Schule ohne Diskriminierung: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat 2013 den Bericht "Diskriminierung im Bildungsbereich und Arbeitsleben" vorgestellt.[1] Ergebnis: Das Risiko, an Schulen diskriminiert zu werden, ist beträchtlich.[2] Seit der Veröffentlichung des Berichts hat sich in Deutschland einiges getan. Ein ermutigendes Zeichen sind etwa die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz der Länder zur "Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule" vom Dezember 2013.[3] Darin heißt es, dass Schulen aktiv gegen die Diskriminierung einzelner Personen und Personengruppen eintreten und strukturelle Diskriminierungen abbauen sollen. Im März 2015 unterzeichnete die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen in ihrer Funktion als Bundesratsbeauftragte zusammen mit ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen in Paris eine Erklärung zur Bekämpfung von Intoleranz, Diskriminierung und Radikalisierung in der Schule.[4] Darüber hinaus haben sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene neue Netzwerke und Projekte etabliert, die sich mit unterschiedlichen Facetten von Diskriminierung an der Schule auseinandersetzen.[5]Spricht man aber mit Schülerinnen, Schülern und Eltern über Diskriminierung, so scheint das Thema in der Praxis – trotz all dieser Bemühungen – noch kaum an den Schulen angekommen zu sein. Weiterhin erreichen die ADS sowie andere staatliche und nichtstaatliche Antidiskriminierungsberatungen eine Vielzahl von Beschwerden zu Diskriminierung im Schulleben.
Gesellschaftliche Vielfalt ist Realität in Klassenzimmern: 2014 hatte fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen im Alter bis 20 Jahre einen Migrationshintergrund.[6] Jedes dritte Kind mit Förderbedarf besuchte im Schuljahr 2013/14 eine Regelschule,[7] Tendenz steigend. Angesichts der aktuellen Herausforderungen der Beschulung von Flüchtlingskindern ist es notwendiger denn je, sich dem Thema Diskriminierung zu stellen. Schulen als Ort der Wissensvermittlung, der Persönlichkeitsentfaltung und der Berufsvorbereitung haben die Aufgabe, die Themen Vielfalt und (Anti-)Diskriminierung in Unterricht und Schulleben einzubeziehen und für sie zu sensibilisieren. Als Ort der Kommunikation und Begegnung tragen Schulen auch Verantwortung dafür, Diskriminierung im Umgang miteinander abzubauen, Betroffene zu unterstützen und diskriminierendes Verhalten gegebenenfalls zu sanktionieren.
Handlung mit Folgen: Auswirkungen von Diskriminierung
Untersuchungen belegen, dass Diskriminierung den Lernerfolg negativ beeinflusst. Dabei sind subtile Diskriminierungen in ihren Auswirkungen mitunter genauso schlimm wie gewalttätige Diskriminierungserfahrungen.[8] Schülerinnen und Schüler können durch Benachteiligungen Stress ausgesetzt sein. Dieser Stress kann zu psychischen Belastungen führen, die sich wiederum auf die Gesundheit auswirken.[9] Solche Diskriminierungen führen in einen Teufelskreis, wie der Psychologe Haci-Halil Uslucan in einer interkulturell vergleichenden Studie unter türkeistämmigen Jugendlichen darlegt. Gesundheitliche Probleme, die durch rassistische Diskriminierung entstehen können, erschweren die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und somit die Integration. Zugleich senken Diskriminierungserfahrungen die Integrationsbereitschaft und können Reethnisierungsprozesse auslösen.[10]Häufige Konsequenz von Diskriminierungserfahrungen ist der Wechsel der Schule. Für Betroffene ist das oft die einzige Möglichkeit, sich dauerhaft der Diskriminierung zu entziehen, insbesondere wenn es keine ausreichenden Möglichkeiten zur Beschwerde und Intervention gibt. Diskriminierung schadet dabei nicht den Betroffenen allein: Es hat auch Auswirkungen auf das Schulklima, wenn Mitschülerinnen und -schüler erleben, dass Einzelne nicht ausreichend unterstützt und Benachteiligungen geduldet werden.
Zugang und Übergang: Vielfältige Risiken
Wenn wir von Diskriminierungsrisiken in den Schulen sprechen, geht es nicht allein um rassistische, homophobe oder behindertenfeindliche Pöbeleien auf dem Schulhof und im Klassenzimmer, sondern auch um fehlende Chancengleichheit und unzureichende Förderung von Kindern, die nicht der "Norm" entsprechen. Dabei kommt es auch beim Zugang und beim Übergang zur weiterführenden Schule zu Diskriminierung.Einige Beispiele: Das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Regelschule wird für Kinder ohne Aufenthaltsstatus bisher nicht ausreichend umgesetzt. So fehlt es in vielen Ländern an einer ausdrücklichen Schulpflicht für diese Kinder. Einige haben in ihren Schulgesetzen immerhin ein Schulbesuchsrecht formuliert, in anderen gibt es jedoch bisher weder das eine noch das andere. Hier bedarf es einer rechtlichen Gleichstellung.[11] Kinder von Geflüchteten müssen zudem trotz eines Rechts auf Bildung zum Teil mehrere Monate auf einen Platz in einer Willkommensklasse warten.[12]
Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf profitieren in der Praxis noch nicht mehrheitlich davon, dass Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat und damit einen mit Rechtscharakter ausgestatteten Anspruch auf lebenslange, qualitativ hochwertige inklusive Bildung gewährt (Artikel 24). Obwohl die Eltern es anders wünschen, besuchen 68,6 Prozent dieser Kinder noch immer eine Förderschule.[13]
Kinder mit Migrationshintergrund und geringen Deutschkenntnissen werden, wie verschiedene Studien zeigen, häufig an Förderschulen überwiesen, wo sie vermeintlich besser aufgehoben sind.[14] Dem widersprechen Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass Förderschulen weniger spezifische Unterstützung für Kinder mit Migrationshintergrund vorhalten als Regelschulen.[15] Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind ebenso betroffen von der schulischen Segregation. Eine Untersuchung des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigt für Berlin, dass jede fünfte der untersuchten Grundschulen einen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund hat, der mehr als doppelt so hoch ist wie der Anteil an diesen Kindern im entsprechenden Schulbezirk.[16] Dies kann als Beleg gesehen werden, dass die Segregation durch die Schulwahl der Eltern noch aktiv verstärkt wird. Obwohl ein hoher Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund an sich nicht problematisch sein muss, zeigt die Praxis, dass dies dennoch das Lernklima und die Lernbedingungen an der Schule negativ beeinflusst[17] und somit die Bildungschancen dieser Kinder nachhaltig verschlechtert werden.
Auch der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule birgt verschiedene Diskriminierungsrisiken. Studien zeigen,[18] dass trotz gleicher Leistungen die Wahrscheinlichkeit einer Gymnasialempfehlung für Kinder, deren Eltern einen Migrationshintergrund und/oder einen "niedrigen sozialen Status" haben, deutlich sinkt.[19] Dies liegt auch daran, dass das Lehrpersonal die Fähigkeit dieser Familien, ihr Kind zu unterstützen, oft pauschal als schwächer einschätzt.[20] Stünden ausreichende Unterstützungsangebote auch Kindern aus ressourcenärmeren Familien zur Verfügung, müssten weder Eltern noch Lehrkräfte solche meist vorurteilsbehafteten Prognosen anstellen. Kindern mit Förderbedarf schließlich, die eine inklusive Grundschule besuchen, wird oft nicht die Möglichkeit gewährt, diesen inklusiven Unterricht an einem Gymnasium oder einer Realschule fortzuführen, da Inklusion mehrheitlich noch an Haupt- und Gesamtschulen stattfindet.[21]