Mit traditionell nomadisch lebenden und wirtschaftenden Gruppen haben jene, die im Globalen Norden als postmoderne "Arbeitsnomaden" gelten, fast nichts gemeinsam. Verkürzt dargestellt, zählen letztere zu den Gewinnern, erstere zu den Verlierern einer globalisierten Welt und Wirtschaft. Die Privatisierung von Land entzieht vielen Nomaden althergebrachte Gewohnheitsrechte bei der Nutzung von Weideland; Klimawandel und Umweltzerstörungen engen den Lebens- und Wirtschaftsraum zusätzlich ein.
Öffentliche Verwaltungen und andere staatliche Autoritäten betrachten zudem die Nicht-Sesshaftigkeit permanent oder zyklisch umherziehender Gruppen seit der Frühen Neuzeit oft als rückständig und als Problem für deren bürokratische Erfassung. (Unkontrollierte) Mobilität stand und steht Vorstellungen effektiven Regierens häufig entgegen.
Jörg Gertel
Nomaden – Aufbrüche und Umbrüche in Zeiten neoliberaler Globalisierung
Der tiefgreifende Umbau der Weltwirtschaft hat die Lebenszusammenhänge von nomadischen Gruppen vielerorts aufgebrochen und radikal verändert. Ihre Handlungsspielräume werden besonders durch Privatisierung von Weiden, ordnungspolitische Zugangsbarrieren und Verknappung von Vermarktungschancen immer kleiner.
Ulrike Jureit
Herrschaft im kolonialen Raum: Territorialität als Ordnungsprinzip
Der koloniale Staat orientierte sich am europäischen Modell des territorialen Flächenstaates. Mobile Lebensformen galten in diesem Ordnungsentwurf, für den die bürokratische Erfassung der Bevölkerung in einem fest definierten Territorium konstitutiv war, als ungehorsam und potenziell widerständig.
Robert Kindler
Sesshaftmachung als Unterwerfung – Die kasachischen Nomaden im Stalinismus
Die Sesshaftmachung der kasachischen Nomaden war der Versuch des Sowjetstaates, die Bevölkerung der Steppe seiner Herrschaft zu unterwerfen. Das Resultat war eine Hungersnot, der mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Bis heute sind die Folgen dieser Katastrophe in Kasachstan zu spüren.
Ines Stolpe
Truly Nomadic? Die Mongolei im Wandel
In der Mongolei der Gegenwart hat weniger die real existierende mobile Weideviehwirtschaft als das Motiv eines mythischen "Nomadischen" Konjunktur. Der Beitrag behandelt Beziehungen zwischen räumlicher und sozialer Mobilität sowie politische Dimensionen kultureller Repräsentation.
Anna Lipphardt
Der Nomade als Theoriefigur, empirische Anrufung und Lifestyle-Emblem. Auf Spurensuche im Globalen Norden
Während sich die Lebensbedingungen für Hirtennomaden verschlechtert haben, entwickelte sich der "Nomadismus" im Globalen Norden zu einem wichtigen Referenzpunkt. Mit Blick auf privilegierte Mobilitäten in der EU ist es Zeit, sich von ihm als Projektionsfläche zu verabschieden.
Publikation zum Thema
APuZ - Jahresband 2015
Der APuZ-Jahresband 2015: Sämtliche Ausgaben der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" aus dem Jahr 2015.Weiter...