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Das Konzept "Erziehungsgehalt 2000" | Familienpolitik | bpb.de

Familienpolitik Editorial Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung Das Konzept "Erziehungsgehalt 2000" Politikgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht am Beispiel der Familienpolitik

Das Konzept "Erziehungsgehalt 2000"

Michael Opielka

/ 20 Minuten zu lesen

Anfang 1998 erschien das Gutachten "Erziehungsgehalt 2000". Es stand im Kontext einer seit vielen Jahren andauernden öffentlichen Diskussion um eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Erziehungsarbeit zwischen den Geschlechtern.

Einleitung

Mit einem Erziehungsgehalt will die Gesellschaft ein Recht auf Einkommen für Eltern schaffen. Es soll dazu beitragen, die Aufgabe der Erziehung eines oder mehrerer Kinder vor allem im Vorschulalter verantwortlich erfüllen zu können. Die politische Forderung nach einem Erziehungsgehalt ist neu, die Idee freilich nicht. In einem Gespräch während der ,,documenta 5" im Jahr 1972 hat der wohl bedeutendste Künstler des Nachkriegsdeutschland, Joseph Beuys, die Forderung nach einem ,,Hausfrauengehalt", nach der ,,Anerkennung der Haushaltstätigkeit als Beruf" erhoben. Beuys stellte diese Forderung in den weiten Zusammenhang einer plastischen, künstlerischen Gestaltung der Gesellschaft: ,,Auch wenn wir das Hausfrauengehalt herausstellen, wird die Diskussion den ganzen sozialen Organismus beleuchten, wird etwas aussagen über . . . unsere ökonomische Struktur. Das ist doch zwangsläufig, dass man über diesen Weg erst in die Debatte kommt - wie bei uns mit Volksvermögen umgegangen wird." Sein Ausgangspunkt war einfach: "Ist die Hausfrauenarbeit Leistung oder ist sie keine Leistung? Wenn man dazu kommt, sie als Leistung zu erkennen, muss sie abgegolten werden."[1]

Die Forderung nach einer Bezahlung der Haushaltstätigkeit - Beuys hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass diese Bezahlung auch für Männer gilt, die diese Arbeit übernehmen, und darauf, dass ihren Kern die Erziehungsarbeit bildet - bedeutete für ihn zugleich eine umfassende Infragestellung des herrschenden Arbeits-, Rechts- und Freiheitsbegriffs. Diese Infragestellung ist heute nicht weniger aktuell als im Jahr 1972. Beuys' Infragestellung eines überkommenen Rechtsbegriffs zielt auf ein umfassendes Verständnis von Gleichheit. Praktisch bedeutet dies im Hinblick auf die Erziehungsarbeit, dass ein öffentliches Gut wie die Erziehungsarbeit nicht über private Unterhaltsbeziehungen allein gesichert werden kann. Es beinhaltet auch eine Gleichheit der Leistungsbewertung insoweit, als ein Erziehungsgehalt - anders als die gegenwärtigen Steuervorteile für Eltern und Verheiratete - die durch den Staat nur allgemein anerkennbare Erziehungsleistung gleich bewertet. Schließlich verweisen die Überlegungen von Beuys auf einen umfassenden Freiheitsbegriff, der gleichfalls die Grundlage der Idee des Erziehungsgehalts bildet. Dieser führt hier zum Gedanken der Wahlfreiheit für Mütter und Väter zwischen Familie und Beruf: ,,Wie sich nun die Frauen in dieser Sache entscheiden, ist ja ihre Sache. Was ich für wünschenswert halten würde, spielt dabei gar keine Rolle."

Diesen einführenden Bemerkungen des Sozialkünstlers Joseph Beuys könnten zahlreiche weitere Überlegungen anderer Frauen und Männer zur Seite gestellt werden, die aus ganz grundlegenden Erwägungen für ein Erziehungsgehalt plädiert haben. Es ist diese sozusagen objektive Bewegung zu einem erweiterten Arbeits-, Rechts- und Freiheitsverständnis, die heute die Idee eines Erziehungsgehalts, einer materiellen Anerkennung der Erziehungsarbeit in die sozialpolitische Diskussion geführt hat. Die sozialpolitische Anerkennung der Erziehungsarbeit hat vor allem aufgrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes begonnen, das zuletzt und am nachdrücklichsten im Januar 1999 eine Berücksichtigung der Erziehungsarbeit im Renten- und Steuerrecht eingefordert und mit den so genannten ,,Erziehungsjahren" in der gesetzlichen Rentenversicherung auch teilweise durchgesetzt hat

.

Das - erneut leicht angehobene - Kindergeld, die Beibehaltung von Ehegattensplitting und kostenfreier Mitversicherung von Kindern und Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung können als eine Anerkennung familialer Mehrbedarfe wie der in Familien geleisteten Arbeit gedeutet werden. Dennoch beläuft sich nach den Analysen des 5. Familienberichts der Bundesregierung der Anteil der staatlichen Nettotransfers (ohne Krankenversicherung) nur auf etwa zehn Prozent der durch Kinder entstehenden Versorgungs- und Betreuungsaufwendungen, der Rest verbleibt den Eltern

. Seit 1986 existiert ein Erziehungsgeld, begleitet mittlerweile von einem Anspruch auf bis zu drei Jahren Erziehungs,urlaub'. Das Erziehungsgeld wurde seither nicht erhöht. Der Kreis der Anspruchsberechtigten sinkt. Das Erziehungsgeld ist nur in Kombination mit Leistungen der Sozialhilfe existenzsichernd. Es bietet zudem keinerlei Anreiz für Väter, sich an der Erziehungsarbeit in der Familie zu beteiligen. Seit einigen Jahren werden deshalb verschiedene Reformvorschläge für das Erziehungsgeld mit dem Ziel einer ernsthaften Anerkennung der Erziehungsarbeit in der Familie diskutiert. Die Reformvorschläge reichen von einer Anhebung des Erziehungsgeldes über eine Verlängerung seiner Laufzeit auf die Dauer des Erziehungsurlaubs, der Einrichtung eines Zeitkontos für Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, der Beschränkung eines Teils des Anspruchs auf die Väter (und Verfall bei Nichtinanspruchnahme) bis hin zur Forderung nach einem Erziehungsgehalt. Diese greift Elemente der feministischen Diskussion um einen ,,Lohn für Hausarbeit" auf und wurde erstmals 1994 erhoben

. Im Frühjahr 1998 wurde nun mit dem Gutachten ,,Erziehungsgehalt 2000" ein weiter entwickelter Vorschlag präsentiert, der vor allem auf frauenpolitische Einwände reagierte

. Die bisherige Resonanz ist diffrerenziert, das Interesse breit. Die Diskussion um die Weiterentwicklung des Erziehungsgeldes zu einem Erziehungsgehalt wird nun öffentlich geführt

.

I. Das Modell "Erziehungsgehalt 2000"

Das vorgeschlagene Erziehungsgehalt soll mit einem auf dem Arbeitsmarkt erzielten Einkommen vergleichbar sein. Aufgrund der hohen Ausgaben, die mit einer Kompletteinführung für Familien mit Kindern bis zum Schuleintrittsalter bei über 100 Mrd. DM liegen würden, wurde der Vorschlag "Erziehungsgehalt 2000" mehrstufig angelegt (Abbildung).

Das "Erziehungsgehalt I" soll vom ersten bis siebten Jahr, beziehungsweise bis zum Schuleintritt gezahlt werden, wobei sich das Konzept in einer ersten Phase der Einführung auf die ersten drei Lebensjahre des jeweils jüngsten Kindes bezieht. Der Grundbetrag beträgt bei einem Kind 2 000'DM pro Monat (für Alleinerziehende 2 300'DM), der Zusatzbetrag für jedes weitere Kind 1 000'DM pro Monat (für Alleinerziehende 1 150'DM). Die Höhe des Erziehungsgehalts soll unabhängig von sonstigen Haushaltseinkommen sein, aber auch unabhängig von der Beteiligung am Arbeitsmarkt. Das Erziehungsgehalt ist ein eigenständiges Einkommen. Es ist wie jedes andere Erwerbs- oder Vermögenseinkommen zu versteuern, wobei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Haushalte durch die Steuerpflichtigkeit des Erziehungsgehalts berücksichtigt wird. Wird das Erziehungsgehalt sukzessive bis zum Schuleintrittsalter der Kinder ausgedehnt, sollen auch die in der Rentenversicherung angerechneten Kindererziehungsjahre bis auf sieben Jahre aufgestockt werden. Grundsätzlich gilt, dass die Leistungen für einen Erziehenden mit drei Kindern im Alter von unter acht Jahren das durchschnittliche Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit - vor Steuer, aber nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge - erreichen sollen. Dies begründet sich aus der Tatsache, dass bei drei Kindern in diesem Alter in der Regel eine Erwerbstätigkeit nicht möglich ist, beziehungsweise nur dann, wenn durch andere Personen im Haushalt oder in Institutionen die Erziehungsarbeit erbracht wird.

Das Gutachten "Erziehungsgehalt 2000" untersucht ausführlich die Option eines erwerbszeitabhängigen Erziehungsgehalts. In dieser Variante hängt die Höhe des ausgezahlten Erziehungsgehaltsbetrags vom Umfang der gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit ab. Zwar lässt sich davon ausgehen, dass durch eine erwerbszeitabhängige Variante des Erziehungsgehalts I (bei Kindern unter sieben Jahren) im Idealfall, das heißt unter den Bedingungen einer vollkommenen Gleichbehandlung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt, eine Förderung partnerschaftlicher Arbeitsteilung in Familie und Beruf möglich wäre. Aber der Realität struktureller Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt entspricht eher eine erwerbszeitunabhängige Variante. Sie eröffnet Frauen zum jetzigen Zeitpunkt mehr Handlungsspielräume und zwingt sie nicht aufgrund der gegenüber den Männern schlechteren Einkommenslage zur Aufgabe von gewünschter Erwerbstätigkeit. Das muss jedoch nicht davon abhalten, andere Vorschläge für einen Symmetriebonus zu entwickeln, der Anreize für eine partnerschaftliche Teilung der Erziehungsarbeit setzt. Denkbar wäre - wie beispielsweise in Österreich oder in Schweden -, einen Teil des Anspruchs auf das Erziehungsgehalt ausschließlich den Vätern zuzusprechen.

Vorgesehen ist, dass ein Teil des Erziehungsgehalts zwischen dem vierten und siebten Jahr in Form eines steuerfreien "Erziehungsgutscheins" in Höhe von monatlich etwa 600'DM ausgezahlt wird. Der Baranteil sinkt dann für das erste Kind auf 1 400'DM und auf 400'DM für jedes weitere Kind. Diese Aufsplittung kommt zum einen der Tatsache entgegen, dass heute die Betreuung von drei bis sechsjährigen Kindern in Kindertageseinrichtungen allgemein befürwortet wird. Ziel eines teilweisen Umstiegs der bestehenden Objekt- auf eine Subjektförderung - das heißt eines Systemwechsels von der Förderung von Einrichtungen auf die Förderung der sie nutzenden Personen - durch die Einführung eines Erziehungsgutscheins im Vorschulalter ist eine integrierte Betrachtung der häuslichen und außerhäuslichen Erziehungsarbeit. Beide Arbeitsleistungen sind komplementär und gesellschaftliche Arbeit. Ein Erziehungsgutschein würde die Wahlfreiheit der Eltern erhöhen, indem ihre Nachfrageposition gestärkt wird. Das "Erziehungsgehalt II" soll vom achten bis maximal 18. Lebensjahr, ebenfalls erwerbszeitunabhängig, aber einkommensabhängig ausgezahlt werden. Der Grundbetrag für das erste Kind beträgt 1 400 DM pro Monat, der Zusatzbetrag für jedes weitere Kind 600 DM pro Monat. Ab dem siebten Lebensjahr des jüngsten Kindes soll das Erziehungsgehalt demnach vom verfügbaren Haushaltseinkommen abhängen. Einkommen im Sinne des Einkommenssteuerrechts werden - als eine Art negativer Einkommenssteuer für Erziehende - nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge zu 50 Prozent auf den Anspruch für das Erziehungsgehalt II angerechnet. Werden die Kinder älter, geht der Zeitaufwand für die Erziehungsarbeit bei den Eltern zurück. Schule, Kirche, Vereine etc. übernehmen eine wichtige und ergänzende Funktion. Entsprechend kann auch das Erziehungsgehalt reduziert werden. Die einkommensabhängige Gestaltung dient dem Ziel einer wirtschaftlichen Mindestsicherung für Erziehungspersonen, die ein hohes Arbeitsmarktrisiko tragen. Gleichzeitig sollen Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und zur Qualifizierung ein hohes Gewicht erhalten.

Ein positiver Nebeneffekt der Einkommensabhängigkeit von Erziehungsgehalt II ist die entsprechend geringere finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte (weniger als ein Zwölftel des Erziehungsgehalts I). Eine weitere Möglichkeit für Erziehungspersonen, deren jüngstes Kind älter als 18 Jahre ist, besteht in der Schaffung einer Grundsicherung, die bei ihnen zumindest das Risiko des Absinkens in materielle Armut verhindert. Immerhin sind diejenigen, die sich jahrelang der Erziehung ihrer Kinder mit vollem Engagement gewidmet haben, ein hohes Risiko eingegangen, später nicht mehr auf einen adäquaten Platz im Erwerbsleben zurückzufinden.

II. Die Finanzierung eines Erziehungsgehalts

Zur Berechnung der Finanzierung des Erziehungsgehalts hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ein Teilgutachten erstellt. Stark vereinfacht soll die Finanzierung des Bruttofinanzvolumens des Erziehungsgehalts aus sozialpolitischen Einsparungen und Umschichtungen, über expansive Effekte und über einen Familienzuschlag zur Einkommenssteuer erfolgen.

Der Finanzaufwand für die 1. Phase (null bis drei Jahre) beläuft sich auf ca. 57 Mrd. DM. Phase 1 und Phase 2 machen dann einen finanziellen Aufwand von ca. 110 bis 115 Mrd. DM aus. Der Aufwand für das Erziehungsgehalt II bewegt sich in einer Größenordnung von 10,7 Mrd. DM. Die Bruttoausgaben für die Grundsicherung (ab dem 18. Lebensjahr des jüngsten Kindes) liegen noch darunter. Der marginale Steuersatz bei der Lohn- und Einkommensteuer beläuft sich im Durchschnitt auf 28 Prozent. Er wird auf das zu versteuernde Erziehungsgehalt angewendet. Es waren also Finanzierungskonzepte für ein Nettovolumen von ca. 72 Prozent des Bruttoaufwandes vorzulegen. Dabei trägt die teilweise Refinanzierung des Erziehungsgehalts durch seine Besteuerung zur Verteilungsgerechtigkeit bei.

Die Finanzierungsstrategie für die 1. Phase des Erziehungsgehalts für Familien mit Kindern von null bis drei Jahren stützt sich primär auf das Instrument von Umschichtungen, die durch automatische Einsparungen und durch gesetzlich zu gestaltende Einsparungen ermöglicht werden. Automatische Einsparungen ergeben sich beim Erziehungsgeld, der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe und beim Wohngeld. Darüber hinaus reduziert sich (bei ansonsten unveränderter Regelung der Elternbeiträge) der staatliche Aufwand für Kindertagesstätten aufgrund einkommensbedingter Gebührenmehreinnahmen um etwa 50 Prozent.

Die direkte Honorierung der Erziehungsleistung durch das Erziehungsgehalt ermöglicht Veränderungen der steuerlichen Veranlagung bei Ehepaaren. Die Einkommensvorteile aus dem Ehegattensplitting sollen in Zukunft nur noch Familien mit Kindern von (in der 1. Phase) drei bis 18 Jahren (in der 2. Phase von acht bis 18 Jahren) gewährt werden, die (noch) keinen Anspruch auf ein Erziehungsgehalt haben. Alle anderen Ehepaare können in Zukunft zwei Grundfreibeträge bei der Einkommensbesteuerung einbringen.

Die Gegenfinanzierung erbringt ein Restdefizit von ca. 3,7 Mrd. DM, für die zwei Finanzierungsoptionen - Abstriche bei den Familienzuschlägen im öffentlichen Dienst oder ein Familienzuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer in Höhe eines Prozentpunktes - vorgeschlagen werden.

Ein Ausbau des Erziehungsgehalts für Familien mit Kindern, die älter als 3 Jahre alt sind, ist finanz- und steuerpolitisch natürlich schwieriger. Mehr Jahre Erziehungsgehalt führen zu höheren Einsparungen bei Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Wohngeld und Ausbildungsbeihilfe. Ebenfalls steigt das Umschichtungspotential im Bereich Kindergärten durch die Verlagerung der Finanzierung von der Objekt- auf die Subjektförderung. Optionen für Steuersatzsteigerungen zugunsten des Erziehungsgehalts werden gesehen in einer verstärkten Besteuerung der Alterseinkommen, in einer Verschärfung der Erbschaftssteuer und der Wiedereinführung einer (veränderten) Vermögenssteuer und zweitens in der Schaffung eines Familienzuschlags auf die Lohn- und Einkommenssteuer, der den auslaufenden Solidaritätszuschlag für Ostdeutschland ersetzen könnte.

Diese Finanzierungsvorschläge sind unterdessen kritisch kommentiert worden. Exemplarisch sei die Kritik des bayerischen Finanzministers Kurt Faltlhauser (CSU) erwähnt, der im ,,Bayernkurier" vom 9. Januar 1999 von Gesamtkosten des Konzeptes ,,Erziehungsgehalt 2000" von 180 Milliarden DM spricht und einen Familienzuschlag von über 50 Prozent folgert. Diese Zahlen wurden freilich nicht belegt. Bemerkenswert ist jedoch die in der Kritik formulierte Gesellschaftskonzeption: ,,Im Ergebnis bedeutet ein staatliches Erziehungsgehalt nichts anderes als eine ,Generalsozialisierung' der Kinderfinanzierung. Nach Zivilrecht unterhaltsverpflichtete Eltern werden von ihrer finanziellen Eigenverantwortung entbunden. Die wirtschaftlichen Lasten der Kindeserziehung haben der Staat und damit die Gesamtheit der Bürger zu tragen. Der Grundansatz staatlicher Hilfe und Leistung als subsidiäre Basissicherung wird gegenstandslos. Generelle Nivellierung statt Hilfe im Einzelfall soll als Lösung verkauft werden." Dem ist entgegenzuhalten, daß ein Erziehungsgehalt keinen Elternsozialismus begründet, sondern die familiäre Erziehungsarbeit aus der subsidiären Fiktion des Privaten herausholt, wonach die Basissicherung der Eltern kleiner Kinder nur in der Familie geleistet werden muss. Substantiellere Einwände gegen die Finanzierungsstrategie des Erziehungsgehalts finden sich in einem Beitrag in der Zeitschrift der deutschen Rentenversicherungsträger. Die Finanzierung des Erziehungsgehalts sei ,,in einigen Punkten wenig plausibel"

, heißt es; konkret werden jedoch nur zwei Annahmen kritisiert: So würden entgegen den dem Gutachten zugrunde liegenden Berechnungen des DIW nicht 70 Prozent, sondern nur 50 Prozent aller Leistungen der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt an Haushalte mit Kindern gezahlt. Zudem sei es fraglich, überhaupt von staatlichen Einnahmesteigerungen aufgrund einer gesamtwirtschaftlichen Nachfragesteigerung nach Einführung eines Erziehungsgehalts auszugehen. Beide kritisierten Punkte machen mit insgesamt 4,1 Mrd. DM freilich nur einen kleineren Teil der Finanzierungsstrategie aus, so dass selbst bei einer teilweisen Bestätigung der Kritik die Substanz des Modells nicht gefährdet erscheint. Zu Recht erkennen die Autoren gleichwohl, dass ein Erziehungsgehalt mittelfristig die Einführung einer ,,Grundrente" im Alter impliziert. Nur eine Grundrente - vergleichbar den Systemen der Schweiz, Hollands oder Dänemarks - könnte durch Kindererziehungszeiten wirksam ,,aufgestockt" werden und zudem die Hinterbliebenenrenten langfristig reduzieren.

III. Leitgedanken des Konzepts "Erziehungsgehalt 2000"

Die Forderung nach einem Erziehungsgehalt steht

1. für eine Aufwertung der Erziehungsarbeit,

2. für mehr Partnerschaft in der Elternschaft und

3. für mehr gesellschaftliche Investitionen in die häusliche und außerhäusliche Erziehungsarbeit.

1. Aufwertung der Erziehungsarbeit

Erziehungsarbeit wird überwiegend kostenlos von Frauen geleistet, und dies ohne wirkliche gesellschaftliche Anerkennung. Als Arbeit gilt nur Erwerbsarbeit. Erziehungsarbeit sowie sämtliche Tätigkeiten in der so genannten Reproduktionssphäre werden nicht als gesellschaftliche Arbeitsleistung verstanden. Dieser Arbeitsbegriff ist verkürzt. Erziehungsarbeit ist gesellschaftliche Arbeit, entlohnt wird sie jedoch nur, wenn sie von öffentlichen Betreuungspersonen übernommen wird, und nur dann wird diese Leistung auch bei'der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts berücksichtigt.

Gefordert wird heute allenthalben eine Erweiterung des Arbeitsverständnisses. Gleichzeitig wächst die Überzeugung, dass in einer auf bezahlte Erwerbsarbeit orientierten Gesellschaft ein Bewusstsein für den Wert einer Arbeitsleistung nicht ohne ihre monetäre Aufwertung geschaffen werden kann. Die Kindererziehung stellt heute unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet ein ,,öffentliches Gut" dar. Kollektivgüter sind dadurch charakterisiert, dass Dritte von ihrem Nutzen nicht ausgeschlossen werden können. Klassische Beispiele für öffentliche Güter sind die Landesverteidigung und heute der Umweltschutz. Der Markt bietet für solche Güter keinen individuellen Anreiz, weil derjenige, der einen Kostenbeitrag verweigert, dennoch nicht von dem Nutzen, dem ,,Konsum" dieser Leistungen ausgeschlossen werden kann. Bis annähernd 50 Prozent der gesamtgesellschaftlichen Arbeit werden nach Analysen des Statistischen Bundesamtes in den Haushalten und dabei überwiegend für die Erziehung und Versorgung von Kindern erbracht

. Diese Arbeit ist für die Gesellschaft unverzichtbar. Das Erziehungsgehalt honoriert insoweit ein öffentliches Gut.

Die in allen Industriegesellschaften sinkenden Geburtenziffern sind ein Indiz dafür, dass diese ökonomische Begründung für ein Erziehungsgehalt noch nicht erkannt wurde. Die Entscheidung für Kinder zieht heute enorme Kosten für die Familien nach sich. Während Kinder früher die Altersversorgung waren, stellen sie heute - vor allem für Familien mit kleinen Kindern und für Alleinerziehende - ein Armutsrisiko dar. Neben den tatsächlichen Aufwendungen für Kinder entstehen den Familien nämlich erhebliche Opportunitätskosten dadurch, dass in der Zeit der Erziehungsarbeit keine Erwerbsarbeit geleistet und damit kein Markteinkommen erzielt werden kann.

Deutschland ist hinsichtlich einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Europa Schlusslicht, eine Rolle, die es sich mit anderen bemerkenswert geburtenarmen Gesellschaften wie Italien und Spanien teilt

. So ist eine Förderung von Teilzeitarbeit noch nicht wirklich auf der öffentlichen Agenda in Deutschland angelangt. Gegenwärtig besteht kein Rechtsanspruch von Eltern auf Teilzeitarbeit. Das wirkt sich auf den Arbeitsmarkt für Eltern kleiner Kinder und damit derzeit vor allem für Mütter verheerend aus. Mehr als 50 Prozent der Frauen, die nach dem Erziehungsurlaub wieder erwerbstätig werden wollen, können das nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung und Statusverlusten, da ihr Rückkehrrecht an den vorherigen Vollzeitarbeitsplatz gebunden ist, den sie aber - nicht zuletzt mangels Betreuungsangeboten - nicht wieder einnehmen können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt somit ein individuelles Problem der Eltern und hier vor allem der'Mütter. Auch ist das Teilzeitpotential, die Wünsche von Müttern und Vätern nach einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit, bei weitem nicht ausgeschöpft, vor allem bei derzeit Vollzeitbeschäftigten. Knapp 60 Prozent der vollzeitbeschäftigten, verheirateten Mütter mit Kindern unter 16'Jahren wollen ihre Arbeitszeit verringern

. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen Erwerbstätigen ist in Deutschland um etwa 50 Prozent geringer als beispielsweise in den Niederlanden. In der Wirtschaft wie bei den öffentlichen Arbeitgebern herrscht in Bezug auf Teilzeitarbeit vor allem bei qualifizierten und leitenden Aufgaben noch ein erhebliches Bewusstseinsdefizit. Es fehlen zudem Vorschläge für eine steuer- oder transferpolitische Förderung von Teilzeitarbeit, so dass sich vor allem Eltern in niedrigen Einkommensgruppen Teilzeitarbeit leisten könnten. Ein von der Erwerbsarbeit unabhängiges Erziehungsgehalt könnte durchaus Teilzeitarbeit für Eltern in großem Stil ermöglichen und faktisch wie ein Lohnausgleich wirken.

Generell muss die falsche Alternative Familie ,,oder" Beruf durch eine neue Komplementarität ersetzt werden: Die von allen gesellschaftlichen Gruppen im Grundsatz geteilte Forderung nach einer ,,Vereinbarkeit von Familie und Beruf" muss durch eine materielle Gleichwertigkeit von familiärer Erziehungsarbeit und Erwerbstätigkeit unterfüttert werden. Es ist bedauerlich, dass eine Reihe von feministischen und gewerkschaftsnahen Kritikerinnen des Erziehungsgehalts diesen Zusammenhang nicht erkennen wollen und - ohne das Konzept ,,Erziehungsgehalt 2000" sachlich zur Kenntnis zu nehmen - behaupten, die Idee des Erziehungsgehalts gehe ,,von einem völlig antiquierten Klein-Familienmodell aus, das für Männer in erster Linie Erwerbsarbeit und für Frauen Haus- und Sorgearbeit vorsieht"

. Die ,,flexible Lebensorientierung" vor allem von Frauen erweist sich demgegenüber als sehr zeitgemäß und durchaus als vorbildlich für die Väter der Zukunft. Das Erziehungsgehalt könnte zum Pfad werden, Mütter und Väter für das von ihnen erbrachte öffentliche Gut der Erziehungsarbeit anzuerkennen. Ein Erziehungsgehalt soll damit einen wesentlichen Beitrag leisten, Eltern mit kleinen Kindern eine ihrer Situation angemessene Balance zwischen Familienarbeit und Berufsarbeit zu ermöglichen. Es soll Eltern, vor allem aber die Mütter, nicht aus dem Arbeitsmarkt drängen, sondern gerade ihre Teilhabe an beiden Sphären garantieren.

2. Mehr Partnerschaft in der Elternschaft

Die noch immer umfassende gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen steht der Partnerschaft von Mann und Frau und einer ,,aktiven Vaterschaft" im Wege. Damit eine Partnerschaft unter ,,Gleichen", Vereinbarungen ,,auf Augenhöhe" möglich werden können, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die diese Benachteiligung auflösen und die stereotypen Rollenbilder nicht immer wieder erneut zementieren. Neben einer Aufwertung der Erziehungsarbeit durch ihre monetäre Anerkennung muss der Zusammenhang von Reproduktionssphäre und Berufssphäre neu thematisiert werden. Das Erziehungsgehalt ist insoweit Teil einer sozialökologischen Politik, die bisher in den ,,privaten" Familienbereich verlagerte Kosten sichtbar macht und volkswirtschaftlich internalisiert. Die Kosten der Kindererziehung würden damit stärker zu Systemkosten, die von der ganzen Gesellschaft getragen werden. Mit diesem Argument wird substantiell der feministischen Kritik an einem Wirtschaftssystem Rechnung getragen, das die Produktions- von der so genannten Reproduktionssphäre trennt und letztere in den Schatten drängt.

Es geht um eine Aufwertung der Position von Frauen in dieser Gesellschaft und um eine Vergrößerung der Lebensoptionen. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg stellt die Auflösung bestehender Arbeitszeitstrukturen dar, die nach wie vor eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Sinne einer partnerschaftlichen Aufteilung der Aufgaben behindern. Hinsichtlich der gängigen Vorstellungen, dass nur eine ,,Vollzeiterwerbstätigkeit" eine entsprechend qualifizierte und bezahlte Tätigkeit erlaubt, zeichnen sich langsam Veränderungen ab.

Die Frage nach der Vereinbarkeit darf jedoch keine Frage an die Mütter alleine bleiben. In den skandinavischen Ländern nehmen heute bis zu 25 Prozent der Väter an der Arbeit der Erziehung teil, indem sie zumindest zeitweise ihre Erwerbstätigkeit reduzieren. Demgegenüber zeigt eine aktuelle repräsentative Studie ,,Väter und Erziehungsurlaub", dass in Deutschland die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld und -urlaub zwar sehr hoch ist, die Inanspruchnahme durch die Väter jedoch die Ausnahme bleibt. Der relative Anteil männlicher Erziehungsurlauber hat sich zwischen 1987 und 1996 nur von 0,7 auf 1,4 Prozent (neue Bundesländer: 1,2 Prozent) erhöht

. Danach gefragt, welche Gründe in ihrem persönlichen Fall ausschlaggebend dafür waren, dass sie sich beim letzten Kind nicht am Erziehungsurlaub beteiligt haben, antwortete die Mehrzahl der Männer in der Studie ,,Väter und Erziehungsurlaub", dass das Erziehungsgeld nicht ausgereicht hätte, um den Einkommensverlust auszugleichen: Knapp drei Viertel der befragten Männer in den alten und neuen Bundesländern nannten dieses Argument. Die Sorge um die finanzielle Absicherung der Familie stand also bei der Mehrzahl der Männer an erster Stelle, wenn es um die Entscheidung ging, wer den Erziehungsurlaub nutzen solle. Bei 78 Prozent der befragten Männer ist dies auch objektiv nachvollziehbar, da sie vor der Geburt des ersten Kindes deutlich mehr verdienten als die Ehefrau: Nur bei zehn Prozent der Familien war das monatliche Einkommen der Frau zum Zeitpunkt vor der ersten Geburt höher als das des Mannes, bei zwölf Prozent war es etwa gleich hoch. Diese schiefe Einkommensverteilung zwischen den Geschlechtern verstärkt sich noch im weiteren Prozess der Familienentwicklung, da die Frauen, falls sie nach Ablauf des Erziehungsurlaubs wieder berufstätig wurden, meist in Teilzeit arbeiteten und somit weniger verdienten als vor der Geburt des ersten Kindes, wo sie in der Regel in Vollzeit erwerbstätig waren. Durch diese Familienentwicklung übernimmt der Mann immer stärker die Rolle des Haupternährers. Würde er sich für die Erziehung des Kindes bzw. der Kinder beurlauben lassen, entfiele zeitweise die Haupteinkunftsquelle der Familie. Da auch öffentliche Transferleistungen derzeit nicht ausreichen, um den Ausfall des Einkommens des Mannes auszugleichen, gibt es für viele Familien - sofern sie nicht über ausreichende Vermögensreserven verfügen - wenig Entscheidungsspielraum bei der Überlegung, welcher Elternteil Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen soll. Vor diesem Hintergrund könnte die Einführung eines Erziehungsgehalts in der vorgeschlagenen Form die familieninterne Kommunikation über die Inanspruchnahme des Erziehungsgehalts zugunsten der Mütter beeinflussen.

An zweiter Stelle wurden Gründe genannt, die sich auf die Berufstätigkeit beziehen: 32 Prozent der Männer in den alten Bundesländern und 22 Prozent in den neuen Bundesländern gaben an, Angst zu haben, im Beruf ,,den Anschluss zu verlieren", und etwa genauso viele wollten nicht auf berufliche Karrierechancen verzichten. Ähnlich hoch war der Anteil derjenigen, die angaben, dass in ihrem Beruf eine Unterbrechung in Form eines Erziehungsurlaubs nicht möglich sei. Ein Fünftel äußerte die Befürchtung, trotz der im Bundeserziehungsgeldgesetz verankerten Arbeitsplatzgarantie nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Auffällig war bei diesen Begründungszusammenhängen der signifikante Unterschied zwischen Vätern in den alten und neuen Bundesländern. Während erstere stärker den Einwand vorbrachten, dass der Erziehungsurlaub ihrer Berufskarriere schaden würde, befürchteten Väter aus den neuen Bundesländern häufiger den Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Die Ängste der Väter, die Mütter schon immer kennen, würden durch ein Erziehungsgehalt allein nicht ausgeräumt. Entscheidend für eine tatsächliche Wahlfreiheit und damit für eine partnerschaftliche Teilung der Erziehungsarbeit durch einen teilweisen oder zeitweise vollständigen Rückzug von der Erwerbsarbeit bei kleinen Kindern dürften arbeitsrechtliche und kulturelle Veränderungen sein, vor allem ein Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern und generell flexible Arbeitszeitregelungen, Rückkehransprüche nach einem Erziehungsurlaub und relevante Fortbildungsangebote während eines Erziehungsurlaubs.

3. Mehr gesellschaftliche Investitionen in die häusliche und außerhäusliche Erziehungsarbeit

In Deutschland wird im Vergleich zu den meisten europäischen Nachbarländern viel zu wenig in die nachwachsende Generation investiert

. Noch nicht einmal die Grundschulversorgung ist umfassend und familiengerecht organisiert, während bei vielen unserer Nachbarn die Ganztagsschule die Norm darstellt. Bildung und vor allem eine qualitativ gute pädagogische Begleitung wird aber angesichts der fundamentalen Veränderungen, mit denen sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren auseinanderzusetzen hat, immer wichtiger. Erst dadurch ergibt sich ,,Startchancengleichheit" für alle Kinder, zeigen doch empirische Studien, dass sich Sozialisations- und Bildungsdefizite mit Hilfe institutioneller Kinderbetreuung ausgleichen lassen. Das Erziehungsgehalt ist unter diesem Blickwinkel als ein Bestandteil der Investition in die nachwachsende Generation zu sehen. Gleichzeitig muss es möglich sein, über einen gewissen Zeitraum aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und Kinder zu Hause zu betreuen, wenn wir erreichen wollen, dass auch Kinder das erhalten, was sie je unterschiedlich benötigen. Das Erziehungsgehalt würde diese Möglichkeit auf einer existenzsichernden Grundlage für Erziehende schaffen.

IV. Erziehungsarbeit statt Erwerbsarbeit

Ein gravierender Einwand gegen das Konzept ,,Erziehungsgehalt 2000" wäre, wenn durch ein Erziehungsgehalt einseitig Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden und damit die gesellschaftliche Stellung der Frauen geschwächt würde.

Die Erwerbstätigkeit der Mütter hängt vor allem vom Alter des jüngsten Kindes ab, wobei erhebliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen. Nach wie vor ist die Erwerbsorientierung ostdeutscher Frauen wesentlich höher. Laut Mikrozensus 1995 lag die Erwerbsquote von Müttern mit einem Kind unter drei Jahren in Westdeutschland bei 80 Prozent, während sie in Ostdeutschland 99 Prozent betrug - das mag erstaunen, doch der Mikrozensus bezieht ganz realistisch in die ,,Erwerbsquote" sowohl die erwerbstätigen, die arbeitslos gemeldeten, aber auch die in Mutterschutz bzw. Erziehungsurlaub befindlichen Personen ein. Für die Mütter, deren Kinder zwischen vier und sechs Jahre alt sind, zeigen sich wiederum erhebliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland: 44 Prozent der Frauen im Westen mit Kindern in dieser Altersgruppe sind nun nicht erwerbstätig, 43 Prozent geringfügig (16'Prozent) oder teilzeitbeschäftigt (27 Prozent), während nur neun Prozent vollzeitbeschäftigt und vier Prozent arbeitslos sind. Ganz anders ist das in Ostdeutschland: Nur sieben Prozent der Frauen sind hier nicht erwerbstätig, 19 Prozent teilzeitbeschäftigt, aber 49'Prozent sind vollzeitbeschäftigt und 22 Prozent sind arbeitslos

. Das Absinken der Erwerbsquote nach dem dritten Lebensjahr des Kindes bedeutet, dass viele Frauen im Anschluss an den Erziehungsurlaub - ohne Erziehungsurlaub und -geld - nicht mehr der Erwerbsquote zugerechnet werden.

Was bedeuten diese Fakten nun für die Einführung eines Erziehungsgehaltes und die damit verknüpften Zielsetzungen? Bereits heute - ohne Erziehungsgehalt - kann von einer umfassenden Teilnahme von Müttern kleiner Kinder am Arbeitsmarkt kaum die Rede sein. Angesichts der Wünsche junger Mütter und einer zunehmenden Zahl junger Väter, Berufstätigkeit und Familienarbeit zu vereinbaren, ist überhaupt nicht zu erwarten, dass ein Erziehungsgehalt zu einer Absenkung der Müttererwerbsquote führt. Im Gegenteil, sofern das Erziehungsgehalt wie im Konzept ,,Erziehungsgehalt 2000" unabhängig von der Erwerbstätigkeit der Eltern gezahlt wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich der Betreuungsmarkt belebt, vielfältige und differenzierte außerfamiliale Erziehungsangebote entstehen und die Müttererwerbsquote gegenüber heute steigt.

V. Pragmatische Schritte zu einem Erziehungsgehalt

Es gibt verschiedene Wege zur Verbesserung der Situation junger Familien. Neben einem Erziehungsgehalt sind es vor allem öffentliche Kindertageseinrichtungen und die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Auch würde eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes den jungen Familien nützen. Aber alle diese Pfade neben dem Erziehungsgehalt nehmen nicht die für den Vorschlag ,,Erziehungsgehalt 2000" zentrale Annahme in den Blick, die Anerkennung der in der Familie geleisteten Arbeit.

Das Konzept ,,Erziehungsgehalt 2000" ist beweglich und ist vor allem als Anstoß zur familien- und sozialpolitischen Bewusstseinsbildung gedacht. Das Hauptziel ist ein Erziehungsgehalt, das bei drei kleinen Kindern ein durchschnittliches Einkommen garantiert. Vorgeschlagen wurde für die ersten drei (Einstiegsphase) bzw. sieben Jahre eine zu versteuernde, aber einkommensunabhängige Pauschalzahlung. Aus pragmatischen Gründen könnte ein auskömmliches Erziehungsgehalt aber auch durch eine Mischung aus Pauschalzahlung und bedarfsorientiertem Zusatzbetrag gesichert werden. Das würde die Kosten deutlich senken. Es wäre weiterhin denkbar, die als ,,Erziehungs-gehalt'II" konzipierte ,,Negative Einkommenssteuer für Eltern" nicht erst ab dem achten, sondern schon ab dem vierten Lebensjahr des Kindes vorzusehen. Im übrigen beinhaltet die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung die noch undeutliche Perspektive eines ,,Elterngeldes". Die Idee eines Erziehungsgehalts kann diese Perspektive konkretisieren. Das Erziehungsgehalt ist auf der politischen Agenda. Es könnte dazu beitragen, die ,,strukturelle Rücksichtslosigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber den Familien" zu beenden

.

Dr. rer. soc., Dipl.-Päd., geb. 1956; Lehrbeauftragter an der Universität Bonn (Seminar für Soziologie).

Veröffentlichungen u. a.: Gemeinschaft in Gesellschaft, Bonn 1996; (Hrsg.) Grundrente in Deutschland, Opladen 2000; Die solidarische Gesellschaft, Opladen 2000.