Zur Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs
This is Automation" betitelte die Firma General Electric einen fast 30-minütigen Lehrfilm.[1] In aufklärerischem Duktus verbindet der Film aus dem Jahr 1955 Automatisierung nicht nur mit einem Fortschrittsversprechen, sondern ordnet sie auch als dritte Industrielle Revolution und zugleich als natürliche Evolution in die Geschichte der Produktion ein.[2] Vor allem aber wird versucht, zu erwartende Vorteile herauszustellen und Vorbehalte auszuräumen. Dabei nennt der Film bereits die zentralen Argumente, die seitens der Unternehmen, des Managements und von Ingenieuren in den folgenden Jahrzehnten immer wieder angeführt wurden, um Automatisierungsprozesse zu begründen und zu legitimieren. Die Automatisierung ermögliche es, qualitativ hochwertige und preiswerte Waren in Massen herzustellen und damit den Wohlstand zu fördern, zumal angesichts steigender Bevölkerungszahlen. Zudem erleichtere sie die menschliche Arbeit, garantiere mehr Freizeit und sichere aufgrund höherer Effizienz und Produktivität die Wettbewerbsfähigkeit US-amerikanischer Unternehmen und nicht zuletzt Arbeitsplätze.Auffällig ist, dass sich, sei es im US-amerikanischen, sei es im deutschen Diskurs, bestimmte Topoi finden, die die Debatte seit ihrem Beginn in den 1950er Jahren kontinuierlich prägen. Sie wirken merkwürdig vertraut und wenig überraschend. Seit mehr als einem halben Jahrhundert sind es ähnliche Argumentationsfiguren, Versprechungen, behauptete Notwendigkeiten und Befürchtungen, die mit der Automatisierung der Arbeitswelt einhergehen und die nur leicht variieren. Bereits im Kontext des sogenannten Maschinensturms[3] finden sich vergleichbare Muster der Argumentation, und diese reichen bis in den aktuellen Diskurs um die Digitalisierung der Arbeitswelt und "Industrie 4.0" hinein.
Im Folgenden steht die westdeutsche Debatte um Automatisierung von den 1950er bis in die 1980er Jahre im Mittelpunkt. Es wird der auffälligen Persistenz der Argumentationsfiguren nachgegangen, vor allem anhand der Debatte um die Automatisierung der Industriearbeit.[4] Diese stand im Fokus der zeitgenössischen Debatte,[5] obwohl gerade hinsichtlich der Büro- und Verwaltungsarbeit spektakuläre Computerisierungsprojekte, wie beispielsweise im Versandhaus Quelle 1957, stattfanden.[6] Dass sie sich vorwiegend um die Automatisierung der Industriearbeit drehte, hing vermutlich mit dem Selbstverständnis der westdeutschen Gesellschaft als Industriegesellschaft zusammen sowie damit, dass mit der Automatisierung industrieller Arbeit das vermeintliche "Normalarbeitsverhältnis" von Männern bedroht schien.
Zeitliche Konjunkturen
Die Automatisierung der Arbeitswelt wurde bereits in den 1950er Jahren und erneut in verdichteter Weise in den 1970er und 1980er Jahren auf breiter gesellschaftlicher Ebene erörtert. Diese Konjunkturen sind wenig überraschend. Die Entwicklung von Computern und die damit verbundenen Vorstellungen eines "Elektronengehirns" lösten in engem Zusammenhang mit der Kybernetik als Wissenschaft der Steuerung und Regelung in den 1950er Jahren eine Automatisierungsdebatte aus, auch wenn Automatisierungsprozesse und Computerisierung erstens nicht gleichzusetzen sind und zweitens zu dieser Zeit weitaus stärker Gegenstand des Diskurses als Realität der Arbeitswelt waren. Insbesondere der Einsatz von (rechnergestützt) numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen (NC/CNC) in Fabriken seit den 1950er Jahren, aber auch erste Automatisierungen, beispielsweise in der Erdöl- und der chemischen Industrie, sorgten für Diskussionen. Der Einsatz von Industrierobotern seit den 1970er Jahren, die Mikroelektronik und die Hoffnungen auf computerintegrierte Produktion in den 1980er Jahren bildeten den Hintergrund für eine erneute gesellschaftliche Debatte. Nach einer euphorischen Phase mit hohen Erwartungen kehrte in den 1980er Jahren allerdings Ernüchterung ein, nachdem man vielfach feststellen musste, dass die Potenziale der Automatisierung überschätzt worden waren.[7] Nach einer Phase der sogenannten angemessenen Automatisierung lässt sich heute, insbesondere unter dem Stichwort "Industrie 4.0", ein neuer Automatisierungsschub beobachten, der nun unter dem Schlagwort "Digitalisierung" behandelt wird.Der Diskurs war durchgängig von einer Polarisierung charakterisiert, die sich gleichfalls bis heute findet. Während von Unternehmen, Management und Ingenieuren tendenziell die Vorteile der Automatisierung, ja ihre Notwendigkeit für Wohlstand und Fortschritt im eingangs genannten Sinn betont wurden, drehten sich die Argumente von Soziologen, Medien und Gewerkschaften weitaus stärker um die Gefahren der Automatisierung, vor allem um das Verschwinden der Arbeit, die Ersetzung des Menschen und mögliche Dequalifizierungsprozesse.
Diskurse um Technik sind immer auch Legitimations- und Aushandlungsprozesse sowie Teil eines Verständigungs- und Bewältigungsprozesses. Sie verweisen auf Leitbilder zur Arbeit, zur Gesellschaft und zum Menschsein. Daher ist es sowohl für die historische Forschung als auch für gegenwärtige Debatten wichtig zu verstehen, dass seit den 1950er Jahren stets ähnliche Argumentationsmuster zu finden sind. Sie verdeutlichen nicht nur den hohen Stellenwert von Erwerbsarbeit in der Gesellschaft, sondern offenbaren auch Konzepte von Arbeitsverhältnissen und -inhalten, Vorstellungen und Erwartungen zur Bedeutung der Menschen im Arbeitsprozess sowie das jeweilige Konzept der Arbeitsgesellschaft.
Ersetzung versus Befreiung
Der Topos der "Ersetzung des Menschen" ist vermutlich die am häufigsten zu findende, medienwirksamste und plakativste Diskursfigur in der Debatte um Automatisierung. Sie ist jedoch vielschichtiger, als es auf den ersten Blick erscheint. Sie changiert zwischen, erstens, der Idee der Beseitigung der Fehler- und Störquelle Mensch; zweitens, der Idee der Befreiung der Menschen von monotoner, unangenehmer und körperlich belastender Arbeit; drittens, der Angst vor Ersetzung, die zu Arbeitslosigkeit und, viertens, dem Überflüssigwerden der Menschen im Arbeitsprozess führe.Störquelle Mensch.
Seitens Ingenieuren und Management wurde die Ersetzung des Menschen häufig gleichgesetzt mit der Überwindung der menschlichen Fehlerhaftigkeit, mit höherer Produktivität und präziseren Arbeitsprozessen. Vor allem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1950er Jahre wurde dies deutlich in Vorstellungen einer "menschenleeren Fabrik". Besonders prägnant formuliert findet sich diese Vision in einem vielzitierten englischem Beitrag in der Zeitschrift "Fortune" aus dem Jahr 1946, der das Programm der Ersetzung von Menschen bereits im Titel führte: "Machines Without Men". Die Autoren beschrieben eine automatisierte Fabrik, in der flexible Maschinen billige Produkte herstellen. Die mit Sensoren ausgestatteten Maschinen würden besser arbeiten als Menschen, besser sehen, besser hören, besser tasten und besser Information verarbeiten. Automatisierung schien eine reibungslose, ununterbrochen ablaufende, fehlerfreie Produktion zu versprechen. Der Mensch wurde dagegen als Grenze der Automatisierung wahrgenommen; die Technik sei ihm in einer Weise überlegen, dass sie auf den unvollkommenen Menschen Rücksicht nehmen müsse. "Die begrenzte Reaktionsgeschwindigkeit des Menschen", so wurde beispielsweise konstatiert, "konnte mit der Arbeitsgeschwindigkeit der Maschinen häufig nicht mehr Schritt halten".[8] Der Mensch, so die häufige Feststellung, blieb hinter der Maschine zurück. Das Ideal einer vollautomatischen Fabrik sei "eine Anlage, die man durch einen Knopfdruck anlässt, die dann mit höchstem Wirkungsgrad ganz ohne menschliches Zutun weiterläuft, bis sie durch einen anderen Knopfdruck abgestellt wird".[9] Prinzipiell bestehe kein Zweifel, "daß man den Menschen grundsätzlich als durch ein technisches Gebilde ersetzbar ansehen kann".[10]
Ersetzung als Befreiung.
Bald, bereits seit Mitte der 1950er Jahre, hielten sich Ingenieure und Unternehmensvertreter allerdings damit zurück, diese Erwartungen eindeutig zu formulieren – eine interessante Verschiebung im Automatisierungsdiskurs. Das Bild der "menschenleeren Fabrik" wurde fortan nicht gleichermaßen unbefangen als Vorteil dargestellt. Zu sehr war es zu einem von Gewerkschaften und Medien immer wieder gezeichnetem Schreck- und Feindbild geworden. Stattdessen wurde die "Befreiung" des Menschen hervorgehoben. In den 1970er Jahren war beispielsweise nicht mehr von Ersetzung die Rede, sondern von der "Befreiung vom Takt", von schwerer körperlicher, monotoner oder gefährlicher Arbeit zugunsten anspruchsvollerer, verantwortlicherer (Steuerungs-)Tätigkeiten. Automatisierung wurde daher bereits seit den 1950er Jahren und erneut in den 1970er und 1980er Jahren auch als Überwindung der Restriktionen und Unmenschlichkeiten des Taylorismus gedeutet.

Ersetzung und Angst vor Arbeitslosigkeit.
Dies prägt insbesondere den Diskurs der Gewerkschaften und Soziologen, eng verbunden mit Bedenken wegen möglicher Dequalifizierungsprozesse. Bereits in den 1950er Jahren hatte der Kybernetiker Norbert Wiener dramatische Bilder gemalt. Das Problem der Arbeitslosigkeit als Preis der Automatisierung sei "eine sehr wesentliche Schwierigkeit der modernen Gesellschaft".[17] Während in der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren nahezu Vollbeschäftigung herrschte, was dem Diskurs um Arbeitslosigkeit seine Brisanz nahm, änderte sich dies in den 1970er und 1980er Jahren im Verlauf von zwei Ölpreiskrisen und wirtschaftlicher Rezession. Das Schreckgespenst der menschenleeren Fabrikhallen prägte den gewerkschaftlichen Diskurs und noch viel stärker den medialen. Vor allem im Roboter fanden diese Ängste ihr anschauliches Symbol. "Der Robby kommt" oder "Neue Roboter lösen den Monteur ab" lauteten beispielsweise Schlagzeilen.[18] Vom "Unternehmertraum von einer menschenleeren Fabrik",[19] den Robotern, die "den Menschen verdrängen"[20] oder "Arbeitslose produzieren"[21] war vielfach zu lesen, so beispielsweise in der Mitgliederzeitschrift der IG Metall. Der "Spiegel" machte die Ersetzung des Menschen zum Thema auf einigen Covern, wie etwa 1978: "Fortschritt macht arbeitslos" behauptet das Titelbild und zeigt einen kleinen, hilflos wirkenden Arbeiter, der vom Roboter weggetragen zu werden scheint (Abbildung). Auch heute, in den Diskussionen um Industrie 4.0, ist die Angst vor der sogenannten technologischen Arbeitslosigkeit ein zentraler Topos. Sie scheint das häufigste Motiv im Kontext von Diskursen um die Technisierung der Arbeitswelt zu sein, von den Anfängen der Industriellen Revolution bis in die Gegenwart.
Anthropologische Angst vor der Ersetzung.
Der Topos der "Ersetzung des Menschen" hat eine weitere Dimension. Insbesondere in den 1950er Jahren wurde angesichts der Möglichkeit, dass Technik, vor allem das sogenannte Elektronengehirn, den Menschen ersetzen könne, Erschrecken geäußert. Wiener sprach von der "unheimlichen Fähigkeit" der Maschinen, "menschliches Verhalten nachzuahmen".[22] Dies berührte das menschliche Selbstverständnis als homo laborens. Denn in einer Arbeitsgesellschaft, in der Arbeit als zentral für gesellschaftliche Integration und Teilhabe, zur Existenzsicherung, für gesellschaftliche Reputation sowie Identitätsstiftung galt, bedrohte ihr Verlust die Selbstbeschreibungen und das Selbstverständnis der Menschen.
Die Sorge um die Position des Menschen im Arbeitsprozess durchzieht die Debatten seit den 1950er Jahren, und auch im Kontext von Industrie 4.0 spielt sie wiederum eine erhebliche Rolle. Hier finden sich allerdings Konjunkturen und Wandlungen im Diskurs. In den 1950er Jahre dominierte das Entsetzen über die Möglichkeit, der Mensch sei in all seinen Tätigkeiten, auch den geistigen, ersetzbar.[23] In den 1980er Jahren wurden dagegen im Kontext der Erfahrungen von Grenzen der Automatisierung menschliche Fähigkeiten gleichsam neu entdeckt. Teils triumphal wurde auf die Grenzen der Fähigkeiten von Robotern sowie der Automatisierungsprozesse und die Unersetzbarkeit des Menschen in einer flexibilisierten Produktion hingewiesen.[24] Hier zeigte sich wiederum der Unwillen der Menschen, ersetzt zu werden.