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Akteure und Arenen: Parlamente und Vereine, Fraktionen und Redaktionen, Männer und Frauen, Petitionen und Barrikaden | bpb.de

Informationen zur politischen Bildung Nr. 364/2025

Akteure und Arenen: Parlamente und Vereine, Fraktionen und Redaktionen, Männer und Frauen, Petitionen und Barrikaden

Jörn Leonhard

/ 13 Minuten zu lesen

Die Revolution ermöglichte neue Erfahrungen politischer Teilhabe. Diese Entwicklung ging weit über Wahlen und Parlamente hinaus und wirkte so als Impuls für eine langfristig wirkende Politisierung.

Institutionalisierte Politik: Parlamente und Fraktionen

Eine Sitzung des „Centralmärzvereins“ am 6. Mai 1849 in Frankfurt am Main. Der Verein dient als Dachorganisation demokratischer Vereine und nimmt viele Funktionen einer modernen Partei vorweg. (© Alamy, piemags)

Auf einer ersten Ebene bildete die Frankfurter Nationalversammlung mit der Provisorischen Zentralgewalt nicht nur eine eigene Exekutive. Ihre Abgeordneten entwickelten auch in kurzer Zeit eine beeindruckende Fähigkeit, die parlamentarische Arbeit selbstständig zu organisieren. Bereits die unmittelbare Publikation der stenographischen Berichte aller Parlamentsdebatten in einem unzensierten Volltext in den deutschen Staaten stellte eine grundlegende Innovation dar. Druck und Verbreitung der stenographischen Berichte ließen aus den parlamentarischen Debatten Tagesereignisse werden, die politische Diskussionen auch außerhalb der Parlamente stimulierten.

(© Quelle: Eigene Darstellung nach © Deutsches Historisches Museum, Lithografie nach Paul Bürde)

Den Abgeordneten in Frankfurt kam zugute, dass viele von ihnen Erfahrungen aus den einzelstaatlichen Landtagen des Vormärz mitbrachten. Obwohl es bis 1848 noch keine fest organisierten Parteien im modernen Sinne gab, schlossen sich die meisten Abgeordneten in der Paulskirche bald entsprechend ihrer politischen Grundanschauungen zusammen und bildeten Fraktionen, die den Geschäftsablauf in der Nationalversammlung bestimmten. Die Fraktionen in der Frankfurter Paulskirche bezeichnen sich zunächst ganz pragmatisch nach ihren städtischen Tagungslokalen: die konservative Rechte nach dem „Café Milani“, die konstitutionellen Liberalen nach dem „Casino“, dem „Landsberg“ und dem „Augsburger Hof“, die parlamentarische Linke nach dem „Württemberger Hof“ und dem „Westendhall“, die demokratische Linke schließlich nach dem „Deutschen Hof“ und dem „Donnersberg“.

Durch Abstimmungsdisziplin und Koalitionsbildungen trugen sie wesentlich dazu bei, in kurzer Zeit ein funktionsfähiges Parlament zu entwickeln, zu dem bald auch eine funktionale Ausdifferenzierung durch Ausschüsse gehörte, etwa zur Ausarbeitung der Grundrechte der künftigen Verfassung oder zu volkswirtschaftlichen Themen. Häufige Fraktionswechsel und zahlreiche unabhängige Abgeordnete machten Voraussagen über konkrete Abstimmungsergebnisse allerdings unsicher.

Private Zirkel, Salons und Lesehallen ließen auch außerhalb der Paulskirche einen Raum politischer Debatten entstehen, der für den persönlichen Kontakt zwischen Parlamentariern über die Fraktionsgrenzen hinaus und zwischen Abgeordneten und Journalisten große Bedeutung hatte. Zum Parlamentsalltag gehörte also von Anfang an die intensive Beteiligung der Öffentlichkeit an den Debatten, so dass eine intensive Interaktion zwischen dem Parlament und dem außerparlamentarischen Raum entstand. Dazu trugen die publizierten Parlamentsprotokolle bei. Hinzu kamen zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften sowie die sogenannten „Interpellationen“ der Abgeordneten über die ihnen aus den Wahlkreisen zugetragenen Probleme und Reaktionen der Bevölkerung. Ebenso wichtig wurden die zahlreichen „Petitionen“, die jeden Tag aus allen Teilen Deutschlands in Frankfurt eingingen und einen Eindruck von den Konflikten und Debatten in ganz unterschiedlichen Teilen der deutschen Gesellschaft vermittelte.

Den Alltag des einzelnen Abgeordneten bestimmten daher nicht allein die Plenarsitzungen, sondern ebenso die Arbeit in der Fraktion oder in einem der Ausschüsse, die Mitgliedschaft in einem der zahlreichen Vereine und der tägliche Meinungsaustausch in den über Frankfurt verteilten Clubs. Viele Parlamentarier verfassten nicht nur Artikel für die politische Presse, sondern eigene Rechenschaftsberichte für ihre Wahlkreise. All das trug entscheidend zu einer über die Nationalversammlung hinausweisenden gesamtgesellschaftlichen Politisierung und Bewusstseinsbildung bei.

Wandzeitungen, Flugschriften, Karikaturen, Satiren und Lieder ließen Nachrichten, Kommentare und Meinungen auch über die städtischen Zentren hinauswirken. So konnten seit März 1848 viele Männer und Frauen auch jenseits der bürgerlichen Eliten die Ereignisse verfolgen und eigene Meinungen formulieren. Wahllokal, Parlamentsplenum, Redaktion und Straße waren keine voneinander getrennten Räume der Revolution, sondern vielfältig miteinander verknüpft. Seit März 1848 entwickelte sich in wenigen Monaten in Ansätzen ein nationaler Raum der Politik, der die Grenzen der politischen Kulturen der Einzelstaaten vielfach überwand.

Kommunikation und Selbstorganisation: Vereine und Medien, Stadt und Land

Politik war also nicht allein eine Sache der Parlamente in Frankfurt, Berlin, Wien oder anderen deutschen Hauptstädten. Schon die Berliner Märzkämpfe hatten die Auseinandersetzung zwischen Staat, Militär und Gesellschaft im öffentlichen Raum demonstriert. Die im Volkspark Friedrichshain bestatteten Märzgefallenen bewiesen, dass die Revolution nicht in einer parlamentarischen Legalisierung aufging. Die Opfer der Straßenrevolution waren Männer, Frauen und Jugendliche, Gesellen und Lehrlinge, Handwerker, kleine Selbständige, Arbeiter und Bauern, Anwälte, Lehrer und Journalisten. In der nachträglichen konservativen Deutung von 1848/49 erschien die Revolution mit Blick auf diese Auseinandersetzungen als „tolles Jahr“. Doch unterschlug diese Formulierung die Vielfalt der Orte und Medien der Revolution und reduzierte sie auf eine von Gewalt geprägte Ausnahmesituation. Nach deren Ende gelte es, die demagogisch verführten Volksmassen wieder in die Normalität eines politischen Ausgangszustands zurückzuführen.

Im Gegensatz zu dieser Deutung bedeutete die Revolution aber eine neuartige Erfahrung des Politischen, die nicht in regierungsamtlicher Staatskunst und Polizeiaktionen gegen angeblich undisziplinierte Volksmassen aufging. Seit März 1848 hatten viele Deutsche gerade auch in spontanen Protesten und organisierten Volksversammlungen erlebt, wie sich der „Volkswille“ und der Anspruch auf Volkssouveränität artikulieren ließ. Das setzte sich in zahlreichen Vereinen, persönlichen Netzwerken und einer Welle von Petitionen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln fort. 1848/49 erscheint vor diesem Hintergrund als entscheidender Impuls für die Entwicklung lokaler Organisationen, von Vorformen von Parteien, Gewerkschaften und Berufsverbänden. Die Erfahrung, eigene politische und soziale Interessen selbstständig organisieren zu können, prägte die Demokratisierungserfahrung im Alltag. Dazu gehörte auch die Drohung radikaler Demokraten mit der Einführung der Republik oder der möglichen Gewaltanwendung. Dennoch lässt sich diese Politisierung nicht allein auf Gewalt reduzieren, wie das viele Liberale in ihrer Angst vor einer Entgleisung der Revolution immer wieder taten.

Eine entscheidende Rolle für diese Politisierung außerhalb der Parlamente spielte die Vereinskultur, die sich bereits im Vormärz ausdifferenziert hatte und die durch die seit März 1848 gewährte Versammlungsfreiheit einen enormen Schub erfuhr. Das galt ganz besonders für Frauen, auf die sich die gewährte Versammlungsfreiheit im politischen Raum ausdrücklich auch erstreckte. So konnten sie außerhalb der Parlamente, die für sie verschlossen blieben, wichtige politische Erfahrungen sammeln. Doch zugleich vertiefte dieser Prozess auch die ideologischen Spannungen. Das zeigte sich beim Blick auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Häufig übersehen, spielten Bauern in vielen deutschen Regionen im Frühjahr 1848 eine sehr aktive Rolle. Sie wandten sich gegen die letzten feudalen Relikte aus der „alten“ Welt der mittelalterlichen Ständegesellschaft. Ihre kollektiven Protestformen waren häufig vormodern und oft regional oder ­lokal begrenzt. Für die Agrargesellschaft bedeutete die Revolution zunächst einen großen Erfolg, da die Bauern nun persönlich frei wurden. So schloss die Revolution die vielerorts noch unvollkommene Bauernbefreiung ab, traditionelle Abgaben und adlige Privilegien etwa bei Jagd und Waldnutzung wurden abgeschafft.

Der Beginn der Revolution demonstrierte aber auch die Unterschiede zwischen Bauern und bürgerlichen Oppositionellen. Im Frühjahr 1848 verstanden die Odenwälder Bauern unter der „Pressfreiheit“ das Ende feudaler Strukturen, während die Heidelberger Studenten damit die Aufhebung der Pressezensur verbanden. Nachdem sie ihre wichtigsten Ziele erreicht hatten, zogen sich die Bauern nicht einfach aus der Revolution zurück, aber die bäuerliche Opposition und die Volksbewegungen in den Städten blieben doch weitgehend getrennt voneinander. Dabei spielten unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaftsordnungen eine entscheidende Rolle, weil die Landbevölkerung zumeist konservativer eingestellt war als die Bevölkerung in größeren Städten.

In den urbanen Zentren – vor allem in den Residenzstädten mit ihrer politischen Infrastruktur aus Parlamenten, Universitäten, Bibliotheken und Redaktionen – differenzierte sich das politische Spektrum nicht nur ideologisch, sondern auch organisatorisch aus. Bereits die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nutzten zur Orientierung das Schema von links und rechts entsprechend der Sitzordnung der Abgeordneten im parlamentarischen Plenum. Auf der äußersten Linken markierten 1848/49 die Anfänge der Arbeiterbewegung. Für sie spielten Gesellenvereine eine große Rolle, weil junge Männer in ihnen ohne eigene parlamentarische Vertretung und relativ isoliert von anderen politischen Gruppen ihre Interessen artikulieren konnten.

Eine besonders intensive Kooperation zwischen parlamentarischen Fraktionen und der außerparlamentarischen Öffentlichkeit entwickelte sich bei den Demokraten durch den „Centralmärzverein“ als Dachorganisation aller demokratischen Vereine. Er erfüllte bereits viele Funktionen einer modernen Partei, indem seine Mitglieder erstmals eine Koordinationsstruktur auf nationaler Ebene schufen. Neben die bürgerlichen Demokraten, die sich in einen gemäßigten und einen radikal republikanischen Flügel aufteilten, traten auf dem rechten Spektrum konstitutionelle Liberale, Vertreter des politischen Katholizismus und Konservative. Gerade dem politischen Katholizismus und dem Konservatismus gelang es, den Impuls der Revolutionsjahre zu nutzen, um professionelle Organisationsstrukturen aufzubauen. Besonders in Preußen konnten die Konservativen die ländlichen Regionen zu politischen Bastionen ausbauen.

Interessen zu formulieren und durchzusetzen bedeutete häufig, die eigenen Forderungen national einzurahmen. So organisierten sowohl die Anhänger des Freihandels als auch die Fürsprecher von Schutzzöllen nationale Kongresse. Auch Katho­likentage und das „Junkerparlament“, die permanent tagende Generalversammlung des konservativen „Vereins zur Wahrung der Interessen des Grundbesitzes und zur Förderung des Wohlstands aller Klassen“ in Preußen, wiesen in diese Richtung.

Widersprüchliche Emanzipationserfahrungen marginalisierter Gruppen

Für zwei Gruppen wurde die Revolution von 1848/49 zu einer entscheidenden Wegscheide für ihre aktive politische Teilnahme in der Öffentlichkeit. Angehörige der jüdischen Bevölkerung und Frauen, die in den Jahrzehnten bis 1848 sozial und politisch weitgehend marginalisiert waren, erfuhren die Revolution als Chance, um ihre Handlungsspielräume zu erweitern – auch wenn diese Erfahrung widersprüchlich blieb.

Einige Jüdinnen und Juden erlebten die Revolution zunächst als eine zwiespältige Erfahrung. So kam es im Frühjahr 1848 zeitlich parallel zu den politischen Aufbrüchen zu einer Welle antisemitischer Vorfälle. In einzelnen süddeutschen Gemeinden wie Tauberbischofsheim wurden Jüdinnen und Juden gezwungen, ihr Ortsbürgerrecht aufzugeben. Andernorts kam es zu Plünderungen jüdischer Häuser und Betriebe. Diese Vorfälle standen in der Tradition früherer antisemitischer Ausschreitungen wie der „Hep-Hep-Krawalle“ von 1819 oder einer Reihe von Pogromen 1830.

Gleichzeitig enthielten die Märzforderungen 1848 das Ziel, alle Religionsgemeinschaften gleichzustellen. Entsprechend erhielten jüdische Männer das Wahlrecht für die deutsche Nationalversammlung, und die meisten deutschen Staaten führten die Gleichstellung der jüdischen, männlichen Bevölkerung schrittweise ein. Entsprechend traten Juden in der Revolution als aktiv Handelnde und oft auch als politische Führer auf. Nicht weniger als 19 Abgeordnete der Paulskirche waren jüdischer Abstammung, davon 11 Getaufte. Auch ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Märzgefallenen in Berlin und in der Führung der Wiener Revolution waren Juden. Mit dem Kölner Sozialisten Andreas Gottschalk (1815–1849) und dem Arbeiterführer Stephan Born (1824–1898) übernahmen zwei prominente Juden auf der Seite der radikalen Demokraten wichtige Funktionen. Obwohl die meisten dieser Maßnahmen zur Judenemanzipation zu Beginn der sogenannten Reaktionszeit, in der nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 die nationale Bewegung unterdrückt und politische Rechte zurückgenommen wurden, zum Opfer fallen sollten, wirkte die Erfahrung der aktiven Teilnahme fort. So schuf die Revolution so zuvor nicht existierende Handlungsspielräume für die jüdische Bevölkerung. Das galt vor allem für die Städte, während sich in vielen ländlichen Regionen antisemitische Vorfälle fortsetzen.

QuellentextAntijüdische Gewalt und „Hep-Hep-Krawalle“ 1815–1820

Es war das Jahr 1815, der Wiener Kongress war gerade zu Ende gegangen. Die Erinnerung an die Schrecken der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege waren noch nicht verblasst, doch die Fürsten Europas hatten die alte monarchische Ordnung wiederhergestellt – so auch die Machthaber im Deutschen Bund. Alle nationalen, liberalen und demokratischen Ideen sollten künftig im Keim erstickt werden. […]

Die Unruhen begannen am 2. August 1819 in Würzburg. Ein Mob jagte jüdische Mitbürger durch die Straßen, plünderte und zerstörte deren Geschäfte und Wohnungen. Dabei stachelten die Gewalttäter mit dem Hetzruf »Hep, Hep« die Stimmung an. Es dauerte mehrere Tage, bis das bayerische Militär die Lage in den Griff bekam. Viele jüdische Familien waren inzwischen aus der Stadt geflohen.

Die Ausschreitungen in Würzburg waren nur der Anfang. In den nächsten Wochen sprangen die Unruhen auf weitere Städte des Deutschen Bundes über. Es gibt Berichte über Pogrome in Frankfurt am Main, Graz, Wien und Prag. Ende August erreichten die so genannten Hep-Hep-Krawalle auch Hamburg, Kopenhagen und Amsterdam. Die Gewalttaten gingen einher mit der Verbreitung von antisemitischen Schriften und Flugblättern.

Zum ersten Mal seit dem Mittelalter wurden Jüdinnen und Juden in überregionalen Unruhen gewaltsam verfolgt. Aber warum gerade 1819? Wenige Jahre zuvor waren Gesetze erlassen worden, die so genannten Judenedikte. Sie entstanden aus den Maximen der Französischen Revolution, in deren Folge die Juden immer mehr als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt wurden. Nun sollten ihnen auch per Gesetz die Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Wahlrecht gewährt werden.

Es war denn auch das Bayerische Judenedikt von 1813, das die Unruhen in Würzburg entzündete. Die Stadt am Main war lange ein Fürstbistum, in dem es Juden bis Anfang des 19. Jahrhunderts verboten war, sich niederzulassen. Als Würzburg 1814 seine Eigenständigkeit verlor und die Stadt zu Bayern kam, galt nun auch dort das Bayerische Judenedikt. Sehr zum Missfallen der christlichen Kaufleute und Würzburger Bürger, die gezielt antijüdische Stimmungsmache betrieben. Mit den Hep-Hep-Unruhen – nicht nur in Würzburg – wollten die Stadtbürger also den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der jüdischen Bevölkerung und deren politische Gleichberechtigung bekämpfen.

Noch im August trafen sich Diplomaten und Minister der Staaten des Deutschen Bundes zu Beratungen im böhmischen Karlsbad. Sie nutzten die Gewaltausbrüche, um im Eilverfahren ein riesiges Überwachungspaket zu verabschieden: die Karlsbader Beschlüsse. Obwohl sich die Pogrome nicht gegen die staatlichen Instanzen richteten, wurden sie als Begründung vorgeschoben, dass eine mögliche Revolte gegen den Staat verhindert werden müsse.

Kurz darauf fanden die Hep-Hep-Unruhen ein Ende – und mit ihnen stagnierte die Emanzipation und rechtliche Besserstellung der jüdischen Bevölkerung für einige Jahrzehnte. Langfristig änderte sich das erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa als es 1867 zum Ausgleich der Habsburger Monarchie mit Ungarn kam und die Doppelmonarchie gegründet wurde. Ebenso wurde erst mit der deutschen Reichsgründung 1871 die Gleichstellung der Juden gesetzlich verankert.

Statt den Status der Juden im Deutschen Bund zu stärken, hatten die Machthaber die unübersichtliche Lage genutzt, um die monarchische Ordnung zu festigen. Die Hep-Hep-Unruhen von 1819 bereiteten zudem den Boden für den ausgeprägten Antisemitismus des 19. Jahrhunderts in Deutschland. „Hep, Hep“ – wofür diese Worte stehen, ist unklar. Es wird vermutet, dass es sich um eine verkürzte Kreuzfahrerparole oder eine Abkürzung für »Hebräer« handelt. Das grimmsche Wörterbuch liefert die Erklärung, dass mit dem Ruf Zugtiere angetrieben wurden. Sicher ist: „Hep, Hep“ ist keine harmlose Äußerung, sondern ein Spott- und Hetzruf gegen die jüdische Bevölkerung während der Verfolgungen von 1819.

Richard Hemmer und Daniel Meßner, „Kleine Geschichte des Hep-Hep-Pogroms, das zur Unfreiheit aller führte“, Spektrum der Wissenschaft vom 30. Juni 2021. Online: Externer Link: www.spektrum.de/kolumne/hemmer-und-messner-erzaehlen-ueber-die-hep-hep-unruhen/1889914

Zeitungsbericht über die Ereignisse in Heidelberg vom 31. August 1819

[…] Zwischen 7 und 8 Uhr des Abend zogen Schaaren von Hepmännern gegen die Judenwohnungen, durchbrachen mit Aexten, Brecheisen und ähnlichen Instrumenten bewaffnet, an mehreren derselben die Fenster, Läden und Thüren, und drangen so, da sie zu dieser Operation fast drei Stunden lang vollkommen Muße hatten, in die Häuser selbst, wo sie alles, was sie vorfanden, plünderten oder zerschlugen, alles in verschlossenen Pulten vorräthige Geld raubten, Papiere zerrissen, Bette zerschnitten und eine solche Zerstörung anrichteten, daß fast die ganze Straße von Bettfedern, Trümmern der Möblen und dergleichen gefüllt war. Keine verhindernde Maaßregel von Seiten der Polizey oder der noch dazu gerade bewaffneten Bürgergarde war bis nach gestilltem Lärm im entferntesten zu sehen und so hätten denn sicher alle jüdischen Häuser ein gleiches Schicksal tragen müssen, wäre nicht plötzlich, als bereits drey ausgeplündert und bey einem vierten der Versuch gemacht worden, eine ungewöhnliche Hülfe gekommen. Die Studierenden der hiesigen Universität waren es nämlich, welche bewaffnet mit Hiebern, Säbeln oder Rapieren [Hieber und Rapiere sind spezielle Fechtwaffen], die Räuber augenblicklich zerstreuten, diejenigen, deren sie habhaft werden konnten, der städtischen Behörde überlieferten und so die Juden vor fernerer Mißhandlung, die Bürger vor größerer Schande, den Magistraten vor höherer Verantwortlichkeit sicher stellten.

Rheinische Blätter Nr. 139 vom 31. August 1819, S. 579. Online: Externer Link: digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10502384_00173_u001?page=2,3

Auch Frauen konnten sich im Zuge der Revolution eigene Handlungsräume schaffen, was sich unter anderem an ihrer Teilnahme an politischen Versammlungen, Demonstrationen in der Öffentlichkeit und in politischen Vereinen zeigte. Das demokratische Wahlrecht verstand die weit überwiegende Mehrheit der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen jedoch als reines Männerwahlrecht und das Frankfurter Vorparlament schloss Frauen sogar demonstrativ als Zuschauerinnen aus. Die einzig weibliche Figur in der Frankfurter Paulskirche war die überlebensgroße Skulptur einer Germania an der Stirnseite des Plenums. Der demokratische Volksverein von Heidelberg stellte immerhin eigene Tribünen für Besucherinnen auf, und in vielen Sälen von Kommunalräten traten im Zuge der Revolution erstmals Frauen auf.

QuellentextFrauen und die Revolution von 1848/49

„Aber als Schmach empfand ich es doch, daß Frauen nach wie vor von politischen Versammlungen ausgeschlossen waren“, schrieb die Schriftstellerin und Lyrikerin Louise Otto 1848 über die Damengalerie in der Paulskirche, von der aus Frauen die Parlamentssitzungen verfolgen durften. Die Enttäuschung saß tief: Sie konnte weder einen Abgeordneten für die Paulskirche wählen noch konnte sie selbst als Abgeordnete einziehen.

Bis heute wird die Geschichte der Demokratie, die zu Recht auch mit der Revolution von 1848 verknüpft wird, häufig auf mutige Männer und ihre Taten verkürzt. Es sind vorzugsweise Revolutionäre, Parlamentarier und angehende Politiker, an die erinnert wird, wenn es um die Demokratiegeschichte im 19. Jahrhundert geht. Die „Männerzentriertheit“ von Revolutions- und Demokratieerzählungen beschränkt sich allerdings nicht auf die Ereignisse um 1848. Die Historikerin Hedwig Richter hat darauf hingewiesen, dass auch und gerade demokratische Staaten dazu neigen, alle Revolutionen als ihr Erbe zu zelebrieren. „Der zentrale Topos eines globalen Demokratienarrativs lautet: Demokratiegeschichte ist ein revolutionärer Kampf von unten gegen oben, und es liegt auf der Hand, dass diese Geschichte in aller Regel eine Männergeschichte ist.“ […]

Der Barrikadenkampf scheint ein typisch männlicher Revolutionsort zu sein. Schließlich wird hier mit Waffengewalt verteidigt, und Waffen gelten als ein männliches Werkzeug. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch Frauen auf den Barrikaden waren. So kämpften Frauen auf den Barrikaden in Dresden und Berlin, und auch die Festung in Rastatt wurde gemeinsam von Männern und Frauen verteidigt. […]

Besonders „aufregend“ und grenzensprengend waren Frauen, die sich entschlossen, mitzukämpfen oder Kampfhandlungen zu unterstützen. So beteiligte sich in Baden etwa Amalie Struve am sogenannten Heckerzug und erlebte auch das Gefecht auf der Scheideck bei Kandern. Sie versuchte zusammen mit ihrem Mann Gustav, beim sogenannten Struve-Putsch eine Republik auszurufen, was misslang, wurde verhaftet und musste im Freiburger Turm einsitzen. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, sich 1849 der badischen Revolutionsarmee anzuschließen, die vom preußischen Militär aufgerieben und in der Festung Rastatt eingeschlossen wurde, wo sie schließlich am 23. Juli 1849 kapitulieren musste. Es waren nicht viele Frauen, die sich Kampfhandlungen zutrauten, und auf ihre Sonderposition innerhalb der Revolution ist immer wieder hingewiesen worden. […]

Obwohl diese Frauen Ausnahmen waren, sollte ihre Bedeutung für die revolutionären Ereignisse auf einer symbolischen Ebene nicht unterschätzt werden. Ihre Handlungen dienten auf der einen Seite der Reaktion als warnendes Beispiel dafür, dass eine Frau durch die Beschäftigung mit Politik für ihren angestammten Beruf, nämlich Ehefrau und Mutter zu sein, nicht mehr infrage komme. Auf der anderen Seite befeuerten solche Aktivitäten aber auch die Hoffnungen bei denen, die sich nicht nur eine Veränderung der Staatsform wünschten, sondern auch andere Geschlechterrollen. Dazu gehörten durchaus auch manche Männer. […]

Vereine, gesellschaftliche Zusammenschlüsse und Parteien waren sowohl im Vorfeld als auch während und nach der Revolution wichtige politische Orte. Deshalb ist es nicht weiter erstaunlich, dass auch Frauen während der Revolution Vereine gründeten. Einer der wichtigsten und bekanntesten dürfte der von Kathinka Zitz gegründete Mainzer Frauenverein Humania gewesen sein. Der Verein wollte politisch Verfolgte unterstützen, Verwundete pflegen und Geld sammeln, um weitere Waffen zu kaufen. Trotz und vielleicht auch gerade wegen dieses klar politischen Programms war die Beteiligung an der Gründungsversammlung am 17. Mai 1848 enorm. Viele Frauen fühlten sich angesprochen, vermutlich auch deshalb, weil Zitz es verstand, ihnen eine Möglichkeit aufzuzeigen, die Revolution zu unterstützen, ohne ihren angestammten Platz in der Gesellschaft völlig aufgeben zu müssen, da die Ziele des Vereins mit der bürgerlichen Frauenrolle in Einklang zu bringen waren. […]

Durch diese Vereinsgründungen eroberten Frauen den öffentlichen Raum. Sie überschritten damit die ihnen zugesprochene Sphäre und begannen, als Staatsbürgerinnen zu handeln. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Erfahrung bei einigen der Frauen dazu führte, dass sie sich auch in den zahlreichen Frauenvereinen engagierten, die ab den 1860er Jahren entstanden. […]

Die Aktivität von Frauen in den Parlamenten und politischen Clubs (den Vorformen der heutigen Parteien) ist auf das Zuschauen und Kommentieren von der Galerie aus beschränkt, hier in der Darstellung befindet sich die „Frauengalerie“ oben rechts.

Die revolutionären Erhebungen der 1830er und vor allem der 1840er Jahre sind ohne die Entwicklung einer freieren Presselandschaft nicht denkbar. Und so steht neben der Forderung nach einer Verfassung, nach Vereins- und Versammlungsfreiheit vor allem die Idee der Pressefreiheit. […]

In dieser Medienrevolution kam es sowohl zum Aufbruch von Frauen als Herausgeberinnen eigener Zeitungen als auch zu Debatten um die Frauenfrage in der allgemeinen Presse. Das bekannteste Beispiel einer solchen Debatte ist in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ nachzulesen. 1843 reagierte die damals bereits bekannte Louise Otto auf einen dort erschienenen Artikel des Demokraten und Publizisten Robert Blum, der in seinem Beitrag „Über die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“ nach der politischen Partizipation von Frauen fragte und sich von seinen Lesern und Leserinnen wünschte, darüber in der Zeitschrift zu debattieren. Neben Louise Otto, die sich für eine selbstverständliche Teilnahme von Frauen am Staatsleben aussprach und damit auch das Frauenwahlrecht meinte, antworteten noch andere Frauen und ein Mann, meist anonym, die sich ebenfalls für ein politisches Engagement von Frauen aussprachen. Daraus ist zu folgern, „daß Frauen die politische Aufbruchstimmung im Vormärz nutzten und sich in den öffentlichen Kommunikationsprozeß einmischten“.

Noch deutlicher wird diese weibliche Einmischung, wenn man die vier eigenständigen Frauenzeitschriften dieser Zeit bedenkt. Diese waren die „Frauen-Zeitung“ von Mathilde Franziska Anneke, die im September 1848 das erste Mal erschien und nur zwei Nummern umfasste; ferner „Der Freischärler“, herausgegeben von Louise Aston, der es 1848 immerhin auf sechs Nummern brachte; die „Soziale Reform“ von Louise Dittmar, die zwischen Januar und April 1849 erschien; und schließlich die „Frauen-Zeitung“ von Louise Otto, die zwischen 1849 und 1852 erscheinen konnte. In Letzterer publizierten übrigens auch Männer. Louise Otto begründete dies damit, dass es nicht darum gehen könne, ein Blatt nur für Schriftstellerinnen aufzubauen. Vielmehr gelte es, Frauenrechte zu verteidigen, und dies könne tun, „wer es will und kann“. […] Sie setzte zuversichtlich auf die Unterstützung von liberalen und fortschrittlichen Männern – eine Unterstützung, die jedoch nicht immer gewährt wurde.

Die Frauenzeitungen der 1840er und beginnenden 1850er Jahre wurden alle verboten. Bis auf die „Frauen-Zeitung“ von Louise Otto konnten sie nur wenige Nummern lang erscheinen, bevor sie eingestellt werden mussten oder die Herausgeberinnen durch Ausweisung oder Flucht an der weiteren Veröffentlichung gehindert wurden. Trotzdem sind diese Publikationen wichtige Zeugnisse eines erwachenden weiblichen politischen Bewusstseins. […]

Nicht viele Frauen standen 1848 auf den Barrikaden, nahmen ein Gewehr in die Hand oder schwangen den Regenschirm. Nicht viele gaben Zeitungen heraus, schrieben Erinnerungen oder beteiligten sich am Briefnetzwerk der Achtundvierziger. Und auch nicht alle gründeten Vereine, sammelten Geld für die Hinterbliebenen oder stickten Fahnen für den Freiheitszug. Aber es gab sie, sie waren öffentlich wahrnehmbar, über sie wurde – bewundernd oder ablehnend – gesprochen, und sie zeigten deutlich auf, dass es viele Wege gab, sich politisch zu engagieren. Die Erfahrungen, die diese Frauen in der Revolution von 1848 machten, trugen reichlich Früchte. Denn in den 1860er Jahren gründete die ehemalige Revolutionärin Louise Otto-Peters in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und stieß damit die organisatorische Phase der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung an. Überspitzt gesagt: Das vielfältige weibliche Engagement in den 1840er Jahren hatte die Gründung der Frauenbewegung vorbereitet – der Kampf um die weibliche Seite der Demokratie ging in eine neue Runde.

Kerstin Wolff, „Frauen und die Revolution. 1848 als Frauenaufbruch“, Aus Politik und Zeitgeschichte, „1848/49“ (7–9/2023). Online: Interner Link: www.bpb.de/518140.

Die Revolution mochte den Frauen keine eigenen Rechte bringen, aber sie öffnete doch zumindest teilweise den bislang männlich dominierten Raum. So spielten Frauen in Umzügen eine aktive Rolle, etwa wenn zeitgenössisch so bezeichnete „Ehrenjungfrauen“ als Ehrengeleit für einen besonderen Gast mit schwarz-rot-goldenen Schärpen auftraten oder Frauen selbstgestickte Banner an die Einheiten von Bürgerwehren überreichten. Aktiv wurden Frauen etwa bei der Organisation von Einkaufsboykotten, um deutsche Gewerbe vor Importwaren zu schützen. Schon im April 1848 wurde in Karlsruhe ein „Frauenverein zur Unterstützung des deutschen Gewerbefleißes“ gegründet, der Geld für den Aufbau einer deutschen Flotte sammelte.

QuellentextFrauen, Fahnen und Bürgerwehren

[…] Eine weitere Möglichkeit, sich für die Revolution zu engagieren und das bestehende Geschlechterverhältnis zu akzeptieren, boten die ausgesprochen beliebten Fahnenweihen. Dabei stickten die meist bürgerlichen Frauen für die überall entstehenden Bürgerwehren Fahnen, die diesen dann in feierlichen Prozessionen überreicht wurden. Die Organisation lag dabei vollständig in den Händen von Frauen, wobei sich ihnen „für ein paar Stunden Türen zu Räumen [öffneten], die lange der bürgerlich-männlichen Öffentlichkeit vorbehalten gewesen waren“, etwa Rathäuser oder Bürgergesellschaften. Auch hierbei lernten Frauen das Agieren in der Öffentlichkeit kennen und schätzen. Zusätzlich konnten sie sich mit Schwestern im Geiste vernetzen und damit die Grundvoraussetzung für weitere politische Frauenarbeit schaffen. […]

Kerstin Wolff, „Frauen und die Revolution. 1848 als Frauenaufbruch“, Aus Politik und Zeitgeschichte, „1848/49“ (7–9/2023). Online: Interner Link: www.bpb.de/518140.

Über die politische Prägung traditioneller Wohltätigkeit wie Handarbeiten, Schmuckspenden und Geldsammlungen hinaus bot die Revolution noch andere Möglichkeiten der politischen Aktivität jenseits der Parlamente, so etwa durch die demonstrative Unterstützung von Revolutionsflüchtlingen und Kämpfern. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür bot die Biographie von Emma Herwegh (1817–1904). Als im März 1848 in Deutschland die Revolution ausbrach, beteiligte sie sich an der von ihrem Ehemann, dem Dichter Georg Herwegh (1817–1875), aufgestellten Pariser Deutschen Legion. Sie wirkte als Kundschafterin und reiste mehrfach aus dem Elsass nach Baden, um dort die Unterstützung der badischen Aufständischen zu organisieren.

Eine weit über 1848/49 hinausweisende Rolle spielten Frauen in der Publizistik. Viele Frauen publizierten Artikel, entwickelten über private Korrespondenzen eigene persönliche Netzwerke und beteiligten sich an Petitionen. Mathilde Anneke (1817–1884) trat nach ihrer als Demütigung empfundenen Scheidung von ihrem ersten Mann in den Jahren vor 1848 als politische Publizistin auf. Nach der Heirat mit dem radikalen Demokraten Fritz Anneke (1818–1872) warb sie bereits 1847 in der Schrift „Das Weib im Konflikt mit den socialen Verhältnissen“ für die konsequente Gleichberechtigung. 1848 gab sie zunächst zusammen mit ihrem Mann die „Neue Kölnische Zeitung“ und die „Frauenzeitung“ heraus. Ebenfalls gemeinsam mit ihrem Mann nahm sie 1849 am badischen Aufstand teil und floh mit ihm aus der belagerten Festung Rastatt in die Vereinigten Staaten, wo sie weiter als Journalistin arbeitete.

Auch Louise Otto-Peters‘ (1819–1895) Wirken gehörte in diesen Zusammenhang. Durch ihre Publikationen war sie bereits vor 1848 für viele Demokraten und Arbeiter zu einer bekannten Publizistin geworden. In ihrer 1847 veröffentlichten Gedichtsammlung „Lieder eines deutschen Mädchens“ widmete sie sich sozialkritischen Themen und der Hoffnung auf einen politischen und sozialen Aufbruch der demokratischen Bewegung des Vormärz. In einem 1847 von Robert Blum herausgegebenen „Volkstaschenbuch“ forderte sie die aktive Teilnahme von Frauen an der Politik und formulierte konkrete Ziele für eine selbst organisierte Frauenbewegung, zu der die politische und soziale Gleichberechtigung und der bessere Zugang von Mädchen und Frauen zu Erziehung und Bildung gehörten. Während der Revolution selbst organisierte Louise Otto-Peters Versammlungen, in denen sie über die soziale Situation von Arbeiterinnen aufklärte. 1849 gab sie die „Frauen-Zeitung“ heraus, die unter dem Motto „Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen!“ stand. Obwohl ihre Arbeit durch Zensur und Hausdurchsuchungen immer stärker behindert wurde, wirkte der Aufbruch von 1848/49 weiter. So gehörte sie 1865 zu den Gründerinnen des Leipziger Frauenbildungsvereins, organisierte die erste deutsche Frauenkonferenz in Leipzig und gründete schließlich den Allgemeinen Deutschen Frauen­verein. Er wurde zur ersten wichtigen Frauenrechtsorganisation im Deutschen Reich und setzte sich für das Recht der Frauen auf Bildung, Erwerbsarbeit und den Zugang zur Universität ein.

QuellentextAdresse eines Mädchens, an den hochverehrten Herrn Minister Oberländer, an die durch ihn berufene Arbeiter-Commission und an alle Arbeiter

[…] Meine Herren! mißverstehen Sie mich nicht: ich schreibe diese Adresse nicht trotzdem, daß ich ein schwaches Weib bin – ich schreibe sie, weil ich es bin. Ja, ich erkenne es als meine heiligste Pflicht, der Sache derer, welche nicht den Muth haben, sich selbst zu vertreten, vor Ihnen meine Stimme zu leihen! Sie werden mich auch deshalb keiner Anmaßung zeihen können, denn die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und die heutige ganz besonders, daß diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergaßen, auch vergessen wurden. Darum will ich Sie an meine armen Schwestern, an die armen Arbeiterinnen mahnen!

Meine Herren – wenn Sie sich mit der großen Aufgabe unsrer Zeit: mit der Organisation der Arbeit beschäftigen, so wollen Sie nicht vergessen, daß es nicht genug ist, wenn Sie die Arbeit für die Männer organisiren, sondern daß Sie dieselbe auch für die Frauen organisiren müssen.

Sie wissen es alle, daß unter den vorzugsweise sogenannten arbeitenden Klassen die Frauen so gut wie die Männer für das tägliche Brod arbeiten müssen. Ich will mich hier nicht dabei aufhalten, nachzuweisen, wie, weil die Frauen nur zu wenig Arten von Arbeiten zugelassen sind, die Concurrenz in denselben die Löhne so herabgedrückt hat, daß wenn man das Ganze im Auge behält, das Loos der Arbeiterinnen noch ein viel elenderes ist als das der Arbeiter. Sie werden es Alle wissen, daß es so ist, und wenn Sie es noch nicht wissen, so setzen Sie Commissionen auch dafür ein, die es Ihnen werden bestätigen müssen. Nun kann man zwar sagen: wenn die Männer künftig besser als jetzt bezahlt werden, so können sie auch besser für ihre Frauen sorgen und diese sich der Pflege ihrer Kinder widmen, statt für Andere zu arbeiten. Einmal fürcht‘ ich, wird das Loos der arbeitenden Klassen nicht gleich in diesem Maße verbessert werden können und dann bleibt immer noch die große Schaar der Wittwen und Waisen, auch der erwachsenen Mädchen überhaupt, selbst wenn wir die Frauen und Mütter ausnehmen. Ferner heißt dies aber auch, die eine Hälfte der Menschen für Unmündige und Kinder erklären und von der andern gänzlich nur abhängig machen. Es heißt dies, um es gelind herauszusagen, die Sittenlosigkeit, das Verbrechen begünstigen: Ein Mädchen, das ihr Dasein als Arbeiterin nur kümmerlich fristen kann, wird ihr ganzes Bestreben darauf richten, einen Mann zu bekommen, durch den sie dieser Sorgen enthoben wird – ist sie schon verderbt, so giebt sie sich aus Berechnung dem ersten besten Mann hin, damit er sie, wenn auch nicht um ihrer selbst, doch um ihres Kindes willen heirathe – oder wenn sie auch nicht so tief gesunken, heirathet sie doch den ersten besten, gleichviel ob sie ihn liebt oder sie zueinander passen. – Auf alle Fälle wird die Zahl der unglücklichen, unmoralisch, leichtsinnig geschlossenen Ehen, der unglücklichen Kinder und der unglücklichsten Proletarierfamilien auf eine bedenkliche Weise gerade dadurch vermehrt, daß das Loos der alleinstehenden Arbeiterinnen ein so trauriges ist. […]

Meine Herren! im Namen der Moralität, im Namen des Vaterlands, im Namen der Humanität fordere ich Sie auf: Vergessen Sie bei der Organisation der Arbeit die Frauen nicht! […]

Vergessen Sie auch die Fabrikarbeiterinnen, die Tagelöhnerinnen, die Klöpplerinnen, die Strickerinnen und Nähterinnen u. s. w. nicht – fragen Sie auch nach ihrem Verdienst, nach dem Druck, unter dem sie schmachten, und Sie werden finden, wie nöthig hier Ihre Hilfe ist. […]

Denken Sie nicht nur daran, wie Sie sich selbst, sondern auch wie Sie Ihren Frauen und Töchtern Brod verschaffen können! – Ich bin gewiß, meine armen Schwestern theilen meine Gefühle, aber ihre Tage gehen so in Not und Stumpfheit dahin, daß sie nicht wagen – wie es die Männer thun – ihre Bitten und Wünsche öffentlich auszusprechen. So habe ich dies allein für sie zu thun gewagt, durch das einzige Mittel, durch das es mir möglich ist, eine Wirkung für das Allgemeine wenigstens zu versuchen – durch die Presse. Ist es mir gelungen, Ihre Aufmerksamkeit auf die Lage der armen Arbeiterinnen gelenkt zu haben, so ist der Zweck dieser Zeilen erreicht.

Louise Otto, „Adresse eines Mädchens“, Der Volksfreund Nr. 70 vom 7. Juni 1848, S. 75–77. Online: Externer Link: www.louiseottopeters-gesellschaft.de/adresse-eines-maedchens

Ideologische Differenzierungen: Liberale und Demokraten

Der Anspruch, die Rolle des unmündig-passiven Untertanen zugunsten des mündigen Staatsbürgers zu überwinden war eine entscheidende Erfahrung seit März 1848. Hatte der gemeinsame Widerstand gegen die alte Ordnung zunächst die bürgerliche Protestbewegung trotz erkennbarer Spannungen noch zusammengehalten, spaltete sich dieses Lager der Opposition seit dem Frühjahr immer stärker auf. Zumeist aus dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum rekrutiert, setzten sich die Liberalen zwar für bürgerliche Rechtsgleichheit ein, aber im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien stand für sie nicht ein bürgerlich-kapitalistisches Klassenideal im Vordergrund, sondern das im Vormärz entwickelten Konzept einer letztlich sozialharmonischen Gesellschaft, in der ein Klassenkampf verhindert werden sollte. Die unterbürgerlichen Schichten sollten nicht revolutionär, sondern langfristig durch den Erwerb von Besitz, Bildung und damit Selbständigkeit in diese Staatsbürgergesellschaft hineinwachsen. Staatsbürgerliche Rechte durften demnach nicht egalitär und unmittelbar für alle gelten, sondern entsprechend dieser Kriterien nur gestuft. Darüber hinaus traten die Liberalen für einen deutschen Nationalstaat in der Form einer konstitutionellen Monarchie ein. Aus dem Vormärz übernahmen sie trotz der Krisenerfahrungen auch die Hoffnung, mit einem reformbereiten Staat und den Fürsten zusammenzuarbeiten. Dahinter stand das anhaltende, im Verlauf der Revolution immer wieder verstärkte Gefühl vieler Liberaler, von einer Revolution der Straße, sozialer Anarchie und Bürgerkriegsgefahr bedroht zu sein.

Der Schlüsselbegriff der „sozialen Republik“ fasste diese Ängste wirkungsvoll zusammen. Hier wirkte der Blick auf den Terror in Frankreich in den 1790er-Jahren fort. Aber auch der Aufstand der städtischen Arbeiter und Kleinbürger in Paris im Juni 1848 schien wie ein dramatisches Zeichen für die sozialrevolutionären Gefährdungen.

Die Demokraten repräsentierten ein breiteres soziales Spektrum vom Bürgertum bis zu kleinbürgerlichen und proletarischen Gruppen ab. Ihre Mehrheit lehnte eine radikale soziale Revolution unter Anwendung von Gewalt ab, die in den Bedrohungsszenarien der bürgerlichen Liberalen und Konservativen so präsent war. Für viele Demokraten drückte der Begriff der „Republik“ aus, dass politische Herrschaft im Kern durch die Volkssouveränität begründet war und nicht mehr durch den Rückgriff auf einen Primat von Monarchen oder gar das Gottesgnadentum. Politische Mündigkeit und soziale Gleichheit der Staatsbürger waren für sie kein Zukunftsziel, sondern Ausgangspunkt für die Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht und einem parlamentarischen System, in dem eine Regierung von der Mehrheit im Parlament abhängig sein sollte und nicht mehr lediglich vom Vertrauen des Fürsten.

Einerseits bewies der Verlauf der Revolution, dass die Mehrheit der demokratischen Abgeordneten in der Paulskirche zu weitgehenden Kompromissen fähig war, wie sie in der Arbeit an der Verfassung deutlich wurden. Andererseits nahm außerhalb der Parlamente ab Sommer 1848 die Kritik am Mehrheitskurs der Nationalversammlung zu und eskalierte immer wieder in einzelnen Gewaltaktionen. In Berlin kam es im Sommer 1848 vor dem Hintergrund der Beratungen der Berliner Nationalversammlung für eine eigene preußische Verfassung zu gewaltsamen Widerstandsaktionen gegen die Regierung von Ludolf Camphausen, der von März bis Juli 1848 als preußischer Ministerprä­sident amtierte. Die Unruhen gipfelten am 15. Juni im Sturm auf das Berliner Zeughaus, welches das Militär als Depot für Waffen und Munition nutzte. Dahinter stand ein grundsätzlicher Konflikt zwischen der Vereinbarung mit der Krone und dem Prinzip der Volkssouveränität, für das sich insbesondere die Vereine radikaler Demokraten und vor allem die organisierten Arbeiter und Handwerker stark machten. Auf dem Frankfurter Demokratenkongress vom Juni 1848 erhoben viele Teilnehmer die Forderung nach einer deutschen Republik, verbunden mit der Erwartung, dass diese Variante einer „sozialen Republik“ auch die konkrete Situation der unterbürgerlichen Schichten verbessern werde. Zudem beschlossen die Teilnehmer, einen fünfköpfigen Zentralausschuss in Berlin einzurichten, der als erste Zentrale einer politischen Partei gelten kann. Aus eingezogenen Mitgliedsbeiträgen wurden zum ersten Mal hauptamtliche Funktionäre bezahlt.

Auch der „Handwerker- und Gewerbekongress“, der im Juli und August 1848 tagte, beschäftigte sich intensiv mit der sozialen Frage, auch wenn seine Forderungen deutlich konservativer ausfielen, indem der Kongress den wirtschaftsliberalen Akzenten der Nationalversammlung das Ideal der traditio­nellen Zünfte entgegenhielt. Der „Allgemeine deutsche Arbeiterkongress“ forderte demgegenüber konkrete Verbesserungen für die Lohnarbeiter durch einen Zehnstundentag, Freizügigkeit, verbesserte Schulbildung sowie durch eine soziale Absicherung gegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit. Die Kon­trover­sen um die Möglichkeit und die Ausgestaltung einer „sozialen Republik“, wie sie in diesen außerparla­men­tarischen Initiativen und Organisationen erkennbar wurden, verstärkten die Spannungen zwischen der Parlamentsmehrheit und einer außerparlamentarischen Protestbewegung, die zunehmend kritisch auf den nach ihrer Ansicht enttäuschenden Fortgang der Revolution blickte. Diese Ent­wicklungen zeichneten sich bereits im Sommer 1848 ab, aber sie entwickelten eine konkrete Sprengkraft erst, als die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung daran gingen, die Forderung nach einem freiheitlich verfassten deutschen Nationalstaat in die Wirklichkeit umzusetzen.

QuellentextExkurs: Der deutsche Bauernkrieg

Am 15. Mai 1525 vernichteten fürstliche Heere den von Thomas Müntzer angeführten Bauernhaufen in Bad Frankenhausen. Während Müntzer, ein begabter Redner, noch predigte, brach das kurfürstliche Söldnerheer den vereinbarten Waffenstillstand. Am Abend waren sechs Söldner tot – und 6.000 Bauern ermordet. Martin Luther, Begründer des deutschen Protestantismus, hatte sich auf die Seite der Macht geschlagen und gefordert, dass die Fürsten die Aufständischen „zerschmeißen, würgen, stechen und wie einen tollen Hund erschlagen“.

Bad Frankenhausen gilt gemeinhin als Ende des Bauernaufstands. Aber drei Tage nach dem Massaker in Thüringen eroberte ein großer Bauernhaufen Freiburg. Die Bauernkriege waren dezentral, sie erstreckten sich über zwei Jahre und reichten von Mitteldeutschland über den Bodensee bis Tirol. Die Aufstände hatten keine Anführer – oder eben sehr viele. Sie brachen spontan aus, sie organisierten sich selbstständig, ohne Oberkommando und Zentralkomitee. 300.000 Bauern verließen ihre Höfe und bewaffneten sich. Die Bauernkriege waren die größte Revolte in Europa vor 1789. […]

Zum Aufstand führten zwei parallele Umwälzungen: die Reformation und der Buchdruck, jene Gutenberg-Revolution, die die Gesellschaft so tief umpflügte, wie es die Digitalisierung im 21. Jahrhundert tut. Die Publikation des von Luther übersetzen Neuen Testaments 1522 auf Deutsch war der erste Bestseller der deutschen Geschichte. Die Luther-Bibel kodifizierte die deutsche Sprache, definierte Deutschland als kulturellen Raum, und demokratisierte ein Herrschaftsinstrument. Die Bauernbewegung, samt ein paar Pfarrern, Handwerkern und Minenarbeitern, schuf 1525 etwas unerhört Neues: eine politische Öffentlichkeit. In diesem für fast alle (Männer) zugänglichen Raum war jener herrschaftsfreie Diskurs möglich, der auch für moderne Demokratien fundamental ist.

[…] Die zwölf Artikel der Bauernbewegung, die unter anderem die freie Wahl der Pfarrer, die Abschaffung der Leibeigenschaft, Jagdrecht und niedrigere Steuern forderten, wurden zum medialen Ereignis. 25.000 Exemplare wurden in kürzester Zeit gedruckt und in Gasthäusern und auf Märkten vorgelesen. In einer Gesellschaft mit 90 Prozent Analphabeten war das spektakulär. Wissen wurde demokratisiert, die Zahl der Flugschriften wuchs rasant.

Der Bauernaufstand, so der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, war „das erste medial angetriebene militärische und politische Großereignis der europäischen Geschichte“. Gewissermaßen – der erste Medienkrieg. Die Rache war extrem blutig. Erzherzog Ferdinand, Bruder des Kaisers, forderte, die Aufständischen „zu erwürgen, zu erstechen, zu verbrennen“, ihre „Höfe und Häuser zu verheeren und verderben“ und „ihre Weiber und Kinder zu vertreiben“. Ungefähr 100.000 Bauern wurden getötet, weniger in Schlachten als beim Abschlachten von Wehrlosen und Zivilisten. Nach der Niederlage zogen Exekutionskommandos durch das Land. Wer rebelliert hatte, musste extrem hohe Abgaben zahlen. Auch wenn diese Repressionen nicht die kalte Systematik des organisierten Massenterrors stalinistischer oder faschistischer Regime hatten – sie verströmten die gleiche, angsteinflößende Botschaft.

Wie die Bauernbewegung den Wechsel von dem euphorischen Bewusstsein, Autor der eigenen Geschichte werden zu können, zu Terror und blutigem Untergang erlebte, wissen wir nicht. Die bäuerliche Kultur war weitgehend schriftlos. Gerichtsdokumente Ende des 16. Jahrhunderts zeigen aber, dass der Bauernkrieg auch Generationen später in der oralen Überlieferung ein Davor und ein Danach markierte. Die blutige Lektion, so kann man vermuten, hinterließ eine albtraumhafte Erinnerung an die gnadenlose Wucht, mit der das Aufbegehren niedergewalzt worden war. Die Bauernkriege begannen als Aufstand des „gemeinen Mannes“ in Deutschland – und endeten in seiner Verwandlung in einen stummen, verängstigten Untertan.

Es dauert mehr als 300 Jahre, bis sich 1848 in Deutschland eine Bewegung mit einem verwandten Impuls formierte. […]

Stefan Reinecke, „Die erste mediale Revolution“, Die Tageszeitung vom 4. Mai 2025. Online: Externer Link: taz.de/Der-Bauernkrieg-und-die-Gegenwart/!6081579

Fussnoten

Jörn Leonhard ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. 2024 erhielt er für seine Forschungen zur politischen Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich den Gottfried-Wilhelm-Leibniz Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften.

Kontakt: E-Mail Link: joern.leonhard@geschichte.uni-freiburg.de