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Historische Entwicklung der jüdischen Einwanderung | Israel | bpb.de

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Historische Entwicklung der jüdischen Einwanderung

Jan Schneider

/ 7 Minuten zu lesen

Mit dem Aufkommen der zionistischen Bewegung wanderten seit den frühen 80er Jahren des 19. Jahrhunderts Juden nach Palästina ein. Für die Zeit bis zur Staatsgründung 1948 werden allgemein fünf Einwanderungswellen (Alija, Plural: Alijot) unterschieden.

Vor der Staatsgründung

Abbildung 1: Jüdische Einwanderung nach Israel, 1948-2006 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Die erste Alija zwischen 1882 und 1903 umfasste etwa 25.000 hauptsächlich russische und rumänische Juden und war nicht zuletzt eine Reaktion auf eine Reihe von antisemitischen Pogromen in Südrussland. Sie führte zu ersten größeren Ortschaften und landwirtschaftlichen Betrieben in einem Gebiet, das bis dato relativ dünn besiedelt und wirtschaftlich schwach entwickelt war. Zwischen 1904 und 1914 kamen weitere 40.000 Juden nach Palästina. Bei dieser Gruppe handelte es sich überwiegend um Angehörige der "zionistischen Arbeiterschaft" in Russland, die unzufrieden mit dem Verlauf der sozialen Reformbewegungen waren und infolge der Umwälzungen des Jahres 1905 ebenfalls Opfer von antisemitischen Übergriffen wurden. Weitere rund 35.000 Einwanderer, überwiegend aus Polen und Russland bzw. der Sowjetunion, bildeten zwischen 1919 und 1923 die dritte Alija, die u. a. durch die Balfour-Erklärung und den damit verbundenen Aufschwung für das zionistische Projekt eines eigenen jüdischen Staates motiviert war. Zwischen 1924 und 1931 kamen weitere 80.000 Juden, wiederum primär aus der Sowjetunion und aus Polen. Besonders die polnischen Juden litten unter dem Antisemitismus in der polnischen Regierungspolitik, die sie aus wichtigen Segmenten der Wirtschaft ausschloss. Im Gegensatz dazu waren die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung für Juden in Palästina zu dieser Zeit bereits deutlich verbessert, und eine jüdische Infrastruktur hatte sich herausgebildet.

Die größte vorstaatliche Einwanderungswelle, die fünfte Alija zwischen 1932 und 1939, umfasste rund 200.000 Juden. Sie hatten – überwiegend nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 – die Zeichen der Zeit erkannt und sich entschieden, ihre Heimat zu verlassen. Unter den Immigranten der 1930er Jahre waren auch bereits mehrere Tausend Juden aus orientalischen Ländern mit großen jüdischen Gemeinden wie etwa Jemen und Irak. Zwischen 1939 und 1945 gelang weiteren rund 70.000 europäischen Juden aus Polen, Deutschland, Rumänien, Ungarn und der Tschechoslowakei die Flucht vor dem Nazi-Terror. Bisweilen werden sie ebenfalls der fünften Alija zugerechnet. Diese Einwanderer hatten nicht nur die Schwierigkeit der Ausreise aus Mittel- und Osteuropa zu bewältigen, sondern sahen sich auch vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Teilung Palästinas mit restriktiven Einwanderungsbestimmungen der britischen Mandatsmacht konfrontiert. Am Vorabend der israelischen Staatsgründung umfasste die jüdische Bevölkerung Palästinas über 600.000 Menschen.

Flucht und Vertreibung im Rahmen des Unabhängigkeitskrieges

Palästina war zu Beginn der jüdischen Einwanderung Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs unbewohnt. Vor Ort lebte – zunächst überwiegend in friedlicher Koexistenz mit den jüdischen Zuwanderern – eine teils nomadische, teils sesshafte arabische Bevölkerung, die insgesamt rund 400.000 Menschen betrug. Daneben gab es eine Reihe von kleinen jüdischen Gemeinden, die zusammengenommen etwa 20.000 Menschen umfasste und deren Ansiedlung überwiegend auf die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien vertriebenen Juden sowie jüdische Wallfahrer des ausgehenden Mittelalters zurückging.

Besonders in den gemischt bevölkerten Städten Haifa, Jaffo, Ramle und Akko überschnitten sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Lebens- und Wirtschaftsräume beider Bevölkerungsgruppen. Neben Juden wanderten auch Araber aus umliegenden Regionen nach Palästina und ließen sich nieder. Bereits in den frühen 1920er Jahren kam es jedoch zu Unruhen und teils bewaffneten Konflikten zwischen Juden und Arabern (zumeist über Landfragen), aber auch zwischen den beiden Gruppen und der britischen Mandatsmacht in Palästina. In den 1930er und 1940er Jahren und verstärkt nach dem Teilungsplan der Vereinten Nationen (UN) aus dem Jahr 1947, der zwei Staaten auf palästinensischem Boden vorsah, kam es zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen. Unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung durch den Jüdischen Nationalrat am 14. Mai 1948 erklärten Ägypten, Syrien, Jordanien, der Libanon, Saudi-Arabien und der Irak dem neuen Staat Israel den Krieg. Dieser erste israelisch-arabische Krieg dauerte über ein Jahr und führte zu massiven Vertreibungs- und Fluchtbewegungen, da das siegreiche Israel auch Gebiete eroberte, die nach dem UN-Plan zum arabischen Staat Palästina gehören sollten.

Insgesamt wurden zwischen 600.000 und 800.000 Menschen arabischer Herkunft heimatlos: Mehr als 450.000 ließen sich im Gazastreifen sowie in dem bis 1967 jordanisch kontrollierten Teil der Westbank nieder, 70.000 in Transjordanien (dem heutigen Königreich Jordanien), 75.000 in Syrien und weitere 100.000 im Libanon. Auch im Irak (rund 4.000) und in Ägypten (rund 7.000) fanden palästinensische Flüchtlinge Zuflucht. Anders als für die meisten Juden, die in der erlangten und verteidigten Unabhängigkeit Israels den verwirklichten zionistischen Traum sahen, bedeuteten Krieg, Flucht und Vertreibung des Jahres 1948 für die arabischen Palästinenser eine Katastrophe (Nakba). 1948 verblieb ein kleinerer Teil der Araber im neu gegründeten Staat: Gut 150.000 Nicht-Juden erhielten die israelische Staatsbürgerschaft und wurden so zu einer ethnischen Minderheit. Deren Angehörige werden je nach (Selbst)-Definition als israelische Araber oder als palästinensische Israelis bezeichnet. Diese Gruppe umfasst heute mehr als 1,4 Millionen Personen.

Seit der Gründung Israels

Abbildung 1: Jüdische Einwanderung nach Israel, 1948-2006 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Für die überlebenden jüdischen Gemeinschaften im Nachkriegseuropa hatte der gewonnene Unabhängigkeitskrieg Signalwirkung. Mehrere Zehntausend Juden machten sich auf den Weg nach Israel. Bereits kurz nach der Staatsgründung fand auch eine Masseneinwanderung orientalischer Juden aus dem Iran, dem Irak, Marokko und Jemen statt, die teilweise einem Exodus gleichkam und in den Herkunftsländern quasi zu einem Verschwinden der jüdischen Bevölkerungsgruppen führte. Allein in den ersten Jahren zwischen 1948 und 1952 kamen über 600.000 jüdische Immigranten nach Israel und verdoppelten die Gesamtbevölkerung. Mitte der 1950er und Anfang der 1960er Jahre sank die jährliche Gesamtzahl der Neueinwanderer. Zwischen 1960 und 1989 kamen durchschnittlich 15.000 pro Jahr, der größte Teil aus Europa sowie aus Nord- und Mittelamerika.

Abbildung 2: Herkunftsländer der Zuwanderer, 2006 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte die bis dato größte Einwanderungswelle ein. Sie war zu fast 90 % von Zuwanderern aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion geprägt und hält auf niedrigem Niveau bis heute an. Hauptherkunftsländer sind Russland und die Ukraine. Seit 1989 sind insgesamt rund 1,3 Millionen Juden und nicht-jüdische Familienangehörige als Immigranten nach Israel gekommen. Eine bedeutende Einwanderergruppe der letzten Jahrzehnte waren daneben Juden aus Äthiopien (siehe Abschnitt "Integration"). Die Einwanderung ist seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 jedoch stark rückläufig; im Jahr 2006 kamen weniger als 20.000 Neueinwanderer nach Israel, 2007 waren es nur noch rund 18.000 (im Vergleich zu durchschnittlich 73.000 pro Jahr zwischen 1992 und 1999).

Bilanz der Zu- und Abwanderung

Seit der Staatsgründung wies Israels Wanderungssaldo alljährlich einen beachtlichen Überschuss an Immigranten aus. Insbesondere gegenüber den Rekordzahlen der frühen 1990er Jahre fielen Abwanderungen kaum ins Gewicht. Dennoch gab es sie zu jeder Zeit: Jüdische Israelis, die es aus familiären oder beruflichen Gründen vorzogen, etwa in den Vereinigten Staaten oder Europa zu leben; Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die mit den klimatischen Bedingungen und politischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten nicht zurechtkamen und nach relativ kurzer Zeit heimkehrten oder in ein Drittland weiterwanderten; sowie Alteingesessene, die des Dauerkonfliktes bzw. der angespannten und bisweilen gefährlichen Lebenssituation in Israel überdrüssig wurden und einen Neustart anderswo versuchten. Bereits 1980 ergaben die Ergebnisse der US-amerikanischen Volkszählung, dass mehr als 150.000 israelische Staatsbürger – teils mit doppelter Staatsangehörigkeit – in den Vereinigten Staaten lebten, von denen etwa ein Drittel in Israel geboren waren.

Abwanderungen aus Israel führten jedoch nicht zwangsläufig zu permanenter Emigration. Häufig stellen sie nur temporäre Verlagerungen des Lebensmittelpunktes dar. Betrachtet man den Migrationssaldo, so wandern alljährlich zwischen 7.000 und 12.000 israelische Staatsangehörige ab. In den Jahren 2001 bis 2006 waren es insgesamt rund 65.000, darunter etwa 90 % Juden. In den letzten drei Jahren wurde dieser "demografische Aderlass" jeweils nur noch knapp durch Einwanderung kompensiert. Für das Jahr 2008 gehen US-amerikanische Schätzungen erstmals von einem positiven Wanderungssaldo von 2,5 Migranten pro 1.000 Einwohnern aus.

Emigration steht im direkten Widerspruch zum zionistischen Ideal, das den raison d´être des Staates begründet: Die jüdischen Diaspora-Gemeinden in der Welt sollten sich in Israel versammeln – also "heimkehren". Vor diesem Hintergrund wurde häufig abfällig über Israelis gesprochen, die ihr Land verließen, um in Übersee ein vermeintlich bequemes Leben fernab der Kriege und Konflikte zu führen. Doch haben die allgemein gewachsene Mobilität sowie Prozesse der Re-Migration bzw. ökonomisch bedingten Pendelmigration dazu geführt, dass (temporäre) Abwanderung mittlerweile als normales Phänomen angesehen wird. Gerade die sehr gut ausgebildeten jungen Erwachsenen arbeiten häufig für einige Jahre im Ausland, vorzugsweise in den Metropolen der nordamerikanischen West- und Ostküste.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zwischen 1917 und 1948 verfügte Großbritannien als Sieger im Ersten Weltkrieg über die Verwaltungs- und Militärmacht in Palästina ("Mandat"), das zuvor zum Osmanischen Reich gehört hatte. Die sogenannte Balfour-Erklärung bezeichnet ein Schreiben des damaligen britischen Außenministers Arthur Balfour, in dem Großbritannien sich mit der zionistischen Bestrebung zur Errichtung einer "nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes" grundsätzlich einverstanden erklärt.

  2. Bei den Arabern in Palästina handelte es sich nicht um eine homogene Bevölkerungsgruppe. Überwiegend waren es sunnitische Muslime, darunter einige Beduinen. Daneben gab es jeweils große Gruppen von Christen und Drusen (Mitglieder einer aus dem schiitischen Islam entstandenen, nicht missionarischen Sekte mit starker Gruppenidentität und eigenen, teils geheimen religiösen Praktiken).

  3. Vgl. Gilbert (1996).

  4. So etwa im Jemen und im Irak; die Gesamtzahl der verbliebenen, heute in arabischen Ländern lebenden Juden wird auf lediglich rund 60.000 geschätzt (vgl. Shiblak 2005).

  5. Als Intifada werden die gewaltsamen Aufstände der Palästinenser gegen die israelische Besatzung im Westjordanland und im Gazastreifen bezeichnet. Die erste Intifada begann 1987, ihr Ende wird allgemein mit der Friedenskonferenz von Oslo 1993 in Verbindung gebracht. Die zweite Intifada ("Al-Aksa-Intifada") begann im September 2000 und endete mit einem formellen Waffenstillstand Anfang 2005.

  6. Vgl. Eisenbach (1998).

  7. Vgl. Central Intelligence Agency, The World Fact Book (online), Stand: 13.06.2008. Die Daten der israelischen Statistikbehörde für 2007 lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Weitere Inhalte

Dr. Jan Schneider leitet den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Er ist Research Fellow am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und Redaktionsmitglied des Newsletters "Migration und Bevölkerung".