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Dokumentation: Für Sanktionen gegen Russland: Stellungnahme von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Berlin, 26. Februar 2022 | bpb.de

Dokumentation: Für Sanktionen gegen Russland: Stellungnahme von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Berlin, 26. Februar 2022 Polen-Analyse Nr. 290

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Einen Tag vor der Entscheidung der deutschen Bundesregierung, den Militäretat zu erhöhen und Waffenlieferungen in die Ukraine zu genehmigen, rief der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki zu konsequenteren Maßnahmen gegen die russische Invasion in die Ukraine auf.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (links) spricht am 26.02.2022 mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki (rechts) im Kanzleramt in Berlin. (© picture-alliance/AP, Markus Schreiber)

[Zwei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und unmittelbar vor dem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Gitanas Nausėda, Präsident von Litauen, sowie einen Tag vor der Sondersitzung des Bundestages, auf der Scholz Sondermittel in Höhe von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr, die Anhebung der Verteidigungsausgaben auf mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung und Lieferungen von Defensivwaffen an die Ukraine ankündigte; außerdem stimmte Deutschland anschließend im Rahmen der EU dem Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System zu; d. Übers.]

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir erleben einen dramatischen Augenblick und verantworten uns vor dem Tribunal der Geschichte für unsere Entscheidungen, aber auch für die Entscheidungen all derer, die beeinflussen können, was in der Ukraine geschieht. Russland hat nicht nur die Ukraine überfallen, es will der Ukraine nicht nur ihre Souveränität nehmen, es erschlägt nicht nur Zivilisten, erschlägt Kinder, Frauen, Soldaten, Männer, sondern Russland will die gesamte Friedensordnung verletzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde. Russland will unsere Welt, die Welt, wie wir sie kennen, zerstören. Wir müssen jetzt handeln.

Es ist keine Zeit zu verlieren, denn die Ukrainer verteidigen sich jede Stunde, jeden Tag und jeden Augenblick sehr, sehr entschlossen und stark, wobei sie sich vor der Übermacht des Feindes verteidigen müssen. Russland hat eine viel stärkere Armee, und trotzdem verteidigen sich die Ukrainer. So, wie wir es auf der Schlangeninsel [ukrainische Insel im Schwarzen Meer, dort sollen 13 ukrainische Grenzschützer bei der Eroberung durch die russische Armee getötet worden sein; d. Übers.] gesehen haben, bis zum letzten Blutstropfen.

Meine Damen und Herren,
heute ist nicht die Zeit für den vorgeschlagenen Egoismus, den wir in manchen westlichen Ländern sehen. Leider auch hier, in Deutschland, und deshalb bin ich zu Bundeskanzler Olaf Scholz gekommen, um das Gewissen zu erschüttern, um das Gewissen Deutschlands zu erschüttern. Damit sich Deutschland letztlich zu wirklich vernichtenden Sanktionen entschließt, zu Sanktionen, die so entschieden sind, dass sie die Entscheidungen des Kreml beeinflussen, dass sie auf die Entscheidungen Putins Einfluss nehmen. Hör auf, die Ukraine anzugreifen, hör auf, Menschen zu ermorden – das muss die Nachricht sein, die von hier aus Berlin nach Russland, nach Moskau geht.

Daher müssen wir nicht nur Nord Stream 2, wir müssen Nord Stream 1 schließen, wir müssen uns endgültig von russischen fossilen Energieträgern, von Gas, Erdöl, Kohle, unabhängig machen, wir müssen aber auch das Eigentum derjenigen russischen Oligarchen, die mit Putin zusammenarbeiten, einfrieren und konfiszieren […] und das Geld für den Wiederaufbau der Infrastruktur des freien, souveränen ukrainischen Staates verwenden. Wir müssen das machen, wir müssen die russischen Finanzinstitute, die russischen Firmen von der Finanzierung an den Kapitalmärkten abschneiden, sie aus dem MSCI-Index streichen. Die Finanzwelt weiß sehr genau, was es bedeutet, Russland von SWIFT auszuschließen. Alle Sanktionen liegen jetzt auf dem Tisch. Alle Sanktionen sollten auch in Berlin auf dem Tisch liegen, hier, im Herzen Deutschlands, darüber will ich mit Bundeskanzler Scholz reden. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

In Polen kennen wir das Sprichwort »Wahre Freunde erkennt man in der Not.« Auch in Deutschland sollte man gut darüber nachdenken, was das Sprichwort bedeutet. 5.000 Helme? Das soll wohl ein Witz sein. Es muss wirkliche Hilfe sein, wie der Präsident von Litauen gesagt hat. Es muss auch wirkliche Waffenhilfe sein, Hilfe für die ukrainischen Soldaten, die kämpfen wollen. Hilfe für die ukrainische Nation, die kämpfen will. Sie kämpfen auch für uns, für unsere Freiheit, unsere Souveränität, damit wir nicht die nächsten sein werden.

Putin wird wie eine Kriegsmaschine vorgehen, wenn wir sie nicht aufhalten. Und aufhalten können wir sie nur mit sehr starken Sanktionen, sehr starken und entschlossenen Maßnahmen. Hier und jetzt. Darüber habe ich heute Morgen auch mit Charles Michel gesprochen, darüber spreche ich fast täglich mit dem Ministerpräsidenten der Ukraine. Die Hilfe wird heute gebraucht. Humanitäre – ja, aber sie ist nicht die wichtigste.

Am wichtigsten ist die Hilfe in Form von enormem Druck: »Hör auf, stopp den Kampf, stopp deine russischen Armeeeinheiten, setzt euch an den Tisch und zieh von dort ab.« Damit wieder Frieden herrscht. Das ist notwendig, das ist heute am allernotwendigsten.

Heute stehen wir vor dem Tribunal der Geschichte. Der unabhängige, souveräne, demokratische ukrainische Staat wurde von Russland angegriffen. Nichts wird Putin aufhalten, wenn wir nicht entschlossen genug sind. Deutschland kann nicht im festbetonierten Egoismus versinken. Man muss das aufhalten – wir müssen Putin aufhalten, denn am Horizont sehen wir die neue Gefahr eines Völkermords. Unschuldige Menschen kommen ums Leben – Kinder, Frauen, Männer, Soldaten. Sie sehen die Bilder jeden Tag.

Was ist mit Ihrem Gewissen? Lasst uns ihnen gemeinsam helfen. Das Sanktionspaket muss vernichtend sein. Es müssen wirklich massive Sanktionen sein. Wir müssen Russland aus dem SWIFT-System ausschließen, um Russland vom großen Geschäft mit dem Westen abzuschneiden. Wir dürfen kein Erdöl von Russland kaufen. Wir dürfen von ihnen kein Gas oder Kohle kaufen. Wir müssen uns von ihnen unabhängig machen, aber wir müssen auch alle russischen Oligarchen, die Putin unterstützen, von jeglicher Finanzierung abschneiden. Deshalb müssen wir russische Wirtschaftsunternehmen aus dem MSCI-Index streichen und Russland aus dem SWIFT-System ausschließen. Das sollte nicht nur die Oligarchen betreffen, sondern die gesamte russische Geschäftswelt im weiteren Sinne. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass hinter all dem Putin steckt. Also muss auch er auf die Sanktionsliste kommen. In diesem Augenblick stehen wir vor dem Tribunal der Geschichte. Das ist ein Augenblick von historischer Bedeutung, ein entscheidender Moment. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Was für eine Hilfe wurde von Ihnen der Ukraine übermittelt? 5.000 Helme, das ist doch wohl ein Witz! Das ist ein Witz [im Original Deutsch, d. Übers.]! Wir müssen den Ukrainern echte Hilfe leisten. Erinnern Sie sich bitte auch, dass durch Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nicht nur Gas fließt, sondern auch das Blut von Kindern, Soldaten und Müttern. Bitte überlegen Sie sich das, denn das ist jetzt ein Moment von historischer Bedeutung. Wir müssen sicher sein, dass das, was wir heute tun, dazu beiträgt, die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine aufrecht zu erhalten. Das ist in unserem Interesse – im Interesse Polens, Deutschlands, Litauens und der ganzen EU.

Fettdruck im Original.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: Kancelaria Prezesa Rady Ministrów [Kanzlei des Ministerpräsidenten der Republik Polen]: Externer Link: https://www.gov.pl/web/premier/przemowienie-premiera-mateusza-morawieckiego-w-berlinie (abgerufen am 05.03.2022)

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