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Ein Afrika gibt es nicht

Stefan Mair Isabelle Werenfels Stefan Mair / Isabelle Werenfels

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Afrika (© NASA)

Afrika gibt es nicht! Unter diesem 1994 erschienenen Buchtitel stellte Georg Brunold, der Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, am Ende seiner langjährigen Berichterstattung seine Eindrücke aus dem Kontinent zusammen. Er meinte damit, dass sich der Kontinent angesichts seiner Vielfalt als Ganzes gar nicht erfassen ließe - eine Empfindung, die sicherlich jeder teilt, der sich mit Afrika intensiver beschäftigt. Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen, zwischen den Staaten und Gesellschaften immens.

Der regionale Bezugspunkt Nordafrikas war schon seit jeher eher das Mittelmeer mitsamt dessen nördlichen und östlichen Anrainern als die Region südlich der Sahara. Auch die Menschen am Horn von Afrika, insbesondere die Gesellschaften Äthiopiens, Somalias und Nordsudans, haben nach eigenem Selbstverständnis wenig mit den Nachbarn südlich der Sahara gemeinsam. In West- und Ostafrika gab es bereits vor der Kolonialzeit starke Austauschbeziehungen und Wanderungsbewegungen, die eigenständige Integrationsräume entstehen ließen. Das südliche Afrika erschloss sich dem restlichen Afrika erst spät durch die Einwanderung der Bantu ab 500 n. Chr. und erfuhr dann ab dem 17. Jahrhundert eine eigenständige Prägung durch die Niederlassung europäischer Siedler.

Die stärkste zwischenregionale Kluft besteht indes zwischen Nordafrika und Afrika südlich der Sahara. Sie hat sich über die Jahrhunderte eher verstärkt: Nordafrika unterscheidet sich durch seine eindeutig islamische Prägung, die arabische Sprache, seine Sonderrolle zur Kolonialzeit und - nicht zuletzt - durch sein regionales Selbstverständnis in der Moderne und seine immer stärker formalisierte und institutionalisierte Anbindung an Europa. Aber trotz dieser regionalen Eigenheit Nordafrikas gab es auch stets historisch verbindende Elemente: den Transsahara-Handel, den intensiven Austausch zwischen dem pharaonischen Ägypten und den nubischen Königreichen seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. sowie in jüngerer Zeit die Bemühungen um panafrikanische Ansätze der Integration und Kooperation. Darüber hinaus existieren gesellschaftliche Bande: Die Netzwerke der Sufi-Bruderschaften erstrecken sich von Nordafrika bis in westafrikanische Staaten wie Senegal und Nigeria, und die Tuaregstämme Algeriens und Libyens finden sich auch in den Sahelstaaten Mali, Niger und Tschad. Nicht zuletzt üben Staaten wie Sudan oder Mauretanien eine Scharnierfunktion zwischen Subsahara- und Nordafrika aus: Sie orientieren sich politisch stark an der arabisch-islamischen Welt und gehören auch deren Regionalorganisationen an, große Teile ihrer Bevölkerungen definieren sich jedoch als afrikanisch.

Es sind aber nicht nur die Unterschiede zwischen den Regionen, die Brunold wie viele andere zu der Feststellung kommen ließen, Afrika gäbe es nicht. Sie wird untermauert durch eine Reihe weiterer Charakteristika, darunter die außerordentlich große sprachliche und ethnische Vielfalt Afrikas. Es gibt schätzungsweise 2000 Sprachen und fast genauso viele eigenständige Volksgruppen. Diese Vielfalt wurde im Kolonialismus vor allem durch die französische und britische Kolonialherrschaft überlagert, die zur gängigen Unterscheidung zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Afrika führte. Im weiteren Verlauf wurden die Volksgruppen Afrikas in letztendlich 53 Staaten gepresst, deren Grenzziehung wenig Rücksichten auf gewachsene soziale Zusammenhänge oder zwischengesellschaftliche Unverträglichkeiten nahm.

Nach Erreichen der Unabhängigkeit und bis zum Ende des Ost-West-Konflikts bestand das wesentliche trennende politische Element zwischen den afrikanischen Staaten darin, wessen Partei sie im Kalten Krieg ergriffen. Seit dessen Ende beschleunigte sich der Differenzierungsprozess. Eine Welle der Demokratisierung erfasste die meisten Staaten südlich der Sahara, in nur wenigen von ihnen hinterließ sie jedoch halbwegs konsolidierte Demokratien. Andere Staaten zerfielen oder glitten in lange Jahre des Bürgerkriegs oder der Gewaltherrschaft ab. Nordafrika schließlich wurde von der Demokratisierungswelle nur am Rande erfasst und verblieb unter autoritärer Herrschaft.

Wirtschaftliche Reformen und verbesserte Regierungsführung, aber auch hohe Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen verhalfen einigen afrikanischen Staaten zu beträchtlichen wirtschaftlichen Wachstumsraten. Doch in nur wenigen Fällen konnte die Mehrheit der Bevölkerung davon durch vermehrten Wohlstand und verbesserte soziale Entwicklung profitieren. Insbesondere die Bürgerkriegsstaaten mussten in den vergangenen zehn bis 20 Jahren einen dramatischen wirtschaftlichen Niedergang erleben.

Bei aller Unterschiedlichkeit haben die afrikanischen Staaten aber auch Gemeinsamkeiten: Fast alle wurden kolonial geprägt und haben langjährig Entwicklungshilfe erhalten. Gemessen an gängigen Indikatoren wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung liegen die meisten Länder Afrikas deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt. Überproportional verbreitet sind schwache staatliche Institutionen sowie persönliche und traditionelle Bindungen und Loyalitäten als Dominanten der Politik. Auch Korruption und Patronage spielen in Afrika eine größere Rolle als in anderen Weltregionen. Darüber hinaus weisen traditionelle und moderne Kulturformen Ähnlichkeiten auf und schaffen so Gemeinsamkeiten. Schließlich machen auch viele der neueren Herausforderungen, mit denen sich der Kontinent konfrontiert sieht, keinen Halt an der imaginären Grenze zwischen dem nördlichen und dem südlichen Afrika. Das gilt für Migrationswellen genauso wie für die Folgen des Klimawandels oder für transnationale dschihadistische Netzwerke.

Letztlich hängt es vom Bezugsrahmen ab, ob es sinnvoll ist, von Afrika verallgemeinernd zu sprechen oder dessen Vielseitigkeit zu betonen. Wie im Falle Europas wird der Kontinent in bestimmten Zusammenhängen als Einheit oder gar einheitlich handelnder Akteur betrachtet - wenn es beispielsweise um seine Rolle in der internationalen Politik geht oder um die Herausforderungen, denen Afrika sich durch die Globalisierung ausgesetzt sieht.

Nachdem das erste Afrikaheft die Unterschiede anhand der einzelnen Regionen des Kontinents und ausgewählter Länder vorgestellt hat, soll diese Ausgabe die Gemeinsamkeiten herausarbeiten und dennoch der Differenziertheit des Kontinents gerecht werden.

Dr. Stefan Mair ist Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Mitglied des Beirats der Initiative "Partnerschaft mit Afrika" des Bundespräsidenten und gehört dem wissenschaftlichen Beirat des GIGA an. Seine Arbeitschwerpunkte sind Afrika südlich der Sahara, deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, Global Governance. Kontakt:»stefan.mair@swp-berlin.org«

Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ihr regionaler Arbeitsschwerpunkt sind die Maghrebstaaten. Inhaltlich forscht sie vor allem zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in den Maghrebstaaten, zu islamistischen Bewegungen und Parteien sowie zur Kooperation zwischen europäischen und mediterranen Staaten. Kontakt:»isabelle.werenfels@swp-berlin.org«