Wie können Comics politisch sein?
Politische Ästhetiken des Comics
Comics in der Politik und Politik in Comics gibt es also in großer Menge. Es lohnt sich dabei jeweils, nicht nur die expliziten Themen und Plädoyers, sondern auch die ästhetischen Besonderheiten eines randständigen, karikierenden Mediums in den Blick zu nehmen.Comics spielen ein kompliziertes Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Sagbarkeit und Unsagbarkeit. Sie zeigen uns, wovon sie sprechen: Aber oft sagen sie uns nicht, wie das aussieht, was sie zeigen. So lässt sich nicht beantworten, ob Donald und Dagobert Enten sind oder Menschen, die nur als Enten gezeichnet werden – worauf der Duck-Künstler Don Rosa immer wieder besteht. Wir können nicht sagen, wie sehr sich Superman als Superman und Clark Kent ähneln, weil wir ihre Abbilder nur als Cartoons haben. Wie groß ist Charlie Browns Kopf? Wie rund ist Asterix’ Nase? Und haben Superhelden blaue Flecken, wo sie von Fäusten und Atomraketen getroffen wurden?
Diese Spielereien erweisen sich in der politischen Ästhetik der Comics als alles andere als harmlos. Art Spiegelmans "MAUS" legt seinem Personal eine scheinbar einfache Metapher zugrunde: Juden werden als anthropomorphisierte Mäuse, Deutsche als Katzen, Amerikaner als Hunde gezeichnet. Auf der Oberfläche scheint der Comic damit die rassistische Weltsicht der Mörder zu übernehmen, auch wenn er Partei für die gejagten Mäuse ergreift.

Quelle: J. Michael Straczynski/ John Romita Jr., Amazing Spider-Man, Nr. 2.36, 2001, S. 9 (Ausschnitt).
Dies gilt jedoch nicht nur für Spiegelmans Avantgarde, sondern auch für die Aufnahme von Politik in den Comicmainstream. Auch hier wird mit der verzerrten Wahrnehmung von Comics, den Verschiebungen des Sagbaren und Sichtbaren, gearbeitet: "You cannot hear us for the cries, but we are here." lesen wir im Blockkasten eines Markropanels aus der berühmten "Black Issue" von "Amazing Spider-Man" aus dem Dezember 2001 (Abbildung 2).[12]
John Romita Jr. zeichnet hier die Zerstörung der Anschläge vom 11. September 2001. Spider-Man ist genau dort zu sehen, wo er eben nicht zu sehen war: Bei Rettungs- und Aufräumarbeiten inmitten der zerstörten Türme des World Trade Centers. Joe Michael Straczynskis Text zu dem Bild versichert uns, er wäre auch zu hören gewesen, wenn er nicht – eben nicht zu hören gewesen wäre. Das Sichtbare und das Sagbare werden verschoben: Die sinnliche Gegenwart am Ort eines Geschehens, die Spider-Man für sich in Anspruch nimmt, findet nur in diesem Zwischenraum statt, in dem auch die klare Rollenverteilung der Superhelden ("we") und der bürgerlichen Normalität ("you") fixiert, aber im selben Moment auf ihn beschränkt ist. Die Bilder der Zerstörung und das Pathos der Sprache vom 11. September nimmt sich dieser Comic aus den allgegenwärtigen politischen Diskursen, die um dieses Ereignis kreisen. Er gibt ihnen dafür seine Bilder und seine Wörter zurück. Die "Black Issue" bleibt mit ihrer ästhetischen Inszenierung einer doppelbödigen Sinneswahrnehmung auf dem Zaun sitzen: Sie rührt nur an die eigentliche Politik, ohne sie ins Bild zu bringen oder gar verändern zu wollen, und beschwört die Sicherheit gerade ihrer Fiktionen von Macht und Ordnung, die jenseits der Möglichkeiten sinnlicher Wahrnehmung angedeutet und so eben doch in Bild und Wort präsentiert werden.
Acht Jahre später wird diese Balance mit einem deutlichen Signal als abgeschlossen markiert, das eine neue Politik erlaubt: In der Nummer 614 von "Amazing Spider-Man" schreibt Mark Waid und zeichnet Paul Azaceta im November 2009 die Zerstörung des "Daily Bugle", einer fiktiven Zeitung im halbfiktiven New York der Marvel-Comics, als Zusammenbruch zweier Wolkenkratzer auf Manhattan (Abbildung 3), die weiteren Bilder zitieren die "Black Issue" direkt.[13] Das Pathos der Politik ist dem alltäglichen Pathos der Zerstörungswut in Superheldencomics gewichen, und diese hat sich das Bildmotiv des 11. Septembers schließlich völlig angeeignet. Das macht zwar keine Politik, weil es die Politik erst recht in Ruhe lässt; die Bilder der Tagespolitik aber bringt es in Unruhe. Weil es ganz ohne eine solche Unruhe und Aneignung in Comics vielleicht nicht geht, weil Comics also in diesem Sinne immer auch eine Form der appropriation art sind,[14] eignet ihnen ein grundlegendes widerständiges oder subversives Potenzial. Selbst und vielleicht sogar gerade in dem superheldentypischen Bild von 2009 wäre dann ein politisches Moment den Comics eigen.
Diese Möglichkeit einer generellen oder generell zur Verfügung stehenden politischen Ästhetik des Comics, ihre Perspektiven und Grenzen sowie die Fragen nach der Gefahr, tatsächliche politische Inhalte damit zu nivellieren, und nach der Gefährlichkeit, die jeder einzelnen Lektüre damit zurückgegeben werden könnte, gilt es zu verhandeln, wenn von Comics und Politik die Rede sein soll.