Getriebewechsel im europäischen Motor: Von "Merkozy" zu "Merkollande"?
Auswirkungen der Wahl Hollandes
Die Wahl François Hollandes zum siebten Präsidenten der V. Republik am 6. Mai 2012 hatte eine merkliche Abkühlung der deutsch-französischen Beziehungen zur Folge, die eine direkte Folge des engen Schulterschlusses von "Merkozy" im Wahlkampf und im Umgang mit der europäischen Staatsschuldenkrise war. Aufgrund der sozialistischen Parteiprogrammatik und als Gegenposition zum Wirtschaftskurs Sarkozys, den Merkel offen unterstützt hatte, legte sich Hollande vor seiner Wahl auf das Ziel einer Neuverhandlung des europäischen Fiskalpakts fest, der am 2. März 2012 unterzeichnet worden war. Außerdem trat er mit der Forderung nach einem substanziellen Wachstumspakt der EU-Partner auf. Die Gefahr einer Blockade der deutsch-französischen Beziehungen, die angesichts des weiterhin erforderlichen gemeinschaftlichen Krisenmanagements leicht zum fatalen Stagnationssignal in der Eurozone werden konnte, hatten folglich Merkel und Hollande mit der Festlegung auf einen potenziellen Kollisionskurs während des ersten Halbjahres 2012 zu gleichen Teilen zu verantworten.[15]Dadurch wurde ein negativer Effekt verstärkt, der als "innere Regel" der deutsch-französischen Beziehungen bezeichnet werden kann: Je enger und ergebnisreicher die Kooperation zwischen Präsident und Bundeskanzler(in) ist, desto schwieriger wird es für Neulinge im Élysée-Palast oder Kanzleramt, an das positive bilaterale Verhältnis der jeweiligen Vorgänger anzuknüpfen.
Dass Hollande nach seinen ersten EU-Gipfel-Erfahrungen im Mai und Juni 2012 die unrealistische Forderung der Neuverhandlung des Fiskalpakts zurücknahm und sich mit der formalen Realisierung seiner Forderung eines EU-Wachstumspakts zufrieden geben musste, führte auch zu keiner Besserung im Verhältnis zwischen Paris und Berlin. Während der ersten Monate der gemeinsamen Regierungszeit gab es keine nachhaltigen Anzeichen der Annäherung von Merkel und Hollande, obwohl die feierliche Eröffnung des deutsch-französischen Jahres im September 2012 in Ludwigsburg und etliche gemeinsame EU-Gipfel dazu Anlass geboten hätten.[16] Der Druck auf den französischen Präsidenten, sich von fast allen sozialpolitischen und steuerpolitischen Wahlversprechen zu distanzieren, um die fortgesetzte Haushaltsverschuldung und die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen zu stoppen, dämpfte dessen Bedürfnis nach einer engeren Koordinierung mit der Bundesregierung zusätzlich.
Das faktische Eingeständnis der Aussichtslosigkeit eines klassischen sozialistischen Wirtschaftsmodells, das Sarkozy – unterstützt von Merkel – im Präsidentschaftswahlkampf vorhergesagt hatte, verbaute bisher den Weg zur engen politischen Koordinierung zwischen Hollande und Merkel. Die tatsächliche Annäherung der inhaltlichen Positionen seit dem Sommer 2012 erleichterte zwar die Arbeitsbeziehungen zwischen deutschen und französischen Fachministern erheblich, die atmosphärische Störung zwischen Bundeskanzlerin und Präsident blieb davon jedoch weitgehend unberührt, wie auch die Divergenzen zur EU-Bankenunion im Oktober 2012 belegten.[17]
Fazit
Die festgestellte Abkühlung der deutsch-französischen Beziehungen unter Merkel und Hollande weist auf die Grenzen des Élysée-Vertrags mit den diversen Ergänzungsabkommen hin: De Gaulle und Adenauer ist es zweifellos gelungen, bis heute alle Nachfolger auf die Intensivierung des bilateralen Meinungsaustausches zu verpflichten. Die Qualität und politische Wirkung dieser Mechanismen hängt aber weiterhin alleine davon ab, ob die jeweiligen Führungspersonen in Paris und Berlin diese Form persönlich mit Leben füllen. Konvergenz oder gar Deckungsgleichheit der Interessen und Positionen ist hierfür nicht alleine ausschlaggebend. Das zum Ende der gemeinsamen Amtsjahre geradezu mystifizierte Paar "Merkozy" liefert hierfür den mustergültigen Beleg, wie der Überblick über die gemeinsamen Versuche der Krisenbewältigung zeigt. Die gemeinsame Führungsrolle in der EU der 27 war nur in den Themenfeldern zu erreichen, in denen beide die mühsame Kompromisssuche trotz erheblicher inhaltlicher und stilistischer Gegensätze engagiert betrieben (Vertragsreform, Finanzkrisen). In der Außen- und Sicherheitspolitik hatten die bilateralen Koordinierungsmängel dagegen einen wesentlichen Anteil an der Handlungsschwäche der EU (Mittelmeerunion, Georgien, "Arabischer Frühling").Die Bereitschaft zur deutsch-französischen Kompromisssuche war immer schon das entscheidende Momentum, um davon ausgehend im europäischen Rahmen ein Ziel gemeinsam erreichen zu können. Damit wird noch einmal das entscheidende Gewicht des europäischen Faktors für ein fruchtbares bilaterales Verhältnis zwischen Paris und Berlin deutlich, das auch über die Entwicklungsperspektive der Beziehungen zwischen Merkel und Hollande entscheiden wird. Kommt es bei der Zielformulierung auf europäischer Ebene nicht zum Kompromiss zwischen Bundeskanzlerin und Präsident, werden die bilateralen Beziehungen weiterhin von pragmatischer Kühle geprägt bleiben – "Merkollande" wäre dann eine unerreichbare Vorstellung.
Ein zuverlässiger und durchzugsstarker "europäischer Motor" wird aber angesichts der fortdauernden Rezession in weiten Teilen des Kontinents dringender denn je benötigt. Ohne funktionierendes "deutsch-französisches Getriebe" kann dieser jedoch nicht in Fahrt kommen.