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Antisemitismus in der Krise. Entwicklungen, Auswirkungen, Gegenstrategien | bpb.de

Antisemitismus in der Krise. Entwicklungen, Auswirkungen, Gegenstrategien 24. – 25. Februar 2025, Mannheim

Franziska Jostmeier Jasper Kühl

/ 12 Minuten zu lesen

„‘Eine Tagung zu Antisemitismus – seid Ihr eigentlich verrückt?‘, fragten uns viele“ gab Dr. Maja Bächler, Leitung des Fachbereichs Extremismus der bpb, am Ende der Tagung zu. „Ich finde nicht. Es war und ist notwendig, weiter darüber zu sprechen, zu handeln und dran zu bleiben.“

Rürup-Vortrag mit Titelbild und Hinterköpfen (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid)

Die aktuellen Debatten im Themenfeld Antisemitismus sind vielfältig und kontrovers – so auch auf dieser Tagung. Doch Einigkeit herrscht darin, dass es eine gemeinsame Auseinandersetzung brauche. Das zeigte sich, laut Dr. Bächler, nicht nur in dem großen Interesse an der Tagung teilzunehmen, sondern, wie Prof. Dr. Julia Bernstein (Frankfurt University of Applied Sciences) eindrücklich sichtbar machte, auch daran, wie sich der Hass gegen Jüd:innen verstärkt habe. Monty Ott, Politik- und Religionswissenschaftler, unterstrich dies mit den Worten:

Zitat

Und schließlich macht die Allgegenwart des Antisemitismus die Krise für Jüd:innen zur alltäglichen Gegenwart.

Antisemitismus in der Krise. Entwicklungen, Auswirkungen, Gegenstrategien

„Antisemitismus in der Krise“ lautete auch die Überschrift der Tagung, zu der am 24. und 25. Februar 2025 etwa 220 Teilnehmende und Referierende unterschiedlichster Berufsgruppen aus dem ganzen Bundesgebiet nach Mannheim anreisten. Dabei wurde im Laufe der Tagung klar, dass der Titel eine Vielzahl an Deutungen zulässt: Wir befänden uns in Zeiten multipler Krisen, in denen Antisemitismus eine besondere Rolle einnehme. Zeitgleich sei auch seine Bekämpfung in der Krise.

Externer Link: Zum Veranstaltungsprogramm

Erster Tagungstag: Dimensionen von Antisemitismus angesichts von Krisen, Kriegen und Konflikten

Antisemitismus – eine Krisengeschichte? Eine Krisengegenwart?

Inhaltlich leiteten Eröffnungsvorträge von Prof. Dr. Miriam Rürup und Monty Ott in die bundesweite Fachtagung ein. Prof. Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, betonte in ihrem Vortrag, dass Antisemitismus kein eindimensionales Phänomen sei und untermauerte diese These, indem sie verschiedene Formen des Antisemitismus aus historischer Perspektive aufzeigte. Darüber hinaus erläuterte sie Stereotype, die einem antisemitischen Weltbild zugrunde lägen; so zum Beispiel die Assoziation von Jüd:innen mit Macht und Geld oder der Philosemitismus, also eine Überhöhung von Jüd:innen. Auch die Diskussion rund um eine passende Definition des Antisemitismusbegriffs griff Prof. Rürup auf. Hier sehe sie die Gefahr, unabhängig von der Interner Link: Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) oder der Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA), dass man nur noch über eine Definition diskutiere, anstatt das Problem als solches zu besprechen. Dazu komme außerdem, dass diese Definitionen „morgen schon wieder überholt sein können. Das hat die historische Entwicklung gezeigt.“ Als ein Hauptmerkmal des Antisemitismus hob Monty Ott Unterteilungen in strikte Dichotomien – „wir und die Anderen“ – hervor. Zeitgleich habe sich der Ton unter Antisemit:innen geändert: „Wir befinden uns in einer postnazistischen und postkolonialen Gesellschaft. Das wirkt sich auf die Kommunikation des Antisemitismus aus. Antisemiten sind angepasste Persönlichkeiten. (…) Sie wissen Bescheid, was zum guten Ton gehört und wie sie sich äußern können.“

Auf die Vorträge folgten anschließend fünf parallele Vertiefungsangebote unter dem Titel „Krisen, Kriege, Konflikte“.

Die schwierige Debatte um israelbezogenen Antisemitismus stand im Fokus des Vertiefungsangebots „‘From the River to the Sea‘ – Israelbezogener Antisemitismus in der Definitionskrise“. Prof. Dr. Helga Embacher, Zeithistorikerin an der Paris Lodron Universität Salzburg, stellte die Geschichte des Israelbildes in der politischen Linken und darin enthaltene antisemitische Trendlinien vor: „Wenn man sich die Geschichte anschaut, so haben Teile der Linken traditionell ein Problem damit, Empathie mit Israel aufzubringen.“ Zudem seien festgefahrene eurozentrische Muster der Konfliktdeutung im Nahostkonflikt auszumachen. Dementsprechend hätten Eskalationsphasen des Nahostkonfliktes in den letzten Jahrzehnten wiederholt eine anschlussfähige Grundlage für Antisemitismus bieten können. Tom Khaled Würdemann (Hochschule für jüdische Studien Heidelberg) kritisierte die heute in der Debatte um israelbezogenen Antisemitismus stattfindende Lagerbildung, unter der vor allem betroffene Jüd:innen und die politische Kultur in Deutschland leiden würden. Interner Link: Dies drücke sich auch in den beiden gängigen Antisemitismusdefinitionen aus, die jeweils einen zentralen Kritikpunkt hätten: So sei die IHRA-Definition einer breiten Rassismusdefinition sehr ähnlich, während die JDA demgegenüber enger gefasst sei. Erstere sorge beispielsweise dafür, dass Diskussionen über die Rolle des Kolonialismus bei der Staatsgründung Israels abgeschnitten würden. Demgegenüber biete die JDA durch deren Fokus auf die Intention ein Schlupfloch für gewalttätige antizionistische Positionen. Würdemann schlug schließlich vor, jede propalästinensische Position daran zu messen, ob ihre grundsätzliche Absicht das friedliche Zusammenleben beider Völker oder eine „judenfeindliche Praxis“ sei.

Im Panel „Antisemitismus unter Muslimen und islamistischer Antisemitismus: Zwei Seiten einer Medaille oder zwei Medaillen?“ machte Saba-Nur Cheema von der Frankfurter Goethe-Universität früh im Vortrag klar, dass eine eindeutige Antwort auf die Titelfrage nicht möglich sei. Dabei ging sie auf islamistischen Antisemitismus ein, worin die Verknüpfung von Jüd:innen mit Verrat zentral, die theologische Grundlage jedoch äußerst umstritten sei. Durch eine scheinbar untrennbare Verbindung zwischen Jüd:innen mit Israel und Palästina werde der Nahostkonflikt als muslimisch-jüdischer Konflikt dargestellt. Grundsätzlich müsse Antisemitismus als ein konstitutives Element in der Etablierung von islamistischen Bewegungen mitgedacht werden. Europäische Konzepte aus dem 19. Jahrhundert seien darin zentral. Man könne also, wenn überhaupt, von einem „reimportiertem Antisemitismus“ sprechen. Dr. Cemal Öztürk (Universität Duisburg-Essen) sprach über Antisemitismus unter Muslim:innen und bezog sich dabei auf verschiedene quantitative Studien. Darin wurde deutlich, dass Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft kein Randphänomen sei, israelbezogenem Antisemitismus unter Muslim:innen jedoch durchschnittlich öfter zugestimmt werde. Grundsätzlich sei Antisemitismus eine Frage der Haltung und keine der Herkunft. Von muslimischem oder islamischem Antisemitismus könne man nur dann sprechen, wenn er ausdrücklich auf den Koran zurückbezogen werden könne.

„Wo haben Sie Erfahrungen mit Verschwörungsideologien gesammelt?“ Mit dieser offenen Frage an das Publikum eröffneten die Autorin Katharina Nocun und Kim Lisa Becker vom Interdisziplinären Zentrum für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung e. V. das Panel „Im Zweifel sind die Juden schuld? Antisemitische Verschwörungsideologien als Antwort auf das Ungewisse“. Sie legten dar, wie Verschwörungsideologien insbesondere in der Coronapandemie massiven Aufschwung erfahren hätten, womit auch Antisemitismus verbreitet worden sei: Im Erklärungsversuch einer komplexen Welt nähmen Jüd:innen als vermeintlicher Teil einer globalen Elite eine zentrale Rolle ein. Eine Verbindung zu Extremismus bestehe insofern darin, dass beide auf gemeinsamen Grundlagen und Funktionalitäten beruhten. Antisemitismus diene somit auch als wichtige Verbindung zwischen Verschwörungsideologien und Islamismus. Die Frage, wie Begegnungen mit Verschwörungsgläubigen, denen in der Beratungs- und Präventionsarbeit eine große Relevanz gegeben wird, gestaltet werden könnten, bestimmte die anschließende Diskussion.

Eine weitere Vertiefungsmöglichkeit bot einen Einblick in das Thema „Erinnerungskultur in der Krise? Schuldabwehrantisemitismus heute“. Zunächst stellte Dr. Michael Höttemann, Referent für antisemitismuskritische Antidiskriminierungsarbeit an der TU Darmstadt, Schuldabwehrantisemitismus und dessen Hintergründe vor. „Allein schon aus sprachlichen Gründen kann es Schuldabwehrantisemitismus nur in Deutschland geben.“ In den Folgejahren des Nationalsozialismus sei die Verdrängung der eigenen Verbrechen stark verbreitet gewesen. Zeitgleich sei offener Antisemitismus nach 1945 gesamtgesellschaftlich geächtet worden. Holocaustleugnung und -relativierung seien jedoch auch außerhalb Deutschlands zu finden. Dr. Elke Gryglewski (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten) konzentrierte sich auf die Entwicklung der Erinnerungskultur in Deutschland. So überwiege heute gesamtgesellschaftlich der Stolz auf die deutsche Erinnerungskultur, obwohl sie gegen Widerstände in der Täter:innengesellschaft erkämpft werden musste. Zeitgleich existiere das weitverbreitete Missverständnis, dass durch die Vielzahl an Gedenkorten Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung nicht mehr verbreitet sei. Um dem entgegen zu wirken, müssten Erinnerungsstätten versuchen, nachhaltiger zu wirken und sich zum Beispiel an die vielfältigen Perspektiven einer postmigrantischen Gesellschaft anzupassen.

Rechtsextreme Antisemitismen standen im Zentrum des Vertiefungsangebots „Zwischen offenem Judenhass und Israelsolidarität“ mit Prof. Dr. Gideon Botsch (Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam) und Dr. Volker Weiß, Historiker. So sei zum einen zu beobachten, dass Queerfeindlichkeit aktuell das Hauptmobilisierungsthema für junge Menschen in neonazistischen Strukturen darstelle. In diesem Zuge finde eine Vermischung mit dem Judentum statt, sodass zum Beispiel Antifeminismus einen antisemitischen Gehalt bekomme. Zum anderen sei eine weitere Entwicklung im rechtsextremen Milieu darin zu sehen, dass mittlerweile kaum mehr eine offene Leugnung der Shoah, sondern vielmehr ein Diskurs über eine vermeintlich eingeschränkte Meinungsfreiheit gefördert werde. Dabei stellten sich rechtsextreme Akteure als Mitglieder eines demokratischen Widerstandes gegen angebliche ‚Sprechverbote‘ dar, die dazu beitragen würden, dass sich die Bürger:innen nicht frei äußern könnten.

„Free Palestine from German Guilt“?

Der erste Tagungstag schloss mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „‘Free Palestine from German Guilt‘? Zum Verhältnis von Postkolonialismus und Antisemitismus“. Zunächst betonte Dr. Felix Axster (Zentrum für Antisemitismusforschung) mit Bezug auf das Standardwerk „Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte“ (2019), dass sich die Antisemitismusforschung aktuell in einer „fatalen Dichotomie zwischen Alarmisten und Leugnern“ des israelbezogenen Antisemitismus befinde. Darin sei auch die Uneinigkeit darüber, wo israelbezogener Antisemitismus anfange, zentral. Saba-Nur Cheema problematisierte besonders die in postkolonialen Theorien stattfindende Zentrierung der gesamten Geschichte auf europäischen Kolonialismus. Dadurch würden zum Beispiel die Bestrebungen anderer, nicht-europäischer Staaten ausgeklammert. Prof. Dr. Christina Brüning (Philipps-Universität Marburg) zufolge ließen sich dadurch „historische Schieflagen“ finden, unter anderem die Darstellung des Staates Israel als koloniales Projekt. Kritik wurde auch an der unterkomplexen Verwendung von Othering als „Schablone für alle Formen des Andersmachens“ geäußert. Dadurch werde Antisemitismus zu einer Unterform des Rassismus gemacht. Während im Rassismus „die Weißen“ vermeintlich überlegen seien, könne man diese Dichotomie von „Staatsmacht und rassifizierter Minderheit“ nicht auf Antisemitismus übertragen, in dem Jüd:innen zum Teil als überlegen und allmächtig imaginiert werden. Insgesamt werde deutlich, dass postkoloniale Studien im Bereich des Antisemitismus einen „blinden Fleck“ aufwiesen. Dies übertrage sich auch in den politischen Kontext, wo jüdische Menschen nicht mitgedacht werden. Um in den aktuellen Debatten Lösungen zu finden, sei es wichtig, postkoloniale Ansätze und Antisemitismuskritik zusammenzudenken und dadurch jeweilige Leerstellen zu schließen.

Zweiter Tagungstag: Von der Theorie in die pädagogische Praxis – Antisemitismus begegnen

Während der erste Tag vor allem der Wissens- und Informationsvermittlung diente, wurde der zweite Tag zur Methodenvermittlung und Reflexion genutzt. Dieser startete mit einem Vortrag „Antisemitismus pädagogisch begegnen: Jüdische Perspektiven in den Mittelpunkt stellen“ von Prof. Dr. Julia Bernstein. Im pädagogischen Kontext zeige sich unter anderem die Problematik, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen gebe, wo Antisemitismus beginne. So sei auffällig, dass Lehrkräfte Antisemitismus meist deutlich später als Betroffene bemerken würden. Daraus folgten Bedingungen für den pädagogischen Umgang mit Antisemitismus, die vor allem mit der Wiederherstellung des Sicherheitsstatus für Jüd:innen beginnen müssten. Auch im Kontext der Hochschulen müsse eine klare Grenzziehung stattfinden. „Wenn mein Leben in Gefahr ist, strecke ich meine Hand nicht für einen Dialog aus“, machte Prof. Bernstein deutlich. Antisemitismus sei dabei auch durch Emotionen und persönliche Bezugspunkte zu thematisieren, da allein argumentativ-aufklärerische Arbeit nicht weiterhelfe. Zeitgleich sei die Diskussion über Antisemitismus aber keine über Liebe oder Mitgefühl: „Ich wäre schon glücklich, wenn man mich nicht hasst“.

Anschließend wurden acht parallele Workshops unter dem Schlagwort „Krisenresilienz lernen“ angeboten.

Der Workshop „Projektionsfläche Israel. Antisemitische Kontinuitäten im israelbezogenen Antisemitismus“ wurde durch Lea Güse und Henning Gutfleisch vom Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung geleitet. Im Fokus standen verschiedene Fallbeispiele, beispielsweise die Störung einer Veranstaltung durch antisemitische Proteste gegen Israel. Die Teilnehmenden diskutierten anhand dessen, wie man in pädagogischen Settings mit antisemitischen Stereotypen im Kontext Israel umgehen könne. Dabei sei es fraglich, inwiefern fehlgeleitete Reaktionen von Verantwortlichen mit eigener Überforderung zu erklären seien. Dies nahmen einige Teilnehmende als Anlass, klare Handlungsanweisungen vonseiten ihrer Institution einzufordern.

Dr. Jochen Müller (ufuq.de) widmete sich in seinem Workshop dem Thema „Antisemitismus in muslimischen Communities: (K)ein islamistisches Problem?“. Hierbei standen Gegenstrategien zu Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen im Mittelpunkt. Anhand von Bildern wurde über den pädagogischen Umgang mit extremistischen Inhalten und Symbolen diskutiert. Dabei waren sich die Teilnehmenden einig, dass eine Sanktion nicht ausreiche, sondern immer auch ein Gespräch notwendig sei. Der Nahostkonflikt wirke für muslimische Jugendliche indes als ein Austragungsort von verschiedenen Konflikten, die sich in Ideologien wandeln könnten. An diesem Punkt müsse eine pädagogische Intervention erfolgen. „Antisemitismus fällt nicht vom Himmel, sondern er ist das Ergebnis eines Radikalisierungsprozesses“.

Wie lässt sich in der Konfrontation mit Verschwörungsideologien und Antisemitismus pädagogisch handeln? Diese Frage stand im Zentrum des Workshops „Perspektivwechsel auf verschwörungsideologischen Antisemitismus“, der von der freien politischen Bildnerin Ilham Bani Odeh geleitet wurde. Um sich dem Phänomen der Verschwörungsideologie praxisnah nähern zu können, wurde anhand von verschiedenen Fallbeispielen ein Perspektivwechsel eingenommen. Das persönliche Gespräch in einer vertrauensvollen Atmosphäre könne insgesamt helfen, Gefühle der Fremdbestimmung und des Misstrauens zu lindern.

Im Workshop „Schlussstrich drunter? Pädagogische Ansätze gegen Schuldabwehrantisemitismus“ entwickelte Peter Römer (Geschichtsort Villa ten Hompel – Memorial & Museum) mit den Teilnehmenden Gegenstrategien zu Schuldabwehrantisemitismus. Anhand von Bildern wurden die Teilnehmenden aufgefordert, diesen in vielfältigen Kontexten zu entlarven, darunter Plakate und Banner, wie „Impfen macht frei“. Ein Problem antisemitismuskritischer Bildungsarbeit sei, dass sie vor allem auf die Shoah bezogen werde und nur weniges als gegenwärtiger Antisemitismus erkannt werde. Es gäbe heutzutage viel Umwegkommunikation und es werde deutlich, dass historisches Wissen nicht ausreiche, um über heutigen Antisemitismus zu sprechen. Die Teilnehmenden bezeichneten dies unter anderem als überfordernd für ihre Arbeit als Bildner:innen und betonten die Wichtigkeit der Emotionalität in der Bildungsarbeit. Eine Möglichkeit, sich dem Thema anzunähern, könnten etwa eigene Familiengeschichten sein. Dabei sei es jedoch wichtig, dass es nicht um eine Entlarvung antisemitischer Vorfahren gehe.

Methoden der Ansprache, Erscheinungsformen und besondere Herausforderungen in den Sozialen Medien waren Themenschwerpunkte des Workshops „Antisem.it – Rechtsextremer Antisemitismus Online“. Sofía Hernández und Tila Mendonça von Drudel 11 e.V. aus Jena zeigten auf, dass die dynamische Entwicklung von Codes, die impliziten Formen von Antisemitismus, emotionale Reaktionen und Konflikte sowie der Aufbau von Filterblasen und Echokammern Arbeit gegen Antisemitismus in Sozialen Medien erschwere. Darüber hinaus sei der Beziehungsaufbau in der Online-Bildung herausfordernd. Umso wichtiger sei daher die Arbeit in der Realitätsnähe, Schaffung sicherer Räume für kontroverse Diskussionen sowie die Bestimmung präziser Ziele für die Online-Bildungsarbeit. Die Vermittlung von Grundlagenwissen und die damit einhergehende Sensibilisierung sei darin ein zentraler Faktor.

Désirée Galert von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus widmete sich in ihrem Angebot der Frage, inwiefern Antisemitismus und Rassismus zusammengedacht werden sollten. Dabei wurde klar, dass der Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus aus wissenschaftlicher Perspektive sehr viel klarer zu vermitteln sei als in der pädagogischen Praxis. Eine Verknüpfung sei auch deswegen sinnvoll, da die Zahlen beider Phänomene seit dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 massiv gestiegen seien. Die Möglichkeit, eine Betroffenenperspektive hervorzuheben, bringe jedoch auch die Herausforderung mit sich, dass vor allem die Schule kein diskriminierungsfreier Raum sei. Generell gäbe es allerdings nicht den einen Umgang mit extremen Äußerungen einzelner Schüler:innen, stattdessen müssten die richtigen Methoden von Situation zu Situation neu gefunden werden.

Im Workshop „Antisemitismus in der Schule begegnen“ gaben die beiden Sozialpädagogen des Wiesbadener Vereins Spiegelbild Thure Alting und Benny Momper Einblicke in ihre Bildungsarbeit. Zu Beginn stießen sie eine Selbstreflektion über Vorwissen und erlebte oder verübte Diskriminierung innerhalb der Gruppe an. Im Austausch zu konkreten Beispielfällen, die einer pädagogischen Intervention bedürfen, wurde deutlich, wie wichtig eine gut geschulte und informierte Reaktion seitens der Lehrkraft sei und wie komplex sich die Unterrichtssituation für sie darstelle. Schließlich müssten an erster Stelle die konkret Beteiligten und die Klasse als Gesamtes in die Reaktion einbezogen werden. Die potentielle Anwesenheit eine:r jüdischen Schüler:in, so das Plädoyer, sollte bei der Arbeit jedoch immer mitgedacht werden.

„Antisemitismuskritische Bildung in und mit Sicherheitsbehörden“ lautete der Titel des Workshops von Dr. Sarah Jadwiga Jahn (Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen), in dem eine Diskussion über Herausforderungen wie fehlende Priorisierung, Zeitmangel und die Notwendigkeit einer ethisch fundierten Ausbildung stattfand. Dabei wurden vor allem vertrauensbildende Maßnahmen, direkter Kontakt mit Jüd:innen und eine bessere Einsatzvorbereitung empfohlen. Des Weiteren seien Führungskräfte von enormer Bedeutung, weil sie eine Schlüsselrolle bei der Wertevermittlung einnähmen.

Die Tagung „Antisemitismus in der Krise“ lebte von der Vielfalt an Perspektiven und Kontroversen. Miriam Rürup ging bereits zu Beginn der Tagung darauf ein, wie wichtig dies sei. Es gehöre zu einer demokratischen Gesellschaft dazu, kontrovers zu streiten. Doch rote Linien sowie ein Grundkonsens müssten dabei immer klar sein. Die aktuellen Zeiten, die Krisen und Kriege sowie die Bundestagswahl am Vorabend des ersten Konferenztags waren in jedem Moment dieser Tagung spürbar. Dabei vereinte viele auch der Blick in die Vergangenheit und die Sorge, dass das, was war, wieder passieren könnte. Doch „bei all dem Schauen auf 1933 gibt es einen großen Unterschied. Wir haben den Vorsprung des historischen Wissens“, so Miriam Rürup. Es wird wichtig bleiben, diesen Vorsprung entschieden zu nutzen.

Tagung: "Antisemitismus in der Krise"

(© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bpb / bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid) (© bpb, bundesfoto / Laurin Schmid)

Fussnoten

Weitere Inhalte

Franziska Jostmeier studierte im Bachelor Politikwissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie im Master Comparative & Middle East Politics and Society (CMEPS) an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der American University Cairo. In beiden Anschlussarbeiten beschäftigte sie sich mit den politischen Entwicklungen im Irak am Fallbeispiel Sinjar. Franziska Jostmeier ist immer wieder als Autorin oder Bildredakteurin an Projekten der bpb beteiligt, zuletzt am Zeitbild „Protest. Deutschland 1949-2020” (Martin Langebach, 2021).

Jasper Kühl hat seinen Bachelor of Arts in Politikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen erworben und studiert nun den Master of Arts Studiengang Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. In seiner Bachelorarbeit beschäftigte er sich mit dem Israel-Bild in deutschen Leitmedien. Praktische Erfahrungen sammelte er im Landesbüro Niedersachsen der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie im Fachbereich Extremismus der Bundeszentrale für politische Bildung.