Die Gegenrevolution in Österreich und Preußen
Die Lithografie zeigt die Entwaffnung einer Bürgerwehr durch preußische Truppen unter General F. H. von Wrangel auf dem Berliner Gendarmenmarkt am 12. November 1848. (© ullstein bild – Archiv Gerstenberg)
Die Lithografie zeigt die Entwaffnung einer Bürgerwehr durch preußische Truppen unter General F. H. von Wrangel auf dem Berliner Gendarmenmarkt am 12. November 1848. (© ullstein bild – Archiv Gerstenberg)
Eine besondere Dynamik gewann die Entwicklung in Wien, wo die Revolutionäre im Sommer 1848 vorerst die Macht hatten erringen können und versuchten, die neue Ordnung zunächst auch mit militärischer Macht zu sichern. Vor allem Wien wurde zu einer Bastion der revolutionären Errungenschaften. Wie im März 1848 waren die Zentren der Revolution auch im Sommer und Herbst 1848 miteinander verbunden. Um die Wiener Revolutionäre zu unterstützen, schalteten sich als Vertreter der Frankfurter Demokraten die Abgeordneten Robert Blum und Julius Fröbel (1805–1893) in die Ereignisse ein. Als die Regierung in Wien am 6. Oktober 1848 österreichische Truppen gegen die aufständischen Ungarn mobilisierte, kam es zu Solidarisierungen zwischen Wiener Arbeitern, Studenten und meuternden Soldaten, die mit dem Unabhängigkeitskampf der Ungarn sympathisierten. Als sie versuchten, den Abmarsch der Truppen zu verhindern, eskalierte der Konflikt. Bei Straßenkämpfen wurde der in der Bevölkerung verhasste Kriegsminister Theodor Baillet de Latour (1780–1848) von einer Menge gelyncht. Der kaiserliche Hof sah sich gezwungen, nach Olmütz zu fliehen, und der Reichstag wurde Ende Oktober nach Kremsier verlegt. Diese dramatische Entwicklung provozierte schließlich eine gewaltsame Intervention. Das Vorgehen des Feldmarschalls Alfred Fürst zu Windisch-Graetz (1787–1862) gegen die Aufständischen forderte über 2000 Zivilopfer. Mit der Ernennung von Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800–1852) zum Ministerpräsidenten sanken gleichzeitig die Chancen, die deutsch-österreichischen Gebiete noch in einen künftigen deutschen Nationalstaat zu integrieren. Ein weiteres Mal innerhalb weniger Monate wurde die Schwäche der Frankfurter Institutionen gegenüber den dominierenden Einzelstaaten unübersehbar, als Robert Blum unter bewusster Missachtung seines Immunitätsschutzes als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung am 9. November 1848 standrechtlich erschossen wurde. Blum war zuvor von der demokratischen Fraktion der Frankfurter Nationalversammlung zum Leiter einer Delegation ernannt worden, die am 13. Oktober 1848 nach Wien gereist war, um durch eine schriftliche Sympathieadresse die Solidarität der Frankfurter Linken mit der Wiener Aufstandsbewegung auszudrücken.
Parallel zu diesen Entwicklungen geriet im Herbst 1848 die Preußische Nationalversammlung in Berlin in die Defensive, was massive Folgen für den Fortgang der Ereignisse in ganz Deutschland haben sollte. Im September trat die parlamentarisch gebildete Regierung in Berlin zurück, während die Preußische Nationalversammlung ihren entschiedenen Reformprozess zunächst versuchte fortzusetzen. Anlass für das Vorgehen der Regierung in Berlin war der sogenannte „Antireaktionserlass“, mit dem die Preußische Nationalversammlung das Militär an die neue konstitutionelle Ordnung binden wollte. Als es im Oktober dann in Berlin zu Unruhen unter Arbeitern und Demokraten kam, bot dies den Anlass für das direkte Eingreifen des Königs. Friedrich Wilhelm IV. setzte eine neue Regierung mit einem bewusst gegenrevolutionären Programm ein und erzwang die Rücknahme der parlamentarischen Entscheidung. Dann vertagte er – dem Vorgehen der Regierung in Österreich bei der Verlegung des Reichstags nach Kremsier folgend – die Nationalversammlung zunächst und verlegte sie dann in die brandenburgische Provinz, um durch diese Dezentralisierung der Machtzentren die Kräfte der Revolution zu schwächen. Ganz offen verriet der König am Hof, dass er nach seinen Signalen vom März 1848 (↗ S. 23) „nun … wieder ehrlich“ sei. In Berlin entwaffneten Behörden und Militär die Berliner Bürgerwehren, sodass die Revolutionäre und die Nationalversammlung über keine eigenen Machtmittel mehr verfügten.
Nun zeigte sich jedoch, wie stark das Bewusstsein für die politischen Errungenschaften seit März 1848 geworden war, die man jetzt verteidigen wollte. Ein Teil der Abgeordneten der Preußischen Nationalversammlung war jedenfalls nicht bereit, ohne Widerstand aufzugeben. 227 Parlamentarier riefen gegen das Vorgehen des Königs zum Steuerstreik auf, „solange die Nationalversammlung nicht ungestört in Berlin ihre Beratungen fortzusetzen vermag“. Das Echo auf diesen Aufruf blieb zwar gespalten, aber es demonstrierte doch, wie weit die politische Bewegung über das Berliner Parlament hinausreichte. Während sich in der Rheinprovinz Einheiten der Landwehr dem Widerstand anschlossen und die Bürgerwehren gegen das Vorgehen der Behörden mobilisierten, erwiesen sich das Offizierskorps und die Linientruppen am Ende als verlässliche Stützen der Monarchie. Obwohl der Aufruf zur Steuerverweigerung Reaktionen in ganz Preußen auslöste, war das verlegte Rumpfparlament kaum mehr handlungsfähig, auch wegen der politischen Gegensätze zwischen den verbliebenen Abgeordneten.
Gegen Ende des Jahres schloss ein faktischer Staatsstreich die Gegenrevolution in Preußen ab. Flankiert durch den Einmarsch preußischer Truppen unter General Friedrich von Wrangel (1784–1877) in Berlin und einen über alle preußischen Städte verhängten Ausnahmezustand löste Friedrich Wilhelm IV. am 5. Dezember die Preußische Nationalversammlung auf. Doch zugleich kam es zum „Oktroy“ einer Verfassung, also einer aufgezwungenen, nicht vom Parlament verabschiedeten Verfassung für Preußen, die das Ende der Revolution überdauern sollte. Weil sie zudem wichtige Positionen der Liberalen übernahm, setzten auch in Frankfurt viele Abgeordnete weiter auf den preußischen König.
Verfassungsgebung unter politischem und zeitlichem Druck: Die Nationalversammlung seit Herbst 1848
Angesichts dieser offensiven Aktionen in Österreich und Preußen nahm der Druck auf die Frankfurter Nationalversammlung zu, als die Parlamentarier ihre Beratungen über die Verfassung fortsetzten. Von zentraler Bedeutung war für sie zunächst die Ausarbeitung der Grundrechte gewesen, die man seit Sommer intensiv diskutiert hatte und die am 27. Dezember 1848 nach oftmals kontroversen Debatten als Reichsgesetz in Kraft traten. Diese „Frankfurter Grundrechte“ gingen im März 1849 auch in die Reichsverfassung ein. Die Grundrechte des Staatsbürgers, vor allem individuelle Freiheitsrechte wie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie bürgerliche Eigentumsrechte, standen nach den Erfahrungen des Vormärz im Zentrum. Altständische Relikte des Feudalismus wie Lehensrechte, grundherrliche Polizeigewalt und Frondienste wurden abgeschafft. Mit diesem Grundrechtskatalog sollte die Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsverfassung Deutschlands vereinheitlicht werden. Soziale Grundrechte, wie sie von vielen Demokraten nach den Erfahrungen sozialer Krisen in den 1840er-Jahren gefordert worden waren, wie etwa das Recht auf Arbeit oder das Prinzip einer gerechten Besteuerung, suchte man dagegen vergebens. Die Parlamentarier leiteten die Grundrechte zudem nicht aus unveräußerlichen Menschenrechten ab, sondern definierten sie im Hinblick auf die Rolle des Staates als Rechtsstaat, was einen eigenen Notstandsartikel einschloss.
In der Rückschau auf die Arbeit der Verfassung erhoben viele Kritiker nach 1850 den Vorwurf, die Abgeordneten hätten mit langwierigen und akademischen Debatten um die Grundrechte wertvolle Zeit verloren, was am Ende der Gegenrevolution genutzt habe und ein Grund für das Scheitern der Revolution gewesen sei. Doch die Parlamentarier erkannten aufgrund ihrer Erfahrungen der Jahre vor 1848 gerade in der Sicherung der Grundrechte die entscheidende Garantie gegen monarchische Willkür und staatliche Repression. Hier spielte auch der Blick auf den Beginn der Französischen Revolution 1789 eine wichtige Rolle.
Im September 1848 begannen auch die Beratungen über den institutionellen Teil der Verfassung. Im Blick auf den Staatsaufbau gelang den Abgeordneten am Ende trotz der großen Interessengegensätze und auch angesichts der abnehmenden Handlungsspielräume der Frankfurter Nationalversammlung ein eindrucksvoller Kompromiss. Der künftige Nationalstaat sollte als eine konstitutionelle Monarchie mit starker Reichsgewalt organisiert sein, und die dadurch stark unitarischen, das heißt einheitsstaatlichen, Züge durch ein föderales Element ausgeglichen werden.
Die Verfassung sah daher ein direkt gewähltes Volkshaus und ein von den Regierungen und Parlamenten der Einzelstaaten entsandtes Staatenhaus vor. Die personale Staatsspitze als Gegengewicht bildete ein erblicher Kaiser, der aber Beschlüsse des Parlaments nicht verhindern, sondern lediglich durch ein suspensives Veto aufschieben konnte. Die Abgeordneten der Nationalversammlung sahen auch ein eigenes Reichsverfassungsgericht vor, um die Unabhängigkeit der Judikative zu sichern. In den Debatten um das Wahlrecht schließlich setzten sich die Demokraten durch. Am Ende griff man nicht auf die Praxis des Vormärz und Beschränkungen durch einen speziellen Zensus zurück, sondern entschied sich für das allgemeine Männerwahlrecht bei der Wahl des Volkshauses.
Die 197 Artikel der Paulskirchenverfassung schlossen die „Grundrechte des deutschen Volkes“ mit ein. Zu ihnen zählten neben dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht auch die Abschaffung des Adels als Stand, das Verbot der Todesstrafe, die Freiheit der Berufswahl sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassungsgebung unter wachsendem Zeitdruck und vor dem Hintergrund der doppelten Herausforderung von politischer Freiheit und nationaler Einheit stellte eine herausragende Leistung der Frankfurter Nationalversammlung dar. Am 18. Mai 1849 förmlich in Kraft getreten, konnte die Verfassung zwar nicht mehr durchgesetzt werden, aber sie wirkte für künftige deutsche Verfassungen als direktes Vorbild. Vor allem mit dem Grundrechtskatalog gelang es, an die westeuropäische und transatlantische Verfassungsentwicklung anzuschließen. Der 1848/49 definierte Grundrechtskatalog sollte die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und das Bonner Grundgesetz von 1949 nachhaltig beeinflussen.
Im Gegensatz zur Diskussion um den Grundrechtekatalog und den Staatsaufbau löste die Frage nach den konkreten Grenzen des künftigen Nationalstaates massive Konflikte aus. Als die Offensive der Gegenrevolution in Berlin und Wien bereits lief, diskutierte man in Frankfurt den Umfang des Deutschen Reichs: unter Einschluss der deutsch-österreichischen Gebiete oder gar einschließlich aller, auch der nicht-deutschen Teile der Habsburgermonarchie oder in Beschränkung auf Kleindeutschland, also die deutschen Bundesstaaten unter preußischer Führung und unter Ausschluss Österreichs. Die Diskussion der groß- und kleindeutschen Lösungen ließen ein Grundproblem der deutschen Nationsbildung hervortreten. Denn der Deutsche Bund war seit 1815 ein Staatenbund, aber kein Bundesstaat als Gehäuse der Nation gewesen, an das man nun bei der Schaffung eines deutschen Nationalstaates hätte anknüpfen können.
Im Oktober 1848 beschlossen die Abgeordneten, die deutsch-österreichischen Gebiete der Habsburgermonarchie nur unter der Bedingung in einen neu entstehenden Nationalstaat einzugliedern, dass die deutschen von den nicht-deutschen Teilen der Habsburgermonarchie abgetrennt würden. Dagegen drängte die Regierung in Wien darauf, eine Abtrennung seiner deutschstämmigen Gebiete unter allen Umständen zu verhindern. Eine großdeutsche Lösung hätte eine solche Teilung zwischen reichsdeutschen Gebieten, die staatsrechtlich zum deutschen Nationalstaat gehört hätten, und nichtreichsdeutschen Gebiete, die lediglich in Personalunion mit Habsburg gestanden hätten, notwendig gemacht. Die territoriale Integration der Habsburgermonarchie hätte dies in Frage gestellt, und ihr Zusammenhalt wäre nur noch über eine dynastische Personalunion möglich gewesen.
Politische Ordnung, Grundrechte und Grenzen: Das Kompromisswerk der Reichsverfassung im Frühjahr 1849
Politisch entschieden am Ende nicht die Abgeordneten über die Grenzen eines deutschen Nationalstaates, sondern die Ereignisse in Wien und das Erstarken der gegenrevolutionären Kräfte in Österreich seit Herbst 1848. Nach dem Sieg der Gegenrevolution in Wien sanken die Chancen, die deutsch-österreichischen Gebiete der Habsburgermonarchie noch einzugliedern. Der neue Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg formulierte als Grundsatz seiner Politik, dass „Österreichs Fortbestand in staatlicher Einheit“ ein „deutsches wie europäisches Bedürfnis“ darstelle. Im März 1848 forderte er schließlich, die gesamte Habsburgermonarchie in einen deutschen Staatenbund aufzunehmen. So wäre in der Mitte Europas ein Reich mit 70 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und zahlreichen nicht-deutschen Bevölkerungen entstanden.
Heinrich von Gagern setzte sich daraufhin für den kleindeutschen Kompromiss mit einem übergeordneten deutsch-österreichischen Bündnis ein. Die Liberalen und ein Teil der linken Abgeordneten stimmten dieser Lösung unter preußischer Staatsführung zu. Die Gruppe der sogenannten „Erbkaiserlichen“ setzte ihre Hoffnungen trotz der Maßnahmen gegen die Preußische Nationalversammlung auf ein preußisches Reichsoberhaupt. Sie knüpfte damit bewusst an die Rolle Preußens in den „Befreiungskriegen“ gegen Napoleon und vor allem an die nationalpolitische Haltung Friedrich Wilhelms IV. im März 1848 an, als er erklärt hatte, Preußen gehe nunmehr „in Deutschland auf“. Eine Mehrheit für die kleindeutsche Lösung war im Frankfurter Parlament allerdings erst erreichbar, als ein Teil der großdeutschen Partei umschwenkte, nachdem die österreichische Regierung ultimativ die Anerkennung der Integrität der Habsburgermonarchie gefordert hatte. Am 27. März 1849 setzte das Parlament die Erblichkeit der Kaiserwürde durch, wählte am darauffolgenden Tag Friedrich Wilhelm IV. zum „Kaiser der Deutschen“ und nahm die Reichsverfassung an.
Doch die Kaiserdeputation von 32 Frankfurter Abgeordneten in Berlin blieb ohne Erfolg, als sie Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone persönlich anbot. Der König wich aus und wies demonstrativ auf das notwendige „freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten und der freien Städte“ hin. Der Hoffnungsträger entpuppte sich zuletzt als Anhänger eines romantisch verklärten Gottesgnadentums, nach dem zwischen seinem Thron und dem Volk weder Verfassung noch Parlament stehen durften. In diesem Moment scheiterte nicht allein das kleindeutsch-preußische Projekt, sondern letztlich das gesamte Verfassungswerk, weil es den Nationalstaat mit einer erblichen Monarchie voraussetzte. Zugleich offenbarte dieser Moment noch einmal den Grundkonflikt, der die Revolution seit dem Frühjahr 1848 begleitet hatte.
In dem denkwürdigen Treffen des Monarchen mit den Abgeordneten trafen trotz aller Vermittlungsversuche zwei unterschiedliche Modelle aufeinander, politische Herrschaft zu rechtfertigen. Einerseits standen die Abgeordneten und die von ihnen verabschiedete Verfassung für das Prinzip der Volkssouveränität und damit auch für den Weg aus dem Revolutionsimpuls im März 1848 zu einem gewählten Parlament und der Zentralgewalt. Andererseits bemühten sich die Parlamentarier darum, das Projekt des freiheitlichen Nationalstaats mit den Interessen der Fürsten zu verbinden. Der preußische König stand dabei für den Anspruch auf das letztlich entscheidende Vorrecht der Monarchen. Indem Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone ablehnte, bezog er sich demonstrativ auf das für ihn durch keine Revolution und keinen parlamentarischen Prozess eingeschränkte monarchische Prinzip.
QuellentextDie Grundrechte in der Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung
Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks (27. Dezember 1848)
Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom 21. Dezember 1848, verkündet als Gesetz:
I. Grundrechte des deutschen Volks
Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können.
Artikel 1
§ 1 Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das deutsche Reich bilden.
§ 2 Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. […]
Artikel 2
§ 7 […] (3) Die Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. […]
Artikel 3
§ 8 (1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. […]
§ 9 Die Todesstrafe […] so wie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.
§ 10 (1) Die Wohnung ist unverletzlich. […]
§ 12 (1) Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. […]
Artikel 4
§ 13 (1) Jeder Deutsche hat das Recht, […] seine Meinung frei zu äußern. (2) Die Pressefreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise […] beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden. […]
Artikel 5
§ 14 (1) Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. […]
§ 15 (1) Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion. […]
§ 17 […] (2) Keine Religionsgemeinschaft genießt vor andere Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche. […]
Artikel 6
§ 22 Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
§ 23 Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats […].
§ 25 (1) Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche Schulen überall genügend gesorgt werden. (2) Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist. […]
§ 28 Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.
Artikel 7
§ 29 (1) Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln […].
§ 30 Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. […]
Artikel 8
§ 32 (1) Das Eigentum ist unverletzlich. […]
Artikel 9
§ 41 Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. […]
§ 42 (1) Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten geübt. […]
§ 44 (1) Kein Richter darf, außer durch Urteil und Recht, von seinem Amte entfernt, oder an Rang und Gehalt beeinträchtigt werden. […]
§ 48 (1) Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und voneinander unabhängig sein. […]
Frankfurt, 27. Dezember 1848
Der Reichsverweser
Erzherzog Johann.
Die Reichsminister
H. v. Gagern, v. Peucker, v. Beckerath, Duckwitz, R. Mohl.
Die Grundrechte in der Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung, in: Jörg Bong (Hg.), „Forderungen des Volkes. Frühe demokratische Programme“, Köln 2023, S. 149–161.
Die Konstitution mit revolutionären Mitteln verteidigen? Der Kampf um die Durchsetzung der Reichsverfassung
Doch auch mit diesem Schritt war die Revolution noch nicht zu Ende. Denn immerhin 28 Staaten des Deutschen Bundes erkannten die neue Reichsverfassung an, zu denen im Rahmen der Volksbewegung zur Durchsetzung der Verfassung schließlich auch noch das Königreich Württemberg kam. Die im Frühjahr 1849 anlaufende Reichsverfassungskampagne unterstrich noch einmal, dass die Revolution und das Frankfurter Verfassungswerk regional noch immer große Resonanz mobilisieren konnten. Die treibenden Kräfte der Kampagne, die sich in Aufständen vor allem in Sachsen, in der Rheinpfalz und in Baden formierten, sahen sich selbst als Verteidiger einer neuen Ordnung auf der Basis der rechtmäßig verabschiedeten Verfassung. Nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König gelte es nun, die Reichsverfassung als legitimen staatsrechtlichen Rahmen gegen reaktionäre Fürsten zu verteidigen, die entsprechend als Verfassungsbrecher erschienen. Die soziale Basis der Bewegung bestand vor allem aus bürgerlichen Demokraten und Arbeitern. Bürgerliche Liberale tolerierten die Kampagne, aber sie hielten sich angesichts der teilweise gewaltsamen Eskalation mit entschiedener Unterstützung zurück.
Einerseits demonstrierte die Kampagne mit erneut mobilisierten Bürgerwehren und Volksversammlungen, wie populär der Kampf um die Verfassung an bestimmten Orten war. Das galt vor allem für Baden, das nach dem Frühjahr und dem Herbst 1848 nun eine dritte Phase demokratischer Mobilisierung erlebte. Nachdem Friedrich Hecker und Gustav Struve im April 1848 von Konstanz aus und Struve dann noch einmal im September 1848 von Lörrach aus eine Republik proklamiert hatten, kam es im Sommer 1849 im Zuge des Kampfs um die Durchsetzung der Reichsverfassungskampagne noch einmal zu einem Anlauf zur Republik mit eigenen Plänen für eine verfassunggebende Versammlung.
Andererseits ging von der Reichsverfassungskampagne anders als im März 1848 kein Fanal für die Wiederaufnahme der Revolution in ganz Deutschland aus. Der Bewegung schlossen sich weder die Mehrheit der Nationalversammlung noch die Zentralgewalt an. Die meisten Abgeordneten, die an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt gewesen waren und sie verabschiedet hatten, waren am Ende nicht bereit, sich auf ihre entschiedene Verteidigung einzulassen. Sie hielten nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König daran fest, politische Reformen im Zweifel durch Vereinbarungen mit den fürstlichen Regierungen der Einzelstaaten zu erreichen. In dem Moment, in dem deutlich wurde, dass diesem Kurs letztlich die Basis fehlte, schreckten sie vor dem Appell an die Wiederaufnahme der Revolution zurück und gaben das Verfassungswerk auf. Für viele bürgerliche Liberale wirkte die Gewaltbereitschaft von Teilnehmern der Reichsverfassungskampagne noch einmal wie die Androhung eines möglichen Bürgerkrieges. Zudem riefen viele Regierungen ihre Beamten aus Frankfurt zurück, wo sie als Abgeordnete gewirkt hatten, so dass die Nationalversammlung als zentrale Koordinationsinstanz zerfiel. Das schließlich in Stuttgart zusammengetretene Rumpfparlament konnte diese Funktion nicht mehr erfüllen.
Blickt man auf die konkreten Ereignisse, dann gab es im Frühjahr 1849 keine Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende sozialrevolutionäre Eskalation in ganz Deutschland. Es kam vielmehr zu einzelnen regionalen und lokalen Aufständen. Am stärksten war die Resonanz wiederum in Baden, wo das Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung im Mai und Juni 1849 den großen badischen Aufstand auslöste. An ihm beteiligten sich auch militärische Einheiten, so dass der Großherzog im Zusammenhang mit der Bildung einer badischen Revolutionsregierung schließlich ins Ausland flüchtete. Doch die preußische Armee warf den Aufstand schließlich nieder.
Am 18. Juni 1849 wurde das Stuttgarter Rumpfparlament von württembergischen Truppen gewaltsam aufgelöst. Vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen schien es, als ende die Revolution symbolisch mit der Kapitulation der letzten Teilnehmer der Reichsverfassungskampagne und standrechtlichen Erschießungen in der Bundesfestung von Rastatt im Juli 1849. Nach den Erfahrungen vom April und September 1848 und dem Sommer 1849 fürchteten die Behörden neue Unruhen, und so wurde Baden bis 1851 von Bundestruppen besetzt. Tausende Anhänger der demokratischen und republikanischen Bewegung wanderten in europäische Nachbarstaaten, vor allem aber auch nach Süd- und Nordamerika aus. Manche kehrten in den 1860er-Jahren zurück nach Deutschland. Andere blieben im Exil politisch aktiv, so wie der entschiedene Demokrat Carl Schurz (1829–1906) als „Forty-Eighter“ in den Vereinigten Staaten, wo er zwischen 1877 und 1881 Innenminister war.
QuellentextCarl Schurz (1829–1906)
Als ältester Sohn eines Dorflehrers geboren, besuchte Carl Schurz ein Gymnasium in Köln und begann nach seinem Abitur 1847 ein Studium an der Universität in Bonn. Dort schloss er sich unter dem Einfluss seines akademischen Lehrers Gottfried Kinkel, Professor für Kunst-, Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Bonn, im Revolutionsjahr 1848 der demokratischen Bewegung an. Im Mai 1848 gründete Kinkel den Demokratischen Verein in Bonn und wurde im Februar 1849 als demokratischer Kandidat für den Wahlkreis Bonn-Sieg in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Als Symbolfigur der demokratisch-republikanischen Opposition im Rheinland nahm Kinkel zusammen mit Schurz an einem Versuch teil, im Mai 1849 ein Zeughaus in Siegburg zu stürmen, in dem Waffen gelagert wurden. Nach dem Scheitern dieses Unternehmens schloss er sich zusammen mit Kinkel dem badisch-pfälzischen Aufstand an, um in der Pfalz die Reichsverfassungskampagne gegen die militärische Intervention preußischer Truppen zu unterstützen. Auf dem Rückzug nach Baden drohte Schurz die Gefangennahme, als ihm die Flucht aus der bereits belagerten Festung Rastatt in die Schweiz gelang. Von dort aus kehrte er mit einem gefälschten Pass nach Deutschland zurück, wo es ihm in einer abenteuerlichen Aktion Anfang November 1850 gelang, seinen Lehrer und Freund Kinkel, der in Rastatt verhaftet und von einem preußischen Kriegsgericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, aus dem Zuchthaus Spandau zu befreien. Während Kinkel wie Robert Blum als Märtyrer der Revolution galt, wurde Schurz durch seine Aktion bald zu einer populären Figur weit über Deutschland hinaus, auch in den Vereinigten Staaten.
Kinkel und Schurz flohen gemeinsam nach England. Schurz emigrierte im Juli 1852 schließlich in die USA, während Kinkel dort zunächst Geldspenden für geflohene Demokraten organisierte, dann zu seiner Familie nach London zurückkehrte, eine Professur annahm und zu einer wichtigen Figur des politischen Exils wurde. Schurz blieb in den USA, betätigte sich als Farmer in Wisconsin und engagierte sich seit Ende der 1850er-Jahre als revolutionärer Demokrat und entschiedener Gegner der Sklaverei in der Republikanischen Partei. Als begabter Redner war er 1860 durch seinen Einfluss auf die Deutsch-Amerikaner entscheidend an der Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten beteiligt. Nach dessen Wahl erhielt er den Posten eines US-Gesandten in Madrid, den er 1861/62 bekleidete. Nach Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges kehrte Schurz in die Vereinigten Staaten zurück, erhielt das Kommando über eine deutsch-amerikanische Division, nahm an der Schlacht von Gettysburg teil und schied 1864 aus dem aktiven Militärdienst aus, um Lincolns Wiederwahl zu unterstützen.
Nach dem Ende des Krieges und der Ermordung Lincolns verfasste Schurz im Auftrag des neuen Präsidenten Andrew Johnson einen ausführlichen Bericht über die Südstaaten und empfahl, das Wahlrecht freigelassener Sklaven zur Bedingung für die Wiedereingliederung der Südstaaten in die Union zu machen. Nachdem er sich damit nicht durchsetzen konnte und sich politisch isoliert sah, wurde er Herausgeber der Zeitung „Westliche Post“ in St. Louis. 1867/68 reiste er zwar nach Deutschland und traf dort auch Bismarck, aber seine politische Karriere setzte er in den Vereinigten Staaten fort. Dort amtierte er zwischen 1869 und 1875 als gewählter Bundessenator von Missouri. Gegenüber Präsident Ulysses Grant ging er auf Distanz, kritisierte dessen Politik der „Reconstruction“ und gründete 1872 sogar eine kurzlebige, gegen Grant gerichtete Partei, die „Liberal Republican Party“. Ab 1876 wieder in der Republikanischen Partei, wurde er zwischen 1877 und 1881 Innenminister unter Präsident Rutherford Birchard Hayes. In seiner Amtszeit setzte er eine Reform der Verwaltung durch, mit der ein unpolitisches Berufsbeamtentum geschaffen werden sollte, um die Korruption einzudämmen. Auch für die Integration der „first nations“, die indigenen Einwohnerinnen und Einwohner Nordamerikas, in die amerikanische Gesellschaft setzte sich Schurz aktiv ein.
So wurde der deutsche Revolutionär von 1848/49 in den Vereinigten Staaten ein hoch angesehener Repräsentant der Deutsch-Amerikaner. Als Politiker, Journalist und Schriftsteller vermittelte er zwischen Deutschland und den USA, als „elder statesman“ kritisierte er die Parteienkorruption. Nach seiner Zeit als Minister in Washington wurde er in den 1880er-Jahren wieder als Journalist und Publizist tätig, unter anderem als Herausgeber der „New York Evening Post“, und erwies sich 1898 als scharfer Kritiker des Spanisch-Amerikanischen Krieges, weil er darin den Eintritt der USA in eine Phase imperialistischer Expansion erkannte.
Alternative Wege zum Nationalstaat: Das preußische Unionsprojekt
Mochte mit den dramatischen Ereignissen im Sommer 1849 der letzte Versuch scheitern, sich noch einmal demonstrativ auf das Prinzip der Volkssouveränität zu beziehen und daraus die Notwendigkeit abzuleiten, die Verfassung als wichtigste Errungenschaft der Frankfurter Nationalversammlung zu retten, so endete im Juli 1849 keinesfalls die Wirkung der Revolution. Das zeigte der Unterschied zwischen der weiteren Entwicklung der Habsburgermonarchie und Preußen.
In Österreich hatte der nach Kremsier verlegte Reichstag einen Verfassungsentwurf ausgearbeitet, der für alle Nationalitäten der Monarchie die gleichen Rechte vorsah. Doch im Gegensatz zur Frankfurter Nationalversammlung wurde dieser Entwurf niemals verabschiedet. Stattdessen oktroyierte die Monarchie nach dem Erfolg der Gegenrevolution in Österreich im März 1849 eine Verfassung. Wie im Falle der von Friedrich Wilhelm IV. aufgezwungenen preußischen Verfassung nahm auch dieses Dokument einige Aspekte der revolutionären Errungenschaften auf und kam den Interessen der bürgerlichen Liberalen und Bauern entgegen. Auch wurde Ungarn in die angestrebte staatsrechtliche Ordnung der Gesamtmonarchie einbezogen. Den nicht zur ethnischen Gruppe der Ungarn zählenden Bevölkerungsteilen, zum Beispiel den Kroaten, Serben, Slowenen und Siebenbürgern, wurden weitgehende Autonomierechte in Aussicht gestellt.
Doch diese Verfassung wurde nicht umgesetzt und schließlich nach zwei Jahren auch formal aufgehoben. Damit blieb die Habsburgermonarchie auch nach 1850 ohne geschriebene Verfassung und einen entsprechenden staatsrechtlichen Rahmen für ihre multiethnische Struktur. Die sich dort in den 1850er-Jahren entwickelnde neoabsolutistische Praxis und die fehlende Perspektive für eine Integration in einen künftigen deutschen Nationalstaat erklärten, warum ein Teil des deutschen Bürgertums, der Nationalbewegung und des Liberalismus in den kommenden Jahren trotz der Erfahrung mit der Gegenrevolution und der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. eher auf Preußen als künftig entscheidende Macht in Deutschland blickte.
Denn obwohl es sich um eine oktroyierte Verfassung handelte, ging Preußen im Unterschied zur Habsburgermonarchie als Verfassungsstaat aus der Revolution hervor. Und es schien trotz der gescheiterten Schaffung eines deutschen Nationalstaates durch die Frankfurter Nationalversammlung zunächst auch seine Rolle als Verfechter eines eigenen Einigungsprojekts weiter zu verfolgen. Nachdem er die ihm angebotene Kaiserkrone im April 1849 abgelehnt hatte, bemühte sich Friedrich Wilhelm IV. bereits während der Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne darum, ein kleindeutsches Reich unter preußischer Führung durch die souveränen Fürsten der deutschen Einzelstaaten zu bilden. Auf Initiative von Joseph Maria von Radowitz (1797–1853), eines engen Beraters des preußischen Königs, schlossen Preußen, Hannover und Sachsen Ende Mai 1849 das sogenannte Dreikönigsbündnis.
Die von den drei Königreichen verabschiedete Unionsverfassung lehnte sich zwar an die von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedete Reichsverfassung an. Aber das Reichsoberhaupt sollte danach ein absolutes Veto besitzen, die Wahlen nach dem Dreiklassenwahlrecht erfolgen und die Fürsten direkt an der Gesetzgebung beteiligt werden. Das Unionsprojekt scheiterte schließlich am Widerstand Russlands und Österreichs gegen die preußischen Pläne und an der Ablehnung durch immer mehr Einzelstaaten, darunter die Königreiche Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover, die eine Wiederherstellung des Deutschen Bundes unter österreichischem Vorsitz akzeptierten.
In der Olmützer Punktation bzw. dem Olmützer Vertrag musste Preußen im November 1850 schließlich die Position Österreichs akzeptieren. Scheiterte dieser nationalpolitische Anlauf Preußens vor allem an der Regierung in Wien, so wandten sich die europäischen Großmächte gegen Schwarzenbergs Idee eines „70-Millionen-Reichs“. Die Einbeziehung der gesamten Habsburgermonarchie in einen künftigen deutschen Staat hätte dem Grundgedanken eines Mächtegleichgewichts auf dem europäischen Kontinent jede Grundlage entzogen. Auf den Dresdner Konferenzen beschlossen die diplomatischen Vertreter Großbritanniens, Frankreichs und Russlands im Mai 1851, nach den Revolutionserfahrungen wieder zur Ordnung zurückzukehren, die man 1815 auf dem Wiener Kongress definiert hatte (↗ S. 9, 16). Die Wiederherstellung des Deutschen Bundes bedeutete insofern eine dreifache Antwort auf die nationalpolitischen Anläufe der Frankfurter Nationalversammlung wie auf das preußische Unionsprojekt und das österreichische Konzept eines „70-Millionen-Reichs“.
Doch die scheinbare Rückkehr zum innenpolitischen wie zum internationalen Status quo vor 1848 war ein Trugschluss. Denn die Erfahrung der Revolution hatte trotz des offenkundigen Scheiterns ihrer unmittelbaren Ziele die Art und Weise grundlegend verändert, wie Menschen Politik erlebten, organisierten und artikulierten. Dass die öffentliche Meinung zu einem Faktor geworden war, den seit den 1850er-Jahren auch Politiker und Diplomaten nicht mehr ignorieren konnten, sollte sich schon wenige Jahre später zeigen. Dass weniger als zwölf Jahre nach dem Ende der Revolutionen in Italien und Deutschland Nationalstaaten entstehen konnten, ist ohne diese Grunderfahrung nicht zu erklären.