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Ungleichheiten und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt | Antidiskriminierung | bpb.de

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Ungleichheiten und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

Lena Hipp

/ 16 Minuten zu lesen

Die Wahrscheinlichkeit, einen Job zu finden, in eine Führungsposition aufzusteigen und viel Geld zu verdienen, variiert stark zwischen verschiedenen Gruppen. Nicht alle Ungleichheiten sind auf Diskriminierung zurückzuführen.

Arbeitsmarktchancen in Deutschland sind ungleich verteilt. Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer und sind in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft noch immer deutlich unterrepräsentiert. Die Vorstandsetagen sind zu 97 Prozent mit Männern besetzt, Aufsichtsräte mit 90 Prozent und mittlere Managementpositionen mit rund 85 Prozent. Obschon der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bei rund 20 Prozent liegt, haben mehr als ein Drittel (36 Prozent) der arbeitslos gemeldeten Menschen und nur 10 Prozent der Personen in Führungspositionen einen Migrationshintergrund. Menschen mit Schwerbehinderung gelingt es selten, eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen, und die Gruppe der über 50-Jährigen weist den höchsten Anteil an Arbeitslosen beziehungsweise Inaktiven aller Altersgruppen auf. Daten zum Zusammenhang zwischen Arbeitsmarkterfolg und sexueller Identität sowie Religionszugehörigkeit sind bislang kaum verfügbar. Für die Gruppe der Transsexuellen ist bekannt, dass sie überproportional häufig arm und nicht-qualifikationsadäquat beschäftigt ist; und es scheint so zu sein, dass es Muslime in Deutschland schwerer haben, einen Job zu finden, als andere.

Woran liegt das? Werden diese Gruppen trotz des vor zehn Jahren eingeführten gesetzlichen Gebots zur Gleichbehandlung im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) – umgangssprachlich unter dem Namen "Antidiskriminierungsgesetz" bekannt – diskriminiert, oder gibt es andere Ursachen für diese Ungleichheiten und Benachteiligungen?

Diskriminierung oder gerechtfertigte Ungleichheiten?

Diskriminierung wird gemeinhin als eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen definiert. Ob jemand eingestellt wird, wer in eine Führungsposition gelangt und wie gut oder schlecht jemand bezahlt wird, sollte lediglich eine Konsequenz der individuellen Qualifikationen, Fähigkeiten und Anstrengungen sein und nicht von Eigenschaften abhängen, die irrelevant für den unternehmerischen Erfolg sind – wie Geschlecht oder Hautfarbe. Geschieht dies dennoch, so liegt ein Fall von Diskriminierung vor, gegen den im Rahmen des AGG rechtlich vorgegangen werden kann.

Jedoch ist der Nachweis darüber, ob es sich um eine Diskriminierung oder eine berechtigte Ungleichbehandlung handelt, nicht leicht zu erbringen. Selbst im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten ist Diskriminierung schwer nachzuweisen. Denn mit Ausnahme experimenteller Studien können Forscherinnen und Forscher auch nach statistischer Kontrolle relevanter Merkmale nur vermuten, dass Arbeitsmarktnachteile bestimmter demografischer Gruppen auf ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zurückzuführen sind. Ein Beweis ist jedoch kaum zu führen, da Eigenschaften wie Motivation, Engagement oder bestimmte kognitive und soziale Kompetenzen schwer beziehungsweise nicht erfassbar sind. Wird die junge Kollegin deshalb nicht befördert, weil sie in den nächsten Jahren ein Kind bekommen könnte, oder hat sich der gleichaltrige Kollege durch mehr Engagement ausgezeichnet? Kommt ein Bewerber deshalb nicht zum Zuge, weil er bekennender Muslim ist, oder verfügen seine Konkurrenten über andere Fähigkeiten und Kenntnisse, die im Unternehmen gebraucht werden?

Fest steht, dass zumindest ein Teil der eingangs beschriebenen Arbeitsmarktungleichheiten auf Produktivitätsunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen – insbesondere Unterschiede in Qualifikation, Berufserfahrung und Berufswahl – zurückzuführen ist. Jedoch bestehen die oben genannten Ungleichheiten auch dann fort, wenn alle relevanten Faktoren einbezogen und diese statistisch "kontrolliert" werden. Diese "unerklärte Varianz" – also der Anteil an Benachteiligung, der anhand messbarer Faktoren nicht erklärt werden kann und sich in Abhängigkeit von Analysestrategien und Annahmen mitunter stark unterscheidet – wird in der Regel der unfairen Behandlung durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zugeschrieben und als Diskriminierung gewertet.

Warum sollte Diskriminierung verhindert werden?

Diskriminierung "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" muss laut Paragraf 1 AGG verhindert und beseitigt werden. Mit der Einführung des Gesetzes wurde der Schutzauftrag aus Artikel 3 Grundgesetz auf die Privatwirtschaft ausgeweitet. Seither gilt, dass alle Arbeitssuchenden, Auszubildenden und Beschäftigten aufgrund der im Gesetz aufgeführten Merkmale weder unmittelbar noch mittelbar durch scheinbar neutrale Vorgaben benachteiligt werden dürfen.

Diskriminierung zu bekämpfen und zu reduzieren ist aber nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit und Konsequenz rechtlicher Vorgaben, sondern empfiehlt sich auch aus ökonomischen Gründen. So geht etwa der Ökonom Milton Friedman davon aus, dass Unternehmen, die nicht diskriminieren, wirtschaftlich im Vorteil sind. Wenn Personen aufgrund von Merkmalen, die irrelevant für die Qualität der Arbeit sind, einen Job bekommen oder in eine Führungsposition aufsteigen beziehungsweise wenn manche Beschäftigte unabhängig von ihren tatsächlichen Leistungen höhere Löhne gezahlt bekommen als andere, dann führt dies zu wirtschaftlichen Ineffizienzen. Neuere Forschung zeigt außerdem, dass insbesondere demografisch "bunt" zusammengesetzte Teams bessere und kreativere Lösungen erarbeiten, wenn sich alle Beteiligten unabhängig von Geschlecht oder anderen Merkmalen willkommen und geachtet fühlen.

Nicht zuletzt gehen ungerechtfertigte Benachteiligungen für die Betroffenen sowohl mit ökonomischen Nachteilen als auch psychischen Belastungen einher. Auch können sie bei Beschäftigten innerhalb eines Unternehmens zu Unmut, geringerer Arbeitszufriedenheit und -motivation sowie zu häufigerem Stellenwechsel führen.

Warum kommt es zu Diskriminierung?

Um zu verstehen, warum es trotz gesetzlicher Vorgaben, moralischer Gründe und wirtschaftlicher Überlegungen dennoch zu Diskriminierung kommen kann, ist es zunächst wichtig, deren Ursachen zu kennen. Sowohl die Ökonomie, die Soziologie als auch die Sozialpsychologie haben sich umfassend mit dem Thema Diskriminierung befasst und versucht, diese aus dem jeweiligen disziplinären Blickwinkel zu erklären. Basierend auf diesen Erkenntnissen lassen sich fünf, sich zum Teil überschneidende und nicht immer trennscharfe, mögliche Erklärungen für Diskriminierung identifizieren.

Diskriminierungsneigung.

Die wohl älteste Erklärung dafür, warum manche Personengruppen unberechtigterweise Nachteile auf dem Arbeitsmarkt erfahren, ist Gary Beckers taste for discrimination: Mitglieder bestimmter demografischer oder sozialer Gruppen werden deshalb benachteiligt, weil Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber diese Gruppen nicht beziehungsweise andere "lieber mögen". Bevorzugt werden meist die Personen, die einem ähnlich sind. So kann es auch unbewusst zu einer Benachteiligung bestimmter Gruppen kommen. Aufgrund der Tatsache, dass unbewusste Verhaltensweisen veränderungsresistent und Frauen oder Mitglieder von Minderheiten seltener in der Position sind, über die Einstellung, die Beförderung oder das Gehalt anderer zu entscheiden, ist es mitunter besonders schwer, gegen solche Diskriminierungsneigungen anzukommen.

Statistische Diskriminierung.

Eine weitere Erklärung ist das Konzept der statistischen Diskriminierung. Aufgrund der Tatsache, dass zum Beispiel aufgrund körperlicher oder auch anderer Einschränkungen Produktivitätsunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen vorliegen können, Personalverantwortliche vorab aber nicht wissen können, wie produktiv eine (potenzielle) Mitarbeiterin oder ein (potenzieller) Mitarbeiter tatsächlich sein wird, entscheiden sie möglicherweise anhand sozio-demografischer Merkmale, ob jemand eingestellt, befördert oder entlassen wird beziehungsweise wieviel Geld jemand verdient. "Statistisch" wird diese Form der Diskriminierung deshalb genannt, weil entweder die angenommene, durchschnittliche Produktivität oder die Varianz in der Produktivität bestimmter Gruppen als Entscheidungsgrundlage verwendet wird – ganz unabhängig davon, wie produktiv die einzelne Person tatsächlich ist und welche Ausfallzeiten sie tatsächlich hat.

Statusbasierte Diskriminierung.

Da aber auch Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wenig Wissen über Mittelwerte und Varianzen bezüglich der Produktivität bestimmter demografischer Gruppen haben und diese Daten in der Regel nicht vorliegen, können sie beispielsweise nicht sicher wissen, ob Menschen mit Migrationshintergrund bei gleicher formaler Qualifikation im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund produktiver, zuverlässiger oder engagierter sind. Aus diesem Grund werden Entscheidungen oftmals nicht auf der Basis von Statistiken, sondern Statusmerkmalen getroffen. Vorurteile und Stereotype führen zu Annahmen über die Kompetenzen und Leistungen bestimmter Gruppen. Mitglieder von Gruppen mit niedrigerem sozialen Status werden als weniger kompetent angesehen und müssen diese Vorurteile mit besseren Leistungen kompensieren. In der Sozialpsychologie wurde mit dieser Theorie – der sogenannten Status-Charakteristik-Theorie – unter anderem erklärt, warum beispielsweise Mütter im Vergleich zu ähnlich gut qualifizierten Frauen ohne Kinder deutlich seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, Väter jedoch eher einen Job bekommen als kinderlose Männer.

Normative Diskriminierung.

Mitunter sind es auch normative Gründe, weswegen eine Person nicht oder nur befristet eingestellt oder befördert wird beziehungsweise ein höheres oder niedrigeres Gehalt erhält als jemand mit vergleichbaren Kompetenzen. Weitverbreitete Rollenvorstellungen und normative Erwartungen darüber, wie sich bestimmte Personengruppen zu verhalten haben, können ebenfalls zu Diskriminierung führen. Beispielsweise sollen sich Väter – so eine noch immer gängige Vorstellung – um das materielle Wohlergehen der Familie sorgen und brauchen daher eine (gut bezahlte) Arbeitsstelle; Mütter hingegen sollen sich in erster Linie um ihre Kinder kümmern und nicht unbedingt einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Gang und gäbe ist auch die Annahme, dass junge Menschen eher mit einem befristeten Vertrag und einer höheren ökonomischen Unsicherheit umgehen können als ältere oder dass ältere Menschen jüngeren "Platz machen" sollten, wenn Arbeitsplätze knapp sind.

Institutionalisierte Diskriminierung.

Neben individuellen Präferenzen, statistischen Mittelwerts- und Verteilungserwartungen sowie weitverbreiteten Stereotypen und Normen können aber auch institutionalisierte Praktiken und Organisationsformen Auslöser für Diskriminierung sein. Typische Ausprägungen einer solchen Diskriminierung sind beispielsweise die ungleichen Möglichkeiten, die Kinder und Jugendliche im (deutschen) Bildungssystem haben, oder die ungleiche Bezahlung zwischen "typischen" Männer- und Frauenberufen. Weniger Bildung geht mit einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko und geringeren Einkommen einher, und die ungleiche Bezahlung gleichwertiger Arbeit führt zu einer systematischen Benachteiligung bestimmter Personengruppen. So gehören typische Frauenberufe, wie Tätigkeiten im Sekretariat und frühkindlichen Bildungsbereich (für die wir bezeichnenderweise in unserer Alltagssprache meist nur die weibliche Form verwenden), zu den Berufen mit den geringsten Verdienstmöglichkeiten. Außerdem werden die typischen Frauenberufe häufig in schulischen Ausbildungen erlernt, weswegen kaum Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten bestehen; im Gegensatz dazu sind die beruflichen Perspektiven in vielen typischen Männerberufen mit ihren betrieblichen Ausbildungen deutlich besser.

Was kann getan werden?

Neben der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung darüber, wann Diskriminierung anfängt, welche Ungleichheiten möglicherweise gerechtfertigt sind und was die Ursachen für Diskriminierung sind, herrscht bislang auch keine Einigkeit über die Frage, wie Diskriminierung effektiv bekämpft werden kann. Prinzipiell lassen sich die existierenden Maßnahmen drei, nicht immer kompatiblen Strategien zuordnen. Erstens gibt es Maßnahmen, die darauf abzielen, Gleichbehandlung zuzusichern; zweitens gibt es Versuche, bestehende Ungleichheiten auszugleichen; und drittens wird daran gearbeitet, von vornherein gleiche Chancen herzustellen.

Gleiche Behandlung zusichern.

Weil unterschiedliche Personengruppen selbst bei gleichem Qualifikationsniveau und gleicher Berufserfahrung nicht dieselben Arbeitsmarktchancen haben, ist die Durchsetzung des Grundsatzes, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, ein wichtiger Schritt, um Diskriminierung zu verringern beziehungsweise gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist mitunter jedoch nicht so leicht, weil Diskriminierung oftmals unbewusst geschieht.

Um mögliche Befangenheiten, Stereotype und Vorurteile und die daraus resultierende ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von (potenziellen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermeiden und zu reduzieren, greifen Unternehmen und öffentliche Organisationen auf unterschiedliche Maßnahmen und Strategien zurück. Dazu gehören unter anderem Antidiskriminierungstrainings, die Einführung kompetenz- und leistungsbasierter Entlohnungsschemata oder auch die Förderung von Transparenz und explizite Rechenschaftsverpflichtungen von Führungspersonen in Bezug auf Einstellungen und Leistungsbeurteilungen. Die Idee hinter solchen Initiativen ist simpel: Wenn Führungskräfte und Beschäftigte für das Thema "Diversity" sensibilisiert sind, wenn allen Beschäftigten klar ist, welche Qualifikationen, Aufgaben und Leistungen wie entlohnt werden und wenn Vorgesetzte für Beurteilungen und Eingruppierungen zur Rechenschaft gezogen werden, dann sind nicht nur die Diskriminierungsmöglichkeiten minimiert, sondern ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen auch sichtbarer, und es kann schneller gegen sie vorgegangen werden.

Die Umsetzung solcher Prinzipien erweist sich jedoch als schwierig und nicht immer zielführend. Antidiskriminierungs- und Mentorenprogramme haben vergleichsweise schwache Effekte auf die demografische Zusammensetzung in Unternehmen, und experimentelle Studien zeigen, dass allein das Bekenntnis zu meritokratischen Prinzipien in Organisationen wenig bringt: Wird Leistung zum dominanten Bewertungsmaßstab erhoben, so werden Frauen für die gleichen Leistungen deutlich schlechter entlohnt als Männer. Ursächlich hierfür können – so die Erklärung nach der Status-Charakteristik-Theorie – möglicherweise die unterschiedlichen Erwartungen an bestimmte Gruppen sein. Im Gegensatz dazu scheinen Initiativen, die mehr Transparenz und Rechenschaftsverpflichtungen bei Einstellungsentscheidungen, Leistungsbeurteilungen und Gehältern eingeführt haben, tatsächlich erfolgversprechend zu sein.

Die größte Bedeutung kommt der Umsetzung solcher expliziter Gleichbehandlungsgrundsätze im Einstellungsprozess zu: Mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist die erste Hürde auf dem Arbeitsmarkt überwunden und damit auch die Instanz, in der Diskriminierungstendenzen am stärksten ausgeprägt sind. Ein Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigte, dass die Anonymisierung der Bewerbungsunterlagen sich insbesondere positiv auf die Einladungswahrscheinlichkeit von Frauen und Personen mit Migrationshintergrund auswirkte. Anonymisierte Verfahren können also durchaus helfen, Diskriminierungen flächendeckend zu reduzieren.

Allerdings sind sie kein Allheilmittel. Eine Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern anhand "objektiver" Kriterien hat zur Folge, dass für Menschen mit Schwerbehinderung oder andere Minderheiten in Bewerbungsverfahren keine bevorzugte Behandlung zum Nachteilsausgleich gewährt werden kann, und anonymisierte Verfahren Bewerberinnen und Bewerbern ethnischer Minderheiten sogar eher schaden als nützen können.

Ungleichheiten ausgleichen.

Zur Herstellung von Fairness und Gerechtigkeit ist es ferner notwendig, existierende Nachteile aufgrund von Sprachbarrieren, Behinderungen oder anderer Formen ungleicher Startchancen auszugleichen. Der englische Begriff affirmative action fasst unterschiedliche Ausprägungen solcher auf Gleichstellung und nicht nur Gleichbehandlung ausgerichtete Maßnahmen zusammen. Diese reichen von der spezifischen Ansprache von und zusätzlichen Informationen für benachteiligte Gruppen bis zu deren präferenzieller Behandlung. Eine schwache Form der Besserstellung benachteiligter Gruppen ist der in Stellenausschreibungen des öffentlichen Dienstes in Deutschland oft gelesene Satz "Frauen und Personen mit Migrationshintergrund werden ausdrücklich zur Bewerbung aufgefordert". Der Zusatz "Schwerbehinderte werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt" gehört jedoch zu den deutlich stärkeren Formen und fällt in das Feld präferenzieller Behandlung.

Gleiches gilt für Quotenregelungen, also die rechtlich oder organisatorisch vorgegebenen Verteilungsgrößen bezüglich der Vergabe von Ämtern und Positionen, die in unterschiedlichen Ausgestaltungsformen zu mehr Gleichstellung führen sollen. Gesetzlich sind solche, bisweilen sehr kontrovers diskutierten "harten" Quoten in Deutschland zur Gleichstellung von Schwerbehinderten und Frauen in höheren Führungspositionen etabliert. Sowohl öffentliche als auch private Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten sind in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, auf wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze Menschen mit Schwerbehinderung zu beschäftigen. Bei Nichterfüllung dieser Vorgabe müssen die betreffenden Unternehmen nach Paragraf 77 des Sozialgesetzbuches IX eine Ausgleichsabgabe leisten.

Seit 1. Januar 2016 sind zudem große Unternehmen dazu verpflichtet, den Frauenanteil in Führungsetagen zu erhöhen (Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen). Die rund 100 börsennotierten Unternehmen in Deutschland, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, müssen 30 Prozent der frei werdenden Aufsichtsratsposten durch Frauen besetzen. Rund 3500 weitere Unternehmen müssen durch Selbstverpflichtungen den Frauenanteil in Aufsichtsräten, Vorständen und den obersten Managementebenen erhöhen. Auch der öffentliche Dienst unterliegt diesen Vorgaben: Auch hier muss der Frauenanteil in Aufsichtsgremien sukzessive bis 2018 auf 50 Prozent erhöht werden.

Bestehende Ungleichheiten können jedoch nicht nur durch gesetzliche Vorgaben zur relativen Besserstellung beseitigt werden. Auch die Förderung benachteiligter Gruppen durch Mentorenprogramme und die zusätzliche Förderung von Kompetenzen und Qualifikationen können dazu beitragen, Gleichheit herzustellen. Der regelmäßige Austausch mit einer Mentorin oder einem Mentor kann Mitgliedern benachteiligter Gruppen Zugänge zu neuen Netzwerken verschaffen und sie mit wichtigen Informationen und Tipps zu einem erfolgreichen Bildungs- und Berufsverlauf versorgen. Manchmal ist es auch die zusätzliche Sprachförderung oder die Teilnahme an einer Weiterbildung, die Mitgliedern benachteiligter Gruppen vorbehalten sind, um die in der Vergangenheit entstandenen Defizite auf- und nachzuholen.

Ungleichheiten nicht entstehen lassen.

Den dritten und wohl wichtigsten Weg zur Herstellung einer gerechteren Arbeitswelt bilden die Maßnahmen, die darauf abzielen, Ungleichheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Der wichtigste Ansatzpunkt hierfür ist das Bildungssystem. In Deutschland hängt der schulische Erfolg – und damit auch die späteren Arbeitsmarktchancen – stark von der ethnischen und sozio-ökonomischen Herkunft ab. Bildungsexpertinnen und -experten machen in erster Linie die hohe und früh greifende Selektivität sowie die geringe Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems für dieses Missverhältnis und dessen folgenschwere Konsequenzen verantwortlich.

Gezielte und frühe Unterstützung für Kinder aus bildungsfernen Familien ist deshalb eine zentrale Forderung, um Ungleichheiten und Benachteiligung von vornherein zu vermeiden. Außerdem sind der Ausbau von Ganztags- und Gesamtschulen, mehr Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und Hochschulen sowie insgesamt höhere öffentliche Investitionen in Bildung, insbesondere im frühkindlichen Bereich, Möglichkeiten, Ungleichheiten und Benachteiligungen möglichst von Anfang an zu minimieren.

Darüber hinaus besteht Handlungsbedarf bei der Bewertung und monetären Entlohnung gleichwertiger Arbeiten. Der in Deutschland nach wie vor große Gender Wage Gap ist auch auf die unterschiedliche Bewertung typischer Frauen- und typischer Männerarbeiten zurückzuführen. Obschon die Tätigkeiten im Pflege- und Gesundheitsbereich, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, nicht weniger anspruchsvoll oder weniger anstrengend sind als Männerberufe im verarbeitenden Gewerbe, erhalten Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger beispielsweise einen Stundenlohn von durchschnittlich 16,99 Euro und Maschinenbauschlosserinnen und Maschinenbauschlosser einen Stundenlohn von 18,86 Euro. Auch muss es darum gehen, dass durch Einstufungen in Tarifverträgen, Anerkennung von Qualifikationen und Ähnliches Ungleichheiten erst gar nicht entstehen.

Fazit

Arbeitsmarktchancen in Deutschland sind ungleich verteilt. Die Wahrscheinlichkeit, einen Job zu finden, in eine Führungsposition aufzusteigen und viel Geld zu verdienen, variiert stark zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Obwohl nicht alle Arbeitsmarktungleichheiten auf Diskriminierung zurückzuführen sind (und eine solche oftmals auch nur schwer nachzuweisen ist), hat sich das AGG zum Ziel gesetzt, mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.

Die Ursachen für Diskriminierung sind vielseitig und reichen von individueller Abneigung, weitverbreiteten und mitunter auch unterbewussten Stereotypen bis hin zu institutionalisierten Ungleichbehandlungen bestimmter demografischer Gruppen im Bildungs- und Lohnsetzungssystem. Aus diesem Grund gibt es auch nicht die eine Strategie, Arbeitsmärkte gerechter und ökonomisch effizienter zu machen, sondern es bedarf einer Reihe paralleler Aktivitäten und Anstrengungen.

Neben Antidiskriminierungsrecht und staatlichem Handeln ist auch jede und jeder Einzelne von uns gefragt. Wir sollten einen sensiblen Sprachgebrauch pflegen, offen sein für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten von Minderheiten am Arbeitsplatz und uns immer wieder bewusst machen und darauf hinweisen, dass Diskriminierung auch unbewusst geschieht und trotz aller Fortschritte der vergangenen Jahre weiterhin ein Thema ist. Das gilt auch für die Gruppen, die bislang nicht durch das AGG geschützt werden.

Ich bedanke mich bei Jutta Allmendinger, Janine Bernhardt, Ellen von den Driesch, Friederike Molitor, Lydia-Maria Ouart, Michael Wrase und Nora Schneck für ihre wertvollen Anmerkungen. Alle verbleibenden Fehler und Irrtümer sind allein mir anzulasten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Gleiche Rechte – gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Bericht der unabhängigen Expert_innenkommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin 2015, S. 39.

  2. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frauen in Führungspositionen. Barrieren und Brücken, Berlin 20146, S. 7.

  3. Vgl. Statistisches Bundesamt, Zahl der Zuwanderer in Deutschland so hoch wie noch nie, Pressemitteilung vom 3.8.2015.

  4. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Menschen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Arbeitsmarktberichterstattung Juni 2014, S. 2; Elke Holst/Anne Busch/Lea Kröger, Führungskräfte-Monitor 2012. Update 2001–2010, DIW Politikberatung kompakt 65/2012, S. 44.

  5. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Die Arbeitsmarktsituation von schwerbehinderten Menschen, Nürnberg 2015.

  6. Vgl. Jutta Allmendinger/Lena Hipp/Stefan Stuth, Atypical Employment in Europe 1996–2011, WZB-Discussion Paper P 2013–003, S. 33.

  7. Vgl. ADS (Anm. 1), S. 22; Untersuchungen für andere Länder zeigen darüber hinaus, dass homosexuelle Männer mitunter weniger verdienen als heterosexuelle Männer, homosexuelle Frauen jedoch mehr als heterosexuelle Frauen. Vgl. Marieka M. Klawitter, Meta-Analysis of the Effects of Sexual Orientation on Earnings, in: Industrial Relations, 54 (2015) 1, S. 4–32.

  8. Vgl. Ruud Koopmans, Does Assimilation Work? Sociocultural Determinants of Labour Market Participation of European Muslims, in: Journal of Ethnic and Migration Studies, 42 (2016) 2, S. 197–216.

  9. Vgl. Joshua Correll et al., Measuring Prejudice, Stereotypes and Discrimination, in: John F. Dovidio et al. (Hrsg.), The SAGE Handbook of Prejudice, Stereotyping and Discrimination, London 2010, S. 45–62.

  10. Vgl. ADS (Anm. 1), S. 40ff.

  11. Siehe hierzu beispielsweise eine kritische Betrachtung des Gender Pay Gaps in Deutschland: Jutta Allmendinger, Rheinische Zahlenspiele, 1.2.2013, Externer Link: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2013/02/01/a0104&cHash=d0e059f1764835d9b3f50aa65711e11a (26.1.2016); dies./Ellen von den Driesch, Der wahre Unterschied. Erst die Rente zeigt den ganzen Umfang der Geschlechterungleichheit, in: WZB-Mitteilungen, (2015) 149, S. 36–39.

  12. Vgl. Milton Friedman, Capitalism and Freedom, Chicago 1962.

  13. Vgl. Jack A. Goncalo et al., Creativity from Constraint? How the Political Correctness Norm Influences Creativity in Mixed-Sex Work Groups, in: Administrative Science Quarterly, 60 (2015) 1, S. 1–30.

  14. Vgl. Michael T. Schmitt et al., The Consequences of Perceived Discrimination for Psychological Well-Being. A Meta-Analytic Review, in: Psychological Bulletin, 140 (2014) 4, S. 921–948.

  15. Vgl. Yochi Cohen-Charash/Paul E. Spector, The Role of Justice in Organizations. A Meta-Analysis, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, 86 (2001) 2, S. 278–321.

  16. Vgl. Gary S. Becker, The Economics of Discrimination, Chicago 1957.

  17. Vgl. Henri Tajfel/John C. Turner, The Social Identity Theory of Intergroup Behavior, in: Stephen Worchel/William G. Austin (Hrsg.), Psychology of Intergroup Relations, Chicago 1986, S. 7–24.

  18. Vgl. Kenneth J. Arrow, The Theory of Discrimination, in: Orley Ashenfelter/Albert Rees (Hrsg.), Discrimination in Labor Markets, Princeton 1973, S. 3–33; Edmund S. Phelps, The Statistical Theory of Racism and Sexism, in: The American Economic Review, 62 (1972) 4, S. 659ff.

  19. Vgl. Shelley J. Correll/Stephen Benard, Biased Estimators? Comparing Status and Statistical Theories of Gender Discrimination, in: Shane R. Thye/Edward J. Lawler (Hrsg.), Social Psychology of the Workplace, Bingley 2006, S. 89–116.

  20. Vgl. Cecilia L. Ridgeway/Shelley J. Correll, Unpacking the Gender System: A Theoretical Perspective on Gender Beliefs and Social Relations, in: Gender & Society, 18 (2004) 4, S. 510–531; dies., Motherhood as a Status Characteristic, in: Journal of Social Issues, 60 (2004) 4, S. 683–700.

  21. Vgl. Shelly J. Correll/Stephen Benard/In Paik, Getting a Job. Is there a Motherhood Penalty?, in: American Journal of Sociology, 112 (2007) 5, S. 1297–1339.

  22. Vgl. Stephen Bernard/Shelly J. Correll, Normative Discrimination and Motherhood Penalty, in: Gender & Society, 24 (2010) 5, S. 616–646; Susan T. Fiske et al., A Model of (Often Mixed) Stereotype Content: Competence and Warmth Respectively Follow from Perceived Status and Competition, in: Journal of Personality and Social Psychology, 82 (2002) 6, S. 878–902.

  23. Vgl. z.B. Mechtild Gomolla, Institutionelle Diskriminierung. Neue Zugänge zu einem alten Problem, in: Ulrike Hormel/Albert Scherr (Hrsg.), Diskriminierung. Grundlagen und Forschungsergebnisse, Wiesbaden 2010, S. 61–93.

  24. Vgl. Paula England, Comparable Worth. Theories and Evidence, New York 1992.

  25. Vgl. Anne Busch, Der Einfluss der beruflichen Geschlechtersegregation auf den "Gender Pay Gap". Zur Bedeutung geschlechtlich konnotierter Arbeitsinhalte, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 65 (2013) 2, S. 301–338.

  26. Vgl. z.B. Heike Trappe, Berufliche Segregation im Kontext. Über einige Folgen geschlechtstypischer Berufsentscheidungen in Ost- und Westdeutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 58 (2006) 1, S. 50–78.

  27. Vgl. Alexandra Kalev/Frank Dobbin/Erin Kelly, Best Practices or Best Guesses? Assessing the Efficacy of Corporate Affirmative Action and Diversity Policies, in: American Sociological Review, 71 (2006) 4, S. 589–617.

  28. Vgl. Emilio J. Castilla/Stephen Benard, The Paradox of Meritocracy in Organizations, in: Administrative Science Quarterly, 55 (2010) 4, S. 543–576.

  29. Vgl. Emilio J. Castilla, Accounting for the Gap. A Firm Study Manipulating Organizational Accountability and Transparency in Pay Decisions, in: Organization Science, 26 (2015) 2, S. 311–333; A. Kalev/F. Dobbin/E. Kelly (Anm. 27).

  30. Vgl. ADS, Anonymisierte Bewerbungsverfahren. Gleiche Qualifikation, ungleiche Chancen, 12.11.2010, Externer Link: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/anonymisierte_bewerbungen/
    das_pilotprojekt/anonymisierte_bewerbungen_node.html
    (26.1.2016).

  31. Vgl. ebd.

  32. Vgl. z.B. Benjamin Wacker, Affirmative Action. Gleichstellungsprogramme in den USA, Berlin 2009, S. 21f.

  33. Dies ist beispielsweise sowohl in der Wissenschaft als auch im Bereich der schulischen Bildung ein üblicher Weg zur Herstellung von mehr Chancengerechtigkeit.

  34. Vgl. Jutta Allmendinger, Schulaufgaben. Wie wir das Bildungssystem verändern müssen, um unseren Kindern gerecht zu werden, München 2012.

  35. Vgl. P. England (Anm. 24).

  36. Vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten. Verdienststrukturen 2010, Wiesbaden 2013.

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Ph.D.; Sozialwissenschaftlerin; Leiterin der Nachwuchsgruppe "Arbeit und Fürsorge" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin. E-Mail Link: lena.hipp@wzb.eu