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Integration und Integrationspolitik in Deutschland | Deutschland | bpb.de

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Integration und Integrationspolitik in Deutschland

Vera Hanewinkel

/ 12 Minuten zu lesen

Die Förderung von Integration ist mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 als staatliche Aufgabe festgeschrieben worden. Seither ist viel passiert. Die gleichberechtigte Teilhabe für alle bleibt aber eine zentrale Herausforderung in der Migrationsgesellschaft.

März 2017: Deutschunterricht für Flüchtlinge und Asylsuchende in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Ermekeilkaserne in Bonn. (© picture-alliance, Ulrich Baumgarten)

Seit Interner Link: Gründung der Bundesrepublik sahen wechselnde Bundesregierungen Interner Link: trotz phasenweise hoher Einwanderung bis in die späten 1990er Jahre in Deutschland kein Einwanderungsland. Vor diesem Hintergrund wurde über Jahrzehnte keine kohärente Politik zur Unterstützung der Integration von Eingewanderten und ihren Nachkommen konzipiert. Stattdessen wurde die Integrationsarbeit lange Zeit Wohlfahrtsverbänden und Kommunen überlassen. Kritische Stimmen aus Wissenschaft und Politik wiesen allerdings bereits in den 1970er Jahren auf die Dringlichkeit einer aktiven Integrationsförderung hin. So forderte der erste Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Kühn (SPD), 1979, die faktische Einwanderungssituation anzuerkennen, Einbürgerungserleichterungen auf den Weg zu bringen und Integrationsförderung zu betreiben. Als Aufgabe des Bundes wurde Integration dann im Zuwanderungsgesetz festgeschrieben, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat. In diesem Rahmen wurde das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFI) zum Interner Link: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) umgewandelt und mit der Steuerung von Maßnahmen zur Integrationsförderung betraut. Dazu zählen beispielsweise die mit dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Interner Link: Integrationskurse – bis heute das zentrale Element integrationspolitischer Bemühungen auf Bundesebene. Sie umfassen einen Sprachkurs und einen Orientierungskurs, der landeskundliche Kenntnisse vermittelt, etwa zur Rechtsordnung, Geschichte und Kultur Deutschlands. Ausländerbehörden können bei der Erteilung des Aufenthaltstitels Zugewanderte dazu verpflichten, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Dies ist beispielsweise bei mangelnden Deutschkenntnissen der Fall. Für EU-Bürger:innen besteht keine Teilnahmepflicht.

Integrationspolitik als Querschnittaufgabe

Neben der Bundesebene findet Integrationspolitik im Interner Link: deutschen föderalen System Interner Link: auch auf Ebene der Bundesländer und Kommunen statt. Sie ist eine Querschnittsaufgabe, die Anstrengungen in unterschiedlichen Politikfeldern und ihren verschiedenen Ressorts erfordert. Integrationsprozesse können dabei durch gesetzliche Regelungen, Fördermaßnahmen wie Sprach- und Qualifizierungsprogramme, die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren – beispielsweise im Rahmen der seit 2006 stattfindenden jährlichen Integrationsgipfel im Kanzleramt oder der im selben Jahr initiierten Interner Link: Deutschen Islam Konferenz – sowie symbolpolitischen Maßnahmen wie Einbürgerungskampagnen (begrenzt) gesteuert werden. Alle Bundesländer haben Integrationskonzepte bzw. entsprechende Leitlinien erarbeitet. In drei Bundesländern – Berlin (2010), NRW (2012), Baden-Württemberg (2015) – wurden Integrationsgesetze verabschiedet, die die Verbindlichkeit migrationspolitischer Anstrengungen erhöhen (sollen). In Bayern ist 2017 ein Integrationsgesetz in Kraft getreten, das sich vor allem der Integration von Schutzsuchenden widmet. Bundesweit verfügen auch Interner Link: zahlreiche Kommunen inzwischen über eigene Integrationskonzepte.

Integrationspolitischer Grundsatz

Die Integrationspolitik in Deutschland folgt dem Grundsatz des Förderns und Forderns, der im Zuge einer "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik", insbesondere mit der Anfang 2005 in Kraft getretenen vierten Interner Link: Hartz-Reform, als sozialstaatliches Grundprinzip etabliert wurde. Eingewanderte stehen einerseits in der Pflicht, Deutschkenntnisse zu erwerben und die Grundwerte der deutschen Gesellschaft, insbesondere die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung, zu respektieren. Andererseits ist die deutsche Gesellschaft gefordert, Eingewanderten "einen durch Chancengleichheit und Gleichbehandlung gekennzeichneten Zugang zu allen wichtigen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu gewährleisten, indem bestehende Barrieren erkannt und abgebaut werden". Zwar betont dieser Ansatz, dass auch die aufnehmende Gesellschaft ihren Beitrag zu gelingender Integration von Eingewanderten und ihren Nachkommen leisten muss, etwa durch den Abbau von Diskriminierung. In der Praxis und im öffentlichen Diskurs werden Integrationsleistungen aber vor allem von Migrant:innen gefordert. Dabei hat der Aspekt des Forderns in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen, indem positive und negative Anreize ausformuliert wurden, um Integrationsanstrengungen von Seiten der Eingewanderten zu intensivieren. So kann etwa die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis davon abhängig gemacht werden, ob sich Ausländer:innen bemühen, die deutsche Sprache zu erlernen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, den Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten und die Gesetze zu befolgen. Zudem kann die Nicht-Teilnahme an Integrationskursen mit dem Kürzen von Sozialleistungen sanktioniert werden. Weisen Migrant:innen "besondere Integrationsleistungen" nach, etwa besonders gute Deutschkenntnisse oder ein längeres ehrenamtliches Engagement in einem gemeinnützigen Verein, kann eine Einbürgerung bereits nach sechs (statt wie regulär nach acht) Jahren Aufenthalt in Deutschland beantragt werden.

Neue Zielgruppen der Integrationspolitik

Bis vor einigen Jahren richteten sich Integrationsmaßnahmen fast ausschließlich an Eingewanderte mit Bleiberecht. Dies änderte sich mit den Asylrechtsreformen ab Herbst 2015 und dem Interner Link: Integrationsgesetz, das infolge umfangreicher Fluchtzuwanderung im Jahr 2016 verabschiedet wurde und in Kraft trat. Es betrifft neben anerkannten Flüchtlingen vor allem Asylbewerber:innen und Geduldete. So dürfen nun Personen, die sich noch im Interner Link: Asylverfahren befinden, von denen aber angenommen wird, dass ihnen ein Schutzstatus und damit ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt wird (sogenannte "sichere Bleibeperspektive"), an Integrationskursen teilnehmen. Auch bestimmte Interner Link: Geduldete können sich seither durch den Nachweis von Integrationsleistungen ein Aufenthaltsrecht "verdienen", etwa wenn sie eine langfristige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachweisen können. Hintergrund der Ausweitung von Integrationsmaßnahmen auf diese Personengruppen ist zum einen die Erfahrung, dass viele Menschen ohne Bleiberecht dennoch dauerhaft in Deutschland bleiben , weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden können: etwa, weil ein genereller Abschiebestopp ins Herkunftsland besteht oder notwendige Reisdokumente fehlen. Zum anderen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Integrationsprozesse schneller vollziehen, wenn Integrationsangebote frühzeitig eröffnet werden. Dadurch können auch die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten von Einwanderung und Flüchtlingsaufnahme gesenkt werden. Schließlich zeigt sich in der Neuausrichtung der Integrationspolitik, dass Schutzsuchende in den letzten Jahren verstärkt als (potenzielle) Arbeitskräfte "entdeckt" wurden. Zwar werden Asyl- und Erwerbsmigration weiterhin als zwei (rechtlich) voneinander zu trennende Migrationsformen verstanden. Dennoch werden Schutzsuchende zunehmend durch die Brille wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit betrachtet und etwa die Gewährung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts (Niederlassungserlaubnis) an den Nachweis von Integrationsleistungen geknüpft, durch die die Betroffenen demonstrieren sollen, dass sie "würdig" (deserving) sind, dauerhaft in Deutschland zu leben. Diese Entwicklung kann als Ökonomisierung des humanitären Flüchtlingsrechts beschrieben werden. Kritisiert wird hierbei, dass das humanitäre Grundprinzip der Menschlichkeit an Bedeutung verliere, weil sich der Blick nun weniger auf das zu lindernde menschliche Leid als vielmehr auf die Frage der Wirtschaftlichkeit von Schutzsuchenden richte.

Allerdings hat ein in diesem Rahmen u.a. auf Druck von Arbeitsgeberverbänden eingeführter schnellerer Interner Link: Arbeitsmarktzugang von Schutzsuchenden nicht nur Vorteile für die Wirtschaft und den Wohlfahrtsstaat. Er kommt auch den betroffenen Menschen selbst zugute, da sie nicht – wie etwa in den 1990er und frühen 2000er Jahren – über lange Zeit zur Passivität gezwungen werden. Sich seinen eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können und nicht (ausschließlich) auf staatliche Zuwendungen angewiesen zu sein, trägt auch dazu bei, ein selbstbestimmte(re)s Leben führen zu können. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik befindet sich damit aber auch in einem fortwährenden Spannungsfeld: Einerseits will sie keine Anreize für den Zuzug (und Verbleib) von Personen setzen, die nach geltendem Recht nicht schutzbedürftig sind, andererseits soll aber schutzberechtigten Personen schnell die Integration ermöglicht werden. Verschiedene Begrifflichkeiten bzw. Konzepte der letzten Jahre – so z.B. "sichere Herkunftsländer", "sichere Bleibeperspektive", "arbeitsmarktnahe Asylbewerber" oder "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität" – weisen darauf hin, dass innerhalb der Gruppe der Schutzsuchenden immer neue Differenzlinien geschaffen worden sind, die zu einer stärkeren Hierarchisierung der Schutzsuchenden und ihrer Rechte beigetragen haben. Diese Hierarchisierung wiederum reguliert Möglichkeiten des Ein- und Ausschlusses und kann damit als Form von Migrationskontrolle verstanden werden. Dies geschah auch vor dem Hintergrund von Diskussionen über eine "Belastungsgrenze", die es nicht zulasse, alle Neuankömmlinge zu integrieren, weshalb die Integration einiger nur auf der Basis der Desintegration anderer möglich sei.

Mit Blick auf Integrationsfragen wird dabei neben dem als "Schlüssel zur Integration" bezeichneten Erwerb ausreichender Deutschkenntnisse und der Einbindung von Eingewanderten und ihren Nachkommen in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt seit einigen Jahren verstärkt der Aspekt der kulturellen Integration betont. Ein Beispiel ist die unter anderem vom deutschen Kulturrat angestoßene Externer Link: "Initiative kulturelle Integration", die im Mai 2017 Externer Link: "15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt" vorgestellt hat. Auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) Externer Link: empfahl, soziale und kulturelle Dimensionen von Teilhabe stärker zu berücksichtigen (im Rahmen des Interner Link: Integrationsmonitorings zur Evaluation von Fortschritten und Defiziten der Integrationsförderung, welche im Anschluss an den 2007 verabschiedeten "Nationalen Integrationsplan" entwickelt wurde. Verstärkendes Moment für die Betonung kultureller Integration war die hohe Interner Link: Fluchtzuwanderung im Jahr 2015, die zu Diskussionen um den Zusammenhalt der Gesellschaft geführt hat. In diesem Kontext hat auch die alle paar Jahre aufflammende Debatte um eine (deutsche) "Leitkultur" wieder Aufschwung erhalten.

Integration in der Vielfaltsgesellschaft

2020 hatten 26,7 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen ihnen statistisch zugeschriebenen Interner Link: Migrationshintergrund; bei Kindern unter fünf Jahren waren es sogar 40,3 Prozent. In einigen deutschen (Groß-)Städten haben mittlerweile mehr als die Hälfte der Einwohner:innen einen Migrationshintergrund. Es gibt Stadtteile, in denen Interner Link: numerische Mehr- und Minderheitenverhältnisse nicht mehr auszumachen sind, zumal die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch in sich heterogen sind, Vielfalt also nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zunimmt – etwa mit Blick auf Lebensentwürfe und Wertvorstellungen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund fordert die 2019 von der Bundesregierung einberufene Fachkommission Integrationsfähigkeit in ihrem 2021 vorgelegten Abschlussbericht, Integration von Migration zu entkoppeln und umfassender als Teilhabe und Teilnahme aller Mitglieder der Gesellschaft zu verstehen. Integration definiert sie als einen dauerhaften interaktiven Prozess, der fortlaufend gestaltet werden müsse – von allen gesellschaftlichen Akteur:innen, nicht nur top-down vom Staat.

GrafikBevölkerung mit Migrationshintergrund

Bevölkerung mit Migrationshintergrund

In Deutschland hat gut jede vierte Person einen Migrationshintergrund – in Westdeutschland galt dies im Jahr 2020 für 29,8 Prozent und in Ostdeutschland für 9,1 Prozent der Bevölkerung. Von allen Personen mit Migrationshintergrund sind 62 Prozent selbst eingewandert und 38 Prozent sind in Deutschland geboren. Interner Link: Mehr unter https://www.bpb.de/61646

Folgt man der Interner Link: Argumentation des Soziologen Aladin El-Mafaalani, zeichnen sich Integrationsfortschritte dabei zunächst nicht durch eine Abnahme gesellschaftlicher Konflikte und Debatten aus. Im Gegenteil: Weil in einer offenen Migrationsgesellschaft zunehmend mehr Bevölkerungsgruppen Anspruch auf Teilhabe und Mitgestaltung erheben und ihre Bedürfnisse und Interessen artikulieren wollen und können, nimmt das Konfliktpotenzial zu. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden infrage gestellt und neu ausgehandelt. Aktuelle Beispiele sind die ineinandergreifenden Debatten über Interner Link: strukturellen und institutionellen Rassismus – angestoßen unter anderem durch die transnationale Interner Link: Black Lives Matter-Bewegung –, Interner Link: Identitätspolitik oder Interner Link: Weißsein als Machtstruktur, die auch in Politik, Wissenschaft und Medien ihren Widerhall finden. Zumeist aktivistische Akteur:innen schaffen mithilfe Sozialer Medien Gegenöffentlichkeiten, wie etwa der tausendfach auf Twitter geteilte Hashtag #MeTwo zeigt, der auf Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund bzw. migrantisch gelesenen Menschen aufmerksam macht(e). Diese Akteur:innen wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Rassismus in Deutschland weit vor dem beispiellosen Zivilisationsbruch der Shoah Interner Link: begann und nicht mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft endete, sondern bis in die Gegenwart reicht. Nicht zuletzt die Aufarbeitung der Interner Link: rechtsterroristischen Mordserie des NSU (2000-2006) oder der tödlichen Anschläge in Interner Link: Halle (Oktober 2019) und Hanau (Februar 2020) haben einen gesellschaftlichen Diskurs angestoßen, ob Rassismus mehr sei als eine Ungleichwertigkeitsideologie von Interner Link: rechtsradikalen Einzeltäter:innen, sondern im Gegenteil ein gesamtgesellschaftliches Problem, das einer inklusiven Gesellschaft im Wege steht und Interner Link: strukturelle Lösungsansätze erfordert. So hat etwa Berlin im Juni 2020 als erstes Bundesland ein Landesantidiskriminierungsgesetz beschlossen, das auch im Bereich des strukturellen und institutionellen Rassismus anwendbar ist und damit eine bestehende Lücke im Antidiskriminierungsrechtsschutz schließt. Sein Anwendungsbereich umfasst die gesamte öffentliche Verwaltung und alle öffentlichen Stellen des Landes Berlin, einschließlich der Polizei. Der Schutzbereich des seit 2006 bundesweit geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erstreckt sich hingegen vor allem auf das Arbeitsleben und sogenannte Alltagsgeschäfte wie etwa Restaurantbesuche, Interner Link: deckt aber u.a. polizei- und ordnungsbehördliches Handeln nicht ab. Dies erschwert beispielsweise die Ahndung von Kontrollpraxen, die unter dem Vorwurf des Interner Link: Racial Profiling stehen. Einige andere Bundesländer wollen nachziehen und eigene Landesantidiskriminierungsgesetze auf den Weg bringen. Neben solchen institutionellen und rechtlichen Erweiterungen, Diskriminierung anzeigen zu können, ist im medialen Diskurs vermehrt zu beobachten, dass eine breiter angelegte Auseinandersetzung mit Rassismus gefordert wird. Auf diese Weise soll für die Differenz der Erfahrungen etwa von Schwarzen Menschen in Deutschland, Jüdinnen und Juden sowie asiatisch oder muslimisch gelesenen Personen sensibilisiert werden – um, so die Zielsetzung, die gesamtgesellschaftliche Ambiguitätstoleranz zu erhöhen, d.h. mit Mehrdeutigkeit leben und Ambivalenzen aushalten zu können.

Muslime und muslimisch gelesene Menschen als die "Anderen"

In den Debatten um Einwanderung stehen vor allem jene Menschen, die aus mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern stammen, im Fokus der Aufmerksamkeit. Das war bereits vor der 2015 erfolgten hohen Fluchtzuwanderung der Fall, hat sich aber seither noch einmal verstärkt. Dabei ist das öffentliche Bild "der Muslim:innen" häufig defizitär geprägt, ihnen werden Integrations-, Demokratiefähigkeit und Zugehörigkeit abgesprochen. Das steht einem gesellschaftlichen Selbstverständnis entgegen, welches sich als durch Migration geprägt begreift und Migrant:innen und ihre Nachkommen als selbstverständlichen Bestandteil der Gesellschaft versteht. Einer im Juni 2021 veröffentlichten repräsentativen Umfrage zufolge gehört der Islam für 45 Prozent der Bevölkerung "gar nicht" zu Deutschland , obwohl 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Eingewanderte aus muslimisch geprägten Ländern und ihre Nachkommen in Land lebten und entsprechend zwischen 6,4 und 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten (auch wenn damit nicht gesagt ist, welche Rolle Religiosität im Alltag all dieser Menschen überhaupt spielt). Dennoch werden in öffentlichen medialen Debatten Einwanderer:innen aus muslimischen Ländern und ihre Nachkommen häufig mit einer als problematisch empfundenen Zuwanderung oder gescheiterten Integration in Verbindung gebracht. Der Islam wird etwa mit Terrorismus, Fanatismus und Intoleranz assoziiert. Nach einer Eskalation des Nahostkonflikts im Mai 2021 flammten erneute Debatten um die Zunahme von Interner Link: Antisemitismus aufgrund der Zuwanderung aus muslimischen Ländern auf. Auch wenn Studien die weite Verbreitung Interner Link: antisemitischer Einstellungen unter Muslim:innen bedingt bestätigen und diesen Tendenzen aktiv entgegengewirkt werden sollte, kann die Auseinandersetzung mit Interner Link: Antisemitismus nur gelingen, wenn antisemitische Einstellungen in der gesamten Gesellschaft in den Blick genommen und bearbeitet werden.

Für gesellschaftliche Machtverhältnisse, die eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller verhindern, zu sensibilisieren und diese abzubauen, kann als eine wichtige Aufgabe einer Integrationspolitik betrachtet werden, die Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht – nicht nur als Bringschuld von Eingewanderten und ihren Nachkommen.

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Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück und Mitglied des Institutsvorstands.