Zielkonflikte: Revolutionsimpuls und Reformorientierung
Die Karikatur „Rundgemälde von Europa im August 1849“ (1849) thematisiert die Niederschlagung der Revolution, hier vor allem symbolisiert durch Napoleon III. in Frankreich und Friedrich Wilhelm IV. in Preußen. Als einer der wenigen Zeitgenossen verweist Ferdinand Schröder (1818–1859) damit auf die gesamteuropäische Dimension der Ereignisse 1848/49. (© akg-images)
Die Karikatur „Rundgemälde von Europa im August 1849“ (1849) thematisiert die Niederschlagung der Revolution, hier vor allem symbolisiert durch Napoleon III. in Frankreich und Friedrich Wilhelm IV. in Preußen. Als einer der wenigen Zeitgenossen verweist Ferdinand Schröder (1818–1859) damit auf die gesamteuropäische Dimension der Ereignisse 1848/49. (© akg-images)
Die Revolution begann an verschiedenen Orten Europas als Auseinandersetzung mit der überkommenen Ordnung von Politik und Gesellschaft, die nach 1815 in unterschiedlichen Varianten entstanden war. Angesichts politischer Blockaden, sozialer Krisen und repressiver Praktiken hatte diese Ordnung am Ende der 1840er-Jahre ihre Legitimation für große Teile der Gesellschaft eingebüßt. Für einen kurzen Moment konnten sich viele Akteure seit Februar 1848 auf den Widerstand gegen diese Ordnung einigen, bevor schon nach wenigen Wochen grundsätzliche Zielkonflikte innerhalb der Oppositionsbewegung aufbrachen. Es gab 1848/49 also nicht eine europäische Revolution, sondern unterschiedliche Revolutionen in Europa mit unterschiedlichen Vorläufen, Erwartungen und Ergebnissen. In Frankreich ging es nach den monarchischen Experimenten der Bourbonen nach 1815 und von Louis-Philippe nach 1830 seit Februar 1848 um die Frage, welche Art von Republik an die Stelle der Monarchie treten sollte. Der Konflikt zwischen einer primär politisch definierten Republik mit einer starken bürgerlichen Orientierung an sozialer Stabilität einerseits und einer sozialrevolutionären Weiterführung der Revolution andererseits mündete bereits im Juni 1848 in einem faktischen Bürgerkrieg. Für viele deutsche Liberale markierte dieser Moment im Sommer 1848 das erneuerte Schreckbild einer Gewalteskalation, die man in Deutschland unter allen Umständen zu verhindern suchte. Hier wie auch in Italien standen die Akteure im Frühjahr 1848 zunächst vor der Doppelaufgabe, politische Freiheit und nationale Einheit zu erreichen. Anders als in Frankreich setzte eine neue Verfassung einen Nationalstaat voraus, den man im Falle Italiens erst in einem Krieg gegen die habsburgische Fremdherrschaft in Oberitalien erobern musste. In Deutschland führte der Versuch, den Umfang eines künftigen deutschen Nationalstaates zu bestimmen, bereits im Herbst 1848 zur ersten großen Krise der Revolution. Sie unterstrich die internationalen Konsequenzen, aber auch die beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Frankfurter Nationalversammlung sowie der Zentralgewalt.
Vor diesem Hintergrund ließ die Grundfrage nach der politischen Ausgestaltung des angestrebten Nationalstaates in Deutschland bald tiefgreifende programmatische Unterschiede hervortreten, die nicht nur die parlamentarischen Beratungen kennzeichneten, sondern auch die konkrete Erfahrung der Politik in Vereinen, Volksversammlungen und Medien. Diese Spannungen waren nicht neu, sondern hatten sich im deutschen Vormärz seit den 1830er-Jahren angekündigt und waren kurz vor Ausbruch der Revolution auch organisatorisch fassbar geworden. Hinter der Alternative „konstitutionelle Monarchie“ oder „soziale Republik“ bildete sich ein Gegensatz aus, der seine Ursprünge in den 1840er-Jahren hatte. Bürgerliche Liberale hielten trotz aller Enttäuschungen an ihrem Vertrauen auf eine immer noch mögliche Reform von Staat und Gesellschaft in Zusammenarbeit mit Fürsten und Monarchen fest. Die demokratische Linke berief sich demgegenüber auf die revolutionär erkämpfte Volkssouveränität und war bereit, den Revolutionsimpuls zu nutzen, um nicht nur politische Freiheitsrechte, sondern auch soziale Rechte durchzusetzen.
Im Verlauf der Revolution geriet auch in Deutschland die Einheit der Oppositionsbewegung vom März 1848 nach wenigen Wochen unter starken Druck. Der Weg zum ersten gewählten Parlament der Deutschen war Ausdruck des von bürgerlichen Liberalen dominierten Kurses, die Revolution so schnell wie möglich zu kanalisieren, Barrikadenkämpfe und Straßendemonstrationen hinter sich zu lassen und sich auf einen Kurs der Legalisierung und Parlamentarisierung durch eine verfassunggebende Nationalversammlung zu konzentrieren. Doch gleichzeitig beruhte ihre konkrete Handlungsmacht auf dem revolutionären Impuls, den Volksversammlungen und auch der Drohung mit Gewalt oder der konkreten Gewalterfahrung wie etwa in den Märzkämpfen in Berlin. Die Anhänger einer demokratischen Republik mit sozialen Grundrechten zeigten sich mehrfach bereit, aus diesem Kurs auszuscheren, etwa im badischen Aprilaufstand von Hecker und Struve, in der Septemberkrise 1848 und zuletzt in der Reichsverfassungskampagne im Sommer 1849.
Der zumeist bildungsbürgerlich geprägte Kern der liberalen Reform- und Nationalbewegung verfolgte begrenzte politische Ziele, und ihre Repräsentanten handelten immer wieder als „Revolutionäre wider Willen“. Sie nutzten also die revolutionär vergrößerte Handlungsfreiheit, aber sie scheuten in ihrem Kooperationskurs gegenüber Fürsten und Monarchen vor dem revolutionären Bruch zurück, weil sie eine sozialrevolutionäre Entgleisung wie in Frankreich fürchteten. Dieser Widerspruch zwischen Reformziel und Revolutionsimpuls kennzeichnete ihr Handeln seit März und prägte noch ihre Distanz gegenüber der Reichsverfassungskampagne, in der die meisten von ihnen nicht die Chance erkannten, die verabschiedete Verfassung zu verteidigen, sondern die Gefahr einer „roten Revolution“ erblickten.
Handlungsmacht und Handlungsgrenzen der Revolution 1848/49
Um die Revolution angemessen zu verstehen, muss man den oft hervorgehobenen Gegensatz zwischen „Parlament“ und „Straße“ zugunsten einer integrativen Deutung überwinden, die nach der Verflechtung der unterschiedlichen Handlungsebenen fragt. Aus dieser Perspektive lässt sich die Frankfurter Nationalversammlung nicht einfach mit „der Demokratie“ unserer Gegenwart gleichsetzen. Demokraten mit ihrer Forderung nach politischer und sozialer Gleichheit und der Überwindung der konstitutionellen Monarchie in eine „soziale Republik“ bildeten in der Paulskirche allenfalls eine oppositionelle Minderheit. Liberale und Konservative dagegen blickten skeptisch auf das Konzept der Volkssouveränität. Aus der Angst vor Terror, Anarchie und Bürgerkrieg neigten sie allerdings dazu, das Gewaltpotenzial der radikalen Republikaner in ihrer Breitenwirkung immer wieder zu überschätzen. Denn auch außerhalb der Parlamente gab es, von einzelnen Regionen wie Baden abgesehen, keine breite Mehrheit in der Bevölkerung für einen entschieden sozialrevolutionären Kurs und die Einführung einer Republik unter Anwendung radikaler Gewalt. Den Weg zur Nationalversammlung und zur Verfassung kann man also nur verstehen, wenn man die Revolutionsbewegung außerhalb der Parlamente als entscheidenden Handlungsimpuls miteinbezieht, ohne sie vorschnell allein auf eine einseitige Gewaltgeschichte zu reduzieren.
Als wesentliches Problem erwies sich eine strukturelle Überforderung der Revolution bei wachsendem Zeitdruck bereits ab dem Sommer 1848. Die raschen Erfolge zu Beginn der Revolution erhöhten den Entscheidungs- und Handlungsdruck genau in dem Moment, in dem die Kräfte der Gegenrevolution begannen, sich wieder zu stabilisieren. Jetzt zeigte sich, dass die deutsche Revolution zu Beginn nicht nur vor den Thronen, Altären, vor der Diplomatie und den einzelstaatlichen Bürokratien Halt gemacht hatte. Vor allem konnte sie trotz der Einrichtung einer Provisorischen Zentralgewalt und eines in der Praxis funktionierenden parlamentarischen Mehrheitsmechanismus in der Nationalversammlung zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle über militärische Machtmittel der Einzelstaaten sichern. Als ab Herbst 1848 die Handlungsspielräume der Revolution abnahmen, erwiesen sich schnell auch die Grenzen der parlamentarischen Handlungsmacht. Der im Frühjahr 1848 ausgebliebene Elitentausch beließ den Kräften der Gegenrevolution entscheidende militärische Machtressourcen, wie sich in Preußen und Österreich als Flügelmächte des Deutschen Bundes zeigte.
Dieses grundlegende Defizit war bereits im Krieg gegen Dänemark und während der Krise um die Annahme des Waffenstillstands von Malmö deutlich geworden, denn die Zentralgewalt blieb in ihrem Handeln auf die militärischen Ressourcen der Einzelstaaten angewiesen. Das aber kehrte sich ab Herbst gegen die Frankfurter Institutionen und ab Frühjahr 1849 gegen die Errungenschaften der Revolution. Auch in der Endphase erwies sich noch einmal die Verflechtung der europäischen Revolutionszentren. Denn Eisenbahn und Telegrafie katalysierten europäische Medien- und Kommunikationszusammenhänge, aber auch Gerüchte und Verschwörungserzählungen. Wie der Aufbruch der Revolutionsbewegungen im Frühjahr 1848, so vollzogen sich auch die gegenrevolutionären Offensiven ab Herbst 1848 in einem gesamteuropäischen Zusammenhang. Die Niederschlagung des Juni-Aufstands in Paris, vor allem aber die Ereignisse in der Habsburgermonarchie gaben entscheidende Signale für die gegenrevolutionäre Offensive in den deutschen Einzelstaaten, vor allem in Preußen.
Politische Paradigmenwechsel: Selbstorganisation und Agenda-Setting
Dennoch wäre die Etikettierung der Ereignisse von 1848/49 als eine gescheiterte Revolution, welche die Politik in Deutschland ab 1850 gleichsam alternativlos auf den Kurs einer von Preußen dominierten Einigung, auf die Kriege um die Durchsetzung des deutschen Nationalstaats und die kalkulierte Machtpolitik des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck gezwungen habe, einseitig. Vielmehr muss man im Rückblick dem Misserfolg der Nationalstaatsbildung von unten die langfristigen Wirkungen von 1848/49 gegenüberstellen. Zu den bleibenden Errungenschaften der Revolution zählte die Bauernbefreiung und damit das Ende der letzten feudalen Relikte. Dazu kamen grundlegende Erfahrungen, wie man politische Interessen in Parlamentsfraktionen, Volksversammlungen oder Petitionen organisierte. Hinzu trat schließlich trotz des kurzfristigen Scheiterns der Paulskirche der eindrückliche Beweis parlamentarischer Arbeitsfähigkeit und konstitutioneller Praxis, wie der Grundrechtskatalog und die Ausarbeitung der Verfassung bewiesen.
Von besonderer Bedeutung waren Impulse für die Entwicklung der Arbeiter- und Frauenbewegung. Sie gründeten auf der Erfahrung einer konkreten Handlungsmacht jenseits der Parlamente, in Vereinen, Netzwerken, Volksversammlungen und Medien. Dazu gehörte auch der Einsatz kollektiver Gewalt, aber immer zugleich die Praxis, durch Gewaltandrohung eigene Interessen durchzusetzen. Während viele städtische Arbeiter diese Mobilisierung und Politisierung als Forderung nach sozialen Grundrechten, als Gestaltung staatsbürgerlicher Gleichberechtigung und Mündigkeit erfuhren, blieb dieses Programm einer „sozialen Republik“ für weite Teile des Bürgertums mit dem Schreckbild revolutionärer Entgleisung verknüpft. Die von vielen Liberalen lange vertretene Vorstellung, man könne die unterbürgerlichen Gruppen und Arbeiter langfristig durch Bildung, Besitz und Selbständigkeit in einen bürgerlichen Staat integrieren, erwies sich seit 1848/49 angesichts der Selbstorganisation und der Anfänge der Arbeiterbewegung als zunehmend unrealistisch.
Die konstitutionellen und nationalpolitischen Hoffnungen vieler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wurden bitter enttäuscht, und in den ersten Jahren nach dem Sommer 1849 entwickelte sich eine harte Repression in den deutschen Bundesstaaten, die mit militärischer Besetzung (etwa in Baden), Gefängnis, erzwungenem Exil und polizeistaatlicher Überwachung vieler Teilnehmer der Revolution einherging. Dennoch bedeutete das Ende der Revolution nicht einfach eine Restauration der vormärzlichen Strukturen von Staat und Gesellschaft. Zu den langfristigen Wirkungen gehörte eine Definition der Zukunftsthemen, die sich im Blick auf politische Fortschritte und die Nationsbildung der Deutschen nicht mehr wie nach 1815 unterdrücken ließen. Gegen das Bild der Restauration sprachen daher die vielen Reformen, welche die Form von „Regierungsrevolutionen“, so der australisch-britische Historiker Christopher Clark, annahmen und die über 1849 fortwirkten, also vor allem rechtliche und wirtschaftliche Modernisierungsanstrengungen.
In zuvor nicht konstitutionalisierten Staaten wurden nun Verfassungen in Kraft gesetzt. Das galt in Italien für das Königreich Sardinien-Piemont mit dem „Statuto Albertino“ und im Deutschen Bund für Preußen. Auch wenn die preußische Verfassung oktroyiert war, drückte sich hier wie im „Statuto Albertino“ der Wille der Regierungen aus, mit den bürgerlichen Vertretern der Reform- und Nationalbewegung zusammenzuarbeiten. Nachdem der Krimkrieg die 1815 begründete Funktion Russlands als Garant eines Gleichgewichts der europäischen Mächte beendet hatte, kam am Ende der 1850er-Jahre auch in nationalpolitischer Hinsicht wieder Bewegung in die Politik. Das bewies, dass sich die 1848/49 so dynamisch entfaltete Agenda der Nationalstaatsbildung nicht zurückdrängen ließ, sondern ein entscheidendes Ziel der politischen Öffentlichkeit blieb. Am Ende gelang diese Nationalstaatsbildung in Italien wie in Deutschland nicht durch ein Bündnis zwischen Bürgertum, klein- und unterbürgerlichen Schichten und Arbeitern, sondern durch eine spannungsreiche Kooperation zwischen dem Staat und einem Teil der bürgerlichen Nationalbewegung.
Insgesamt markierte 1848/49 den Höhepunkt einer Entwicklung, die sich seit den 1830er-Jahren beschleunigt und Politiker in ganz Europa mit einem krisenhaften Wandel konfrontiert hatte. Konservative Gegner versuchten nach 1849, die Revolution als bloß kurze Unterbrechung von traditioneller Ordnung und Normalität, als zwei „tolle Jahre“ darzustellen. Doch diese Kennzeichnung wurde weder dem Charakter der Revolution noch ihren langfristigen Wirkungen gerecht. Denn in allen betroffenen Gesellschaften veränderte sich die konkrete Erfahrung der Politik. Es entstanden eine Öffentlichkeit und ein nationaler Raum, in dem unterschiedliche Bewegungen, Organisationen und Medien miteinander konkurrierten. Ohne sie lässt sich die Entstehung moderner Parteien und Fraktionen seit den 1850er-Jahren nicht verstehen. Die Erfahrung sozialer Mobilisierung, politischer Kommunikation und der Gestaltbarkeit politischer und sozialer Interessen innerhalb und außerhalb von Parlamenten widersprachen sowohl der Vorstellung eines unpolitischen „Biedermeier“ nach dem Wiener Kongress als auch einer politischen „Restauration“ in den 1850er-Jahren.
Insofern steht die Revolution von 1848/49 für eine strukturelle Krise in der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft und einen Paradigmenwechsel des Politischen. Die Erfahrung einer Politik, die aufhörte, lediglich zum abgeschlossenen Geheimbereich von Hof, Kirche oder einer ständisch verfassten Minderheit zu gehören, steigerte die Ansprüche auf Teilhabe und Interessenvertretung. Mochte die Revolution von 1848 im engeren konstitutionellen oder nationalpolitischen Sinne keine unmittelbaren Erfolge hervorbringen, so dokumentierten die Jahrzehnte nach 1849 die anhaltenden Wirkungen einer tiefgreifenden Teilhabe- und Kommunikationsrevolution. Eine neue Generation von Politikern reagierte auf diese Konstellation und entwickelte neue politische Praktiken, in denen die Berufung auf die Volkssouveränität sich mit autoritären Grundzügen verbinden konnte. In Frankreich entstand mit dem Bonapartismus im Grunde der Urtypus eines populistisch-autoritären Politikverständnisses, indem der Neffe Napoleons I., Louis Napoleon III. (1808–1873), ab 1851/52 auf eine Mischung aus Revolutionsmythos und autoritärer Regierungspraxis, aus allgemeinem Männerwahlrecht, plebiszitärer Absicherung und Wahlmanipulationen setzte. In Italien suchte Camillo Cavour (1810–1861) als piemontesischer Premierminister die diplomatische Chance, den Einfluss seiner Heimat als italienische Staatsnation zu erweitern und zugleich die radikal-demokratische Bewegung einzudämmen, indem er die Schaffung eines italienischen Nationalstaats nach 1859 durch Plebiszite in den einzelnen Staaten Italiens absichern ließ.
Auch die von Otto von Bismarck betriebene Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts im Norddeutschen Bund 1867 und dann im kleindeutschen Kaiserreich 1871, das dem Bundeswahlgesetz von 1848 entsprach, dokumentierte eine neuartige Politikpraxis, die Fortschrittlichkeit, Popularitätsstrategien und autoritäre Repressionsbereitschaft miteinander verband. Immer ging es in diesen unterschiedlichen Konstellationen um den Versuch, Ordnungsstrukturen und soziale Stabilität mit dem Anspruch zu verbinden, politische Herrschaft gewandelten Bedingungen anzupassen, für die gerade die Revolutionserfahrung von 1848/49 stand. Im Gegensatz zu den europäischen Staatsmännern des frühen 19. Jahrhunderts, die nach 1815 eine am postrevolutionären Status quo orientierte Innenpolitik betrieben hatten, blieb der Generation Napoleons III., Cavours, Bismarcks oder Benjamin Disraelis (1804–1881) in Großbritannien die Einsicht, auf eine Epoche krisenhafter Beschleunigung flexibel reagieren zu müssen. Darin lag eine entscheidende Erbschaft der Revolution von 1848/49. Anders als die Revolutionäre dieser Jahre suchten die „weißen Revolutionäre“ der folgenden Jahrzehnte ideologisch konservative Ziele mit radikalen, ja auch revolutionären, sich jedenfalls aus den Zwängen der Tradition befreienden Mitteln zu erreichen.