Zu Struktur und Stabilität von medialen Seuchendiskursen
Vom Superlativ zum Kollektivsubjekt
In den für diesen Beitrag untersuchten Medien herrscht Einigkeit, dass Ebola eine Gefahr nicht nur für (West-)Afrika, sondern für die ganze Welt bedeutet. Das Magazin "Der Spiegel" titelte am 22. September 2014: "Ebola – Die entfesselte Seuche" und berichtete über die "apokalyptischen Zustände" in Westafrika, die eine "Gefahr für den Weltfrieden" bedeuten. Für die Beurteilung des Seuchengeschehens als weltweite Gefahr wurde dabei immer wieder ein und derselbe Grund genannt: Die Ebolafieberepidemie, die 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern ausbrach, gilt nach der Zahl der erfassten Erkrankungen und Todesfälle als bisher größte ihrer Art. Die Äußerung der WHO, dass es sich bei diesem Ausbruch um den "größten Ausbruch aller Zeiten" handele, wird von zahlreichen Beiträgen zitiert. Die mediale Realität sui generis zeigt sich besonders in der argumentativen Funktion, die dieser Superlativ im Diskurs erhält.Das in der Superlativform stehende Adjektiv "größte" bringt im Diskurs über die Ebola-Epidemie mehr zum Ausdruck als den bloßen quantitativen Vergleich verschiedener Ausbrüche. Bezeichnungen solcher Art sind Träger einer Implikation, die im Rahmen des Diskurses ihre spezifische Wirkung entfaltet. Mit der Superlativform "größte" wird das Ebolageschehen auf eine bisher neue Stufe gehoben. Diese neue Dimension ist es, die aus der Betroffenheit Westafrikas eine weltweite Betroffenheit macht – unabhängig davon, ob die Bevölkerungen außerhalb Westafrikas tatsächlich einer Ansteckungs- und Todesgefahr ausgesetzt sind. Epidemien stellen in Seuchendiskursen nie nur lokal verortbare Phänomene dar, sondern konstituieren immer auch zugleich ein weltweit existierendes, abstrakt betroffenes Kollektivsubjekt, das der Epidemie zwar nicht wirklich ausgesetzt, aber von ihr "bedroht" ist.
Konstitution von Ungewissheit
Gerade für die Plausibilität der diskursiv erzeugten "Bedrohungslage" ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil eines jeden Seuchendiskurses entscheidend: das Spannungsverhältnis Nichtwissen – Wissen – Ungewissheit. Hierbei handelt es sich nicht einfach nur um eine Feststellung, dass Wissenschaftler und Fachleute nicht vorhersehen können, ob und wie sich das Virus verbreitet oder ob und wann ein Impfstoff gegen Ebola entwickelt werden kann. Viele Fragen sind nicht einfach nur offen und müssen noch erforscht werden. Mit der herrschenden Thematisierung von Nichtwissen und Ungewissheit wird vielmehr das Bild einer "theoretischen Machtlosigkeit" in für uns wichtigen Fragen entworfen, mit der es irgendwie, womöglich dauerhaft, zu leben gelte und mit der ein Umgang gefunden werden müsse. "Die entscheidende Frage für uns ist doch: Kommt diese Epidemie überhaupt hierher? Darauf gibt es aber keine akuten Hinweise. (…) Man muss auch mit Ungewissheit umgehen können, also heuristisches Denken beherrschen. Wir wissen nicht, wie sich die Ebola-Seuche entwickeln wird."[6]Ein für mediale Seuchendiskurse typisches Phänomen besteht darin, den Gegenstand vor allem anhand der offenen Fragen zu thematisieren. Rein theoretisch wäre es ja möglich, all das zu thematisieren, was zumindest im engeren Zirkel der Epidemiologen als "sicheres Wissen" gilt. Es passiert jedoch genau das Umgekehrte: Den Rezipienten werden die Antworten auf die "wichtigsten Fragen" zu Ebola versprochen – und damit werden ihnen diese Fragen sozusagen erst in den Mund gelegt. Zu diesen gehören eben vor allem jene, auf die zum derzeitigen Zeitpunkt nur negative beziehungsweise relativierende Antworten gegeben werden können. Die Frage, ob es einen Impfstoff gebe, wird und muss verneint werden. Die andere "wichtigste" Frage, ob für Deutschland Gefahr bestehe, kann nur relativ verneint werden: "Unwahrscheinlich", aber "nicht unmöglich", heißt es in den Antworten.[7]
Inszenierung verheerender Folgen und Zukunftsszenarien
Trotz vieler im Diskurs explizit gestellter und dennoch offener Fragen wird so etwas wie Gewissheit konstituiert – die wiederum oft eine negative ist. Ein häufig aufgegriffenes Element in Seuchendiskursen ist die Gewissheit über die Gefährlichkeit katastrophaler Zukunftsentwicklung. Prognosen werden erstellt, die ausgerechnet haben, wie viel Tausende durch eine Ansteckung zukünftig in Lebensgefahr sein könnten: "Die Ebola-Epidemie hat ungekannte Ausmaße erreicht. Wie wird sie sich weiterentwickeln? Was droht in den nächsten Monaten? (…) Zudem zeichnet die WHO ein düsteres Zukunftsszenario: Mittelfristig sei es möglich, dass Ebola in der Bevölkerung von Westafrika endemisch werde, also in der Region dauerhaft auftrete."[8]Ebenso wie solche "düsteren Zukunftsszenarien" finden sich im Diskurs Anspielungen auf fiktive Welten. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper beschreibt die massenkulturelle Grundierung der Erzählmuster, deren Bilder denen im Kino auffallend gleichen.[9] So hat der Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen 1995 in seinem Film "Outbreak" eine Ebola-Epidemie verarbeitet. Ob tatsächlich bei allen, bei der Mehrheit oder auch nur bei einer relevanten Minderheit der Rezipienten die Erinnerung an solche fiktiven Welten präsent waren und sind, ist dabei für die diskursive Rolle, die solche Bilder spielen, unerheblich – solche "Anspielungen" funktionieren nämlich sehr oft auch in umgekehrter Richtung: Durch den Verweis auf diese Bilder werden diese unter Umständen erst zu dem gemeinsamen Bildervorrat, das heißt zu dem Reservoir "gemeinsamer Erinnerungen" an Zustände der Katastrophen- beziehungsweise Existenzangst, auf die sich der Diskurs dann wie auf eine von ihm getrennte, ihm vorgängige Sache beziehen kann. Wenn zum Beispiel allen Schilderungen des Seuchengeschehens das Prädikat "wie im Horrorfilm"[10] hinzugefügt wird, muss der einzelne Rezipient noch nie einen Horrorfilm gesehen haben. Der Vergleich geht bei ihm in umgekehrter Richtung vonstatten, das heißt, er überträgt die Bilder des Seuchengeschehens auf seine Vorstellung von Horrorfilmen, über die er auf jeden Fall sicher und sich darin einig mit allen anderen weiß, dass die Kategorie "Horrorfilm" für das Äußerste an Grausamkeit steht. So schafft der Diskurs selbst die geteilten Voraussetzungen, Grundannahmen und kollektiven Bilder, auf die er anschließend Bezug nimmt, die er in den Zusammenhang mit dem aktuellen Seuchengeschehen bringt und entsprechend deutet: beispielsweise "so, wie es in Zukunft bei Ebola" aussehen könnte.
Inszenierung eines Kampfes gegen Ebola
Innerhalb der zitierten, aktualisierten und diskursiv kollektivierten Fiktionen und damit auch im medialen Diskurs selbst wird in aller Regel die Metaphorik des Krieges umfassend ausbuchstabiert: Erstes entscheidendes Moment ist die diskursive Moralisierung des Seuchenphänomens. Die bereits in zahlreichen Studien analysierte moralische Dimension der Seuche zeigt sich auch im Diskurs zur Ebola-Epidemie.[11] Der (seuchen)medizinische Umgang mit dem Virus wird in zahlreichen Texten in den Kategorien von "Gut" und "Böse" beziehungsweise des Kampfes zwischen diesen beiden Seiten besprochen. Das oben bereits erwähnte globale Kollektivsubjekt werde durch das "gefährliche" Virus bedroht.[12] Es befinde sich im "Abwehrkampf"[13] gegen ein tödliches "Killervirus".[14] Die "Unsichtbarkeit" des Virus und seine "Unberechenbarkeit" lassen sich, sofern als Feind gedacht, als Ergebnisse der Bösartigkeit und Böswilligkeit des Virus deuten. Alle Varianten einer teils kriminologischen und teils bellizistischen Sprache sowie deren Wort- und Bildervorrat aus der Welt des Verbrechens, des bewaffneten Kampfes bis hin zum Krieg unterstützen diese Vorstellung.Die für den Diskurs konstitutive Angsterzeugung funktioniert hier mittels einer eindeutig martialischen Sprache, die die Rezipienten in ein bereits laufendes, in mehr oder weniger direkter Nähe zu ihm stattfindendes "Kriegsgeschehen" versetzt. Diese "Kriegsberichterstattung" ist per se nicht "neutral"; das Geschehen, so wie es gezeichnet wird, verlangt geradezu eine eindeutig parteiliche Sicht und ist ohne sie nicht zu denken. Die eigene Seite führt in aller Regel einen "Kampf", ist auf der "Jagd",[15] mitunter eben auch im "Krieg". Der Gegenseite bleibt es vorbehalten, nicht einfach zu "töten",[16] sondern sie "wütet",[17] "rafft hin"[18] und sorgt in ihrer Raserei für "verheerende Folgen".[19] Dabei ist das Virus nicht nur moralisch böse, es ist in seiner Bösartigkeit auch maßlos: Es ist in der Lage "uns alle hinzuraffen",[20] es ist schlicht ein "Massenmörder".[21]