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65 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention | Flucht historisch | bpb.de

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65 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention

Peter Gatrell

/ 17 Minuten zu lesen

Das Abkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bildet bis heute die Grundlage des internationalen Rechts zum Schutz für Flüchtlinge. Angesichts aktueller Entwicklungen lohnt ein Blick auf die Geschichte der Konvention.

Das Abkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – Genfer Flüchtlingskonvention genannt – bildet bis heute die Grundlage des internationalen Rechts zum Schutz für Flüchtlinge. Nahezu zeitgleich gründeten die UN ein neues Büro und beauftragten einen Hochkommissar damit, dafür zu sorgen, dass die Bestimmungen der Konvention von den Unterzeichnerstaaten eingehalten werden. Mit Blick auf die Debatten im Jahr 1950 schrieb 1990 die damalige UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata: "Als eine der hervorragendsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts im humanitären Bereich gilt die Etablierung des Prinzips, nach dem das Flüchtlingsproblem die internationale Gemeinschaft insgesamt betrifft und durch internationale Kooperation und Lastenteilung angegangen werden muss. (…) Voraussetzung für die internationale Kooperation im Umgang mit Flüchtlingsproblemen ist das kollektive Handeln von Staaten bei der Entwicklung angemessener und dauerhafter Lösungen für Flüchtlinge. Bis eine angemessene und dauerhafte Lösung für sie gefunden ist und Flüchtlinge aufhören, Flüchtlinge zu sein (…) –, ist es notwendig, sie entsprechend international anerkannter grundlegender Mindestanforderungen zu behandeln."

Eine kurze Geschichte des Zustandekommens der Konvention zeigt indes, dass die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention keineswegs von vornherein feststanden – und dass sie weder von allen UN-Mitgliedstaaten begrüßt wurden noch sich auf alle Varianten von Bevölkerungsbewegungen anwenden ließen. Dies hat sich bis heute nicht geändert; nichtsdestotrotz bleibt die Konvention auch unter den aktuellen Bedingungen relevant.

Inhalt

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert in Artikel 1, wer als Flüchtling gilt: "Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck ‚Flüchtling‘ auf jede Person Anwendung (…), die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will."

Diese Definition verlangt vom Einzelnen zu beweisen, dass die genannten Kriterien auf ihn beziehungsweise auf sie zutreffen. Die Betonung der Verfolgung als Kriterium für die Anerkennung als Flüchtling ist dabei von übergeordneter Wichtigkeit. Unter anderen Umständen erfolgte Migration wurde demgemäß nicht anerkannt. Der Flüchtling musste sich insbesondere außerhalb seines Lands aufhalten; Binnenvertriebene wurden nicht anerkannt. Die Definition schrieb außerdem geografische (Europa) und temporäre Grenzen (vor dem 1. Januar 1951) vor. Dies hielt Staaten nicht davon ab, Flüchtlinge jenseits dieser Definition und andere Migranten in ihre Gebiete hineinzulassen – ob aus "humanitären" oder anderen Gründen –, verpflichtete andere Staaten indes nicht dazu, dasselbe zu tun.

Das vorrangige Ziel der Genfer Konvention bestand darin, Flüchtlingen internationalen Schutz zu garantieren; dabei sollte das neue Flüchtlingshochkommissariat eine leitende Rolle darin spielen – so formulierte es ein seinerzeit involvierter Jurist –, "die Lösung des Flüchtlingsproblems entweder durch ihre Repatriierung oder durch ihre Integration und schließlich Naturalisierung in den asylgebenden bzw. den Ländern ihrer Wiederansiedlung zu suchen". Im Dezember 1950 wurde das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) per Gesetz eingerichtet, und fortan sollte der Hochkommissar im Sinne einer "dauerhaften Lösung" "humanitäre" und "nicht-politische" Hilfestellung für Flüchtlinge leisten.

Artikel 33 der Genfer Konvention unterstrich die (Selbst-)Verpflichtung der Staaten gegenüber dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und sicherte explizit zu: "Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. (…) Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde." Kurz: Es gab kein absolutes Recht darauf, als Flüchtling zugelassen zu werden, und keinen Schutz vor der unfreiwilligen Rückführung in das Land seines beziehungsweise ihres "gewöhnlichen Aufenthalts".

Entstehung und Kontext

Kurz nach dem Kriegsende in Europa debattierten die Mitglieder der neu gegründeten UN die Frage, wer ein Flüchtling ist. Die entscheidenden Diskussionen über eine Flüchtlingskonvention wurden zu Beginn des Jahres 1949 im UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) geführt. Zu diesem Zeitpunkt beherbergte allein Europa Millionen von Flüchtlingen und sogenannten DPs (displaced persons) – Zivilisten, die Nazideutschland während des Zweiten Weltkriegs in Wirtschaftsregionen als Zwangsarbeiter eingesetzt hatte. Man nahm an, nach der Niederlage Deutschlands würden sie in ihre Heimat zurückkehren; doch eine nicht unerhebliche Minderheit verweigerte dies. Was sollte aus ihnen werden? Ihre Regierungen unterstützten eine Repatriierung. Die Weigerung von Flüchtlingen, in ihre Heimatländer zurückzukehren, brachte ein neues Element in die Diskussion ein.

Darüber hinaus gab es weitere Millionen vertriebene Zivilisten. Gemäß des Potsdamer Alliiertenabkommens von 1945 wurden einige Millionen ethnisch Deutscher aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn vertrieben und zwangsweise in der Bundesrepublik Deutschland angesiedelt. Die Welt jenseits Europas wurde in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren ebenfalls Zeuge mächtiger Bevölkerungsumwälzungen, insbesondere auf dem indischen Subkontinent, im Nahen Osten sowie in Korea und Hongkong. Vor diesem vielschichtigen Hintergrund kamen Diplomaten und international tätige Juristen zusammen, um darüber zu reden, was getan werden konnte. An die globalen Umwälzungen dieser Zeit heute zu erinnern, lohnt – vor allem angesichts der großen Aufmerksamkeit, die der Flucht von Syrern und anderen nach Europa entgegengebracht wird, und der gleichzeitigen Vernachlässigung von Massenvertreibungen in anderen Weltregionen.

Die Teilnahme internationaler Juristen war ein Indiz dafür, dass die Diskussionen auf der Grundlage der Vorkriegsdebatten im Völkerbund geführt wurden, und zudem für eine Rechtsauffassung, nach der, behielt man ganze Bevölkerungsgruppen im Auge, staatliche Maßnahmen entscheidend waren. Vorangegangene Vereinbarungen und Konventionen (wie das Abkommen von 1926 und das Flüchtlingsabkommen von 1933) boten einzelnen Gruppen staatenloser Flüchtlinge einen gewissen Grad an rechtlichem und politischem Schutz – insbesondere Russen, die "den Schutz der Sowjetregierung verloren und keine andere Nationalität angenommen" hatten, sowie "Personen armenischen Ursprungs, die nicht länger den Schutz der Regierung der Türkischen Republik" genossen. Das Abkommen von 1938 über den Status der aus Deutschland kommenden Flüchtlinge dehnte den Schutz auf Personen (das heißt Juden) aus, "die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder besaßen" und die nicht länger unter dem Schutz der deutschen Regierung standen. Diese Gruppen schloss die Genfer Konvention von 1951 explizit mit ein.

Die Diskussionen nach dem Krieg wurden unweigerlich von der Vernichtung der europäischen Juden überschattet; eine grauenhafte Folge auch aus dem Versagen der Vorkriegsstaaten heraus, zu kooperieren und Vereinbarungen zu treffen, die weit mehr Juden die Flucht an einen sicheren Ort hätten ermöglichen können.

Das internationale Asylrecht ging bis zum Zweiten Weltkrieg davon aus, dass Flüchtlinge durch staatliche Maßnahmen staatenlos geworden waren. Eine zentrale Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 galt daher der Anerkennung, dass ein Flüchtling eine Person mit der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung war und deshalb nicht in das Land der Verfolgung zurückkehren wollte. Indem die Befürchtung einer Verfolgung betont wurde, sollten diejenigen ausgeschlossen werden, die – wie es seinerzeit formuliert wurde – die politischen Umstände des Staats, in dem sie lebten, nur "nicht mochten". Die Klausel über die Nichtzurückweisung (die bereits im Abkommen von 1933 enthalten war) kam einem Schlag ins Gesicht der sowjetischen Vertreter gleich; sie sahen darin einen Weg, über den DPs im Westen bleiben konnten, anstatt die Nationalität des Lands ihres "gewöhnlichen Aufenthalts" zurückzuerlangen.

Die Internationale Flüchtlingsorganisation IRO (1946 gegründet und Vorläufer des UNHCR) spielte bei der Formulierung eines Abkommens, dessen Bestimmungen Flüchtlinge vor Zwangsausweisungen schützen und ihnen den Zugang zu Gerichten sowie ein Recht auf Arbeit ermöglichen sollten, eine führende Rolle. Einer seiner Architekten, Gustave Kullmann, pochte darauf, der Entwurf sei "in dem Sinne realistisch, dass er nicht über das hinausgeht, was vernünftigerweise von einem liberal-demokratischen Staat verlangt werden kann".

Im Rahmen der Debatten rund um den Entwurf für eine Flüchtlingskonvention schwebte einigen Ländern (darunter Großbritannien) eine unbefristete Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen vor; diese blieben jedoch in der Minderheit. Die USA – unterstützt von Schweden, Indien und weiteren Ländern – bestanden darauf, dass es keinen "Blankoscheck" geben sollte, und votierten daher für eine sowohl zeitlich als auch geografisch einschränkende Definition. Frankreich unterstützte ursprünglich eine breit gefasste Definition, schloss sich später jedoch der US-amerikanischen Auffassung an – zum Teil aus Furcht vor einem Zustrom von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus Deutschland. Paul Weis, Fachmann für internationales Recht, zufolge "führte die Frage, ob die Definition auf Ereignisse in Europa beschränkt bleiben sollte oder nicht, beinahe zum Abbruch der Konferenz (der Bevollmächtigten). Einzig ein Vorschlag, der den teilnehmenden Staaten die Möglichkeit eröffnete, jeweils zu definieren, ob das Wort ‚Ereignis‘ die ‚Ereignisse in Europa‘ oder aber ‚Ereignisse in Europa und darüber hinaus‘ bedeuten sollte, rettete die Konferenz".

Die UN-Vollversammlung verabschiedete 1950 durch ein Statut die Einrichtung eines Flüchtlingshochkommissariats. Der Titel eines Hochkommissars war in den 1920er Jahren erstmals an Fridtjof Nansen vergeben worden; der dafür berühmt geworden war, dass er Mitgliedstaaten des Völkerbunds dazu brachte, Reisedokumente zu akzeptieren, die seine Behörde russischen und armenischen Flüchtlingen ausstellte. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde am 28. Juli 1951 formell verabschiedet und trat am 22. April 1954 in Kraft – unterzeichnet von 26 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland und die USA sowie Ägypten, Australien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Jugoslawien, Kanada, Israel und die Türkei. Letztere behielt sich explizit vor, keine außereuropäischen Flüchtlinge aufzunehmen. Fünf Staaten stimmten dagegen, zwölf enthielten sich. Die UdSSR und Staaten des Ostblocks lehnten die Konvention ab, da sie politisch motiviert sei. Asiatische Staaten verweigerten die Unterzeichnung des Dokuments, da sie die Flüchtlingsdefinition nicht akzeptierten: Indien zum Beispiel fragte, warum darin so viel Wert auf Rechtsschutz gelegt wurde anstatt auf praktische Hilfe für Flüchtlinge, die sie – wie diejenigen auf dem indischen Subkontinent – dringend benötigten. Indische Diplomaten führten gegen die Konvention außerdem ins Feld, sie sei ein "Instrument des Kalten Kriegs" und sie zu unterzeichnen widerspreche der Neutralität ihres Lands. Pakistan monierte, mit seiner Unterschrift würde sich das Land dazu verpflichten, den Schutz von Flüchtlingen in Europa zu finanzieren, ohne selbst einen Nutzen zu Gunsten mehrerer Millionen Flüchtlinge im eigenen Land daraus zu erhalten. Für die palästinensischen Flüchtlinge war zuvor eine separate Lösung in Form eines UN-Hilfswerks (UNRWA) getroffen worden.

Die Verantwortung sicherzustellen, dass "anerkannte" Flüchtlinge auch den Schutz erhielten, den die Genfer Flüchtlingskonvention ihnen zusprach, wurde dem Flüchtlingshochkommissariat übertragen. Im Prinzip konnte der Hochkommissar die Anerkennung auf weitere Flüchtlinge ausdehnen – allerdings nur, wenn die UN-Vollversammlung zustimmte. Seine Hauptverantwortung lag daher in der Sorge für den Rechtsschutz. Er besaß weder die finanziellen Mittel noch die Autorität, um Flüchtlingen materielle Hilfestellung zu gewährleisten. Die USA verweigerten dem UNHCR ihre Unterstützung und zogen es vor, mit Organisationen zu arbeiten, die sie direkt kontrollieren konnten. Das UNHCR war daher gezwungen, Nichtregierungsorganisationen in die praktische und alltägliche Flüchtlingshilfe einzubinden.

Zeitgenossen waren sich der Grenzen der Genfer Flüchtlingskonvention durchaus bewusst, sahen darin jedoch auch einen entscheidenden Durchbruch im Schutz von Flüchtlingen. Der erste Stellvertreter des Hochkommissars, James Read, bezeichnete die Konvention von 1951 öffentlich als "Magna Carta für Flüchtlinge". Und ein führender Vertreter der Quäker in den USA sagte: Auch wenn "die Konvention kein besonders nobles oder liberales Dokument ist, so ist sie doch eine wertvolle Etappe im Fortschritt des Menschen (oder kann es werden, wenn sie praktisch umgesetzt wird), da sie den hilflosesten, verzweifelten und ungeschützten Teilen der Menschheit elementare Menschenrechte zusichert". Dem Hochkommissar werde, so fuhr er fort, eine entscheidende Rolle dabei zukommen, dafür Sorge zu tragen, dass ein Flüchtling "nicht nur eine einsame Seele ist, die vom ungewissen guten Willen derer, die es besser haben, abhängig ist". Doch das UNHCR musste Vorsicht walten lassen – wurde es doch von Staaten finanziert, die über ihre jeweilige Souveränität wachten.

Weitere Entwicklung

Die zeitliche Begrenzung lief darauf hinaus anzunehmen (wie es ein führender Jurist seinerzeit formulierte), die Flüchtlingskrise sei eine Sache der Vergangenheit. Was aber würde passieren, wenn neue Flüchtlinge auf den Plan träten? In der Öffentlichkeit betonte das UNHCR seine Sorgfalt, im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention zu agieren; gleichwohl war ein gewisses Maß an Geschicklichkeit vonnöten. Ein Beispiel dafür trat 1956 als Resultat der ungarischen Flüchtlingskrise im Zuge der Revolution gegen die kommunistischen Machthaber zutage. Auf juristischen Rat hin entschied das UNHCR, dass Ungarn ein Recht auf vorübergehende Hilfestellung hatten, da sich ihre "Verfolgung" auf die kommunistische Revolution zurückführen ließe.

Gleich im ersten Jahrzehnt seines Bestehens erfuhr der UNHCR-Auftrag weitere Ausweitungen – und zwar sowohl hinsichtlich rund 85000 algerischer Flüchtlinge in Tunesien als auch mit Blick auf die chinesischen Flüchtlinge in Hongkong. Obwohl Frankreich beziehungsweise Großbritannien die Anwendung der Genfer Konvention im einen wie im anderen Fall nicht akzeptierten, konnte das UNHCR den Flüchtlingen in beiden Fällen praktische Hilfe leisten. In einer bedeutsamen Abwandlung bisheriger Praxis gab Flüchtlingshochkommissar August R. Lindt, der das Amt von 1956 bis 1960 innehatte, zu verstehen, er wolle nicht als "Hochkommissar nur für europäische Flüchtlinge" in die Geschichte eingehen, sondern sein Mandat wie seine "guten Dienste" dazu nutzen, Flüchtlingen auch anderswo zu helfen und dafür zu sorgen, dass sie nicht im Stich gelassen werden. Für die leidige Debatte rund um den Begriff "Verfolgung" blieb weiterhin jede Menge Raum. UN-Mitgliedstaaten, darunter die USA und Großbritannien, taten sich schwer damit anzuerkennen, dass Asylsuchende aus Jugoslawien den Bestimmungen der Genfer Konvention nach als Flüchtlinge galten; sie betrachteten die meisten von ihnen als "Wirtschaftsmigranten".

Der Begriff der "guten Dienste" wurde während der 1960er Jahre diskutiert – zusammen mit der Frage nach der Relevanz der Genfer Flüchtlingskonvention, vor allem mit Blick auf die Ereignisse in Afrika südlich der Sahara. Der vielfache Gebrauch der Formel von den "guten Diensten" schien manchen Vertretern zu implizieren, die Frage der Motivation (Flucht vor Verfolgung) sei im afrikanischen Kontext nicht relevant. Einer von ihnen plädierte dafür, zwischen "subjektiv erlebter" Verfolgung auf der einen Seite (die schwer nachzuweisen war) und Bürgerkrieg und politischen Unruhen (den Hauptursachen der Flucht in Afrika) auf der anderen zu unterscheiden. Einige afrikanische Regierungen wiesen ihrerseits daraufhin, dass die Menschen, die aus ihren Ländern flohen, nicht unmittelbar verfolgt würden und ergänzten, dass zumindest in einigen Fällen Flucht auch etwas mit der Politik anderer Staaten zu tun haben könnte – womit sie meinten: Weiße Siedlerstaaten wie Südrhodesien, Mosambik und Südafrika trugen eine spezielle Verantwortung für das Flüchtlingsproblem in der Region. 1969 verabschiedete die Organisation für Afrikanische Einheit ein Abkommen zur Regelung der spezifischen Aspekte der Flüchtlingsprobleme in Afrika – und führte mit dem Verweis auf all jene, die aus ihren Ländern flohen, um einem Krieg oder anderen menschengemachten Katastrophen zu entkommen, ein neues Element in die Debatte ein.

1965 begannen Verhandlungen über die Notwendigkeit, die Genfer Flüchtlingskonvention auf den neuesten Stand zu bringen. Das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, das am 4. Oktober des Jahres in Kraft trat, behielt die eingeschränkte Definition eines Flüchtlings bei, eliminierte jedoch die zeitlichen und geografischen Beschränkungen.

Auch in anderer Hinsicht wurde der Aspekt der Anerkennung einer Revision unterzogen. Obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention von Flüchtlingen einen Beweis dafür verlangte, dass sie als Individuen verfolgt wurden, hat die Praxis gezeigt, dass Regierungen in Notzeiten auf entsprechende individuelle Anspruchsprüfungen verzichten können und dies auch tun – wie beispielsweise die deutsche Regierung 1980 bei ihrer Einschätzung der Notlage der sogenannten Boat People aus Vietnam.

Unterstützer des UNHCR und der Genfer Flüchtlingskonvention weisen auf Entscheidungen wie diese hin – als Indiz für den Fortschritt und die Flexibilität im internationalen Flüchtlingsschutzsystem. Die nationale Rechtsentwicklung hat die Genfer Konvention außerdem als "lebendiges Instrument" bestätigt – wobei gesellschaftliche und politische Veränderungen (wie etwa neue Sichtweisen auf das, was "Verfolgung" ausmacht) mit berücksichtigt werden müssen.

Gegenwärtige Lage

Wenngleich die Unterzeichnerstaaten zumindest ein Lippenbekenntnis zur Genfer Flüchtlingskonvention abgeben, werden immer wieder einflussreiche Stimmen laut, die dafür plädieren, sie einer Revision zu unterziehen oder sich ganz von ihr zu verabschieden – 2004 etwa der damalige Vorsitzende der britischen Konservativen, Michael Howard, mit der Begründung: "Ihre Autoren konnten sich nicht vorstellen, dass sie jährlich von Zigtausenden ausgenutzt werden könnte." Noch im selben Jahr erklärte Großbritanniens Premierminister Tony Blair, die Konvention habe "sichtlich begonnen zu altern". Allerdings hat sich bis heute noch kein Staat aus dem Genfer Flüchtlingsabkommen zurückgezogen.

Auf der anderen Seite haben viele Staaten die Flüchtlingskonvention bisher gar nicht unterschrieben. Manche Regierungen vertreten den Standpunkt, sie selbst lieferten aus "humanitären" Gründen praktische Hilfeleistungen an Flüchtlinge und hätten daher keinen Grund, dem Abkommen beizutreten. Die Türkei ist bisher kein Vollmitglied der Konvention – unter anderem deshalb verweigerten das UNHCR sowie führende Hilfsorganisationen die Teilnahme an der im März 2016 getroffenen Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei, nach der Asylsuchende seither von Griechenland zurück in die Türkei geschickt werden. Damit wird die Türkei, die bereits Iraker, Afghanen und Syrer in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt hat, nicht als "sicheres Herkunftsland" eingestuft. Die Vereinbarung kann daher als Verstoß gegen internationales Recht angesehen werden – da sie die Rückführung von Flüchtlingen in ein Land erlaubt, das ihnen keinen hinreichenden Schutz bietet.

Ist die Genfer Flüchtlingskonvention angesichts der jüngsten Entwicklungen noch relevant? Wer sie verfolgt hat, wird mit der Art und Weise vertraut sein, in der Staaten die Flüchtlingspolitik mit Sicherheitsbelangen verknüpft haben – das heißt, mit der Sicherheit ihrer eigenen Bevölkerung und nicht mit der Verpflichtung, Flüchtlinge zu schützen. (Ähnliche Bedenken wurden übrigens auch in den 1950er Jahren laut.) Staaten wie Australien treffen eine Reihe von Maßnahmen und investieren große Summen in den Versuch sicherzustellen, dass Flüchtlinge ihre Ufer nicht erreichen – um so ihrer Verantwortung Flüchtlingen gegenüber auszuweichen. Das macht die Genfer Flüchtlingskonvention nicht etwa weniger relevant, im Gegenteil. Sie zu zerreißen und noch einmal ganz von vorn anzufangen, wie manche vorschlagen, käme einem Rückschritt gleich – denn es ist kaum anzunehmen, dass Staaten sich auf eine Alternative würden einigen können.

Ein Eckpfeiler des Flüchtlingsabkommens von 1951 bleibt die Pflicht für Asylsuchende, nachzuweisen, dass sie verfolgt wurden. Einen Antrag zu stellen, kostet nicht nur Zeit, sondern ist für jeden Antragsteller, jede Antragstellerin auch emotional wie physisch anstrengend. Das Antragsverfahren gerät manchmal für Monate oder gar länger ins Stocken – und natürlich hat ein Staat die Macht, Anträge, die er für nicht berechtigt hält, abzulehnen. Angesichts der gegenwärtigen Größenordnung der Vertreibungen und der Herausforderungen der Globalisierung mag es erscheinen, als hätten heutige Staaten weniger Macht und Kontrolle darüber als in der Vergangenheit; dennoch ist klar, dass Staaten immer noch die besseren Karten in der Hand halten.

Ist das UNHCR selbst noch relevant? Kritiker sagen, es sei von seinem Weg abgekommen und heute mehr mit humanitärer Hilfe beschäftigt als mit seinem Kernauftrag, gemäß den Prinzipien der Genfer Konvention Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Angesichts der Maßnahmen seiner Zahlmeister erweist es sich als in hohem Maße gelähmt – desgleichen durch die Tatsache, dass es Staaten nur Orientierungshilfe geben kann. In den 1950er Jahren gelang es ihm, wichtige Änderungen in seinem Auftrag herbeizuführen – also gibt es durchaus Präzedenzfälle, die das UNHCR vor einer Niederlage zu retten vermögen. Die gegenwärtige Politik der EU-Mitgliedstaaten und anderer Länder bietet indes nur wenig Grund zum Optimismus.

In diesem Zusammenhang erweist sich die Bemerkung zweier Juristen mit langjähriger Erfahrung im internationalen Asylrecht als nach wie vor sachdienlich: "Der Schutz der Flüchtlinge spiegelt die fortwährende Spannung zwischen internationalen Rechtsprinzipien auf der einen Seite und den gesetzlichen und politischen Mitteln, mit denen sie auf nationaler Ebene implementiert werden, auf der anderen Seite wider."

Gewiss war die Genfer Flüchtlingskonvention ein Meilenstein des internationalen Rechts; wie wir jedoch in den vergangenen Monaten gesehen haben, wird vielen Flüchtlingen und Asylsuchenden weiterhin ein angemessener Schutz verweigert – geschweige denn, dass sie die Rechte erhalten, die die Bürger eines Lands für selbstverständlich halten. Es lohnt daher, sich die jüngsten Worte eines der führenden Experten im internationalen Flüchtlingsrecht, James C. Hathaway, vor Augen zu halten: "Gleichermaßen wichtig (…) sind die Rechte, die aus dem Flüchtlingsstatus resultieren. Flüchtlinge erhalten nicht allein das Recht, nicht ausgewiesen zu werden. Doch sie haben auch nicht das Recht darauf, für den Rest ihres Lebens betreut zu werden. So funktioniert die Flüchtlingskonvention nicht. Aus meiner Sicht stellt sie einen der brillantesten Verträge dar, die jemals aufgesetzt wurden – nämlich in dem Maße, wie sie darauf zielt, Flüchtlingen zu ermöglichen, unabhängige, autonome und aktive Mitglieder der Gemeinschaft zu werden, zu der sie fliehen. Sie enthält präzise eingebaute starke ökonomische und Freizügigkeitsrechte, die verhindern, dass Wohltätigkeit zur Norm wird. Außerdem ist die Flüchtlingskonvention fair zu Staaten, indem sie für Flüchtlinge nichts von ihnen fordert, was sie nicht auch für ihre eigenen Bürger garantieren können. Überhaupt verlangt sie von ihnen nicht, vielerlei Rechte sofort zu garantieren. Vielmehr erlaubt sie, dass Rechte im Laufe der Zeit und mit wachsender Assimilation der Flüchtlinge gewährt werden können. (…) Es ist daher wichtig, denke ich, zu betonen, dass diese Konvention es wert ist, erhalten zu bleiben."

Keineswegs zufällig beendet Hathaway seine Ausführungen mit der Forderung, dass die Verpflichtung auf Seiten des UNHCR und seiner Mitgliedstaaten liegen sollte, zu einer der grundlegenden Überlegungen der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukehren – nämlich derjenigen, nach der "sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können und dass eine befriedigende Lösung des Problems, dessen internationalen Umfang und Charakter die Organisation der Vereinten Nationen anerkannt hat, ohne internationale Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht erreicht werden kann".

Wo also ist derzeit, könnte man fragen, das Engagement zur Sicherung der Kernrechte von Flüchtlingen mithilfe einer Art internationaler Kooperation zur Lastenteilung zu erkennen? Eine nähere Betrachtung der Ursprünge der Genfer Flüchtlingskonvention bietet einen guten Ausgangspunkt für politische Entscheidungsträger heute.

Ph.D., geb. 1950; Professor für Wirtschaftsgeschichte an der University of Manchester, Samuel Alexander Building-N2.1, School of Arts, Languages and Cultures, M13 9PL Manchester/Vereinigtes Königreich. E-Mail Link: peter.gatrell@manchester.ac.uk