Alter Wein in neuen Schläuchen? Integrationskonzepte vor der Bundestagswahl
Zehn Thesen zur Leitkultur von Bundesinnenminister Thomas de Maizière oder 15 Thesen der "Initiative kulturelle Integration"?[1] Wer sich in Anbetracht dieser politischen Ideen, dieser unterschiedlichen "Frames", um 20 oder gelegentlich sogar um 40 Jahre zurückversetzt fühlt, den trügt die Erinnerung nicht. Rückführung und Doppelpass, Arbeitsmarktintegration und Wertedebatte: Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl wird erneut um Konzepte von Integration gerungen.Die Integrationsdebatte bewegt sich spiralförmig, kreist in sich wandelnden, aber auch wiederholenden Interpretationen von "Integration". Sie dreht sich um die immer selben Grundfragen: Wen wollen wir integrieren – und wen nicht? Wer soll zu uns gehören? Auf welche Weise und in welchen Bereichen soll Integration erfolgen? Wie gelingt Integration am besten, was steht an ihrem Beginn und was an ihrem Ende?
Auch zwei Monate vor den Bundestagswahlen lassen sich die widerstreitenden "Rahmungen" dessen, was Integration sein kann und sein soll, letztlich auf zwei Pole zurückführen: die klassische Unterscheidung von Assimilation – der einseitigen Anpassung als "Bringschuld" von Migrantinnen und Migranten an eine dominante Ankunftsgesellschaft – und von Integration – als einer Chance zur Teilhabe an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.[2] Integration umschließt dann auch die Leistungen der Aufnahmegesellschaft und hat auch im Sinne eines Mainstreamings die gesamte Gesellschaft zum Adressaten.[3] Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich ein ganzes Kontinuum politischer Ideen, Schwerpunktthemen und Narrativen.
Die Art und Weise, wie Integration wahrgenommen und problematisiert wird, wie Lösungsansätze kommuniziert und in politische Programme eingebaut werden, spielt eine wichtige Rolle für deren Akzeptanz bei den Wählerinnen und Wählern und für ihre etwaige Umsetzung in Koalitionsverhandlungen und Regierungshandeln. Werfen wir zunächst einen Blick zurück.[4]
Integration in den Arbeitsmarkt und Rückkehrförderung
Wen wollen wir integrieren, und wohin? Das Integrationsverständnis für die erste Generation von Migrantinnen und Migranten nach dem Zweiten Weltkrieg und für die nachfolgende Generation von "Gastarbeitern"[5] war noch sehr eng. Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik Deutschland einwanderten, profitierten von Integrationsmaßnahmen, die allerdings nicht-deutschen Zuwanderern, die zwischen 1955 und 1973 zumeist Gastarbeiter waren, bis 2005 unzugänglich blieben. In den 1970er Jahren formulierte die damalige Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP "Grundsätze zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer". Wie der Titel verdeutlicht, waren diese aus arbeitsmarktpolitischer Sicht formuliert.Mit steigendem Familiennachzug wurde Integration zusehends auch mit anderen Schwerpunkten und zugleich kontroverser diskutiert. Bedeutete sie für konservativere Kreise eher die politisch-administrative Eingliederung von Einwanderern, so beinhaltete sie für progressivere Gruppen eher die rechtliche Gleichstellung von Menschen ausländischer Herkunft mit Deutschen. Die Notwendigkeit von Integrationsmaßnahmen, wie sie etwa der erste Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Heinz Kühn, vor 40 Jahren gefordert hatte, wurde zunehmend anerkannt, doch formulierte die schwarz-gelbe Koalition 1982 ausdrücklich: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland". Integrationsmaßnahmen in Form von Sprachkursen und Informationen zum Berufsalltag dienten somit primär der Integration in den Arbeitsmarkt.
Zeitgleich förderte die Bundesregierung aktiv die Rückkehr der Zuwanderer: Bereits 1983 hatte die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl das "Gesetz zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern" verabschiedet. Die Rückkehrförderung als "Kehrseite der Integration" sorgte vor wenigen Monaten mit dem im Frühjahr 2017 verabschiedeten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht durch einige restriktive Maßnahmen erneut für politische Kontroversen.[6]
"Doppelpass"
Wer darf Mitglied werden?[7] Mit der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung 1998 zeichnete sich ein Paradigmenwechsel ab. Das ab dem 1. Januar 2000 geltende neue Staatsangehörigkeitsgesetz etablierte eine weitreichende Optionspflicht, die nach der Volljährigkeit bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres griff: Dann musste zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit gewählt werden, ein etwaiger Antrag auf doppelte Staatsangehörigkeit bis zum Ende des 21. Lebensjahres gestellt werden. Mit dem im Dezember 2014 in Kraft getretenen zweiten Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes wurde der Kreis der Optionspflichtigen eingeschränkt: Die Optionspflicht entfiel für im Inland aufgewachsene Personen, die mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben und hier mindestens sechs Jahre die Schule besuchten oder in Deutschland einen Schul- beziehungsweise Berufsabschluss erworben haben.Fast drei Jahre später fordern CDU und CSU in Reaktion auf das Türkei-Referendum 2017 für in Deutschland lebende Türken erneut spätestens von der zweiten Generation, die in Deutschland geboren ist, eine Entscheidung für eine der beiden Staatsbürgerschaften. Personen aus Nicht-EU-Staaten müssten sich also zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr auf eine Staatsbürgerschaft festlegen. Das Argument für diesen auf zwei Generationen beschränkten Doppelpass lautet, dass die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes ab der "Enkelgeneration" von Generation zu Generation weitergegeben wird, obwohl zu diesem Land keine oder kaum mehr eine Beziehung bestehe.[8] Auch die SPD hat den Doppelpass zum integrationspolitischen Hindernis deklariert und fordert eine Abschaffung der Optionspflicht mit "Generationenschnitt".[9] Die FDP hingegen fordert in ihrem Programm eine frühere Einbürgerungsmöglichkeit (nach vier statt wie bisher nach acht Jahren), jedoch ohne den Zwang, die alte Staatsbürgerschaft abzulegen.[10]