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Entwicklungspolitik - Dritte Welt Editorial Der Zerfall der postkolonialen Staaten Halbierung der absoluten Armut: die entwicklungspolitische Nagelprobe Entwicklungspolitik am Scheideweg - politische Randerscheinung oder globale Strukturpolitik ? Globalisierungs-Anforderungen an Institutionen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik Die Entwicklungspolitik der rot-grünen Bundesregierung

Entwicklungspolitik am Scheideweg - politische Randerscheinung oder globale Strukturpolitik ?

Ludgera Klemp

/ 20 Minuten zu lesen

Entwicklungspolitik ist heute globale Strukturpolitik. Ihr Ziel ist es, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern.

Einleitung

Entwicklungspolitik steht nach 40 Jahren theoretisch vor ihrer umfassendsten Reform. Mit der Koalitionsvereinbarung von 1998 wurde ihre marginale innenpolitische Rolle deklamatorisch beendet: "Entwicklungspolitik ist heute globale Strukturpolitik, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern. Sie orientiert sich u. a. am Leitbild einer global nachhaltigen Entwicklung." Mit dieser programmatischen Formulierung wurde sie neben der Außen- und Sicherheitspolitik in eine Politik globaler Zukunftssicherung eingeordnet. Für die Übernahme von mehr politischer Handlungsverantwortung hat Entwicklungspolitik wichtige Argumente auf ihrer Seite. Dennoch steht Entwicklungspolitik am Scheideweg: Ob sie noch ohnmächtiger wird oder durch politisch-institutionelle Reformen ein deutlicheres Profil ihrer neuen Aufgaben entwickelt und sich in ein wirksameres Instrument verwandelt, als sie es in der Vergangenheit war, muss abgewartet werden.

Aufgrund ihres Mandates, sozial, politisch, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung in Ländern des Südens und Ostens zu fördern, ist Entwicklungspolitik als Akteur unmittelbar in globale Handlungszusammenhänge eingebunden. Hiermit wurden Funktionen der Entwicklungspolitik erweitert und neue Steuerungsaufgaben an sie übertragen. Das Ende der Systemkonkurrenz, neue Krisen- und Konfliktkonstellationen sowie gemein-same Interessen an globalen öffentlichen Gütern (z. B. ökologisches Gleichgewicht, Finanzstabilität, Frieden) haben in den neunziger Jahren die Zusammenarbeit zwischen Staaten intensiviert. Treibende Kräfte sind das anhaltende Wachstum der Armut, grenzüberschreitende Umweltprobleme, durch integrierte Kapital-, Finanz- und Arbeitsmärkte verursachte Krisen und Risiken, bewaffnete Konflikte und Kriege, Drogenhandel und organisierte Kriminalität, aber auch die weltweite Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie AIDS. Die ungelösten Probleme werden zunehmend unter dem Aspekt ihres Konfliktpotenzials und ihrer destabilisierenden Wirkung wahrgenommen. Seit dem Vertrag von Maastricht zählt Entwicklungspolitik zum Bereich einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Zudem fordert der Maastrichtvertrag Kohärenz in der Verfolgung von entwicklungs-, umwelt-, außenpolitischen und wirtschaftlichen Zielen. Hierzu wurden die Handlungsspielräume der Entwicklungspolitik gegenüber anderen Gemeinschaftspolitiken erweitert. Außerdem wurde das Konzept von Entwicklungspolitik als Instrument globaler Strukturpolitik in verschiedenen Dokumenten verankert, u. a. in den Leitlinien über Konflikte, Frieden und Entwicklungszusammenarbeit des Entwicklungsausschusses der OECD (1997) sowie im Beschluss des EU-Rates (1998) zur Rolle der Entwicklungszusammenarbeit bei friedensschaffenden Maßnahmen sowie der Verhütung und friedlichen Lösung von Konflikten.

Zur konzeptionellen Verknüpfung von Entwicklungspolitik und globaler Strukturpolitik hat der neue Multilateralismus mit den Weltkonferenzen der neunziger Jahre entscheidend beigetragen, wie die Weltkonferenz über Umwelt und Entwicklung (Rio de Janeiro 1992), Menschenrechte (Wien 1993), Bevölkerung und Entwicklung (Kairo 1994), der Weltsozialgipfel (Kopenhagen 1995) und die Weltfrauenkonferenz (Beijing 1995). Ihre Ergebnisse fanden Eingang in die entwicklungspolitischen Leitlinien der OECD-Staaten, die unter dem Titel "Shaping the 21st Century: The contribution of Development Cooperation" (1996) veröffentlicht wurden. Das Dokument gilt als Meilenstein, weil sich die Mitgliedstaaten erstmals auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) und die strategische Priorität der Armutsminderung mit konkreten Zielvorgaben festlegten. Bereits 1992 einigte sich die Staatengemeinschaft in Rio de Janeiro auf dieses Konzept. Im Verlauf der folgenden Jahre wurde der Entwicklungsbegriff in einer international geführten Diskussion präzisiert. "Entwicklung" ist nicht mehr die einseitige quantitative Vermehrung von Gütern und Dienstleistungen, sondern beinhaltet menschliche Entwicklung (human development). Darunter werden die Erweiterung von Optionen, wirksame Schutzmechanismen vor sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken sowie die Inanspruchnahme von persönlichen Freiheitsrechten verstanden . Daher umfasst das heutige Entwicklungsverständnis neben der Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen die Achtung der Menschenrechte in allen Dimensionen, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an politischen Entscheidungsprozessen sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an gesellschaftlichen Ressourcen und Lebenschancen. Diese Leitbilder stellen neue Anfoderungen an die Praxis staatlicher Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und verorten sie in einem größeren politischen Zusammenhang.

II. Keine globale Erfolgsbilanz

Wirkungsanalysen und Evaluierungen zeigen die Grenzen der herkömmlichen, projektbezogenen, kleinräumigen, sektoral segmentierten staatlichen EZ auf. Ausbleibende Erfolge haben Lernprozesse in Gang gesetzt: Beispielsweise wurden die Querschnittsthemen Armutsminderung, Gendergerechtigkeit sowie Umwelt- und Ressourcenschutz in einer (langsam) wachsenden Zahl von Vorhaben verankert, Programme gebildet und sektorübergreifende Projektstrategien vorangetrieben. Auf besondere Weise dokumentieren Gendervorhaben institutionelle Lernprozesse: Die Zusammenarbeit im Bereich Frauenförderung konzentriert sich nicht mehr auf die Beratung schwacher und "zahnloser" Frauenministerien, sondern auf die Integration der Gender-Perspektive in die Modernisierung staatlicher Institutionen und Politiken. Hierzu gehören Methoden und Instrumente für genderorientierte Haushalts- und Fiskalplanung, makroökonomische und armutsmindernde Strategien. Ebenso rücken bei der Verbesserung des Schutzes von Frauen vor Gewalt der Abbau männlicher Gewaltmuster und Gewaltprävention durch die beratende Zusammenarbeit mit Justizbehörden und Polizei in den Vordergrund von Projektstrategien. Insgesamt stellen innovative Strategien und Vorgehensweisen ein Potenzial dar, das bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Selbst bei weiteren Lernprozessen, höherer Effizienz und besserer Koordinierung wäre die bilaterale Zusammenarbeit kaum in der Lage, eine globale Erfolgsbilanz herzuvorbringen.

Erfahrungen zeigen, dass staatliche EZ am besten dort Armut mindern und nachhaltige Entwicklung fördern kann, wo sie es mit reform- und beteiligungsorientierten Partnerregierungen zu tun hat. Wo diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kommt die Zusammenarbeit den Falschen zugute, sind Projekte zum Scheitern verurteilt, und werden die viel zitierten Prinzipien von Partnerschaft und Aneignung von Entwicklungsvorhaben (ownership) ad absurdum geführt. Zum selbstverschuldeten Hindernis für Entwicklungserfolge wurde die Kooperation mit Regierungen, die Menschenrechte verletzen, öffentliche Macht missbrauchen, Reiche nicht besteuern, den Transfer riesiger Geldvermögen ins Ausland zulassen, Waffen kaufen und gleichzeitig öffentliche Aufgaben über internationale Hilfsgelder finanzieren. In den meisten Ländern nehmen Einfluss und Rolle der Zivilgesellschaft zu. In vielen Fällen tragen Organisationen der Zivilgesellschaft zur Demokratisierung der Machtverhältnisse bei, beispielsweise dort, wo ethnische Bevölkerungsgruppen und Frauen politisch marginalisiert sind. Auch die derzeitige Diskussion über Staats- und Verwaltungsreformen beschäftigt sich u. a. mit Alternativen zur staatlichen Leistungserbringung. Zunehmend vertreten Nichtregierungsorganisationen (NRO) öffentliche Interessen und stellen soziale Dienstleistungen bereit. In den Bereichen informelle Bildung, reproduktive und sexuelle Gesundheit, Rechtsaufklärung und -beratung haben NRO eine wichtige Rolle übernommen. Auch bei der Erstellung multilateraler Regelwerke sind sie nicht mehr wegzudenken, da sie legitime Interessen in Verhandlungsprozesse einbringen. Ebenso wichtig ist ihre Rolle bei der Umsetzung von Beschlüssen und Verpflichtungen, die Regierungen auf internationaler Ebene eingegangen sind, wie beispielsweise in der Sozial-, Gesundheits- und Umweltpolitik. Diese Entwicklungen wirken sich unmittelbar auf die Frage nach geeigneten politischen Trägern und Durchführungsorganisationen aus. In der Praxis haben sich Träger- und Durchführungsstrukturen von Vorhaben diversifiziert, und es werden NRO in die Planung und Durchführung einbezogen. Stärker als bisher kommt es in Zukunft darauf an, Problemlösungen gemeinsam mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren/Interessengruppen zu erarbeiten und deren Umsetzung zu fördern.

Ebenso wichtig für die Nachhaltigkeit von Entwicklungsvorhaben sind globale Wirkungszusammenhänge und Rahmenbedingungen. In der vergangenen Dekade fanden 90 Prozent aller Umweltkatastrophen sowie bewaffneten Konflikte und Kriege in Entwicklungs- und Transformationsländern statt. Die meisten dabei benutzten Waffen stammen aus G-8-Ländern und China. Erst kürzlich wiesen UNICEF, Amnesty International und das Center for Conversion (BICC) in einer Studie daraufhin, dass Kleinwaffen wie vagabundierendes Handelsgut unkontrolliert von einer in die andere Konfliktregion strömen . Ungelöst bleibt weiterhin und trotz internationaler Initiativen das Schuldenproblem. Die Überschuldung insbesondere der ärmeren Länder und der Verfall der Rohstoffpreise engen den Handlungsspielraum für Entwicklungsinvestitionen in extremem Maße ein, wie in zahlreichen Ländern aus der Gruppe der G 77, die bis zu 95 Prozent ihrer erwirtschafteten Deviseneinnahmen für Schuldendienste aufbringen.

Eine der wichtigsten entwicklungspolitischen Zukunftsaufgaben liegt in der Gestaltung von Globalisierungsprozessen zu Gunsten nachhaltiger Entwicklung in Entwicklungs- und Transformationsländern. Diese Prozesse schreiten weitaus schneller voran als die Entwicklung wirksamer nationaler und internationaler Steuerungsinstrumente zur Regulierung ihrer sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen. Die Öffnung von Grenzen und Märkten hat die extremen Ungleichgewichte an Wohlstand und Einkommen innerhalb und zwischen den Staaten verstärkt. Die Chancen, von Globalisierungsprozessen zu profitieren, sind sehr ungleich verteilt und setzen Differenzierungsprozesse zwischen und innerhalb von Entwicklungsgesellschaften weiter fort. Das breite Spektrum reicht von "Silicon Bangalore", wo Software-Firmen hohe Gewinne u. a. durch Beratung europäischer Unternehmen bei der Einführung des Euro und der elektronischen Jahrtausendumstellung erwirtschaften, bis zu den afrikanischen Staaten, die ihre Schuldenlast aus eigener Kraft nicht bewältigen können. Die so genannten kompetenten Gesellschaften, die niedrige Löhne mit hoher Qualifikation (low pay-high skill) verbinden, integrieren sich über Deregulierungs- und Unterbietungswettläufe in die globalisierte Ökonomie. Hingegen fließen in ärmere Staaten so gut wie keine privaten Kapitalinvestitionen, weil sie als internationale Wirtschaftsstandorte und Märkte völlig unbedeutend sind. Zudem hat die weltwirtschaftliche Integration negative Folgen für die Ernährungssicherheit, wie beispielsweise im südlichen Afrika die großflächige Umstellung von Getreide auf Ölsaaten und von Feldfrüchten für den lokalen Verbrauch auf Exportgemüse und Viehwirtschaft.

Herausgebildet hat sich eine neue Kluft, ein digitaler Graben, der die internationale Staatengemeinschaft durchzieht. An der Schwelle zu einer alphabetisierteren Welt, in der Bildung und Information eine immer grössere Rolle spielen, sind Zugang zu diesen sowie Einflussnahme auf Inhalte und Daten extrem ungleich verteilt: Nahezu drei Viertel aller Telefonlinien werden von 15 Prozent der Weltbevölkerung in 23 Ländern genutzt, und 90 Prozent der Internet-Benutzerinnen und -Benutzer leben in OECD-Ländern . Hierbei geht es nicht nur um Zugang zu Information, sondern ebenso um die eingespeisten Inhalte. Afrikas Beitrag zum expandierenden globalen Netz ist marginal. Inhalte werden von den USA, Europa und einigen asiatischen Ländern dominiert. Für Menschen, die in Armut leben, sind Zugang zu und Nutzung von elektronischer Kommunikation für die eigene Überlebenssicherung nahezu irrelevant. Dennoch können die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien Möglichkeiten eröffnen, wie die Einführung des drahtlosen Satellitentelefons in Dörfern von Grameen-Bank-Mitgliedern (Bangladesh) und Townships in Südafrika oder die sonnenenergiebetriebenen Computer in Pondicherry (Südindien). Sie können Lebensbedingungen verbessern, neue Formen des Zusammenhaltes durch Vernetzungsprozesse erzeugen, zusätzliches Einkommen schaffen und zur Abwicklung von Geschäftsverläufen nützlich sein. Auch die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) beurteilt den Nutzen für die Entwicklung der Handelsbeziehungen von Klein- und mittelständischen Unternehmen positiv. Doch fehlen in den ärmeren Ländern fast alle notwendigen Voraussetzungen, um die neuen Technologien zu nutzen.

Die Globalisierungsverlierer oder "der Rest der Welt" beherbergen immerhin vier Fünftel der Weltbevölkerung, wobei zu den Verlierern selbst weite Teile der Bevölkerung in gesamtwirtschaftlich eigentlich erfolgreichen Ländern zählen. Vor den Risiken einer globalisierten Ökonomie kann auch dieser Rest sich nicht schützen, wie der Verlauf der Asienkrise (1997/98) gezeigt hat. Sie hat insbesondere die in die globalisierte Ökonomie integrierten Länder mit hohen ökonomischen Wachstumsraten getroffen und erhebliche Rückschritte für die menschliche Entwicklung verursacht. Millionen Menschen verloren in der Region ihre Erwerbsarbeit oder erlitten beträchtliche Einkommensverluste. Auch Russland sowie Länder Lateinamerikas und Afrikas wurden von der Asienkrise betroffen.

Fazit: Einer von globalen, regionalen, nationalen und sektoralen Wirkungszusammenhängen losgelösten EZ sind enge Grenzen gesetzt. Je stärker in Wirkungszusammenhänge eingegriffen wird, desto größer sind die Chancen der Nachhaltigkeit für Entwicklungsvorhaben. Heute sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen Gegenstand beratender Zusammenarbeit. Wurden bisher gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Regierungsdialog hinter verschlossener Tür verhandelt, so sind sie jetzt selbst Gegenstand beratender Zusammenarbeit: Partner sind staatliche Verwaltungen, Parlamente, das Justizwesen, Kommunalverwaltungen und Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Förderung personeller und institutioneller Kapazität für demokratische Rechts- und Steuerstaaten, Geschlechterdemokratie und Minderheitenschutz, Beteiligung der Bevölkerung an Politik, Interkulturalität und friedliche Konfliktlösung sowie die nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung von Ressourcen sind zentrale Elemente für den Abbau struktureller Armuts- und Konfliktursachen.

III. Demokratische Defizite globaler Regierungsführung

Globale Regierungsführung (global governance) richtet sich auf die Schaffung von völkerrechtlich verbindlichen Konventionen, internationalen Abkommen und Aktionsplänen im Interesse einer globalen Ordnungspolitik für soziale Entwicklung, Menschenrechte, Umwelt- und Naturschutz, Handel, Finanzen und Investitionen. Mit der Internationalisierung der Politik verschiebt sich politische Macht auf die globale Ebene. Dieses Regieren jenseits des Nationalstaates findet im Rahmen der Vereinten Nationen (VN), der Weltkonferenzen, der Gruppe der Industrieländer G 8 sowie von internationalen Regierungsorganisationen (z. B. OECD, der Welthandelsorganisation WTO) statt. Obwohl Einigkeit über Bedarf und Notwendigkeit von internationaler Zusammenarbeit besteht, sind Modelle globaler Regierungsarbeit einschließlich ihrer lokalen Voraussetzungen unklar, Rolle und Auftrag einzelner internationaler Regierungsorganisationen unübersichtlich, Kompetenzen zersplittert, überlappen sich Aufgaben, sind Beteiligungsrechte von NRO sowie demokratische Kontrolle und Rechenschaftspflicht schwach entwickelt. Vielen Entwicklungsländern gelten manche internationalen Abkommen (z. B. bezüglich Umwelt, Menschenrechten, Welthandel) als Instrumente zur Durchsetzung der Interessen der reichen Industriestaaten. Deshalb erwarten Entwicklungsländer eine Kompensation für ihre Nutzungsverzichte durch einen Technologie- und Ressourcentransfer, wenn sie sich beispielsweise an der Umsetzung von Umweltabkommen beteiligen.

In Organisationen der VN stauen sich Reformen, sind Arbeitsabläufe hierarchisch, bürokratisch und ineffizient organisiert. Unter Fachkräften ist umstritten, welche Institutionen aufzulösen und welche neu ins Leben zu rufen sind, etwa um in der Zukunft "Asienkrisen" zu vermeiden. Der Reformbedarf betrifft das gesamte System der VN, multilateralen Entwicklungsbanken, WTO etc. Auf die Kritik hat die Weltbank mit einer programmatischen Kehrtwende hin zu Armutsminderung reagiert. Nach den umstrittenen Strukturanpassungsprogrammen werden jetzt auf ihre Initiative nationale Armutsstrategien im Rahmen von so genannten PRS-Prozessen (Poverty Reduction Strategy) erstellt. "PRS-Papiere" sind Voraussetzung für eine Entschuldung der ärmeren Länder im Rahmen der HIPC-Initiative und sollen als Instrument mittelfristiger Entwicklungsplanung dienen. Die Weltbank fordert die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in PRS-Prozesse, um einen minimalen nationalen Konsens zu gewährleisten. Langfristig soll die Vergabe von bi- und multilateralen Mitteln damit verknüpft werden.

Die normative und ordnungspolitische Bedeutung der VN wird auch dadurch eingeschränkt, dass Fragen der Weltwirtschaft (Handel, Finanzen, Währung) und einer Weltsozialordnung nicht von ihnen behandelt werden. Entscheidungen mit weltweiten Konsequenzen werden von wenigen Industriestaaten getroffen. Aspekte des Welthandels werden in den Beratungs- und Steuerungsgremien der G 8 koordiniert und zunächst im GATT und seit 1995 in der WTO verhandelt. Ungelöst sind Fragen demokratischer Legitimation und Kontrolle (etwa durch eine parlamentarische Versammlung innerhalb der WTO), des Vorranges von Völkerrecht sowie der Kohärenz von Zielen und Normen (z. B. mit ILO-Konventionen, Umweltabkommen). Beispielsweise lässt das WTO-Handelsabkommen die Fragen nach Handel und Umwelt offen und duldet weiterhin Agrarprotektionismus, der in Entwicklungsländern Einnahmeverluste in Höhe von 20 Mrd. US-Dollar jährlich verursacht. Darüber hinaus verfügen viele Entwicklungs- und Transformationsländer nicht über die notwendige institutionelle Kapazität, um gleichberechtigt an Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen teilnehmen zu können.

Auf der nationalen Ebene verhindern gesellschaftsinterne Interessengegensätze deren Implementierung. So konnten die 200 internationalen Umweltabkommen die fortschreitende Waldvernichtung, Artenschwund und Bodenerosion, sinkende Grundwasserbestände, die Überfischung der Meere, neue Rekordmarken der Kohlenstoffkonzentration in der Erdathmosphäre und die weitere Destabilisierung des Weltklimas nicht verhindern . Auf internationaler Ebene blockiert die Konfrontation zwischen Regierungen Beschlüsse oder verschleppt ihre Umsetzung. Konflikte entzünden sich am Konkreten, wie an der Aufteilung von Lasten, Transferleistungen, der Aufteilung von Nutzungsgewinnen, geistigen Eigentumsrechten, der Finanzierung von Weltfonds oder an Reduktionswerten für Schadstoffe und Treibhausgase.

Manche Ziele lassen sich schneller und erfolgreicher außerhalb der VN erreichen. In der Praxis hat die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit ungewohnten Partnern und die Schließung von Entwicklungsbündnissen bereits begonnen. Hierzu zählen z. B. die internationale Entschuldungskampagne "Erlassjahr 2000" sowie die Entschuldungsinitiative für den Kölner G-8-Gipfel, die Initiative zur Eindämmung und Kontrolle von Kleinwaffen und die Kampagne zur Ächtung der Landminen. Den Initiatoren der Landminenkampagne wurde 1997 der Friedensnobelpreis verliehen; das in Ottawa formulierte Abkommen wurde inzwischen von über 130 Staaten unterzeichnet und von den meisten bereits ratifiziert. Diese Initiativen sind ohne das Engagement der international agierenden Zivilgesellschaft undenkbar. Die internationalen NRO zählen zu den Vorreitern der Demokratisierung weltweiter Machtverhältnisse. Sie ringen um politische Macht und Einfluss, organisieren sich in globalen Netzwerken und sind mit unterschiedlichen Ergebnissen grenzüberschreitend tätig. Bisher sind sie weder in einer globalen BürgerInnen-Versammlung (assembly of people) vertreten, noch haben sie formalisierte Beteiligungsrechte. Ihre Einflussnahme bleibt auf Lobbyarbeit beschränkt, die Überwachung von Umsetzungsprozessen, die zweckgemäße Verwendung neuer Finanzierungsinstrumente etc. Dennoch haben sie ihre Position als Schrittmacher des Strukturwandels stärken können, u. a. durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die elektronische Kommunikation hat das staatliche Monopol auf das Sammeln, Verwalten und Verteilen von Informationen - und damit auf die Beherrschung politischer Debatten - gebrochen.

Fazit: Die Mitwirkung an globaler Regierungsarbeit ist eine komplexe Aufgabe. Sie bedeutet, in allen Stadien der Formulierung von internationalen Abkommen, Aktionsplänen und Konventionen mitzuwirken, d. h. vom Agenda-Setting über Verhandlungsprozesse bis zur Umsetzung und Operationalisierung auf nationaler Ebene. Zusätzliche Aufgabenfelder ergeben sich aus der Notwendigkeit von Reformprozessen zur Demokratisierung und Effizienzsteigerung multilateraler Organisationen sowie der Zusammenarbeit mit Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft. Hierzu müssen Chancen und Potentiale der multilateralen/internationalen Zusammenarbeit neu bewertet werden. Das System der VN ist gegenwärtig nur ein Modell globaler Regierungsarbeit. Trotz richtungweisender Arbeit kann es jedoch weder ein befriedigendes Maß an Legitimität beanspruchen, noch ist es aus sich heraus handlungsfähig oder verfügt über sanktionsfähiges Recht.

IV. Querschnittsministerium mit neuer Organisationskultur

Mit der Vertiefung internationaler Beziehungen wird strategische Politikentwicklung für die bilaterale, europäische und multilaterale Ebene zu einer ministeriellen Kernaufgabe der Entwicklungspolitik. Um Handlungsverantwortung zu definieren und abzugrenzen, ist nicht nur konsequente Aufgabenkritik notwendig, die ministerielle und nichtministerielle Aufgaben neu ordnet, sondern ebenfalls ein Gesamtkonzept für globale Strukturpolitik und die Zusammenarbeit des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit anderen Ministerien, mit denen Aufgabenfelder gemeinsam zu bearbeiten sind. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erfordert die federführende Vertretung entwicklungsländerbezogener Interessen in internationalen Organisationen sowie die Verankerung von Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe nationaler Politik. Dieses ist ohne Reorganisation der Bundesverwaltung nicht zu bewerkstelligen . Aufgrund der existierenden Kompetenzverteilung ist es bislang nicht möglich, Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe zu verankern. Erst ein Querschnittsministerium würde eine neue Qualität entwicklungspolitischen Staatshandelns ermöglichen .

Bei all den notwendigen Veränderungs- und Anpassungsprozessen geht es nicht um die Errichtung einer Superbürokratie, sondern um institutionelle und personelle Voraussetzungen für Entwicklungpolitik als Instrument globaler Strukturpolitik. Ein Querschnittsministerium erbringt nicht alle Leistungen selbst, sondern sichert deren Erstellung und Koordination. Wichtige Voraussetzungen sind Verwaltungsmodernisierung und eine neue Organisationskultur. Deutschland fällt im internationalen Vergleich durch einen Modernisierungsrückstand auf, daran hat auch die umfangreiche Reformstaukritik bisher wenig geändert. Mit Ausnahme einiger Kommunen, die neue Managementformen und Qualitätsstandards praktizieren, wird selten von überkommenen Verwaltungssystemen abgerückt. Abgeflachte Hierarchien, die Flexibilisierung von Verwaltungsstrukturen und Finanzierungsinstrumenten, Deregulierung von Verwaltungsabläufen sowie das Durchbrechen von Alltagsroutinen und Kooperationsverbünden sind nicht allzu verbreitet. Aus Erfahrungen der staatlichen EZ ist bekannt, dass Verwaltungs- und Strukturreformen am wirksamsten sind, wenn die Betroffenen in entsprechende Prozesse einbezogen werden. Insbesondere der Aufbau von Kooperationsnetzwerken - auch mit dem nichtstaatlichen Sektor - als Alternative zur eigenen Leistungserbringung ist eine wichtige Bedingung für eine erfolgreiche Verwaltungsreform und den Zugang zu Innovationspotenzialen . Kooperationsverbund bedeutet zugleich Informationsverbund und Kommunikazion in Netzwerken - zwei wichtige Schritte, um kommunikative Defizite von Verwaltungen abzubauen, Entscheidungsverfahren zu demokratisieren und eine kompetente Teilnahme des Nichtregierungssektors an der Gestaltung von Entwicklungspolitik zu sichern.

Darüber hinaus stellt globale Strukturpolitik neue Anforderungen an die politische Glaubwürdigkeit: Wenn die Bundesregierung zur Umsetzung der Agenda 21 und des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung von Entwicklungsländern die Bürgerbeteilung auf lokaler Ebene fordert, müssen Projekte innerhalb Deutschlands nicht nur um der Glaubwürdigkeit willen denselben Kriterien unterworfen werden, d. h. der sozialen, gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit sowie der Einbeziehung aller beteiligten BürgerInnen. Dies geschieht bisher nicht - Beispiel: Ausbau der ICE-Strecke Hamburg-Hannover, die so genannte Y-Trasse. Es geht um neue Konzepte partnerschaftlicher Zusammenarbeit, die auf Grundlage von Gleichheit und Reziprozität die Bildung von tatsächlichen Lerngemeinschaften ermöglichen; in deren Rahmen können Expertise und Beratungsleistungen aus Partnerländern zur Förderung nachhaltiger Entwicklung in der Bundesrepublik einen wertvollen Beitrag leisten. Neuland beschritt in diesem Kontext die niederländische Regierung mit dem bilateralen Abkommen zur nachhaltigen Entwicklung mit Benin, Bhutan und Costa Rica.

Der Wandel von Entwicklungspolitik in ein wirksames Instrument globaler Strukturpolitik basiert auf konkreten Bedingungen:

- Politische Kohärenz: Übertragung neuer Steuerungsaufgaben und Ressortzuständigkeiten auf Entwicklungspolitik zur Koordinierung mit anderen relevanten Fachpolitiken einschließlich der europäischen Ebene;

- Kooperationsbereitschaft: Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Privatsektor;

- Koordinationsmechanismen: Abstimmung bilateraler, europäischer und multilateraler Entwicklungspolitik;

- Beteiligung an "globaler Regierungsarbeit": gestaltende Einflussnahme auf multilaterale Abkommen und internationale Initiativen zu Gunsten von Entwicklungs- und Transformationsländern (Entschuldung, Welthandel, Waffenexporte, Klimaschutz etc.);

- Vernetzte Handlungsstrategien: Vernetzung von Politiken, Strategien und Vorhaben auf verschiedenen Politikfeldern und Handlungsebenen;

- Kalkulierbarkeit: Bereitstellung ausreichender Finanzmittel, Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit;

- Glaubwürdigkeit: Weltweite Gültigkeit des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung und seine Umsetzung in Industriestaaten.

Fazit: Je zahlreicher internationale Aufgaben, Akteure und Koordinations- und Kohärenzerfordernisse auf den verschiedenen Politikfeldern und Handlungsebenen sind, desto stärker muss Entwicklungspolitik über Netzwerkmanagement gesteuert sein. Zu den gestaltenden Elementen innovativer Verwaltungen zählen dezentrale Kooperationsnetzwerke durch Integration des nichtstaatlichen Sektors in Arbeits- und Handlungszusammenhänge und Alternativen zur eigenen Leistungserbringung. Für den Wandel der Entwicklungspolitik in ein Instrument globaler Strukturpolitik ist ein entwicklungspolitisches Gesamtkonzept notwendig sowie seine institutionelle Verankerung.

V. Vernetzte Entwicklungszusammenarbeit: global und lokal handeln

Immer mehr Entwicklungsvorhaben werden in Zukunft in enger konzeptioneller Verbindung mit globaler Strukturpolitik stehen; umgekehrt hat sich in der Praxis ein umfangreiches Reservoir an länderspezifischen, multidisziplinären und problemorientierten Kenntnissen angesammelt, die eine wichtige Grundlage für die konkrete Ausgestaltung globaler Strukturpolitik bilden. Gesucht sind nicht Musterlösungen, sondern innovative Strategien, Instrumente und Praktiken. In Zukunft nimmt die Verknüpfung von bi- und multilateraler sowie EU-Entwicklungspolitik zu. Damit vervielfachen sich Interaktionen, Koordination und Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren. Zwar hat die Bedeutung des Staates als wirtschaftlicher Akteur abgenommen, doch gewinnt seine normative Arbeit an Bedeutung, die heute ohne die Berücksichtigung von Mitspielern und Interessen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft (stakeholder) kaum denkbar ist. Hierzu haben insbesondere die politischen Stiftungen, kirchliche und andere NRO umfangreiche Erfahrungen angesammelt.

Nachhaltige Entwicklungsprozesse zu verfolgen   bedeutet, Strategien und Problemlösungen auszuhandeln, Menschen zu sensibilisieren und auszubilden, Ergebnisse internationaler Abkommen zu ratifizieren und umzusetzen, Gesetze zu erlassen und anzuwenden. Beispielhaft für die Verbindung von praktischen Entwicklungsvorhaben mit multilateraler Gesetzgebung stehen Vorhaben der Bundesregierung im Natur- und Umweltschutz. Hierzu zählen die Beratung nationaler Aktionsprogramme zur Verbindung der Wüsten- und Biodiversitätskonventionen, die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des internationalen Forst-dialogs der letzten neun Jahre , im Rahmen einer Sechs-Länder-Initiative, und die von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und einigen afrikanischen und lateinamerikanischen Regierungen und NRO getragene Initiative zur Stärkung der Rolle von Frauen in Umsetzungsprozessen der Biodiversitätskonvention. Im Mittelpunkt der Initiative stehen die Anerkennung der besonderen Verdienste von Frauen als Mitglieder indigener und lokaler Gemeinschaften für die Erhaltung und Weiterentwicklung biologischer Vielfalt sowie deren besondere Berücksichtigung bei der Schaffung von Mechanismen zur fairen Teilung von Nutzungsgewinnen.

Weiterhin gewinnen regionale Integrations- und Kooperationsstrukturen an Bedeutung für die staatliche EZ, da sich die Weltwirtschaft gleichzeitig globalisiert und regionalisiert. Außerdem legen die Belastungen der globalen wie regionalen Ökosysteme und die Marginalisierung gesamter Regionen regionale Lösungsansätze nahe, d. h. eine politische Ordungspolitik auf regionaler Ebene. Hierzu gehört der Aufbau regionaler Verhandlungskapazitäten. In vielen Regionen lassen sich Probleme hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit, Transport, Energie, Arbeitsrecht, Natur- und Umweltschutz sowie Zugangsregeln zu pflanzen- und tiergenetischen Ressourcen nur durch regionale Strategien und Gesetzgebungen lösen. Tiefe und Dichte regionaler Dialog- und Kooperationsstrukturen sowie eine entsprechende internationale Einbindung haben sich als wichtige Mechanismen erwiesen, um Konflikte friedlich zu lösen und Krisen präventiv zu begegnen. In der Stärkung von Mechanismen zur nationalen/regionalen Konfliktlösung und Umsetzung internationaler Abkommen und Aktionspläne liegen herausfordernde Aufgabenfelder für die EZ, wie z. B. die Unterstützung technologisch-ökonomischer Umrüstungsprozesse, die sich aus internationalen Standards im Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz sowie sozialen Mindeststandards ergeben.

Fazit: In vernetzten Entwicklungsvorhaben liegt ein erhebliches Potenzial. Die Verküpfung von Mikro-, Meso- und Makroebene ermöglicht durch Interventionen auf den unterschiedlichen Handlungsebenen die Nutzung von Synergieeffekten. Während internationale Abkommen und Aktionspläne den Handlungskontext von Kooperationsvorhaben definieren, stehen Inhalte globaler Strukturpolitik mit ihrer Realitäts- und Problemnähe in Verbindung. Entwicklungsvorhaben profitieren von globaler Strukturpolitik, z. B. wenn regionale Wettbewerbsfähigkeit und WTO-Ausnahmeregelungen für Entwicklungsökonomien durch privilegierte Marktzugänge gleichzeitig unterstützt werden.

VI. Ausblick

Während im entwicklungspolitischen Diskurs nach dem deklamatorischen Ende der Projektzentrierung und Kleinräumigkeit von neuen Leitlinien gesprochen wird, wächst der Abstand zwischen politischen Absichtserklärungen, Strategien, vertraglich vereinbarten Zielen und der Realität. Die eingegangene Verpflichtung der OECD-Staaten, die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren, erweist sich als völlig unrealistisch und ist angesichts der weiteren Entfernung vom 0,7-Prozent-Ziel unglaubwürdig. Das im Rahmen der VN 1970 vereinbarte 0,7-Prozent-Ziel wurde nur zeitweise von wenigen OECD-Staaten eingelöst. Auch in der Bundesrepublik haben die für Entwicklungspolitik bereitgestellten Mittel einen historischen Tiefstand erreicht. Bei einem wachsenden Bedarf an Hilfe nach (Umwelt)katastrophen und Kriegen wurde in ihrer Geschichte der Etat noch nie so stark beschnitten wie heute, und das Ende des Abwärtstrends ist noch nicht abzusehen. Gleichzeitig hat sich an der Schwelle des 21. Jahrhunderts nach neuen Schätzungen der Weltbank die Zahl der am Rand des Existenzminimums lebenden Menschen auf 1,5 Milliarden erhöht. Um diesem Trend entgegenzutreten, müssen Armutsminderung und globale Strukturpolitik miteinder verbunden werden .

Neue Aufgabenfelder, steigende Koordinations- und Kooperationserfordernisse können unter "down sizing"-Bedingungen nicht bewältigt werden . Zugleich entfallen osteuropäische Länder nicht nur als Geber ehemaliger Bruderländer, sondern stehen nun selbst auf der Liste der Empfänger, unter denen die reduzierten Mittel aufgeteilt werden müssen. Auf der Tagesordnung stehen die Verwirklichung vereinbarter Ziele, die Erschließung neuer Gelder für Entwicklungsfinanzierung sowie die engere Kooperation mit der Wirtschaft zur Einbindung des Privatsektors bei der Lösung von Entwicklungsproblemen (Public-Private-Partnership). Vorschläge zur Einführung globaler Steuern reichen von Bit-Steuern über eine Luftfahrtsteuer und die Besteuerung von Kohlenstoffemissionen bis zur Besteuerung spekulativer Kapitalbewegungen und Währungsgeschäfte (Tobin-Steuer). Bereits eine 0,5-prozentige Besteuerung von Währungsgeschäften würde jährlich ein Aufkommen von 1,5 Billionen US-Dollar ermöglichen . Für die Protagonisten globaler Strukturpolitik ist die weltweite Einführung derartiger Steuern überfällig.

Von der in politischen Leitlinien geforderten globalen Strukturpolitik und Politikkohärenz sind Deutschland und die meisten OECD-Staaten weit entfernt. Es fehlt die Umsetzung von integrierten Gesamtstrategien, welche die Entwicklung von nationalem Ressourcenverbrauch, Handels- und Finanzbeziehungen mit den Anforderungen an eine global nachhaltige Entwicklung in Einklang bringen. Mit dieser Kluft stellen sich Fragen nach geeigneten Strategien für die Veränderung des Status quo: Wie lässt sich die Veränderungsfähigkeit politischer Systeme und Bürokratien stärken bzw. beschleunigen? Welche politischen Konsequenzen sind daraus zu ziehen, dass wesentliche auf globalen Strukturwandel gerichtete Initiativen von der Zivilgesellschaft und breiten (außerparlamentarischen) Entwicklungsbündnissen getragen werden? Wie lassen sich die Forderungen des internationalen entwicklungspolitischen Dialogs mit der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit in Einklang bringen?

Es gilt, diesen Fragen nachzugehen und daraus notwendige Konsequenzen zu ziehen. Mit ähnlichen Fragen beschäftigten sich Srategien der Staatsmodernisierung und Verwaltungsreformen in Entwicklungsgesellschaften. Für die oft beschworenen, aus "Gebern" und "Nehmern" zu bildenden Lerngemeinschaften wäre es eine interessante Aufgabe, die deutsche Regierung bei der Formulierung eines entwicklungspolitischen Gesamtkonzeptes und seiner institutionellen Verankerung als politische Querschnittsaufgabe zu beraten.

Kapazität für globale Strukturpolitik muss sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern konsequent entwickelt werden. Zahlreiche politische Initiativen und NRO (Memorandum-Gruppe, Verband Enwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO, Germanwatch) haben diesbezügliche Forderungen in den politischen Prozess eingebracht. Der Wandel kommt langsam voran, weil das "Eine-Welt-Bewusstsein" unterentwickelt ist, Wirkungszusammenhänge diffus bleiben und hinter globaler Strukturpolitik keine Mehrheit steht. Gefordert ist nicht nur Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch entwicklungspolitische Parlamentsarbeit. Noch immer ist humanitäres Engagement in Öffentlichkeit und Politik leichter zu mobilisieren, wie wiederkehrende Hilfsbereitschaft in Katastrophenfällen zeigt, als die Einsicht, verzichten zu müssen für ein weltweites Recht auf ein langes, gesundes Leben und eine menschenwürdige Existenz sowie das Lebensrecht künftiger Generationen. Ohne die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen bleibt Entwicklungspolitik auch als Instrument globaler Strukturpolitik eine politische Randerscheinung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag basiert auf der Publikation der Autorin: Entwicklungspolitik im Wandel. Von der Entwicklungshilfe zur globalen Strukturpolitik, Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (Hrsg.), Bonn 2000.

  2. Das Konzept der menschlichen Entwicklung wurde vom United Nations Development Programme (UNDP) entwickelt und war eine Kritik an der Strukturanpassungspolitik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Vgl. Amartya Sen, Development as Freedom, New York 1999.

  3. Vgl. Jörg Schindler, Kleinwaffen vagabundieren wie Drogen von Konflikt zu Konflikt, in: Frankfurter Rundschau vom 15. 2. 2000.

  4. Vgl. UNDP, Bericht über die Menschliche Entwicklung 1999. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn 1999, S. 67-79; Lishan Adam, Web Content for Africa, in: Information Development, 15 (1999) 2, S. 127-131.

  5. Paul Kennedy, In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1996.

  6. Die HIPC-Initiative (Heavily Indebted Poor Countries) von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zugunsten hoch verschuldeter Länder läuft seit 1997. An ihr sind auch multilaterale Finanzorganisationen, regionale Entwicklungsbanken, die EU und die im sog. Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerregierungen beteiligt.

  7. Vgl. World Watch Institute, State of the World, Washington, D. C. 2000.

  8. Bisher werden beispielsweise die zahlreichen bi-und multilateralen Aufgaben von ca. 30 Referaten (sog. Spiegelreferaten) in über zehn Ministerien wahrgenommen.

  9. Inzwischen wurde dem BMZ die Federführung für die EU-Entwicklungspolitik gegenüber den AKP-Ländern (Lomé-Nachverhandlungen), den HABITAT-II-Folgeprozess und den Folgeprozess des Weltsozialgipfels übertragen. Auch die Entscheidung (Oktober 1998), dem BMZ einen Sitz im Bundessicherheitsrat als dem zur Koordinierung der Sicherheitspolitik zuständigen Organ einzuräumen, ist Ausdruck der Aufwertung und Funktionserweiterung von Entwicklungspolitik.

  10. Vgl. Frieder Naschhold/Jörg Bogumil, Modernisierung des Staates. New Public Management und Verwaltungsreform, Opladen 1998.

  11. Persönliche Mitteilung: Christian Mersmann, Programme on Forests (PROFOR), UNDP.

  12. Bereitstellung von 0,7 Prozent des Sozialproduktes für internationale Entwicklungszusammenarbeit.

  13. Terre des hommes und die Deutsche Welthungerhilfe ziehen in ihrer Studie "Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" kritische Zwischenbilanz, u. a. weil Armutsbekämpfung nicht Kernbereich globaler Strukturpolitik ist.

  14. In den vergangenen Jahren wurden 118 Länder durch bilaterale staatliche EZ gefördert. Die Liste der Länder wurde jetzt auf 70 Schwerpunkt- und Partnerländer reduziert.

  15. Vgl. http: // www.globalpolicy.org / socecon / glotax / baumert.htm/

Dr. rer. pol., geb 1952; Studium der Soziologie in Bielefeld; Auslandsmitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tansania und Honduras; ab Mitte 2001 Leitung eines Projektes der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Guatemala.

Anschrift: Via Ospedaletto di Giustiniani 28e, 00189 Rom.
E-Mail: l.klemp@inbox.ilink.it

Veröffentlichungen zu Fragen der Entwicklungspolitik sowie internationalen Frauen- und Geschlechterpolitik, zuletzt: Entwicklungspolitik im Wandel. Von der Entwicklungshilfe zur globalen Strukturpolitik, DSE-Themendienst, Nr. 11, Bonn 2000.