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Informationen zur politischen Bildung Nr. 354/2023

Internationale Trends der sozialen Ungleichheit

Olaf Groh-Samberg Corinna Kleinert

/ 8 Minuten zu lesen

Während die Einkommens- und Vermögensungleichheit innerhalb von Staaten stetig wächst, ist die Ungleichheit zwischen Staaten seit den 2000er-Jahren durch den Aufstieg Chinas und Indiens gesunken.

Einkommensverhältnis der oberen 10 Prozent und der unteren 50 Prozent weltweit, 2021 (© Quelle: https://wir2022.wid.world/www-site/uploads/2021/12/Summary_WorldInequalityReport2022_German.pdf)

Wie hat sich die soziale Ungleichheit innerhalb verschiedener Länder, aber auch zwischen Ländern entwickelt? Und welche Folgen hatten und haben diese Trends für die Menschen in diesen Ländern? Diese Fragen können beispielhaft anhand von Daten zum Einkommen beantwortet werden, da es hierzu verlässliche Daten aus vielen Ländern gibt, die sich weltweit gut miteinander vergleichen lassen.

Für andere Dimensionen sozialer Ungleichheit ist das viel schwieriger, weil beispielsweise die gleichen Berufe in verschiedenen Ländern eine unterschiedliche Wertigkeit haben oder weil Bildungssysteme von Land zu Land unterschiedlich gestaltet sind.

Einkommensungleichheit innerhalb von Ländern

Im weltweiten Vergleich gehört Europa zu den Regionen mit der geringsten Einkommensungleichheit. In großen Teilen der Welt – etwa in Lateinamerika, im Mittleren Osten oder subsaharischen Afrika – ist sie sehr viel höher. Das mittlere Einkommensniveau eines Landes sagt nicht unbedingt etwas über die soziale Ungleichheit im Land aus: So gibt es unter den reichen Ländern dieser Welt auch sehr ungleiche Länder wie beispielsweise die USA und umgekehrt arme Länder mit einer geringen Ungleichheit wie etwa Afghanistan.

In Deutschland sind die Einkommensungleichheiten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen (siehe siehe Abschnitt "Interner Link: Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheiten in Deutschland" im Kapitel "Einkommens- und Vermögensungleichheiten"). Im langfristigen Verlauf sank die Einkommensungleichheit bis in die 1970er-Jahre hinein, seit Ende der 1970er-Jahre ist sie aber – von kurzfristigen Schwankungen abgesehen – in einen langfris­tigen Aufwärtstrend übergegangen. Ein besonders starker Anstieg erfolgte zwischen Ende der 1990er- und Mitte der 2000er-Jahre.

Diese Entwicklung ist keineswegs untypisch. Im interna­tionalen Vergleich hat die Einkommensungleichheit in fast allen Ländern der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und darüber hinaus weltweit seit den späten 1970er-Jahren zugenommen. Allerdings sind deutliche Unterschiede im Timing und der Form des Anstiegs der Ungleichheit festzustellen: In einigen Ländern begann der Anstieg schon deutlich früher als in Deutschland, in anderen hingegen später. In einigen Ländern nahm die Einkommensungleichheit stärker am oberen Rand der Einkommensverteilung – also im reicheren Teil der Bevölkerung – zu, in anderen stärker am unteren Rand. Es gibt nur wenige Ausnahmen von dieser Entwicklung. So war die Einkommensungleichheit in einigen post-diktatorischen Ländern Südeuropas wie beispielsweise Portugal und in einigen lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien nach Wahlerfolgen sozialistischer Parteien über längere Zeiträume rückläufig.

Einkommensanteile der oberen 10 Prozent am Landeseinkommen in unterschiedlichen Weltregionen, 1980–2016 (© Quelle: WID.world (2017))

Insgesamt sind die Ungleichheiten innerhalb von Ländern aber weltweit gestiegen. Ein Grund dafür sind Liberalisierungs- und Deregulierungsprogramme, die dazu geführt haben, dass das Privatvermögen gestiegen ist. Weil die Verschuldung öffentlicher Haushalte in vielen Ländern immer weiter zugenommen hat, ist umgekehrt das öffentliche Vermögen geschrumpft und liegt heute auch in vielen reichen Ländern nahe oder sogar unter null. Das begrenzt den Handlungsspielraum von Regierungen zur Verringerung von Ungleichheit.

Ungleichheit in globaler Perspektive

Bisher wurde die Einkommensungleichheit innerhalb von Nationalstaaten und ihre Entwicklung über die Zeit betrachtet. Dieses Bild ist jedoch unvollständig, denn es lässt die „globale Ungleichheit“, also die Einkommensungleichheit zwischen allen Menschen auf der Erde, außer Acht. Eine Reihe von Ökonominnen und Ökonomen haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte beim Sammeln von Daten zur Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheiten über den gesamten Erdball gemacht.

Mangel an Grundkompetenzen auf der Welt (© Quelle und methodische Erläuterungen: https://www.nber.org/system/files/working_papers/w30566/w30566.pdf)

Die Analyse dieser Daten zeigt, dass im Jahr 2021 die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung im Mittel etwa 87.000 Euro brutto im Jahr verdienten und 551.000 Euro Vermögen besaßen, während die ärmsten 50 Prozent nur 2.800 Euro brutto im Jahr verdienten und 4.100 Euro Vermögen besaßen. Das Einkommen und Vermögen, das es insgesamt auf der Welt gibt, ist also sehr ungleich verteilt. Insgesamt erhält die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung heute nur sieben Prozent des weltweiten Einkommens. Im Jahr 1820 war dieser Anteil mit 14 Prozent noch doppelt so hoch, im Jahr 1980 war er mit fünf Prozent auf dem historisch niedrigsten Stand. Damit gehen Ungleichheiten in anderen Bereichen einher. So haben Milliarden von Menschen auf der Welt auch heute noch keinen Zugang zu grundlegender Bildung oder Gesundheitsversorgung. Diese Zahlen verweisen auch auf die Rolle und die Nachwirkungen des europäischen Imperialismus und Kolonialismus für die globale Ungleichheit.

Globale Einkommensungleichheit: Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern (Theil-Index), 1820-2020 (© Quellen und Datenreihen: wir2022.wid.world/methodology und Lucas Chancel / Thomas Piketty 2021)

Werden Staaten anhand ihrer Bevölkerungszahlen gewichtet, zeigt sich hinsichtlich der Einkommensungleichheit zwischen Nationalstaaten, dass diese seit Beginn der 2000er-Jahre gesunken ist. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass das Einkommensniveau in bevölkerungsreichen Ländern wie China, Indien oder Brasilien gestiegen ist. Vor allem in China und Indien wird ein altbekanntes Muster der Einkommensentwicklung sichtbar: Während die Einkommensungleichheit innerhalb dieser Länder (wie fast überall auf der Welt) stark gestiegen ist, hat gleichzeitig das absolute Einkommen der unteren Einkommensgruppen ebenfalls zugenommen. Diese Entwicklung hat auch dazu beigetragen, dass die Ungleichheiten innerhalb von Ländern heute wieder größer sind als die zwischen unterschiedlichen Staaten.

Eine interessante Analyse der globalen Einkommensentwicklungen stammt vom ehemaligen Weltbank-Ökonomen Branko Milanović. In der oft aufgeführten „Elefantenkurve“ hat er die relativen Einkommenszuwächse in der Zeit besonders ausgeprägter Globalisierung, zwischen 1988 und 2008, entlang der globalen Einkommensverteilung abgetragen. Dabei zeigte sich, dass die Menschen, die global gesehen zu den ärmsten fünf Prozent der Menschen gehören, in dieser Zeit keine Einkommenszuwächse erfahren haben. Umgekehrt konnten die Menschen zwischen etwa dem 15. und 65. Perzentil – also quasi die Hälfte der Weltbevölkerung, die vor allem in Ländern wie China oder Indien leben – ihre Realeinkommen um 60 bis 80 Prozent steigern. Ab dem 70. Perzentil brachen diese Steigerungsraten deutlich ein, um erst für die einkommensreichsten fünf Prozent der Weltbevölkerung wieder stark anzusteigen.

Veränderungen im Realeinkommen zwischen 1988–2008 sowie 2008–2018 an unterschiedlichen Punkten der globalen Einkommensverteilung (© Quelle: Branko Milanović, The three eras of global inequality, 1820-2020 with the focus on the past thirty years, 9. November 2022, S. 14; https://doi.org/10.31235/osf.io/yg2h9 sowie https://www.socialeurope.eu/global-income-inequality-time-to-revise-the-)

In diesem „Rüsselansatz“ des elefantenähnlichen Kurvenverlaufs befinden sich vor allem die breiten Arbeiter- und Mittelschichten der reichsten Länder der Welt. Sie konnten ihre Realeinkommen in den zwei Jahrzehnten zwischen 1988 und 2008 nur geringfügig oder gar nicht steigern. In den Jahren ab 2008 nahm die Kurve dann einen anderen Verlauf, insbesondere an ihren Rändern: Die höchsten Einkommenszuwächse haben nun die Ärmsten der Weltbevölkerung erzielt, während die Einkommenszuwächse der Topverdiener signifikant niedriger ausfielen als im vorherigen Zeitraum. Ursache dafür war insbesondere die Finanzkrise 2009.

Von einer „Elefantenkurve“ kann also heute nicht mehr die Rede sein. Insgesamt muss bei diesen Kurven unbedingt be­rück­sichtigt werden, dass es sich dabei um relative Stei­gerungsraten der Realeinkommen handelt. In der unteren Einkommenshälfte der Weltbevölkerung sind die absoluten Einkommen so gering, dass selbst 70-prozentige Steigerungen kaum an die absoluten Reallohnsteigerungen deutscher Mittelschichten herankommen.

Gesamtgesellschaftliche Folgen steigender Ungleichheit

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sie ökonomisch ungleicher wird? Worin unterscheiden sich Gesellschaften mit höherer und geringerer Einkommensungleichheit? Zu diesen Fragen, die in den vergangenen Jahren vermehrt Beachtung gefunden haben, liegen erst wenige Studien vor.

Die vielbeachtete Studie „Gleichheit ist Glück“ (engl. The spirit level) aus dem Jahr 2009 der britischen Gesundheits­wis­senschaftler:innen Richard Wilkinson und Kate Pickett weist für eine Vielzahl von gesamtgesellschaftlichen Indikatoren durchgängig nach, dass höhere Ungleichheit negative Folgen hat: In ungleichen Gesellschaften ist die Gesundheit der Menschen schlechter, das soziale Vertrauen sinkt, die politische Beteiligung ist geringer, die Demokratie instabiler, die Kriminalität höher, die soziale Mobilität (Aufstiegschancen) geringer. Ökonomen haben diese Liste auch um wirtschaftliche Negativfolgen ergänzt: Demnach führe höhere Ungleichheit zu einem instabileren Wirtschaftswachstum und größerer Krisenanfälligkeit.

Zusammenhang von Gesundheit und sozialen Problemlagen mit Einkommensungleichheit (© Richard Wilkinson / Kate Pickett, The Spirit Level: Why more equal societies almost always do better, London 2009, 330 S.; Zusammenfassung der Ergebnisse unter: https://www.armutskonferenz.at/media/wilkinson_gleichheit_ungleichheit-2010.pdf)

In der Forschung ist allerdings umstritten, ob es nicht vorgelagerte kulturelle, historische oder politische Faktoren sind, die sowohl das Ausmaß der Ungleichheit als auch die genannten negativen Auswirkungen in unterschiedlichen Ländern erklären. Für die betroffenen Menschen macht das zwar wenig Unterschied; für die Frage, wo man ansetzen sollte, um die genannten sozialen Probleme zu bekämpfen, wäre eine Antwort aber zentral.

Die Pointe der Analysen von Wilkinson und Pickett ist, dass letztlich alle Mitglieder einer Gesellschaft unter hoher Ungleichheit zu leiden haben – selbst die wohlhabenden Personen. Das zentrale Argument, mit dem sie die negativen gesamtgesellschaftlichen Folgen hoher Ungleichheit begründen: Ungleichheit erzeugt Stress. In sehr ungleichen Gesellschaften entbrennt ein gnadenloser Konkurrenz- und Überlebenskampf – auch und gerade unter den Wohlhabenden und Mittelschichten, da ein sozialer Abstieg in diesen Gruppen zu massiven Verlusten, nicht nur an Ressourcen und Wohlstand, sondern auch an Status und Anerkennung führt.

Das gilt insbesondere für die Gesellschaften, in denen der Teil der Bevölkerung, der „unten“ steht, mit Armut und unzureichendem Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitssystem zu kämpfen hat. In weniger ungleichen Gesellschaften ist es dagegen weniger wichtig, ob sich Menschen eher oben oder eher unten in der Einkommensverteilung befinden, sodass die Menschen hier gelassener leben können. Der Stress, den ungleiche Gesellschaften erzeugen, dringe nach Wilkinson und Pickett gleichsam in alle Poren des gesellschaftlichen Lebens und buchstäblich „unter die Haut“: Er mache krank, misstrauisch und argwöhnisch.

Diese These, mit der Wilkinson und Pickett sehr schlagkräftige Argumente dafür entwickeln, warum auch privilegierte Menschen ein Interesse an weniger Ungleichheit haben sollten, ist jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Der Annahme, dass alle unter hoher Ungleichheit leiden, steht die klassische These gegenüber, dass die Lasten hoher Ungleichheit vor allem von denjenigen getragen werden müssen, die in diesen Gesellschaften benachteiligt sind, während die Wohlhabenden und Privilegierten von dieser Ungleichheit profitieren.

QuellentextEine ungleiche Welt?

[…] Global gesehen nahm die Einkommensungleichheit zwischen 1820 und 1910 mit zunehmender westlicher Dominanz und Kolonialherrschaft rasant zu und blieb zwischen 1910 und 2020 auf einem sehr hohen Niveau. Aufgrund des schnellen Wachstums in den großen „Schwellenländern“ hat sich die Kluft zwischen den Ländern seit 1980 etwas verringert. Jedoch nahmen Ungleichheiten innerhalb von Ländern im gleichen Zeitraum erheblich zu. Diese beiden Effekte glichen sich gegenseitig aus, sodass die globale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten weiterhin hoch blieb. Heute erhalten die reichsten 10 Prozent der Einkommensbezieher*innen etwa die Hälfte des weltweiten Einkommens. Die Vermögensungleichheit ist noch deutlich größer als die Einkommensungleichheit: Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung besitzen heute etwa drei Viertel des weltweiten Vermögens, während die ärmsten 50 Prozent über kein nennenswertes Vermögen verfügen.

[…] Insgesamt lag der Anteil, den Frauen am globalen Arbeitseinkommen erhielten, in den frühen 1990er Jahren bei etwa 30 Prozent; auch heute noch liegt er bei nur 35 Prozent. In einer geschlechtergerechten Welt würden Frauen 50 Prozent des gesamten Arbeitseinkommens verdienen. In den vergangenen 30 Jahren wurden auf globaler Ebene hier nur sehr wenige Verbesserungen erzielt. Die Dynamik war von Land zu Land unterschiedlich: Während in einigen Ländern Fortschritte zu verzeichnen waren, ging in anderen, etwa in China, der Anteil, den Frauen am gesamten Arbeitseinkommen erhalten, zurück.

Eine vergleichsweise neue Frage globaler Ungleichheit betrifft den Klimawandel und die mit ihm verbundene Freisetzung klimaschädlicher Treibhausgase. Die Kohlenstoffemissionen sind ähnlich ungleich verteilt wie die weltweiten Einkommen. Im Durchschnitt stößt ein Mensch pro Kopf und Jahr 6,6 Tonnen Kohlendioxidäquivalent aus. Ein neuer Datensatz zur Ungleichheit bei Kohlenstoffemissionen zeigt, dass die 10 Prozent der weltweit größten Emittenten für fast 50 Prozent aller Emissionen verantwortlich sind, während jene 50 Prozent mit den geringsten Emissionen etwa 12 Prozent der Gesamtemissionen verursachen.

Allerdings sind diese Ungleichheiten nicht nur ein Problem zwischen reichen und armen Ländern. Auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gibt es große Emittenten und in reichen Ländern kleine Emittenten. In Europa emittieren die 50 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Emissionen etwa fünf Tonnen pro Jahr und Person, in Ostasien etwa drei Tonnen und in Nordamerika etwa 10 Tonnen. Dies steht in starkem Kontrast zu den Emissionen der oberen 10 Prozent in diesen Regionen. Diese emittieren 29 Tonnen in Europa, 39 in Ostasien und 73 in Nordamerika.

Während die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung in den wohlhabenden Ländern die von diesen Ländern für 2030 gesetzten Klimaziele bereits mehr oder weniger einhalten (wenn diese Ziele pro Kopf umgerechnet werden), ist dies bei der einkommensstärkeren Hälfte der Bevölkerung nicht der Fall. Bislang haben klimapolitische Maßnahmen wie CO2-Steuern oft unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Gruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, während die Konsumgewohnheiten der wohlhabenden Bevölkerungsschichten unverändert bleiben. Hier könnte sich die Klimapolitik stärker auf reiche Verschmutzer*innen ausrichten. […]

Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff.

Theres Neef / Lucas Chancel, „Wie ungleich ist die Welt? Ergebnisse des World Inequality Report“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37-38/2022

(Ungleichheit), S. 29-39. Online: Interner Link: www.bpb.de/512778

Ihnen stehen alle Möglichkeiten offen, sich ein „entspanntes“ und glückliches Leben zu „kaufen“: Sie ziehen sich in geschützte Villenviertel zurück, legen Wege im privaten PKW zurück und können es sich leisten, auf ihre „Work-Life-Balance“ zu achten, sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben. Sie gleichen die Mängel der staatlichen Bildungs-, Renten- und Gesundheitssysteme dadurch aus, dass sie private Dienstleistungen „einkaufen“, ihre Kinder in Privatschulen schicken oder private Versicherungen abschließen.

Weitergedacht betrifft dieses Szenario nicht nur die Folgen steigender Ungleichheit innerhalb von Ländern, sondern auch die globale Ungleichheit: Menschen in den reichen Ländern importieren Nahrung und Tierfutter aus Ländern des globalen Südens und lassen ihre Kleidung und ihre Konsumgüter in diesen Ländern unter ungeschützten Arbeitsbedingungen für extrem niedrige Löhne produzieren. Umgekehrt schotten sie ihre Staaten vor den Migrationsströmen ab, die durch die weltweite Armut, aber auch durch Kriege und Klimawandel bedingt sind. Stress als Folge globaler Unsicherheit tritt in den reichen Ländern vor allem dann auf, wenn diese Abschottung nicht vollständig gelingt.

Welche der beiden Thesen sich am Ende als realistischer erweist, ist möglicherweise auch eine politische Frage. Die Zukunft der Ungleichheitsentwicklung dürfte jedenfalls entscheidend davon abhängen, inwiefern gerade die privilegierteren Gruppen innerhalb von Staaten, aber auch die Bevölkerungen in den privilegierten Ländern, sich als Teil der (globalen) Gesamtgesellschaft von den negativen Folgen hoher Ungleichheit mitbetroffen sehen – oder ob sie sich aus diesen freikaufen.

Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg ist Professor für Soziologie an der Universität Bremen und leitet dort die Arbeitsgruppe „Soziale, kulturelle und ökonomische Ungleichheiten“ am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik. Zudem ist er Sprecher des „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Ungleichheitsforschung, insbesondere Armut und Reichtum, Bildungsungleichheit, soziale Mobilität und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Kontakt: E-Mail Link: ogrohsamberg@uni-bremen.de

Prof. Dr. Corinna Kleinert ist stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) und Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt längsschnittliche Bildungsforschung an der Universität Bamberg. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit sozialen Ungleichheiten in Bildungs- und Erwerbsverläufen sowie mit den Übergängen Jugendlicher zwischen Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt.
Kontakt: E-Mail Link: corinna.kleinert@lifbi.de