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Digitalisierung als Mittel, nicht als Ziel

/ 3 Minuten zu lesen

Von Christian Uhle

Der Philosoph Christian Uhle arbeitet zur Philosophie des Digitalen und der Digitalisierung des Konsums. (© privat)

Eine Welle an Innovationen wird unter dem Label "Digitalisierung" auf den Markt gespült, von Social Media über Blockchain bis zu selbstfahrenden Autos. Hinter der Vielfalt steht ein gemeinsames Versprechen: Technologie soll unser Leben erleichtern. "Technik ist die Anstrengung, uns Anstrengung zu ersparen", brachte der Philosoph José Ortega y Gasset auf den Punkt. Doch häufig führen vermeintliche Entlastungen zu Verwaltungsaufwand, Beschleunigung und Stress. Autos bringen uns schneller ans Ziel als die eigenen Füße. Statistisch sparen Menschen deshalb aber keine Zeit für anderes, sondern legen längere Strecken zurück. Eine E-Mail oder Messenger-Nachricht ist schneller als jeder Brief. Gerade deshalb steigt die Menge an Nachrichten, was viele belastet.

Wir müssen daher stärker in den Blick nehmen, wofür wir Entlastung, Effizienz und Zeitgewinne nutzen wollen. Zu oft werden neue Geräte und Services als Selbstzweck eingesetzt oder in der vagen Hoffnung, dass dadurch irgendwie alles besser würde. Wenn wir aber dank Robotern nicht selbst den Rasen mähen, sondern stattdessen noch mehr organisieren und konsumieren, wird das Leben hektischer und nicht einfacher. Ähnliches gilt auf gesellschaftlicher Ebene. Damit Technologie tatsächlich Verbesserungen bringt, muss sie ganz bewusst in den Dienst einer sozialen und ökologischen Entwicklung gestellt werden. Digitalisierung kann ein Mittel sein, nicht das Ziel.

Entscheidend ist ein zielbewusster Umgang mit Digitalisierung insbesondere aufgrund ihrer Tragweite. Die Industrialisierung war eine gewaltige Revolution physischer, materieller Kräfte: Muskelkraft wurde durch Wärmeenergie ersetzt. Nun, mit der Digitalisierung, wird die immaterielle Welt auf den Kopf gestellt: der Geist, die Software. Die Konsequenzen sind fundamental. Ein selbstfahrendes Auto ist kein Werkzeug, das ich benutze und das meinen Körper ergänzt, sondern es erscheint mir als ein dienendes Gegenüber – ich fahre es nicht, es fährt mich. Wie in Goethes Zauberlehrling werden Dinge scheinbar zum Leben erweckt. Sie beginnen, eigenständig auf mich zu reagieren. So werden Sehnsüchte aus sozialen, kulturellen und religiösen Bereichen auf digitale Technologien übertragen: Es sind tief in uns Menschen verwurzelte Bedürfnisse nach Verbundenheit, nach Anerkennung und Antwort, nach einer Welt, die uns sieht und hört – der wir nicht egal sind.

Im Falle von Roboter-“Freunden“ wird dies besonders deutlich. Ähnliche Versprechen sind auch: Das Smart Home waltet im Hintergrund meines Alltags, denkt für mich mit, erinnert mich an Termine und kauft neues Waschpulver. Es kümmert sich um mich. Doch künstliche "Intelligenzen" haben keinen Verstand, sie können uns nicht verstehen oder wertschätzen. Alexa ist nur eine Statistikmaschine. So mitfühlend und authentisch "sie" sich in zehn Jahren auch anhören mag, unsere Wörter wird sie rechnerisch verarbeiten, nicht deren Gehalt begreifen. Wir bleiben "ihr" egal.

Menschen hingegen können Bedeutungen erfassen und für sie können wir bedeutend sein. Mit ihnen können wir in echten Dialog und Austausch treten. Das mag manchmal anstrengend sein, ist aber nicht bloß ein Spiel mit unseren Sehnsüchten, sondern real. Vernetzung und künstliche "Intelligenzen" können dabei unterstützen: Durch digitale Kommunikationswege können Menschen näher rücken. Mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz ließe sich Zeit und Energie für mehr Zwischenmenschlichkeit schaffen. Damit solche Potenziale auch realisiert werden, muss Digitalisierung deutlicher an diesen Zielen ausgerichtet werden. Und wir müssen ausgerechnet analoge Fähigkeiten stärken. Denn bei allen Apps bleibt der persönliche Austausch, der Dialog, der weit mehr ist als ein bloßer Informationsaustausch, die Grundlage für ein erfülltes Dasein und ein gelingendes Zusammenleben in der Gesellschaft.

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