Mediokratie - Auf dem Weg in eine andere Demokratie?
Politik mit ihrer immer stärkeren Orientierung auf die Medien wird zum "Politainment", zur mediengerechten Unterhaltung eines Massenpublikums. Was bedeutet das für die Demokratie?I. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien
In Deutschland sind wir seit kurzem Zeuge einer "kopernikanischen Wende": Die Parteiendemokratie klassischen Zuschnitts wird zur Mediendemokratie. Die Regeln der medialen Politikdarstellung - unterhaltsam, dramatisierend, personalisiert und mit Drang zum Bild, allesamt der Darstellungskunst des Theaters entlehnt - greifen in zunehmendem Maße und mit beträchtlichen Folgen auf das politische Geschehen selbst über. Die Selektion spektakulärer Ereignisse, die effektsichere Inszenierung der Profis, die weite Teile des Mediensystems bestimmen, regieren zunehmend auch die Politik. [1]
Ein folgenreicher Rollenwechsel vollzieht sich: Während in der pluralistischen Parteiendemokratie - ihrem Modell nach zur Gänze und in ihrer Praxis doch in ausschlaggebendem Maße - die Medien die Politik beobachten sollten, damit sich die Staatsbürger eine vernünftige Meinung von ihr bilden können, beobachten in der Mediendemokratie die politischen Akteure das Mediensystem, um von ihm zu lernen, was sie und wie sie sich präsentieren müssen, um auf der Medienbühne einen sicheren Platz zu gewinnen. Solches "politainment" - so die Annahme - vertreibt die Langeweile und erweitert das Publikum.Vgl. Andreas Dörner, Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt/M. 2001.
Die Frage ist nur, ob das, was es dabei zu besichtigen gibt, noch in hinreichendem Maße Information über Politik, einen Einblick in ihr tatsächliches Geschehen erlaubt und auf diesem Wege mündige Entscheidungen über sie möglich macht. In der Antwort auf diese Frage, und nicht etwa in einer puristisch-elitären Abneigung gegen die populär-kulturellen Künste der Massenattraktion, besteht das Problem, das die Kolonisierung der Politik durch die Medien für die Demokratie aufwirft.
Kern der Veränderung ist eine weitgehende Überlagerung - anstatt der früheren Trennung - der beiden Systeme "Politik" und "Medien". [2] Sie geht zu einem erheblichen Teil aus der Wirkungsweise ihrer jeweiligen Funktionsgesetze selbst hervor. [3] Aus Legitimationsgründen ist demokratische Politik ja unvermeidlich auf die öffentliche Darstellung ihres Vollzugs und ihrer Ergebnisse - nämlich der Herstellung gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen - angewiesen. In den unüberschaubar komplexen Gesellschaften der Gegenwart benötigt sie dazu die Massenmedien. Diese folgen indessen bei jeglicher Darstellung von Politik gleichermaßen unvermeidlich ihrer eigenen Logik, wenn sie ihrem gesellschaftlichen Funktionszweck - nämlich der Erzeugung von größtmöglicher Aufmerksamkeit für gemeinsame Themen - gerecht werden wollen. [4]
Die Massenmedien erreichen ihren Zweck im Wesentlichen durch die Befolgung von zwei aufeinander abgestimmten Regelsystemen: Das erste Regelsystem (Selektionslogik) besteht in der Auswahl berichtenswerter Ereignisse nach Maßgabe ihrer Nachrichtenwerte. [5] Das zweite Regelsystem (Präsentationslogik) besteht aus einem Kanon von attraktionssteigernden Inszenierungsformen für das so ausgewählte Nachrichtenmaterial, um die Maximierung eines anhaltenden Publikumsinteresses zu sichern. [6] Das Zusammenwirken beider Regelsysteme, das sich in einem gewissen, allerdings eng begrenztem Ausmaß von Medium zu Medium anders gestaltet, kennzeichnet die spezifische Logik des Mediensystems. Dieser Logik ist alles unterworfen, was im Mediensystem hervorgebracht wird: jede Information und jeder Bericht über alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme und deren Leistungen. Sie wirkt als eine zwingende Prä-Inszenierung, die den Zugang zu den Medienbühnen regelt. Es herrscht das Gesetz der spannungsreichen theatralischen Inszenierung. [7]
In den Medien ist jede Darstellung des Politischen vom Wirken der beiden medialen Filtersysteme geprägt. Die Frage entsteht, ob solche Darstellung der Politik die Eigenlogik des Politischen noch in einem für die selbständige Urteilsbildung der Bürger angemessenen Maße erkennen lässt oder ob sie diese in den Regeln ihrer eigenen Logik auflöst. Auf Seiten der Politik führt die Schlüsselrolle des Mediensystems zur Vermehrung und zur Professionalisierung der Anstrengungen, ein Höchstmaß an Kontrolle über die Darstellung der Politik im Mediensystem zurückzugewinnen. Zu diesem Zweck mediatisiert sie sich mit Energie und professionellem Rat vehement selbst - sie wird zum "Politainment", einer in jedem Einzelfall jeweils besonders gestalteten Synthese aus instrumentellem Handeln und populärer Kommunikationskultur.
Dabei handelt es sich um einen wahrhaft dialektischen Vorgang, denn die Politik unterwirft sich den Regeln der Medien nur, um auf diesem Wege die Kontrolle über die Öffentlichkeit zu gewinnen, also aus genuin politischen Gründen. Selbstmediatisierung wird zu einer zentralen Strategie politischen Handelns in der Mediengesellschaft. [8] Es entsteht die Frage, ob Politik unter diesen Bedingungen in ihrem eigenen Handlungsfeld überhaupt noch in angemessener Weise ihrer eigenen Logik folgen kann, welche durch ihren gesellschaftlichen Zweck und die Imperative der Demokratie bestimmt ist - oder ob sie in der Hauptsache zum Lieferanten für die spezifischen Bedürfnisse des Mediensystems wird in der Hoffnung, auf diese Weise ihren unbegrenzten Bedarf an öffentlicher Zustimmung umfassend und risikoarm befriedigen zu können. [9]