50 Jahre UN-Menschenrechtspakte
Am 16. Dezember 2016 jährt sich die Verabschiedung der beiden ersten völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtsabkommen, des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, zum 50. Mal. Anders als bei den runden Jubiläen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) ist nicht mit viel Publizität zu rechnen. Die Pakte, die eigentlich der AEMR vom 10. Dezember 1948 auf dem Fuße folgen sollten, wurden erst 18 Jahre später in der UN-Generalversammlung beschlossen und traten erst nach weiteren zehn Jahren in Kraft. Fast drei Jahrzehnte Zeitverzug und lange kontroverse Debatten zwischen Ost und West auch nach Inkrafttreten der Pakte haben die Entfaltung einer angemessenen Strahlkraft nicht gefördert.Dennoch lohnt zum 50. Jubiläum der Pakte eine Würdigung der Vertragspraxis. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit es gelungen ist, den ursprünglichen Anspruch umzusetzen, mit der AEMR und den beiden Pakten eine weltweite Menschenrechtsverfassung zu etablieren.[1] Dieser Beitrag skizziert Entwicklung, Bedeutung und Wirkung der Pakte und fragt nach den aktuellen Herausforderungen.
Schleppende Anfänge
Der AEMR sollte ursprünglich ein einheitliches Vertragsdokument an die Seite gestellt werden, um völkerrechtliche Verbindlichkeit herzustellen. 1948 begann die UN-Menschenrechtskommission, einen entsprechenden Entwurf für eine Konvention auszuarbeiten. Mit der Entfaltung des Ost-West-Konflikts kam es allerdings zu immer stärkeren Differenzen: Während die USA sich bereits nach dem Tode Präsident Franklin D. Roosevelts kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges von der Politik des New Deal und damit auch von den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten distanziert hatten,[2] hielt die Sowjetunion zum Beweis der Überlegenheit des sozialistischen Systems an der Allgemeingültigkeit aller in der AEMR verankerten Rechte fest.[3]1952 wurde schließlich beschlossen, zwei getrennte Verträge parallel aufzulegen, und zwei Jahre später übergab die Kommission der UN-Generalversammlung die Entwürfe für ein Abkommen über bürgerliche und politische Rechte ("Zivilpakt") einerseits sowie ein Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ("Sozialpakt") andererseits. Diese nahm die Vertragstexte einstimmig an – allerdings erst zwölf Jahre später, 1966.
Dabei unterscheiden sich die Entwürfe der Menschenrechtskommission hinsichtlich des materiellen Rechts kaum von den letztendlich beschlossenen Texten.[4] Die langen Diskussionen um jeden Artikel, an deren Ende meist der ursprüngliche Textentwurf bestätigt wurde, fielen jedoch in eine Zeit, in der zum einen die Zahl der UN-Mitgliedstaaten durch die Dekolonisierung schnell stieg und zum anderen die Ost-West-Spannungen sich verschärften. Zudem gab es parallel Fortschritte in der regionalen Kodifizierung der Menschenrechte, etwa durch das Inkrafttreten der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten 1951 sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention 1953. Dadurch minderte sich der Erwartungsdruck an die Weltorganisation, schnell eine rechtsverbindliche Umsetzung der AEMR vorzulegen.
Vertragsinhalte
Sowohl der Zivil- als auch der Sozialpakt gliedern sich in vier Teile: erstens die einleitenden Normen, zweitens die materiellen Rechte, drittens die Mittel zur Verwirklichung dieser Rechte und viertens die formalrechtlichen Schlussbestimmungen.
In den einleitenden Bestimmungen sind die Grundauffassungen für die jeweiligen Rechtsbereiche festgehalten sowie die Garantien der Vertragsstaaten und Ausnahmeregelungen für Notstandssituationen. Ins Auge fallen die gleichlautenden Passagen zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, das eigentlich nicht zum Regelungsbereich der Pakte gehört. Im Kontext der Dekolonisierung hätten die Vertragstexte ohne die Aufnahme dieses Kollektivrechts die Unterstützung der gerade unabhängig gewordenen neuen UN-Mitgliedstaaten jedoch nicht erhalten. Auch die Bundesregierung sah diesen Passus positiv, in dem sie vor allem eine Berufungsgrundlage für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes erkannte.[5]
Im Zivilpakt sind fünf Gruppen materieller Rechte normiert: die Rechte auf Leben und persönliche Unverletzlichkeit,[6] persönliche Sicherheit, Freiheit und Entfaltung der Person, Gleichheit sowie politische Rechte. Der Sozialpakt enthält vier Gruppen materieller Rechte: das Recht auf Arbeit und soziale Sicherheit, der Schutz von Familie, Ehe, Mutterschaft und Minderjährigen, das Recht auf einen angemessenen sozialen Lebensstandard und Gesundheit sowie das Recht auf Bildung und Kultur (Kasten). Weitere Rechte wurden zwar diskutiert, waren politisch aber nicht kompromissfähig. Dazu zählen auch Rechte, die in der AEMR enthalten sind, etwa die Rechte auf Eigentum, Asyl und Staatsangehörigkeit.[7]
Mit Blick auf die Implementierung der Konventionen ist zwischen innerstaatlichen und internationalen Mechanismen zu unterscheiden. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich als primäre Garanten zu Schritten auf nationaler Ebene, um die Rechte zu gewährleisten, wobei der Sozialpakt eine progressive Umsetzung entsprechend der wirtschaftlichen Ressourcen erlaubt. Die internationalen Vertragsgarantien sind politischer Natur und rechtlich nicht verbindlich. Sie sehen jeweils eine periodische Berichterstattung über den Stand der nationalen Umsetzung vor. Während diese Staatenberichte im Falle des Sozialpaktes zunächst dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) vorgelegt werden mussten, wurde für das Umsetzungsmonitoring des Zivilpaktes eigens ein aus 18 von den Vertragsstaaten zu wählenden Expertinnen und Experten bestehendes Vertragskomitee eingerichtet, der Menschenrechtsausschuss.
Dieser ist auch für die Individualbeschwerden nach dem optionalen Zusatzprotokoll zum Zivilpakt zuständig, das nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges Einzelpersonen eine direkte Beschwerdemöglichkeit einräumt. Als integraler Bestandteil der Konvention war diese Vorkehrung allerdings nicht mehrheitsfähig. Auch die Bundesrepublik hegte zunächst Vorbehalte gegen diese Form der Rechtsdurchsetzung und ratifizierte das Zusatzprotokoll erst 1993, 20 Jahre nach ihrem Beitritt zum Zivilpakt.
Darüber hinaus ermöglicht Artikel 41 des Zivilpaktes eine Staatenbeschwerde: Staaten können die Nichteinhaltung des Vertrags durch andere Mitgliedstaaten anzeigen. Allerdings sind Beschwerden nur unter den Staaten möglich, die dem Verfahren bei der Ratifizierung explizit zugestimmt haben. Zur Anwendung gekommen ist es bisher nicht.