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Industrie im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie | Umweltpolitik | bpb.de

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Industrie im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie

Klaus Jacob

/ 10 Minuten zu lesen

Die Messe für Bio-Produkte "BioFach 2008" öffnete vom 21.-24. Februar 2008 in Nürnberg ihre Tore. (© AP)

Einleitung

Die industrielle Herstellung von Gütern ist mit der Nutzung von Umweltressourcen untrennbar verbunden. Das beginnt bei der Entnahme und dem Transport von Rohstoffen, deren Verarbeitung in vielen Zwischenschritten und hört mit dem Transport der Produkte nicht auf. Dabei werden Rohstoffe und Energie verbraucht, Emissionen in Luft, Boden und Wasser geleitet, und es entstehen Produktionsabfälle. Verarbeitendes Gewerbe, Industrieprozesse und -feuerungen trugen im Jahr 2005 in Deutschland zu circa 30 Prozent der SO2-Emissionen und zu 20 Prozent der CO2-Emissionen bei (www.umweltdaten.de). Dabei sind die Emissionen, die in der Energiewirtschaft durch industriellen Stromverbrauch entstehen, noch nicht mit eingerechnet. Nicht nur die Herstellung, sondern auch Produkte selbst können mehr oder weniger umweltfreundlich gestaltet sein. Das betrifft zum Beispiel mögliche Inhaltsstoffe, Energie- oder Wasserverbrauch während des Gebrauchs oder Belastungen, die durch deren Entsorgung entstehen. Die durch industrielle Produktion bzw. durch Produkte verursachten Umweltschäden treten bei anderen Nutzern der Umwelt (oder zukünftigen Generationen) als zusätzliche Kosten auf. Soweit diese Kosten nicht vom Verursacher getragen werden, wird von negativen externen Effekten gesprochen.

Ziel umweltpolitischer Maßnahmen ist es, indu-s-triell bedingte Umweltbelastungen zu vermindern sowie die Entwicklung und Vermarktung umweltfreundlicherer Produkte zu fördern. Jedoch führen Umweltauflagen oft zu zusätzlichen Kosten bei den betroffenen Branchen. Daher ist Umweltpolitik Anlass für oft scharfe Auseinandersetzungen zwischen betroffenen Unternehmen und Umweltbehörden, aber auch innerhalb des Regierungsapparates, zwischen dem Umweltressort und den Ministerien, denen die Interessen der Industrie näher stehen. Bisherige umweltpolitische Strategien haben mit unterschiedlichen Instrumenten versucht, auf diese Zielkonflikte zu reagieren.

Maßnahmen gegen industrielle Umweltbelastungen

In einer ersten Phase der Umweltpolitik ging es zunächst darum, lokale Umweltbelastungen zu vermindern. Die Industrie baute hohe Schornsteine, um Schadstoffe weiträumig zu verteilen. Abfälle wurden ins Meer verbracht, um sie zu verdünnen. Im Wesentlichen sollten Beeinträchtigungen in der Nachbarschaft von Industrieanlagen vermindert werden. Die entsprechenden rechtlichen Grundlagen wurden in vielen Ländern bereits mit dem Einsetzen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert geschaffen. Die Basis dafür war in der Regel ein Nachbarschaftsrecht, mit dem benachbarte Grundbesitzer ihre Rechte durch Klagen wahren konnten. Seit Ende der 1960er Jahre wurde unter dem Eindruck erheblicher Umweltschäden, zum Beispiel weiträumiger, sichtbarer Wasser- und Luftverschmutzungen, die Aufgabe des Umweltschutzes zunehmend durch den Staat übernommen.

"End of Pipe"-Umweltschutz

Die Defizite einer Umweltpolitik, die vor allem auf eine weiträumige Verteilung von Schadstoffen setzt,wurden mit dem allgegenwärtigen Auftreten von Schadstoffen in allen Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft) und in der Nahrungsmittelkette (zum Beispiel Blei in Nahrungsmitteln) deutlich. Eine neue Phase der Umweltpolitik zielte seit den 1970er/80er Jahren darauf, die Emissionen am Ende des Produktionsprozesses in Filtern zu sammeln. Im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen wurden Auflagen für Schadstoff-Grenzwerte erteilt, deren Einhaltung vonAufsichtsbehörden kontrolliert wurde.Technologien, die zur Einhaltung dieser Grenzwerte notwendig sind, wurden den Betreibern von Industrieanlagenrechts verbindlich vorgeschrieben. Die bevorzugten Technologien dazu sind Filter und Kläranlagen. Diese werden dem Produktionsprozess zugeschaltet, ohne dass die zentralen Verfahren verändert werden. Diese Art der Umweltschutztechnologie trägt den Namen End of pipe-Technologie, weil sie am Emissionsaustritt einsetzt.

Integrierte Technologien

EOP-Umweltschutz hat eine Reihe von Nachteilen. Auch wenn die gesamtwirtschaftlichen Kosten fürdiese Technologien nicht sehr hoch sind (der Anteil der Umweltschutzausgaben von Staat und Industrie am Bruttoinlandsprodukt beträgt insgesamt 1,6 Prozent), sind einige Branchen aber besonders empfindlich betroffen. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Schadstoffe in konzentrierter Form als Filterstäube oder Klärschlämme anfallen und deponiert oder behandelt werden müssen. In vielen Branchen wurden daher Technologien entwickelt, bei denen durch die Veränderung der Produktionsprozesse die Schadstoffe überhaupt nicht mehr auftreten oder doch stark vermindert werden (integrierte Technologien/clean technologies). Beispiele sind CO2-arme oder -freie Technologien zur Stromerzeugung oder emissionsarme Herstellungsverfahren für Chemikalien.

Ausgaben des Produziereden Gewerbes für den Umweltschutz

Die Anwendung dieser Technologien erfordert zumeist eine Umstellung des Produktionsprozesses und erhebliche Investitionen. In vielen Fällen werden dabei aber auch Ressourcen und Energie eingespart. Meist entscheiden sich Unternehmen für integrierte Technologien, wenn alte Anlagen ersetzt werden müssen.

Innovationsorientierte Instrumente

Es ist eine wichtige Aufgabe von Umweltpo-litik, den Suchprozess nach solchen umweltschonenden Technologien zu intensivieren und deren Ausbreitung zu beschleunigen. Behörden können aber nicht einfach mit Ver- und Geboten vorschreiben, dass Unternehmen Umweltinnovationen entwickeln und auf den Markt bringen. Es wurde dahereine Reihe von umweltpoli-tischen Instrumenten entwickelt, die für Konsumenten und Hersteller Anreize für Suchprozesse nach immer umwelteffizienteren Produkten und Technologien geben. Einige der wichtigsten Instrumente werden im Folgenden kurz beschrieben:

  • Umweltzeichen: Produkte können Umweltzeichen erhalten, wenn sie im Vergleich zu konventionellen Produkten weniger umweltschädlich sind. In Deutschland ist der "Blaue Engel" das bekannteste dieser Ökosiegel, das vom RAL (Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V.) und dem Umweltbundesamt vergeben wird. Das deutsche Umweltzeichen wurde bereits Anfang der 1970er Jahre eingeführt und ist vielfach nachgeahmt worden. Das Europäische Umweltzeichen wird durch eine Blume symbolisiert, hat sich aber in Deutschland kaum als Markenzeichen durchsetzen können. Während der Blaue Engel für 3700 Produkte vergeben wurde, erhielten nur circa 350 Produkte das europäische Zeichen (www.blauer-engel.de). Umwelt-und Industrieverbände haben ebenfalls Umweltzeichen entwickelt, zum Beispiel dasLabel der ZeitschriftÖkotest, das Fair-trade-Logo oder den öko-tex-Standard für Bekleidung. In einigen Produktgruppen sind Umweltzeichen Voraussetzung füreine erfolgreiche Vermarktung von Produkten geworden, zum Beispiel bei Farben und Lacken. Dagegen spielen Umweltzeichen bei anderen Produkten kaum eine Rolle, weil die Konsumenten bei ihren Kaufentscheidungen andere Eigenschaften in den Vordergrund stellen.

  • Umweltmanagement: Unternehmen (und auch Behörden) können die Leistungsfähigkeit ihres Umweltmanagements begutachten und zertifizieren lassen. Dazu gibt es mit der Europäischen EMAS-Verordnung (Environmental Management and Audit Scheme, Umweltmanagement und Auditierungsverfahren) seit 1993 eine Norm. Das Verfahren beginnt mit einer Bestandsaufnahme der Umweltleistung eines Unternehmensstandortes. Dann wird ein Plan zur Verminderung der Umweltbelastung ("Umwelterklärung") aufgestellt. Die Bestandsaufnahme und die Umwelterklärung müssen von einem Gutachter überprüft und veröffentlicht werden. Dann kann sich der Unternehmens- oder der Behördenstandort mit einem Prüfsiegel auszeichnen und damit werben. Alle drei Jahre muss das Verfahren wiederholt werden, damit eine kontinuierliche Verbesserung erreicht wird. Neben dem europäischen Standard wurde auch eine ISO-(International Standard Organization) Norm 14001 für Umweltmanagementsysteme entwickelt und 1996 veröffentlicht. Dieses Verfahren stellt etwas weniger hohe Anforderungen (zum Beispiel keine Wiederholung des Verfahrens, keine Einschränkung auf einen bestimmten Standort, eine Umwelterklärung muss nicht veröffentlicht werden). Die in Deutschland mit ISO 14001 oder nach der EMAS-Verordnung ausgezeichneten Unternehmen sind unter www.emas-register.de zu finden. Die Auszeichnung von Standorten und von Produkten sind freiwillige umweltpolitische Instrumente. Mit den entsprechenden Logos soll geworben und ein Marktvorteil erzielt werden.

  • Freiwillige Selbstverpflichtungen: Freiwillige Instrumente werden auch angewandt, um das Verhalten von ganzen Branchen zu beeinflussen. Industrieverbände schließen Vereinbarungen mit dem Umweltministerium oder erklären einseitig gegenüber der Öffentlichkeit, dass ihre Mitgliedsfirmen bestimmte Maßnahmen ergreifen oder bestimmte Tätigkeiten unterlassen, um Umweltbelastungen zu vermindern.

    Damit sollen regulative Maßnahmen durch die Behörden vermieden werden. Die Umweltbehörden erhoffen sich dadurch wiederum Umweltverbesserungen, die mit einem geringeren Aufwand erzielt werden, weil die Unternehmen selbst am ehesten um Verbesserungsmöglichkeiten wissen. Umweltministerien lassen sich aber auch dann auf freiwillige Maßnahmen ein, wenn sie sich der politischen Unterstützung durch andere Ressorts (zum Beispiel Regierungschef oder Wirtschaftsministerium) nicht sicher sein können, deren Zustimmung aber für eine Verordnung nötig wäre. Beispiele für freiwillige Selbstverpflichtungen sind einmal die Erklärung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) zur Minderung von CO2-Emissionen; zweitens eine Reihe von Verlautbarungen des Verbandes der Chemischen Industrie, auf bestimmte Chemikalien zu verzichten und die 1998 gegebene Zusage der europäischen Automobilindustrie, bis 2008 im Durchschnitt aller dann verkauften Neuwagen nicht mehr als 140 g CO2 pro Kilometer zu emittieren. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Verbänden können nur begrenzt gegenüber den Mitgliedsfirmen durchgesetzt werden. Daher wird das Anspruchsniveau gelegentlich von Umweltverbänden als zu niedrig kritisiert. Sie tragen in der Regel nicht zu einer Internalisierung der Umweltkosten bei und geben daher zu geringe Anreize, die Umweltleistung von Firmen zu verbessern. Dazu sollen ökonomische Instrumente beitragen, die eine immer größere Rolle einnehmen.

  • Umweltsteuern: Umweltsteuern sollen den Verbrauch von Energie und Rohstoffen verteuern. Die Kosten, die durch die Nutzung von Umweltgütern anfallen, sollen möglichst vollständig von den Verursachern getragen werden. Idealerweise sollen Umweltgüter dort in Anspruch genommen werden, wo sie den größten Nutzen versprechen. Wenn ihnen ein Preis zugeschrieben wird, besteht ein Anreiz, die Forschungs- und Innovationstätigkeit in diese Richtung zu lenken. In der Praxis ist es aber schwierig, die Kosten von Umweltschäden zu bestimmen und damit die Höhe von Umweltsteuern festzulegen. Viele Umweltschäden, zum Beispiel der Verlust von Biodiversität, sind nicht oder nur schwer in Form von Geld zu bestimmen. Zudem ist die Zurechnung von Emissionen zu bestimmten Umweltschäden oft nicht möglich, weil es viele verschiedene Verursacher gibt, zum Beispiel im Straßenverkehr. Die deutsche Ökosteuer hat nicht nur das Ziel, die Umweltnutzung zu verteuern, sondern der Ertrag wird dazu verwendet, die Rentenversicherungsbeiträge niedrig zu halten und damit den Faktor Arbeit zu verbilligen. Das folgt dem internationalen Trend, Steuern auf den Umweltverbrauch zu erheben bzw. zu erhöhen und Abgaben auf Arbeitseinkommen zu verringern.

  • Emissionszertifikate: Es ist jedoch schwierig, die optimale Höhe von Umweltsteuern festzulegen. Diesen Nachteil sucht ein anderes ökonomisches Instrument auszugleichen - die Ausgabe von Verschmutzungsrechten. Unternehmen, die Emissionen verursachen, bekommen das Recht zugeteilt, die Umwelt für diesen Zweck zu nutzen. Seit Januar 2005 müssen Betriebe bestimmter energieintensiver Branchen in der EU ab einer bestimmten Emissionsmenge solche Emissionszertifikate für ihre CO2-Emissionen kaufen. Wenn ein Unternehmen die Produktion ausweiten möchte und dabei zusätzliche Emissionen anfallen, dann muss es sich weitere Zertifikate hinzukaufen. Ein Unternehmen, das durch die Modernisierung seiner Anlagen oder durch die Verringerung der Produktion den Ausstoß von Emissionen vermindert, kann seine Zertifikate verkaufen. Bei dem Handel bildet sich ein Preis für CO2-Emissionen, der dazu führt, dass Investitionen dort getätigt werden, wo sie den größten Nutzen für die Umwelt versprechen, und dass die Verschmutzungsrechte dort eingesetzt werden, wo sie den größten Gewinn versprechen. So wird ein Unternehmen, das mit vergleichsweise geringem Aufwand Energieeinsparungen erzielen kann, seine Zertifikate an solche Unternehmen verkaufen, die das nur mit größerem Aufwand erreichen könnten.

QuellentextStichwort: Emissionshandel

Der Emissionshandel ist ein Geschäft mit Verschmutzungsrechten. Auf den ersten Blick mutet dieses Prinzip wie der mittelalterliche Ablass an: Wer ein "Sünderzertifikat" erwirbt, kann sich vom bösen Tun freikaufen. Abwegig ist dieser Vergleich keineswegs. Indes zielt die heutige Lizenz zum Ausstoß von Kohlendioxid-Tonnen nicht auf die Erlösung vom Fegefeuer im Jenseits, sondern auf die Läuterung der Missetäter im Diesseits. Wer viele Schadstoffe produzieren will, muss für dieses Recht tief in die Tasche greifen, wird mit Geldentzug "bestraft" - und wer wenig Dreck in die Luft schleudert, wird mit einem Bonus "belohnt", der obendrein noch von den Übeltätern zu berappen ist. So sollen Anreize geschaffen werden, in umweltfreundliche Techniken zu investieren und Ressourcen wie Kohle, Öl oder Erdgas möglichst sparsam zu verbrauchen: eine Rechnung, die jedenfalls dann aufgeht, wenn die Kosten für die Erneuerung der Produktionsmethoden niedriger sind als die Ausgaben für denKauf von Zertifikaten.
[...] Dokumente legen fest, wie viel Tonnen Kohlendioxid ein Betrieb in die Umwelt abgeben darf. Emittiert eine Firma fürderhin weniger Schadstoffe dieser Art, so darf sie die "überflüssigen" Zertifikate gewinnbringend an Unternehmen veräußern, die mehr Kohlendioxid ausstoßen als vorgegeben. Geschieht letzteres ohne zuvor erworbene Lizenz, so werden Strafzahlungen fällig. [...] Kauf und Verkauf von Emissionszertifikaten laufen wie an der Börse nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage ab, jede Tonne Kohlendioxid hat also ihren Preis. Als "Börsenaufsicht" oder als "Zentralbank" fungiert in der Bundesrepublik die beim Umweltbundesamt angesiedelte Deutsche Emissionshandelsstelle. [...]
Der Staat - die EU und deren Mitgliedsländer - legt das Gesamtvolumen der Lizenzen und damit den erlaubten Kohlendioxid-Ausstoß fest. Diese Schadstoffabgabe soll im Interesse der Umwelt stetig sinken, weswegen sich auch die Zahl der Verschmutzungszertifikate mit der Zeit reduziert - die mithin teurer werden. Der marktwirtschaftliche Effekt: Das Recht zur Umweltbelastung durch Kohlendioxid mutiert zum immer knapper werdenden Gut mit steigendem Preis.
Seinen Ursprung hat der Emissionshandel im Kyoto-Protokoll der UNO von 1997 - als eine Strategie unter anderem beim Kampf gegen die Klimazerstörung. Als Klimakiller wurden Kohlendioxid, Methan, FCKW und Lachgas identifiziert. Zu dem künstlich verursachten Treibhauseffekt steuert das Kohlendioxid fast zwei Drittel bei. [...]

Karl-Otto Sattler, "Moderner Ablasshandel", in: Das Parlament Nr. 11 vom 8. März 2004

Wirkungen ökologischer Modernisierung

Mit dem Einsatz von freiwilligen und ökonomischen Instrumenten sollen Hersteller und Konsumenten angeregt werden, die Umweltfreundlichkeit von Herstellungsprozessen und von Produkten zu verbessern. Die Nutzung dieser Marktkräfte im Dienste der Umweltverbesserung wird als ökologische Modernisierung bezeichnet. Unternehmen sollen stimuliert werden, Umweltinnovationen zu entwickeln und zu vermarkten. Dazu sind nicht nur innovationsfreundliche Instrumente notwendig. Politische Akteure müssen langfristige und anspruchsvolle Ziele vorgeben, um den ökonomischen Modernisierungsprozess in die gewünschte Richtung zu lenken. Zudem sollten umweltpolitische Akteure sich mit anderen Ressorts abstimmen, denn Umweltziele sollten auch in der Forschungs- oder der Energiepolitik berücksichtigt werden.

QuellentextBiokatalysatoren für die Industrie

[...] Der Hamburger Mikrobiologe Garabed Antranikian liebt die Extreme.
Genauer: die, die die Extreme lieben, die "Extremophilen". Das sind Kleinstlebewesen, die sich darauf spezialisiert haben, in den unwirtlichsten Umgebungen zu überleben. Bakterien, die bei minus fünf Grad Celsius gedeihen oder bei plus 103, Bakterien, die es in heißer Säure aushalten, Bakterien, die sich bei 1000 bar Druck erst so richtig wohlfühlen.
Doch nicht pure Lust am Wissen, Erforschen, Zurückdrängen des Unbekannten treibt den Professor um, sondern das Ziel, eine veritable neue industrielle Revolution anzustoßen. Umweltfreundlich, nachhaltig und am besten auch noch billiger sollen Produktion und Produkte werden - durch "weiße Biotechnologie". Das Potenzial als biologische Katalysatoren, das in den zwei Mikrometer kleinen Spezialisten aus den extremen ökologischen Nischen der Erde steckt, scheint riesig. [...] Antranikian und sein 20-köpfiges Team wollen künftig auf Anfrage von Unternehmen in kürzester Zeit geeignete Hilfsstoffe für die Produktion, die so genannten Enzyme, bereitstellen können. [...]
Die Biotechnologie gilt als große Hoffnung für den integrierten Umweltschutz, der bereits in der industriellen Produktion ansetzt und ökologische Probleme von Anfang an vermeidet. Nachgeschaltete Schadstoff-Filter werden unnötig, und die Produktion läuft abfallarm und mit niedrigerem Energieaufwand. Enzyme sind natürliche Eiweißmoleküle, die chemische Reaktionen beschleunigen und so Stoffumwandlungen ermöglichen, die sonst nur langsam oder überhaupt nicht ablaufen. [...] "Schauen Sie sich die modernen Waschmittel an", sagt Antranikian. "Haben die gleiche Waschleistung bei 40 statt 60 Grad, und man braucht weniger Pulver." Der Clou: Sie arbeiten mit Enzymen, die aus Bakterien isoliert und dann gentechnisch vermehrt wurden. Die Energiebilanz lässt sich sehen. Möglicher Einspareffekt in Deutschland allein durch den Dreh am Temperaturknopf: 1,3 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2).
Oder ein Beispiel aus der Textilindustrie: Durch den Einsatz des Enzyms Katalase beim Färben von Baumwolle kann der Wasserverbrauch pro Tonne Textilien um 19000 Liter verringert werden: Zudem werden 500 Kilowattstunden Strom eingespart. Antranikian verweist gerne darauf, dass nicht nur kleine Pionierfirmen, sondern auch Großkonzerne wie die BASF bereits "angebissen" haben. Der Ludwigshafener Multi, berichtet er, hat den traditionellen, achtstufigen Prozess zur Herstellung von Vitamin B2 durch einen einstufigen biotechnischen ersetzt. Ergebnis: Produktionskosten gesenkt und 60 Prozent weniger CO2. [...]
Antranikian kommt ins Schwärmen. Im Flur des Labors hängen Wandtafeln, die illustrieren, was seine winzigen, extremen Freunde auch noch so alles können werden, wenn man nur die richtigen findet. Erdölverseuchte Anlagen dekontaminieren, Wolle so glätten, dass sie nicht mehr kratzt, Holz und andere nachwachsende Rohstoffe enzymatisch so aufspalten, dass sie fast alle Grundmaterialien für die Chemie und Treibstoffe liefern. [...]
"Vom Himmel fällt das nicht", sagt der Professor. Mehr Forschung sei notwendig, vor allem: "Wir müssen mit unseren Alternativen mindestens so billig sein wie die herkömmliche Produktion. Sonst stellt niemand um."

Joachim Wille, "Die weiße Revolution", in: Frankfurter Rundschau vom 24. Mai 2005

Die umweltpolitischen Anforderungen können Kosten für die Industrie verursachen. Wenn diese Kosten nur bei den heimischen Standorten, aber nicht im Ausland anfallen, können Standortnachteile entstehen. Daher wird in der umweltpolitischen Debatte immer wieder argumentiert, dass es zwar notwendig sei, die Umwelt zu schützen, dies aber in einem international einheitlichen Vorgehen erfolgen müsse, um Wettbewerbsnach-teile für die eigene Industrie oder eine Standortverlagerung in Länder mit weniger strengen Regelungen zu vermeiden.

Arbeitsplätze im Umweltschutz

Nachteile für einzelne Betriebe und Branchen können aber ausgeglichen werden, indem andere Wirtschaftszweige von der Umweltpolitik begünstigt werden. Aus volkswirtschaftlicher Sicht kann so ein positiver Nettonutzen entstehen. So geht eine Energiepolitik zugunsten von Erneuerbaren Energien zwar zu Lasten von Kohle- oder Nuklearkraftwerken und führt dort auch zu Arbeitsplatzverlusten. Diese werden aber ausgeglichen und teilweise übertroffen durch Zugewinne bei der Windkraft mit rund 74 000 Beschäftigten im Jahr 2006 (gegenüber circa 123 000 Beschäftigten in der gesamten Elektrizitätswirtschaft). In Deutschland gab es im Jahr 2004 knapp 1,5 Millionen Arbeitsplätze in umweltschutzbezogenen Bereichen (entspricht 3,8 Prozent aller Arbeitsplätze im Vergleich zu 750 000 in der Automobilindustrie oder 436 000 in der Chemischen Industrie).

Mit der Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien können auch neue internationale Märkte erschlossen werden. Das weltweite Marktvolumen für umwelteffiziente Technologien wird auf derzeit 1000 Milliarden Euro geschätzt, bis 2020 wird mit einer Verdopplung gerechnet. Das entspricht einem Anteil am Umsatz aller Wirtschaftszweige von vier Prozent (2005). Bis zum Jahr 2030 wird gar ein Anwachsen auf 16 Prozent erwartet. Die Beispiele der Entwicklung von Windkraftanlagen, von Ersatzstoffen für FCKW, von Katalysatoren für Autos oder der Wettbewerb um die Einführung von Brennstoffzellen zeigen, dass umweltfreundliche Produkte zunehmend ein Wirtschaftsfaktor werden, der auch wirtschafts- und wettbewerbspolitisch relevant sind. Eine ökologische Industriepolitik soll die Entwicklung und Vermarktung von Umweltinnovationen unterstützen und adressiert nicht mehr nur noch Umwelttechnologien im engeren Sinne. Vielmehr soll sie darauf abzielen, auch die Umwelteffizienz von Mainstream-Technologien, also Häuser, Autos oder Flugzeuge, zu verbessern, weil darin die Zukunftsmärkte vermutet werden.

Dies soll auch eine Antwort auf die enormen ökonomischen Kosten der Umweltzerstörung sein. Im Auftrag der britischen Regierung errechneteder Ökonom Sir Nicholas Stern im Jahr 2006, dass ein wirksamer Klimaschutz circa ein Prozent der jährlichen Weltwirtschaftsleistung in Anspruch nehmen würde. Wenn dagegen Klimaschutz unterlassen würde, müsste mit Kosten in Höhe von fünf bis sogar 20 Prozent der Wirtschaftsleistung gerechnet werden.Eine entschlossene und anspruchsvolle Umweltpolitik hat schon in der Vergangenheit in vielen Fällen nicht etwa wie befürchtet zu wirtschaftlichen Nachteilen geführt, sondern hat die Entwicklung von Technologien stimuliert, die die Standards einhalten können. Setzen sich die Technologien durch und gilt es, sie international zu vermarkten, ändern sich oft die Interessenlagen: Ehemals bekämpfte umweltpolitische Ziele werden nun von den Industrieverbänden unterstützt, um weitere Märkte für diese Innovationen zu erschließen. So gab die US-Chemieindustrie in den 1980er Jahren ihre Opposition gegen ein Verbot von FCKW auf, nachdem der Marktführer Dupont einen Ersatzstoff zur Marktreife entwickelt hatte. Die Firma unterstützte die US-Regierung daraufhin bei den internationalen Verhandlungen um ein weltweites Verbot dieser ozonschädigenden Substanzen. Ähnliches zeigt sich jetzt auch: Immer mehr Unternehmen erkennen die Notwendigkeit und die wirtschaftlichen Chancen von klimafreundlichen Technologien und fordern Rahmenbedingungen, um diese auch breit zu vermarkten.

Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forschungsleiter der Forschungstelle für Umweltpolitik an der FU Berlin. Forschungsschwerpunkte: innovationsorientierte Umweltpolitik und umweltentlastender Strukturwandel.

Kontakt: jacob@zedat.fu-berlin.de