafen zwar auch die rumänische Mehrheitsbevölkerung und andere nationale Minderheiten (besonders die Ungarn), sie wurden aber gegenüber den Deutschen besonders radikal durchgeführt und demzufolge subjektiv als rein ethnisch motivierter Racheakt empfunden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit nahmen ohnehin die ethnischen Spannungen zu: Die deutschen "Faschisten" und "Hitleristen" wurden kollektiv für den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen haftbar gemacht. Die Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien wirkten bis in die 1950er-Jahre hinein.

Ab Mitte 1945 wurden außerdem auf sowjetische Anordnung rund 75.000 Zivilistinnen und Zivilisten sowie zurückgekehrte Wehrmacht-Soldaten – Frauen zwischen 18 und 30 Jahren sowie Männer zwischen 17 und 45 Jahren – zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion geschickt. Schwerkranke wurden aus den Sowjetlagern direkt nach Ostdeutschland abgeschoben. Die illegal nach Rumänien Zurückgekommenen wurden verhaftet und saßen jahrelang in rumänischen Gefängnissen. Im sowjetischen Archipel GUPVI, dem Lagersystem für Kriegsgefangene und Internierte, lag die Sterberate schätzungsweise bei über 25 Prozent.

Nach der Rückkehr im Jahr 1949 fanden die Deutschen ihre Häuser und Höfe von rumänischen "Kolonisten" besiedelt und mussten als Tagelöhner in den Kolchosen – verstaatlichten landwirtschaftlichen Großbetrieben – arbeiten. Die Sowjetdeportation wurde jahrzehntelang verdrängt und weitgehend tabuisiert. Im offiziellen Diskurs wurden die sowjetisierten "Heimkehrer" als vorbildhafte Sowjetmenschen dargestellt. Das im Zuge der Deportation erfahrene Leid wurde erst nach der Wende Ende der 1980er-Jahre in der Öffentlichkeit breit thematisiert.

Das Deutsche Antifaschistische Komitee (DAK) in der Rumänischen Volksrepublik wurde Anfang 1949 vom ersten kommunistischen Generalsekretär Gheorghe Gheorghiu-Dej geschaffen. Bis zu seiner Auflösung Anfang 1953 sorgte es für die politische "Umerziehung" der deutschen "Hitleristen" und "Imperialisten". Erklärtes Ziel war das "Zersprengen" der "Isolation" der deutschen Gemeinschaften sowie die Durchsetzung des Stalinismus.

1951 wurden die Deutschen zusammen mit anderen "unzuverlässigen" Ethnien entlang der Grenze zu Jugoslawien ins Ba˘ra˘gan (nordöstlich von Bukarest) verschleppt. Schätzungsweise 10.000 von ihnen starben in der fünfjährigen Verschleppungszeit. Diese zweite Deportation prägte sich tief ins kollektive Bewusstsein ein. Erst 1956 wurde die Diskriminierung stufenweise gelockert. Die Deutschen durften in ihre Wohnhäuser zurückkehren. Das Vertrauen in das Regime war aber nachhaltig erschüttert.

QuellentextDeportation in die Bărăgan-Steppe

Die Banater Schwaben waren Opfer zweier Deportationen: im Januar 1945 in die Sowjetunion und im Juni 1951 in die Bărăgan-Steppe. 40.000 Deutsche, Serben, Mazedo-Rumänen, Bessarabien-Rumänen und Ungarn wurden in den Bărăgan umgesiedelt. Dort wurden 18 neue Kollektiv-Dorfer von den Deportierten gegründet.

Die Deportation geschah in der Zeit, als das Verhältnis zwischen Jugoslawien und der UdSSR abkühlte. 1948 entschied sich Stalin, Jugoslawien, das von Iosip Broz Tito geführt wurde, von dem Kommunistischen Auskunftsbüro zu entfernen. Tito wurde also des Ungehorsams gegenüber der UdSSR beschuldigt. Rumänien wollte der Sowjetunion gegenüber Loyalität zeigen und legte ein Programm fest, durch welches sich die Bevölkerung aus dem Banat, die auf einer Entfernung von 25 km von der Grenze zu Jugoslawien lebte, einer Zwangsumsiedlung unterworfen werden sollte.

Das Ministerium für innere Angelegenheiten wurde ermächtigt, die Umsiedlung jedwelcher Person aus überbevölkerten Gebieten sowie die Umsiedlung von Personen, die gegen den Aufbau des Sozialismus in der rumänischen Volksrepublik waren, zu approbieren. Man wollte also jede "Bedrohung" aus der Grenzzone entfernen. Den Umgesiedelten wurde Zwangsaufenthalt verordnet. […]
Externer Link: www.deutsche-gesellschaft-ev.de/images/pdf/2016-kg-sommerakademie/Denisa-Cosma.pdf

"Ich war noch keine zehn Jahre alt, als am 18. Juni 1951, dem zweiten Pfingsttag, ein Soldat um vier Uhr morgens an unserem Tor erschien – es war noch dunkel draußen – und uns sagte, dass wir in wenigen Stunden unsere Sachen packen sollten. Sie nahmen die Ausweise der Eltern mit. Die Eltern begannen mit Tränen in den Augen zu packen. Sie packten alles, was in einen Wagen passte. Dann fuhren wir, von der Wache begleitet, zum Bahnhof. Dort mussten wir bleiben, bis die Kuhwaggons ankamen. Jede Familie wurde in einen Waggon geladen mit all ihren Sachen: Tiere, Vögel, Kinder. Kranke waren dabei, Schwangere, kleine Kinder – alle zusammen. Sie luden uns ein und fuhren uns durchs Land. Wir wussten nicht wohin. Von Ort zu Ort, von Bahnhof zu Bahnhof. Das Rote Kreuz spendierte Milchpulver oder Kekse für die Kinder. Ich weiß nicht, wie wir überlebt haben. So fuhren wir eine Woche lang durchs Land und gelangten schließlich in den Bahnhof Lunca Duna˘rii – nahe der Donau …", schreibt Larisa Cazacu. […]

"Das Wasser in der Bărăgansteppe war bei 35 Meter Tiefe", erzählt Alexandrina Fundeanu, "deshalb konnten wir es nicht anbohren. Wasser wurde uns in Motorenöl-Zisternen abgefüllt. Wenn wir Durst hatten, mussten wir erst das Öl abschöpfen, um Wasser trinken zu können …". Das größte Problem war die Wassernot. Wasser wurde in Zisternen gebracht und war auch für die Kühe gedacht. Deswegen fingen die Kühe an zu brüllen, wenn sie die Zisternen kommen sahen, so dass man sie kaum mehr im Zaun halten konnte. Sie liefen los, dem Wasser entgegen, so Martin Bolovedea. Eine andere Deportierte erzählt, dass sie das Wasser aus der entfernten Donau mühsam mit Eimern anschleppten. Auf dem Weg dahin trafen sie immer wieder tote Kühe in der Steppe, die dort verwesten. Das Wasser war verschmutzt, und die ganze Familie erkrankte an einem Fieber (febra aftoasa˘ – Maul und Klauenseuche), so Larisa Cazacu. […] Holz gab es nicht; so gingen die Männer und suchten Weidenbäume am Uferrand, die sie abholzten und nach Hause trugen. So konnten sie den ersten Winter im Ba˘ra˘gan überleben, erzählte Angela Călărăsanu. Das tägliche Essen bestand aus einer Suppe aus "vârfuri de lucerna˘" [Suppe aus Kleeblättern, Anm. d. Red.]. "Mutter entfernte die Spitzen der Luzerne (eine Kleefutterart), die etwas weicher waren, und kochte uns eine Suppe daraus. Danach gab es Suppe mit Öl, die uns sehr gut schmeckte. Manchmal gab es auch mămăliga˘ [Maisbrei, Anm. d. Red.] dazu", erinnert sich Gheorghe Cotorbai. Aurel Soculescu aus dem Dorf Corceva erzählt, dass es verboten war, mit den Menschen aus den Nachbardörfern Kontakt aufzunehmen. So erinnert er sich, dass zu Pfingsten eine Generalversammlung im Dorf Pelicani stattfand, wo man den Leuten mitteilte, dass sie zu den Arbeitern aus dem Nachbardorf keinen Kontakt aufnehmen dürfen. […]
Externer Link: www.banater-schwaben.org/nachrichten/kultur/details/681-raub-der-freiheit-und-der-menschenwuerde/

Nach einer kurzen Entstalinisierungsphase mit relativer Liberalisierung des politischen Klimas kehrte die rumänische Führung zu stalinistischen Diskursen und Praktiken zurück. Zahlreiche deutsche Schulen wurden nun zu deutschen Abteilungen gemischtsprachiger Schulen. Ziel war die kulturelle Rumänisierung der "mitwohnenden Nationalitäten". Ende der 1950er-Jahre wurde der "sozialistische Aufbau" wieder aktiv vorangetrieben. 1962 war die Kollektivierung der Landwirtschaft weitgehend abgeschlossen.

In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre trat nach Nicolae Ceaușescu Machtantritt ein "kulturelles Tauwetter" ein. Die Haltung der rumänischen Regierung gegenüber der deutschen Minderheit wurde liberaler. Der 1968 entstandene "Rat der Werktätigen deutscher Nationalität" sollte den nationalen sozialistischen Zusammenhalt fördern. Auch verbesserten sich die deutsch-rumänischen Beziehungen. Dieser kurzen liberalen Phase folgte schon Anfang der 1970er-Jahre eine starke Re-Ideologisierung. Der zunehmende Staatsterror richtete sich unter anderem gegen politisch Andersdenkende und oppositionelle Intellektuelle – auch aus der deutschen Minderheit, wie etwa dem jungen, von dem rumäniendeutschen Schriftsteller Richard Wagner geleiteten Literaturkreis "Aktionsgruppe Banat". Die sprachlichen und kulturellen Lebensformen der Deutschen wurden zunehmend beeinträchtigt mit dem Ziel einer vollständigen Assimilation.

Die immer radikalere Nationalitätenpolitik Ceaușescu ab den 1980er-Jahren glich einer Zwangsrumänisierung, die das hoch entwickelte deutsche Bildungsnetzwerk erheblich schwächte. Die "Systematisierung" der ländlichen Gebiete (Dorfzerstörungsprogramm und urbane Umsiedlungspolitik), die Ende der 1980er-Jahre einsetzte, traf die jahrhundertealten deutschen Dörfer besonders hart.

Umso eindrucksvoller erscheint nach dem Sturz Ceaușescu im Dezember 1989 der Elan der nun gemeinsam engagierten Banater und Siebenbürger Deutschen mit dem Ziel der politischen Mitgestaltung des demokratischen Aufbaus Rumäniens. Im supraregionalen Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) konnten die Rumäniendeutschen die politische Vertretung ihrer kulturellen Interessen bis heute sichern.

Aussiedlungspolitik zwischen Ost und West

Zwar gab es in Rumänien im Gegensatz zu etwa Polen, Ungarn oder Jugoslawien keine Vertreibung der Deutschen zu Kriegsende. Nach 1945 befanden sich trotzdem schon viele rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität in Deutschland: etwa Soldaten, die aus der Kriegsgefangenschaft nach Deutschland entlassen wurden, oder Menschen, die vor den Sowjettruppen geflohen waren. Die Aussiedlung aus Rumänien begann im Zusammenhang mit einer groß angelegten Familienzusammenführungsaktion des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). In den darauf folgenden Jahrzehnten entwickelte der Aussiedlungsprozess eine eigene Dynamik.

Aufgrund der Zusammenarbeit des DRK mit dem Roten Kreuz in Rumänien wurde im Jahr 1956 eine Liste von rund 8400 Personen erstellt, die einen Ausreiseantrag auf Basis der Familienzusammenführung gestellt hatten. Die Aussiedlungszahlen blieben aber vorerst noch sehr gering: Bis einschließlich 1969 schwankten sie im Jahresdurchschnitt zwischen einem Dutzend und knapp 3000. Im Jahr 1970 siedelten im Zuge der Wiederaufnahme der deutsch-rumänischen diplomatischen Beziehungen erstmals 6000 Personen aus.

Zahlenmäßig relevant wurde die Aussiedlung aus Rumänien also erst ab den frühen 1970er-Jahren. Von 1970 bis 1974 wurden rund 29.800 rumäniendeutsche Aussiedler in Deutschland aufgenommen, das waren mehr als in den vorangegangenen 20 Jahren insgesamt. Die Aussiedlung stieg sodann nahezu ununterbrochen an. Zahlenmäßige Höhepunkte waren die 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Im Revolutionsjahr 1989 stiegen die Zahlen schlagartig auf über 23.000. Das Jahr 1990 bildet mit 111.150 registrierten Aussiedlern das Rekordjahr. Ab dem Jahr 1991 gingen die Zahlen stark zurück. Seit 1999 ist die Zahl der Spätaussiedlerzuzüge aus Rumänien kaum nennenswert: jährlich unter 1000, nur noch einige Dutzend seit 2004.

Aussiedlung aus Rumänien (© Bundesverwaltungsamt)

Anlässlich von Ceaușescu Besuch in Bonn im Juni 1973 wurden im Kontext der neuen Ostpolitik Wege der deutsch-rumänischen Kooperation besprochen. Der anschließend von Ceaușescu und Willy Brandt unterzeichnete Wirtschafts-, Handels- und Technologievertrag gab Anlass zu einem gemeinsamen Kommuniqué unter besonderer Erwähnung der "humanitären Fragen" – sprich Familienzusammenführung.

Im Januar 1978 fand der erste offizielle Staatsbesuch eines bundesdeutschen Kanzlers in Rumänien statt. Helmut Schmidt hielt eine vielbeachtete Rede über die Schlüsselrolle der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben als "Brückenbauer" und erinnerte ausdrücklich an die Menschenrechtsbestimmungen der KSZE-Schlussakte von 1975, dem Abschlussdokument der internationalen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, das westliche und östliche Staaten (darunter die Sowjetunion) in Helsinki gemeinsam unterzeichnet hatten. Rumänien sagte daraufhin bis 1982 die Familienzusammenführung für jährlich etwa 11.000 Rumäniendeutsche zu.

Im Gegenzug gewährte die Bundesrepublik zusätzliche Kredite an Rumänien – auch, um dessen Importe aus Westdeutschland zu finanzieren. Manche zeitgenössischen Beobachter kritisierten diesen "Freikauf"-Deal als moralisch fragwürdig und politisch gefährlich. Trotzdem wurde der "Freikauf" bis zum Zerfall des Ceaușescu-Regimes im Geheimen weitergeführt.

Auch beim offiziellen Staatsbesuch von Bundespräsident Karl Carstens in Bukarest im Oktober 1981 waren die Rumäniendeutschen Kern der Diskussion mit Ceaușescu. In Hermannstadt wurde der deutsche Präsident mit Begeisterung empfangen. Laut zeitgenössischen westdeutschen Medienberichten wollten angeblich 80 Prozent der zu diesem Zeitpunkt ca. 320.000 Rumäniendeutschen wegen der schlechten Wirtschaftsbedingungen dem Land den Rücken kehren. Die im Juni 1983 geführten Diskussionen zwischen dem damaligen westdeutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Ceaușescu kreisten um die Modalitäten des "Aufkaufs" der Aussiedler durch die Kohl-Regierung. Genscher ging es darum, "die Aussiedlung auch der Deutschstämmigen aus Rumänien auf eine gesicherte und langfristige Basis gestellt zu haben".

Die rumänische Revolution und die Hinrichtung Ceaușescu am 25. Dezember 1989 lösten eine Massenabwanderung aus. Diese spektakuläre Fluchtbewegung war allerdings kaum spontan: Die Entscheidung war schon längst vor dem Sturz des Diktators gefasst worden. Hierbei wirkte offenbar ein durch die Verhärtung des bundesdeutschen Diskurses hervorgerufener "Torschlusspanik"-Effekt mit.

Die Aussiedlungsproblematik war über 40 Jahre lang Dreh- und Angelpunkt der deutsch-rumänischen Beziehungen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde nunmehr der Fokus auf die wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit gerichtet. Der Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft vom April 1992 eröffnete eine neue Ära der deutsch-rumänischen Beziehungen. Ein Kernbestandteil dieses Vertrags war die Schaffung einer bilateralen Kommission für Angelegenheiten der deutschen Minderheit in Rumänien. In den folgenden Jahren kam es zu verschiedenen Förder-und Hilfsprogrammen, die das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Rumäniendeutschen verbessern sollten. 2007 wurde Rumänien in die EU aufgenommen.

Insgesamt 430.330 rumäniendeutsche Aussiedler hat Deutschland von 1950 bis 2016 aufgenommen. Den entscheidenden Rahmen für ihre Aussiedlung bildete das internationale Umfeld. Dies schloss aber Eigeninitiativen der deutschen Seite nicht aus, wie Schmidts Besuch in Rumänien 1978 zeigte.

Die Aussiedlungspolitik der jeweiligen Bundesregierungen schwankte gleichwohl je nach den mehr oder minder günstigen geopolitischen Konstellationen (Entspannungsphasen) im Kalten Krieg. Die Aussiedlung der Rumäniendeutschen blieb bis in die späten 1980er-Jahre auf der bundesdeutschen politischen Agenda fest verankert. Aufgrund eines Bündels moralischer, menschenrechtlicher, ideologischer und strategischer (demografischer und wirtschaftlicher) Gründe wurde die "Repatriierung" der "Landsleute" von den Bonner Regierenden stets aktiv gefördert und finanziell sorgfältig ausgehandelt. Von vorrangiger Bedeutung waren politisch-moralische Gründe, die sich aus der deutschen Schuld und Verantwortung gegenüber den deutschen "Volkszugehörigen" ergaben, die unter der kommunistischen Gewaltherrschaft gelitten hatten.

Wichtig waren aber auch wohlverstandene nationale Interessen. So konnte die Bundesrepublik die drohende Alterung der Gesellschaft zum Teil "ausgleichen" und Absatzmärkte im Osten sichern. Rumänien seinerseits hatte die massenweise Abreise "seiner" Deutschen zwar wohl nicht beabsichtigt, konnte aber dank der gewährten Kredite und der verlangten "Kopfgelder" (zwischen 8000 und 10.000 D-Mark) der immer dramatischeren Wirtschaftssituation wenigstens kurzfristig entgegenwirken.

Der rumänische Kontext – Motive für die Auswanderung

Die Gründe, Rumänien zu verlassen, waren laut Aussiedlerbefragungen durch die Autorin heterogen und vielfältig verknüpft. Eine der Triebkräfte der Migration war politisch-ideologischer Natur. Befragte Rumäniendeutsche äußerten, dass sie "einem Diktator- und Lügenstaat", "einem absurden kommunistischen System", einem "Polizeistaat" mit "Nepotismus" (Vetternwirtschaft), "Korruption", "Vormundschaft", "ideologischer Volksverdummung", "Massenmanipulation", "jahrzehntelanger Ausbeutung", "Lebensangst", "Unterdrückung" und "Willkür" entfliehen wollten. Sie wollten in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat leben.

Der Status als rumänischer Staatsbürger deutscher Nationalität hatte die Form und das Ausmaß der Unterdrückung verschlimmert. Besonders ab Mitte der 1970er-Jahre verschlechterten sich die bis dahin großzügigen Rahmenbedingungen für die deutsche Minderheit. Zu den Hauptmigrationsmotiven zählten daher auch die verschärften Verhöre der Securitate (Geheimpolizei) aufgrund des zweifachen Makels, "antikommunistisch" und "deutsch" zu sein, sowie die zunehmende Marginalisierung als deutsche Minderheit. Man wollte "als Deutsche(r) unter Deutschen" leben, denn "für die Rumänen blieb man im Grunde immer der ‚neamtul‘ (der Deutsche)". Die ethnisch motivierte Nichtanerkennung der beruflichen Kompetenzen ist ein Leitmotiv der Berichte von Aussiedlern. Beispielhaft hierfür steht diese Interview-Aussage gegenüber der Autorin: "Nach dem Ausreiseantrag wurde ich als "Vaterlandsverräterin" von meiner Stelle als Dozentin an der Technischen Universität Temeswar fristlos und ohne Einkommen gekündigt […]. Es wurde mir eine Stelle als unqualifizierte Arbeiterin in der Bibliothek oder in der Landwirtschaft angeboten." Zunehmender rumänischer Nationalismus, langsame Auflösung der deutschen Dorfgemeinschaft, Verlust des traditionellen Zusammenhalts und letztendlich die Angst vor totaler Assimilation – all dies spielte in den Migrationsentschluss hinein.

Ein besonders schwerwiegender Push-Faktor war "das Schicksal als Deutscher" in der Nachkriegszeit. Geschichtliche Migrationsmotive waren die persönlich erlebte oder familiäre Erfahrung der Enteignung, die Demütigung der pauschal und undifferenziert als "Hitleristen" abgestempelten Großeltern, der Tod eines Elternteils während der Deportation in der Sowjetunion oder die Verbannung der Eltern in die Ba˘ra˘gan-Steppe. Dieses gewaltsame Schicksal wurde als Trauma an die nächste Generation weitergegeben. Demgegenüber wirkten spiegelbildlich als Pull-Faktoren die bereits in Deutschland lebenden Vertriebenen und deren Lobbyarbeit zugunsten der westdeutschen Aussiedlungspolitik in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Einflussfaktor ist der politisch-wirtschaftliche Kontext. "Verzweiflung", "Trostlosigkeit", "Ausweglosigkeit", "Perspektivlosigkeit" oder gar "Zivilisationsgefälle" zwischen Deutschland und Rumänien sind in den Umfragen wiederkehrende Migrationsmotive. Hierbei wirkten gewiss Nachahmungseffekte mit: Die schon nach Deutschland abgewanderten Landsleute hätten "das Gelobte Land" vorgegaukelt. Symbole wie "Ritter Sport-Schokolade" oder "Mercedes-Benz" waren zum Teil prägende Pull-Faktoren.

Nach der Revolution verflog schnell die Hoffnung auf ein besseres Leben im nun sehr instabilen politischen Umfeld in Rumänien. Die im ersten Anlauf häufig abgelehnten Ausreiseanträge verschärften den Diskriminierungsdruck als "Vaterlandsverräter": Verhöre, Haftstrafen, willkürliche Entlassungen und berufliche Deklassierung waren die Folge, was wiederum den Auswanderungswillen noch mehr stärkte. Westdeutschland wurde zum einzigen, obsessiv angestrebten Zielhorizont. Diese dramatischen jahrzehntelangen Erfahrungen (Erniedrigung, Schmiergelderpressung, Schikanen, individuelle und kollektive Verfolgung und deren psychische Spätfolgen) sind in den autobiographischen Romanen der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller eindringlich nachgezeichnet.

Nicht zuletzt kam es auf Basis der anfänglichen Familienzusammenführung zu einer unkontrollierbaren und unerwarteten Eigendynamik. Die Auswanderung der deutschen Intelligenz (Pastoren, Lehrer, Professoren, Ärzte) löste eine Auswanderungspanik mit lawinenartiger Abreise von Verwandten, Freunden und Bekannten aus. Immer mehr Menschen wurden von der Aufbruchsstimmung und der Ausreisewelle mitgerissen. Allgemein herrschte nun die "Angst vor dem Alleinsein".

Die verbliebenen Deutschen sahen kaum Chancen, das gemeinschaftliche kulturelle und religiöse Leben fortzuführen. Die Einschüchterungspolitik und die Repressalien infolge der Flucht bzw. Abreise eines Verwandten verschärften den psychologischen Druck. Hierbei waren rationale und irrationale Motive eng verknüpft, wie aus den Aussiedlerbefragungen hervorgeht: "Es gehörte zu jener Zeit bereits zum ‚Kulturgut‘ der Banater Deutschen, auswandern zu wollen". Betont wird im Nachhinein auch der unaufhaltsame, quasi schicksalhafte Charakter der Aussiedlung als "kollektive Pflicht".

Aus heutiger Perspektive wird diese kollektive Irrationalität von befragten Rumäniendeutschen durchaus anerkannt. Gesprochen wird von allgemeiner "Psychose". Nachträglich wird die unüberlegte, "zwangsläufige" Auswanderung durch den starken Mythos Deutschland (als Zufluchtsort) erklärt: "Es war die Mär von irgendetwas, vielleicht auch die Mär von der großen Freiheit." Der damalige Freiheitsreiz ist in der deutschsprachigen Presse im Banat zum Zeitpunkt der chaotischen Wende dokumentiert. In den frühen 1990er-Jahren entwickelte sich die Aussiedlung zu einem Dauerthema der Neuen Banater Zeitung (der einst wichtigsten deutschsprachigen Zeitung im Banat), und zwar in Form der existenziellen Fragestellung: "Bleiben oder gehen?".

Zusammenfassend können die Migrationsmotive drei Typen zugeordnet werden:

  • ideologisch, politisch, ethnonationalistisch (politische Befreiung, Bewahrung der eigenen ethnokulturellen Identität);

  • ökonomisch (Flucht aus einem bankrotten Staat, bildungs- und karrieremotivierte Flucht, Elitenflucht);

  • irrational und konformistisch (unreflektierte Kettenwanderung als hoch interaktiver sozialer Prozess).

All diese Push- und Pull-Faktoren waren grundsätzlich mit je verschiedenem Gewicht eng miteinander verflochten. Es ging letztendlich um eine existenzielle Überlebensmigration, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht. Im Zusammenspiel mit diesen Motiven traten einerseits die aktive Aussiedlungspolitik der Bundesrepublik (Pull-Faktor) und andererseits der groß angelegte "Verkauf" der Rumäniendeutschen von rumänischer Seite (Push-Faktor) verschärfend hinzu.

Integration in Deutschland

Sicht der Rumäniendeutschen auf ihre Integration

Die Integration der (Spät-)Aussiedler gilt inzwischen einerseits als eine "Erfolgsgeschichte". In Bezug auf die selbstempfundene Integration belegen eigene neuere Feldforschungsergebnisse andererseits starke Differenzen zwischen den befragten Aussiedlern. Je nach Alter, Aussiedlungszeitpunkt, Herkunftsort oder räumlicher Ansiedlung in Deutschland wurden sehr unterschiedliche Integrationsstrategien entwickelt und, damit verbunden, verschiedene oder gar gegensätzliche Neu-Identifikationen herausgebildet.

Die räumliche Verteilung der Aussiedler hat vielfältige soziokulturelle und berufliche Auswirkungen auf die Eingliederung in Deutschland. Drei von vier Rumäniendeutschen haben sich in Bayern und Baden-Württemberg niedergelassen. Weitere große Siedlungsgebiete sind Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Südhessen und das Saarland. Hauptgründe für diese Konzentration sind die Anziehungskraft der katholischen süddeutschen Bundesländer (im Fall der katholischen Banater), gekoppelt mit der historisch-kulturellen Nähe zur "Urheimat" (sprachliche bzw. dialektale Affinitäten).

Ferner spielen die regionalen Patenschaften eine große Rolle: So übernahmen nach dem Krieg Baden-Württemberg und das Saarland die Patenschaft für die Banater Schwaben, Nordrhein-Westfalen für die Siebenbürger Sachsen. Diese Patenschaften drückten sich in diversen materiellen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen aus. Ein weiterer Faktor ist die wirtschaftliche, industrielle und demografische Stärke Bayerns und Baden-Württembergs.

Hinzu kommen Mechanismen der Familienzusammenführung sowie die Existenz von Aussiedleraufnahmelagern, etwa im südhessischen Darmstadt oder im bayerischen Nürnberg. In die neuen Bundesländer sind die rumäniendeutschen (Spät-)Aussiedler erst im Zuge der strikteren Verteilungspolitik ab 1990 gekommen. Im Laufe der Zeit haben sich aufgrund der räumlichen Konzentration sehr starke Migrationsnetzwerke herausgebildet. Zumindest in der Anfangsphase relativ geschlossene Aussiedlergemeinschaften haben den sozialen und beruflichen Neubeginn und schließlich die Gesamteingliederung in die Aufnahmegesellschaft erleichtert.

Aus bundesdeutscher Sicht wird die gesellschaftliche und berufliche Integration der Rumäniendeutschen als äußerst gut gelungen bewertet. Von den Interviewten wird als Erfolgsfaktor eine historische, allerdings weitgehend konstruierte "Wanderungstradition" hervorgehoben, die unmittelbar an den Kolonisationsmythos anknüpft. Basierend auf aus ihrer Sicht praktisch "vererbten" Kolonisten-Eigenschaften wie "Pioniermentalität", "Ausdauer" und "Ehrgeiz" sehen sie sich selbst als besonders integrationswillige und -fähige Einwanderer.

Die Aussiedler waren trotzdem zunächst einmal Neuzuwanderer. Die gegenwärtig überwiegend anzutreffende positive Selbsteinschätzung als vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft und die als erfolgreich empfundene Integration ist das Ergebnis eines langwierigen, zuweilen jahrzehntelangen Akkulturationsprozesses. Rückblickend auf die unmittelbare Ankunftszeit in Deutschland wird häufig von tiefer Orientierungslosigkeit und prägender Verunsicherung gesprochen. Hauptmotive waren "Heimweh", "die Angst zu versagen" oder "die Beschimpfung als Rumänen". Gerade das "Zwischen-den-Welten"-Sein wurde lange Zeit eher als schmerzhaft und hemmend empfunden. Erstaunlich selten wurde die doppelte Heimaterfahrung zum wirklichen (sozialen bzw. beruflichen) Trumpf gemacht. Vielmehr dominierte anfangs oft noch die Erfahrung, "deutsch und dennoch fremd" zu sein. Daraus ergab sich der Wille, den eigenen, eigentlich kaum ablegbaren Dialekt wenigstens nicht an die Kinder weiterzugeben.

Die Integrationsstrategien waren äußerst vielfältig, und zwar nicht nur im Vergleich zwischen den "identitätsbewussten" Siebenbürger Sachsen und den "anpassungsbereiteren" Banater Schwaben, sondern auch innerhalb der beiden Aussiedlergruppen. Manche Aussiedler strebten von Anfang an ein gänzliches Aufgehen in der einheimischen Aufnahmegesellschaft an. Sie distanzierten sich von der Landsmannschaft – ein 1950 gegründeter Verband zur Vertretung der Interessen der Rumäniendeutschen –, und zwar aus vielfältigen Gründen. Die Aussagen reichen von geografischen Gründen (in Ostdeutschland gebe es sowieso kein aktives Netzwerk), Zeit- oder Berufsgründen bis zu skeptischer, ja sogar strikt ablehnender Haltung gegenüber dem ideologischen, "militanten" Landsmannschaftsgeist ("Deutschtümelei", "Heimattümelei" oder "Vereinsmeierei"). Konsequenterweise hatte diese Personengruppe von vornherein mehr Kontakte zur deutschen Mehrheitsbevölkerung. Dieser ohnehin heterogenen "zukunftsorientierten" Gruppe lässt sich ein gewisser bewusster Kulturwandel hin zur "bundesdeutschen Identität" attestieren.

Im Gegensatz zu dieser gewollten Integration stellen andere, traditionsbewusste, vergangenheitsorientierte Aussiedler noch heute eine umfassende kulturelle Einheit dar, gestützt auf die sehr aktiven landsmannschaftlichen Netzwerke. Solche Kontakte werden intensiv gepflegt, und zwar aus sehr unterschiedlichen persönlichen Gründen: sei es aus Dankbarkeit für die Anfangshilfe, aus Treue zu den Vorfahren, sei es aus Beziehungsmotiven, oder aber auch aus geschichtlichen Gründen (gepflegte Erinnerung an das Kollektivschicksal) oder zur Weitervermittlung der "Heimatwerte" und Traditionen, aus kulturpolitischen Interessen oder einfach aus konformistischen Erwägungen ("Das gehört sich so"). Aussiedler mit dieser Orientierung finden sich mehrheitlich mit ihren Landsleuten zusammen und pflegen demonstrativ die siebenbürgischen bzw. schwäbischen Kultur- und Lebensformen. Sie beharren also auf ihrer landsmannschaftlichen Zugehörigkeit. Freundschaften zu einheimischen Deutschen sind in ihrem Fall weniger ausgeprägt. Diese Personengruppe erscheint wie "ein Mikrokosmos", der eine vielfach konstruierte Identität "kultiviert".

Aus alledem wird klar, dass die Aussiedler aus Rumänien eigentlich weit vielgestaltiger sind als sie von außen erscheinen mögen. Sie fühlen sich mehrheitlich exzellent integriert. Zwar wird gelegentlich eine bleibende Eigenart eingestanden: "Landfremd werden wir auf unsere eigene Art bleiben", wie es ein Befragter ausdrückte. Auch wurde das Idealbild Deutschlands mittlerweile realistisch korrigiert. Inzwischen kommt sogar Bedauern unumwunden zum Ausdruck: "Wir haben uns mit unserem Exodus selbst aus der Geschichte wegradiert, unsere Identität verloren und unsere Kultur verraten." Dabei wird diese Einschätzung mitnichten von allen Aussiedlern geteilt. Im Rückblick vermissen viele von ihnen typische, womöglich idealisierte Merkmale des damaligen Lebens in der rumänischen Heimat, etwa "geselliges Beisammensein", "Zwischenmenschliches", "Feste, die man zusammen feiert" und ganz allgemein "Gemeinschaft, Vertrautheit, Geborgenheit" – also pointiert formuliert das "Wir-Gefühl".

Zusammenfassend geht aus den Umfragen eine breite Palette von (Neu-)Identifikationsmerkmalen hervor: Die schwäbische bzw. siebenbürgische Identität wurde mal aufgewertet, mal beschämt verborgen oder gar bewusst aufgegeben. Insgesamt sehen sich die Rumäniendeutschen als "angepasst und unauffällig". Die meisten meinen, in der deutschen Gesellschaft richtig "angekommen" zu sein, und betrachten Deutschland als ihre neue Heimat. Sie "gehören dazu". Häufig wird von "Herkunftsheimat" und "Wahlheimat", "erster" und "zweiter", "alter" und "neuer" Heimat gesprochen. Die wenigsten fühlen sich bis heute "heimatlos" und trauern der verlorenen Heimat nach.

Rückwanderung nach Rumänien?

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten rund 750.000 Deutsche im multiethnischen Rumänien. Mit vier Prozent der Gesamtbevölkerung stellten sie somit nach den Ungarn die zweitgrößte nationale Minderheit dar. Infolge des Exodus nach Deutschland in der Wendezeit wurden beim Zensus 1992 nur noch rund 120.000 Deutsche gezählt, im Jahr 2002 knapp 60.000. Laut der letzten Volkszählung von 2011 leben insgesamt 36.900 Deutsche (0,2 %, etwa gleichmäßig auf Siebenbürgen und das Banat verteilt) als nur noch drittstärkste nationale Minderheit in Rumänien, und zwar nach den Ungarn (über 6 %) und den Roma (über 3 %).

Die Auswanderung der Deutschen hat die gesellschaftlich-kulturelle Landschaft Rumäniens nachhaltig verändert. Sie führte zur Überalterung der Bevölkerung in den einstigen rumäniendeutschen Dörfern und zu ihrer ethnischen Umstrukturierung. Die ökonomisch folgenschwere Entleerung der deutschen Dörfer in Siebenbürgen und in den schwäbischen Ortschaften konnte in der postkommunistischen Zeit nicht wieder wettgemacht werden. Neben dem gravierenden Verlust für die multikulturelle Umgebung kamen dem rumänischen Staat gut ausgebildete, hoch effiziente Arbeits- und Führungskräfte abhanden. Die immer noch hoch angesehenen deutschen Kulturtraditionen werden heute mehrheitlich von Nicht-Deutschen getragen.

Die Aussiedlung markierte eine einschneidende, unumkehrbare Zäsur, denn die Deutschen kehrten nach der Wende nicht zurück. Kaum einer hielt bei der Aussiedlung am rumänischen Pass fest. Mit dem verhassten rumänischen Staat wollte man nichts mehr zu tun haben, wie in Interviews häufig gesagt wurde. Dorthin wollte man "nicht einmal als Leiche" zurückkehren. Mittlerweile beantragen zwar einige wieder einen rumänischen Pass. Viele sind aber nie wieder oder erst lange nach der Wende nach Rumänien zurückgekehrt. Die Rückkehr wird rein hypothetisch, etwa "aus Nostalgiegründen", erwogen. Ab und zu wird mit dem Gedanken gespielt, "Hemm ins Banat", "Derham" oder "nunner" (heim, daheim oder "nach unten") zu fahren, doch eine endgültige Rückkehr wäre für die meisten eine Zumutung.

Die einen kehren also nur auf Zeit (saisonale Migration vor allem im Sommer), die anderen auf Dauer zurück (transnationale Berufspendler). Nur wenige sind endgültig in den Heimartort zurückgekehrt. Hierbei handelt es sich primär um Rentnerinnen und Rentner, die vorwiegend in den landschaftlich attraktiven Regionen Siebenbürgens und des Banater Berglands leben, oder aber auch um gemischte, etwa rumänisch-deutsche Familien.

Interessant sind die gespannten Netzwerke zwischen den rumänischen Herkunftsregionen und den deutschen Ansiedlungsorten. Die Aussiedler agieren hierbei auf mehreren Ebenen (kulturell, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch) als transnationale Wanderer. Dadurch wird ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit den in Rumänien verbliebenen Landsleuten erhalten.

QuellentextGelebtes Miteinander seit Jahrhunderten

Hermannstadt, auf Rumänisch Sibiu, auf Ungarisch Nagyszeben, ist sogar bei Bindfadenregen eine ausgesprochen schmucke Stadt: Hauptort Siebenbürgens, im alteuropäischen Sinne multikulturell und im modernen Sinne durchaus prosperierend. […]

Der Mediziner [Paul-Jürgen Porr], langjähriger Chefarzt an der Uniklinik Hermannstadt, ist Vorsitzender des "Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien". Von den Räumen der Interessenvertretung der deutschen Minderheit aus hat man einen schönen Blick auf den Großen Ring, den Hauptplatz der Stadt [...].

Was ist das Besondere an Hermannstadt? "Die Tradition", sagt Porr wie aus der Pistole geschossen. Schon in der Antike ist "Cibiensis" belegt, vor bald 800 Jahren wird der Name "villa Hermani" erstmals urkundlich erwähnt, vermutlich nach einem sächsischen Siedler benannt. Wobei man sich unter "Sachsen" geographisch etwas anderes vorstellen muss als heute, die Mundart der Siebenbürger Sachsen, in der Porr munter die Gebäude des Großen Rings beschreibt, klingt eher nach Niederländisch oder Luxemburgisch. Luxemburg und Hermannstadt waren 2007 gemeinsam "Kulturhauptstädte Europas", wovon in Sibiu noch die Aufschrift auf gusseisernen Kanaldeckeln und bunte Fassaden zeugen, wenn die auch hier und da in manchen Seitengassen schon recht bröckelig erscheinen.

Viele Sprachen und viele Völker, die zusammenlebten, das sei typisch für Siebenbürgen, meint Porr. "Es war schon immer ein Kleineuropa. Was wir heute als europäisches Gedankengut bezeichnen: Friedliches interethnisches Zusammenleben, das wurde hier über die Jahrhunderte gelebt." Im dreizehnten Jahrhundert wurde die Stadt im Mongolensturm verwüstet, danach befestigte man die Mauern doppelt und dreifach und schuf sich eine Wehrordnung, die offenbar sogar die Osmanen beeindruckte. Sie zogen an den Mauern der "roten Stadt" (wegen der Ziegel) vorbei, Siebenbürgen zahlte Tribut und durfte als halbfreies Fürstentum, geführt von ungarischen Fürsten, zwischen den Machtblöcken lavieren – eine Tradition, an die im heutigen Ungarn gerne erinnert wird.

Das heutige Hermannstadt ist wegen der politischen Konstellation in der Kommune nach Meinung Porrs ein Fall für das "Guinnessbuch der Rekorde". Denn obwohl die Deutschen heute nicht einmal mehr zwei Prozent der Bevölkerung der 160.000-Einwohner-Stadt ausmachen, stellen sie nicht nur seit 2000 den Bürgermeister, erst [der spätere Staatspräsident Klaus] Johannis, seit 2014 Astrid-Cora Fodor. So etwas komme schon mal vor, wenn eine Persönlichkeit aus einer ethnischen Minderheit die Leute überzeuge. Aber seit 16 Jahren stelle das Demokratische Forum der Deutschen auch im Stadtrat die Mehrheit. Das bedeute, dass auch die Rumänen mehrheitlich und dauerhaft Deutsche gewählt haben.

Dabei hat die Minderheit der Deutschen in Rumänien – nicht nur Siebenbürger Sachsen, sondern auch Banater Schwaben und weitere Gruppen, die im Laufe der Zeit als Siedler in den Karpatenraum gerufen wurden – einen gewaltigen Aderlass erlitten. Zwischen den Weltkriegen seien noch 700.000 Deutsche gezählt worden, berichtet Benjamin Józsa, der Geschäftsführer des "Demokratischen Forums". Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zahl schon fast halbiert, 1989 waren es nur mehr 250.000, und nach dem Fall des kommunistischen Regimes kam noch einmal eine große Auswanderungswelle. Heute habe sich die Zahl bei etwa 36.000 Deutschen in Rumänien eingependelt. Die einen oder anderen ziehen vielleicht noch aus familiären Gründen weg, andere wieder zurück – und sei es für einen Teil des Jahres als Rentner, um bei angenehmen Lebensbedingungen und günstigeren Preisen wieder die vertrauten Kirchenglocken zu hören und den Anblick der Fogarascher Berge zu genießen. Es zögen aber auch Leute her, die ursprünglich mit Siebenbürgen gar nicht am Hut gehabt hätten, sagt Porr und weist durch das Fenster auf die "Buchhandlung Schiller", deren Inhaber, ein Rheinländer seit 20 Jahren da sei und inzwischen schon Filialen in anderen Städteneröffnet habe.

Das Motiv für die, die gegangen sind, erscheint naheliegend: "Aus wirtschaftlichen Gründen", sagt Porr. Viele hätten in der Zeit der kommunistischen Diktatur weggewollt, aber nicht gekonnt. Es gab Genehmigungen zur Ausreise – für Diktator Nicolae Ceaușescu wurde das sogar zu einem Devisengeschäft, denn die bundesdeutsche Regierung in Bonn unterstützte Ausreisewillige. Aber vom Antrag bis zur Ausreise dauerte es im Schnitt 18 Jahre. Und wenn man einen irgendwie bedeutenden Posten hatte, dann war der nach Antragstellung sofort weg. Lehrer durften nicht mehr unterrichten: "Wie sollte der die Kinder im sozialistischen Sinne erziehen, wenn er mit dem Klassenfeind paktierte?" Das hätten viele nicht riskieren wollen – und seien dann sofort gegangen, als 1989 der Damm brach.

Aber ein anderer (kleinerer) Teil sagte sich, in den Worten Porrs, der selbst seit 1977 als Assistenzarzt tätig war und 1990 dem "Demokratischen Forum" beitrat: "Freiheit haben wir jetzt auch hier, also fangen wir an, was aufzubauen." Und es sei viel getan worden in den vergangenen 30 Jahren: In Hermannstadt, in Siebenbürgen und in ganz Rumänien. Wirtschaftlich sei Siebenbürgen im Land ganz vorne, nur der Großraum Bukarest könne mithalten. Man habe praktisch Vollbeschäftigung, die Arbeitslosigkeit liege teils unter zwei Prozent.

Freilich ist das auch Ausdruck eines Problems, das Rumänien insgesamt quält: Wer ausgebildet, mobil und unternehmungslustig ist, verlässt das Land. Porr, der an der Uniklinik Mediziner ausbildete, sah seine Studenten nicht nur Anatomie büffeln, sondern auch Englisch oder Deutsch – und nach dem Examen waren die meisten bald weg. Rumänische IT-Kräfte seien vom Silicon Valley bis nach Neuseeland gefragt, sagt Porr. Und dann gebe es die vielen einfachen Leute, die zum Erdbeerpflücken oder Spargelstechen weggingen, bevorzugt (wegen der verwandten romanischen Sprachen) nach Italien oder Spanien, während die Kinder bei den Großeltern blieben. "Die kommen zurück – oder manche auch nicht. Es gibt vier Millionen Rumänen, die im Ausland sind – Tendenz steigend." Die Ausübung der deutschen Sprache und Kultur wird nicht behindert, das sei "nicht mal im härtesten Ceaușescu-Regime" so gewesen, sagt Porr. Im Gegenteil habe man das Privileg genossen, dass es staatliche deutsche Schulen gab – anders als in Ungarn, von Polen ganz zu schweigen, wo der Gebrauch der deutschen Sprache nach dem Krieg gar verboten war. Die Entfernung entschärfte allfällige Separatismus-Verdächtigungen: "Bei uns sind es zwei Staaten bis Deutschland." [...]

Stephan Löwenstein, "Kleineuropa in Rumänien", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Mai 2019 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Insgesamt unterhalten die Aussiedler aber ein ambivalentes Verhältnis zu den in Rumänien Verbliebenen: "Die Ausgewanderten sind ein willkommenes und oft benutztes Bindeglied zur Urheimat Deutschland. Doch auch die Ausgewanderten haben ein großes Interesse an den Dortgebliebenen als Anlaufstelle in der Heimat. Sie sind in gewissem Maße unsere Statthalter dort." Doch letztendlich haben das "Ost-West-Gefälle" und die wachsende kulturelle Kluft zwischen beiden Gruppen die emotionale Bindung weitgehend zerstört.

Die Aussiedlung war keine zeitweilige, sondern eine endgültige Migration. Einen "Rückkehrmythos" oder eine statistisch bedeutsame Rückwanderung gibt es nicht. Die rumäniendeutschen Aussiedler (besonders die Banater Schwaben) sehen sich selbst im gegenwärtigen Deutschland als überangepasste Gruppe, die sich so schnell und unauffällig wie möglich den bundesdeutschen Mehrheitsbürgern angleichen wollte. In der Tat darf ihre soziokulturelle, gesellschaftliche und berufliche Integration fast 30 Jahre nach der Massenaussiedlung von 1990 als sehr gelungen betrachtet werden. Sie traf das Aussiedlerstigma kaum, zumindest weit weniger als die Aussiedler aus Polen und erst recht diejenigen aus der ehemaligen Sowjetunion.

Zusammenfassung und Ausblick

Die in den 1990er-Jahren in Deutschland so prägende Aussiedlerproblematik rückte Anfang des 21. Jahrhunderts infolge neuer geopolitischer Konstellationen und neuartiger Migrationsbewegungen in den Hintergrund. Problematisch war in der kontrovers geführten und zuweilen heftigen Aussiedlerdebatte der undifferenzierte Globalbegriff im politischen und medialen Diskurs. Die pauschal als (Spät-)Aussiedler bezeichnete Gruppe war und bleibt in der Tat vielgestaltig.

Zum einen haben die Aussiedler aus Rumänien außer dem dramatischen Schicksal der Deportation und der allgemeinen Diskriminierung als Deutsche im kommunistischen Ostblock wenig gemeinsam mit den Aussiedlern aus Polen oder der Sowjetunion. Zum anderen bilden sie selbst eine recht heterogene Gruppe, und zwar in doppelter Hinsicht: Bereits in Rumänien unterschieden sie sich zunächst durch nachhaltig identitätsprägende Merkmale, je nach Siedlungszeit, räumlicher Verteilung sowie institutioneller Rahmenbedingungen und religiöser bzw. kultureller Einrichtungen.

Für die Aussiedler wiederum waren eine Reihe von Merkmalen maßgeblich für die Integration in Deutschland: der Aussiedlungszeitpunkt (in kommunistischer Zeit, in der Wendezeit 1989–90, oder gar in der postkommunistischen Zeit), die Dauer des Lebens in Rumänien und nicht zuletzt das Alter zum Zeitpunkt der Aussiedlung (eigene oder familiäre Erfahrung der Deportation bzw. Verbannung, Ausmaß der selbst erlebten Diskriminierung, Rumänisierungserfahrung). Die Akkulturation und das Einleben in Deutschland verliefen stets entlang dieser extrem differenzierten geschichtlichen Erfahrungen. Aus all diesen Gründen erscheint beim näheren Hinsehen der historische Terminus "Aussiedler" trügerisch. Diese pauschale Formel wird den sehr ausdifferenzierten individuellen Lagen nicht unbedingt gerecht. Darum bedarf es zumindest einer intensiven Überlegung um zu klären, wer genau jeweils damit gemeint ist und welche Schicksale sich dahinter verbergen.

Prof. Dr. Gwénola Sebaux ist Professorin für Deutschlandstudien an der Université catholique de l'Ouest in Angers (Frankreich). 2012 habilitierte sie sich in deutscher Kultur und Geschichte an der Universität Nantes mit der Arbeit "Migrationspolitik und Identitätsfragen im 'postnationalen' Deutschland. Eine kritische Analyse". Ihre Forschungsschwerpunkte sind Migrationspolitik und Migrationsfragen in der Bundesrepublik Deutschland, sowie Geschichte und Zeitgeschichte der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion. Sie ist Mitglied des Deutsch-Französischen Historikerkomitees sowie des wissenschaftlichen Beirats der Studien zur Historischen Migrationsforschung (SHM).