Privatheit und Öffentlichkeit im digitalen Raum: Konflikt um die Reichweite sozialer Normen - Essay
Es ist eine neue Qualität sozialer Medien, hingeworfene Blitzgedanken und halbgare Halbsätze sichtbar zu machen, die zuvor zwischen Teeküche und Treppenhaus den Moment ihrer Aussprache nicht überdauerten."[1] Dieses Zitat aus einem Meinungsstück des Bloggers und Autors Sascha Lobo pointiert, worin der Quell jener Debatte liegt, der Personalverantwortliche, Juristinnen und Juristen, sogenannte Reputationsmanagerinnen und -manager sowie Journalistinnen und Journalisten aus den Karriereressorts von Sendern und Verlagshäusern mittlerweile ein gutes Auskommen verdanken und die abhängig Beschäftigte, Arbeitssuchende und vor allem junge Menschen vor dem Berufseinstieg verunsichert. Die Rede ist von den vermeintlich karriereschädlichen Nebenwirkungen einer privaten Betätigung im Internet und speziell den Social Media, jenen digitalen Netzwerken also, die mit den Flaggschiffen Facebook, Twitter und Youtube längst den Löwenanteil jener Zeit einnehmen, die Menschen durchschnittlich online verbringen.Vermessung eines Konfliktfeldes
Laut allfacebook.de sind derzeit 25 Millionen deutsche Nutzerinnen und Nutzer bei Facebook angemeldet. Somit verspricht schon allein dieses Netzwerk für Personalverantwortliche aus den Unternehmen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dort Informationen über Bewerberinnen und Bewerber zu finden, oder auch über die bereits beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So verwundert es nicht, dass etwa eine Befragung von "europäischen Führungskräften" aus der Technologiebranche im Frühjahr 2012 ergab, dass 40 Prozent der Befragten die Social-Media-Profile ihrer Bewerber durchleuchten und es in einem Fünftel der Unternehmen bereits Absagen an Bewerber aufgrund deren Aktivitäten in den sozialen Netzwerken gab.[2] Zwar kam eine andere Umfrage unter deutschen "Fach- und Führungskräften" zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent aller Befragten in Bewerbungsverfahren noch nie mit ihren Spuren aus dem Internet konfrontiert wurden,[3] dennoch stehen diese Ergebnisse nicht zwingend im Widerspruch zueinander, dürften doch bereits etablierte Führungskräfte deutlich seltener nachteilhafte Spuren im Internet hinterlassen als Berufseinsteiger. Zudem ist anzunehmen, dass die Unternehmen jene Bewerberinnen und Bewerber, die im Internet negativ aufgefallen sind, in den wenigsten Fällen überhaupt zu einem Gespräch einladen. Somit erfahren die Gescheiterten wohl nur selten überhaupt davon, dass ihnen ihre "Internetvergangenheit" zum Verhängnis wurde.Die Sorge von Beschäftigten und vor allem von Arbeitssuchenden vor solchen Fallstricken hat sich zur fruchtbaren Geschäftsgrundlage für eine wachsende Zahl von sogenannten Online-Reputationsmanagern entwickelt. Sie versprechen ihrer Kundschaft, all jene Spuren aus dem Internet zu tilgen, die ein schlechtes Licht auf sie werfen könnten.
Vom Standpunkt des Arbeitsrechts aus lässt sich ganz grundsätzlich zwischen "berufsorientierten Netzwerken und (…) freizeitorientierten Netzwerken" unterscheiden, da "letztere eine Recherche durch ihre AGB verbieten".[4] Jene Daten aus den Social Media, die für den Arbeitgeber über eine Suchmaschinenrecherche auffindbar sind, ohne dass er sich in das jeweilige Netzwerk als Mitglied einloggen muss, sind nach derzeitiger Rechtsauslegung frei verwendbar. Hingegen dürfen Daten, die nur für Mitglieder einsehbar sind, vom Arbeitgeber ausschließlich in berufsorientierten Netzwerken gesammelt werden. Zwar bestehen hinsichtlich der Frage, wo für Arbeitgeber die juristischen Grenzen ihrer Neugier liegen, derzeit erhebliche Unklarheiten, und eine eindeutige Regelung, welche Daten Arbeitgeber im Internet sammeln und verwerten dürfen, steht bislang noch aus. Doch wird angesichts des mittlerweile wohl als gescheitert anzusehenden Gesetzgebungsprozesses für das geplante Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes der unklare Status quo bis auf Weiteres fortbestehen.
Ein Blick in die USA zeigt ein noch viel dramatischeres Bild. Dort scheiterte jüngst ein Gesetzesvorhaben im Kongress, welches Beschäftigten das Recht zusprechen sollte, die Zugangsdaten für ihre Social-Media-Profile vor ihren Arbeitgebern geheim zu halten.[5] Das Vorhaben richtete sich gegen die in den USA mittlerweile gängige Praxis von Arbeitgebern, bei Bewerbungsgesprächen Zugang zu den vertraulichen Profilen der Bewerberinnen und Bewerber zu verlangen. Das Problem ist derart akut, dass Facebook im März 2012 selbst deutlich dazu Stellung bezog: "We’ll take action to protect the privacy and security of our users, whether by engaging policymakers or, where appropriate, by initiating legal action, including by shutting down applications that abuse their privileges."[6]
Angesichts dieser Situation jenseits des Atlantiks erscheint die Debatte in Deutschland geradezu harmlos. Jedoch sprechen die genannten Zahlen dafür, dass sich – in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach überdeckt von anderen Datenschutzdebatten – hier ein Problem ausgewachsen hat, das intensiver diskutiert werden sollte. Als Patentlösung gegen den "Jobkiller Facebook" gilt die Stärkung von Medienkompetenz vor allem junger Nutzerinnen und Nutzer.[7] Allerdings bleibt fraglich, ob dies allein die adäquate Antwort auf jene Herausforderungen sein kann, welche sich durch die neuen Formen der Selbstdarstellung im Internet ergeben – qualifiziert Medienkompetenz doch in erster Linie dazu, verfängliche Spuren zu vermeiden und gegenüber der Internetöffentlichkeit möglichst unbemerkt und anonym zu bleiben. Auch das Online-Reputationsmanagement beschränkt sich auf das Löschen, Verwischen und Vermeiden bestimmter Spuren der digitalen Selbstentfaltung.
Die Frage, die viel zu selten gestellt wird, lautet: Bis zu welchem Grad akzeptieren wir Einschränkungen unserer persönlichen Entfaltung im Internet durch Arbeitgeber oder andere gesellschaftliche Akteure? Wo beginnt die persönliche Freiheit des Einzelnen hinsichtlich seiner Selbstinszenierung im digitalen Raum, und wo endet sie?