Vor 35 Jahren: 7. Oktober 1989 Private Aufnahmen aus dem Archiv "Wir waren so frei..."
1989 wurde in der DDR-Bevölkerung der Ruf nach Veränderungen immer lauter. Während der offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7.
Oktober gingen landesweit Menschen auf die Straße - u.a. wie hier in Plauen. Dort fand die erste Großdemonstration in der DDR statt, die nicht von Sicherheitskräften aufgelöst werden konnte. Dieses Bild zeigt den Zustrom der Protestierenden.
In Plauen demonstrierten etwa 15.000 Menschen. Sie folgten einem zuvor von einigen Plauenern verteilten Protestaufruf und forderten Versammlungs- und
Demonstrationsrecht, Streikrecht, Meinungs- und Pressefreiheit, Zulassung von Oppositionsgruppen sowie freie Wahlen und Reisefreiheit.
In der Anfangsphase der Demonstration in Plauen stellten sich den Protestierenden noch zwei Hundertschaften bewaffneter Bereitschaftspolizisten in den
Weg. Spritzenwagen der städtischen Feuerwehr versuchten, die Demonstration mit improvisierten Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Doch der Protestzug wurde immer größer, immer lauter der Ruf „Keine Gewalt!“. Schließlich kapitulierte die Polizei vor der riesigen Menschenmenge. Hier im Bild zu sehen: Volkspolizisten am Rathaus.
Auch in anderen Städten zeigte sich der Unmut der DDR-Bevölkerung: neben Berlin auch in Bautzen, Dresden, Erfurt, Halle, Karl-Marx-Stadt und
Leipzig. In Potsdam versammelten sich die Protestierenden in der Klement-Gottwald-Straße (heute Brandenburger Straße).
In dieser Situation allgemeiner Unzufriedenheit beharrte die SED-Führung darauf, den 40. Jahrestag ihres Staates in Berlin mit militärischen
Aufmärschen und einem Staatsakt zu feiern. Hier im Bild Kameramänner bei der Militärparade auf der Karl-Marx-Allee unweit des Alexanderplatzes. Der Festakt fiel in eine Zeit zunehmender Proteste in der DDR sowie Auflösungserscheinungen und erste Reformen in den sozialistischen Bruderländern. Die massenhafte Fluchtbewegung aus der DDR gab der Situation eine zusätzliche Dynamik.
Mit der Militärparade und ausländischen Staatsgästen wollte die DDR-Führung ihre Macht demonstrieren. Hier im Bild NVA-Soldaten auf dem Berliner
Alexanderplatz, im Hintergrund das ehemalige Centrum Warenhaus Berlin. Erich Honecker hatte mehr als 4.000 Gäste aus der DDR und über 70 ausländische Delegationen geladen, u.a. den sowjetischen Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow. Doch dieser war auch ein Hoffnungsträger für viele unzufriedene DDR-Bürgerinnen und Bürger. Am Rande der Feierlichkeiten forderte er öffentlich die Notwendigkeit von Reformen ein.
Der Rückhalt in der Bevölkerung für das SED-Regime war schwach geworden, das Stimmungsbild zwiespältig. Einige identifizierten sich noch mit dem
System und wollten es aus Angst vor einer unsicheren Zukunft nicht verlieren. Andere erhofften sich, von den Reformen in den anderen Ostblockstaaten zu profitieren. Die wirtschaftliche Unzufriedenheit war groß, die Versorgungslage schlecht. Gehen oder bleiben - diese Frage stellten sich viele. Während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR zeigten sich alle Zwischentöne - wie hier in dieser Momentaufnahme vom Berliner Alexanderplatz.
Im Land herrschte eine große Anspannung. Mit ihren Solidaritätserklärungen an die chinesische Führung, die auf dem Platz des Himmlischen Friedens
mit einem Massaker eine breite Demokratisierungsbewegung zerschlagen hatte, hatte die SED-Führung auch ein deutliches innenpolitisches Signal abgegeben: eine Warnung an die eigene Oppositionsbewegung, dass es auch in der DDR eine „chinesische Lösung“ geben könne. Die am 7. Oktober aufgefahrenen Panzer der NVA sollten - wie auf diesem Foto aus Berlin-Mitte zu sehen - diese Botschaft unterstreichen.
Die Kontrolle über Kinder und Jugendliche war für die SED-Führung bis zuletzt von zentraler Bedeutung. Die staatlichen Jugendorganisationen wie die
Jungpioniere oder die FDJ sollten Heranwachsende mit Zeremonien, Fahnenappellen, Liedern und Freizeiten zu "sozialistischen Persönlichkeiten" erziehen. Ein Besuch der Militärparade - so wie hier auf der Karl-Marx-Allee am Alexanderplatz war so ein Ritual. Für den Nachmittag des 7. Oktober waren in allen Stadtbezirken Volksfeste geplant.
Das offizielle Jubiläumsfest zum Republikgeburtstag verlief unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Während die SED-Parteiführung mit ihren
Staatsgästen im Palast der Republik feierte, wuchs die Demonstration am Alexanderplatz in kurzer Zeit auf circa 3.000 Teilnehmende an. Volkspolizei und Stasi drängten die Protestierenden aus dem Stadtzentrum ab. Die Demonstration bewegte sich in Richtung Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg, wo seit Tagen eine Mahnwache für alle politisch Inhaftierten abgehalten wurde. Der Zug der Protestierenden wurde - wie hier in einem Bild vom S-Bahnhof Schönhauser Allee zu sehen - von einer Polizeikette gesäumt.
Während der Demonstrationen kam es zu Handgreiflichkeiten. Spezialeinheiten der Stasi gingen brutal gegen die friedlichen Demonstrierende vor. Es
wurde wahllos zugegriffen. Die Volkspolizei folgte dem Vorbild der Stasi-Einsatzkräfte und prügelte Demonstrierende in die bereitstehenden LKW, mit denen Verhaftete abtransportiert wurden. Dazu setzte die Volkspolizei Wasserwerfer und, erstmals in der DDR-Geschichte, eigens für diese Art Einsatz entwickelte Räumfahrzeuge ein. Diese Aufnahme zeigt eine Konfrontation zwischen Polizisten und Protestierenden am S-Bahnhof Schönhauser Allee.