"Grundsätzlich" gleichberechtigt. Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive
Die erste demokratische Republik in Deutschland existierte nur knappe 15 Jahre. Ihr Werdegang verlief zwar kurz, dafür aber dramatisch: Politische Systembrüche 1918 und 1933, wirtschaftliche Krisen am Anfang und am Ende, politische Instabilität und mehrere Regierungswechsel kennzeichneten den jungen Staat. Entsprechend ist die Geschichte der Weimarer Republik in der Regel von ihrem Ende, ihrem Anfang oder von ihren Krisen ausgehend geschrieben worden. Die traditionelle Einteilung in drei Phasen – unruhige Anfangszeit bis 1924, Konsolidierung 1924 bis 1928 und Krisenjahre 1928/30 bis 1933 – spiegelt diese politikhistorische Herangehensweise wider.[1] In einer längeren Perspektive verschwindet aber auch diese kurze Geschichte der Republik in Begriffen wie "Zwischenkriegszeit" oder "Katastrophenzeitalter".[2]Zweifellos gibt es gute Gründe für all diese Bezeichnungen und Phasen, denn sie bringen den politischen Wandel sowie die Besonderheit des Jahrhunderts ("Zeitalter der Extreme") eindrücklich auf einen Begriff. Und doch gehen dabei Erkenntnisse über weitere oder andere Formen sozialen Wandels verloren, gerade jener, die weniger dramatisch waren.
Die Geschichte der Weimarer Republik (auch) aus frauenhistorischer Sicht zu betrachten, ist eine solche Perspektive. Sie kann und soll die politikhistorische Sichtweise nicht ersetzen, aber doch herausfordern. Ergeben sich vergleichbare historische Phasen und Zäsuren, wenn die Geschichte der Frauen in der Weimarer Republik in den Blick genommen wird? Haben sich die weiblichen Lebensverhältnisse in dieser Zeit gewandelt? Gab es neue Handlungsoptionen für Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Und wie haben Frauen selbst diese Zeit erlebt, interpretiert? Diese klassischen Fragen der Frauengeschichte zielen darauf, zunächst genau zu analysieren, wie die soziale und gesellschaftliche Lage von Frauen aussah und welche Modelle von Weiblichkeit gesellschaftlich anerkannt waren, bevor diese in ein Verhältnis zur männlichen Lebenswelt und den dort herrschenden Männlichkeitsvorstellungen gesetzt werden.[3] Statt politische Zäsuren zu untersuchen, stehen in einer solchen Perspektive gesellschaftliche Modernisierungsprozesse im Zentrum, wie etwa in dem 1987 erschienenen Standardwerk des Historikers Detlev Peukert.
Er interpretiert die erste deutsche Republik als "Krisenjahre der klassischen Moderne". Die Emanzipationsbestrebungen von Frauen sind aus seiner Sicht ebenso zentral für die Krisendeutungen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wie die strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt oder die breit diskutierte Erscheinung der "neuen Frau", mit der ein moderner, durch Selbstständigkeit und vor allem Selbstbewusstsein gekennzeichneter Typus von Weiblichkeit gemeint war. Der Wandel sei aber insgesamt weniger positiv gewesen, als oft angenommen, die Optionen hatten sich vergrößert, aber es "blieb dabei, daß die traditionelle Doppelbelastung der Frauen nur durch eine Kette weiterer Lasten und Irritationen ergänzt wurde". [4]
Auch die Historikerin Ute Frevert bewertet diese Entwicklungen in der Weimarer Republik als ambivalent. Die "Entdeckung der modernen Frau" sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass "die geschlechtsspezifische Begrenzung sozialer, ökonomischer und politischer Handlungsoptionen weitgehend erhalten" blieb, lautet ihr Fazit.[5] Ebenso schreibt Helen Boak ihre Frauengeschichte der Republik im Modus des permanenten Wechsels von neuen Optionen und traditionellen Einschränkungen und verweist dabei auch auf die großen Unterschiede zwischen Stadt und Land: Frauen hatten größere Wahlmöglichkeiten, aber diese standen nicht überall gleichermaßen zur Verfügung.[6]
Auch mit Blick auf die Politik, also dem Bereich, in dem mit der Zulassung von Frauen zum Wahlrecht ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung der Geschlechter gegangen wurde, sind die Ergebnisse eher nüchtern. Ein nachhaltiger Wandel des Politischen hat in der Weimarer Republik nicht stattgefunden.[7] Die Faszination, die die "neue Frau", die "neue Sachlichkeit" oder auch die Kultur- und Unterhaltungsszene in Berlin, München oder Weimar auslösen, ist verständlich, übersieht aber womöglich die Ambivalenzen des Frauenlebens in der Weimarer Republik.[8]