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Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September: Geopolitische Interessen und der Kampf gegen den Terrorismus | "Achse des Bösen"? | bpb.de

"Achse des Bösen"? Editorial Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September: Geopolitische Interessen und der Kampf gegen den Terrorismus Geopolitische Veränderungen auf dem "eurasischen Schachbrett": Russland, Zentralasien und die USA nach dem 11. September 2001 Energiepolitische Interessen in Zentralasien Islamismus und Großmachtpolitik in Afghanistan

Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September: Geopolitische Interessen und der Kampf gegen den Terrorismus

Rainer Freitag-Wirminghaus

/ 33 Minuten zu lesen

Nach dem 11. September 2001 stehen die zentralasiatischen Staaten im Blickpunkt des Weltinteresses. Die einzige Weltmacht ist nun auch auf dem Territorium ihres ehemaligen Widersachers aktiv.

Einleitung

Wenn der 11. September 2001 weitreichende Veränderungen im Gefüge globaler Politik bewirkt hat, so gilt dies erst recht für die Region, die in unmittelbarer Nachbarschaft Afghanistans liegt. Die zentralasiatischen Staaten stehen zum ersten Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Ob dies für sie eine richtungsweisende Zäsur bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Auch in Zentralasien stehen die Akteure vor neuen Optionen mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf die Weltpolitik. In der Region des Kaspischen Beckens, das Zentralasien und den Kaukasus umfasst, gibt es sowohl Staaten, die wie Georgien durch den Zerfall staatlicher Autorität bedroht sind, als auch solche wie Usbekistan, die durch ein hohes Maß an Willkür und staatlicher Repression gekennzeichnet sind. Autoritarismus ist aber nicht mit der Existenz eines stabilen Staates zu verwechseln. So genannte "failed states", mit denen wir es hier zu tun haben, ziehen Gewalt- und Terrororganisationen an. So haben sich die Fühler von Osama bin Ladens weltumspannendem Netzwerk auch bis hierhin ausgestreckt.

In den Staaten Zentralasiens und des Kaukasus bestehen - in unterschiedlichem Grade - autoritäre Systeme mit weitgehend uneingeschränkter Macht der Präsidenten. Patrimoniale Strukturen mit tiefer Kluft zwischen der Bevölkerung und den Entscheidungsträgern haben das postsowjetische System hier besonders resistent gemacht. Dabei sind die Staaten als Mitglieder der OSZE der Demokratisierung verpflichtet. Die drei südkaukasischen Staaten Georgien, Aserbaidschan und Armenien sind Mitglieder des Europarates geworden. Doch die offiziellen Lippenbekenntnisse zur Demokratisierung bleiben in der Realität weitgehend folgenlos. Usbekistan ist in dieser Hinsicht das größte Sorgenkind. Das Land gilt zwar schon seit Jahren als wichtigster Verbündeter der USA in Zentralasien, doch die Kritik an Menschenrechtsverletzungen hat das Verhältnis immer wieder getrübt. In diesem politischen Klima ist die Gefahr der Erschütterung durch die Aktivitäten des politischen Islam nicht zu unterschätzen. Noch fehlt die Unterstützung dieser Bewegung durch breite Teile der Bevölkerung. Bereits in der Sowjetzeit war der Islam ein Identitätsfaktor, wobei meist tiefere Kenntnisse seines religiösen Inhalts fehlten. In dieses Vakuum kann leicht die fundamentalistische Auslegung stoßen.

Die einzige übrig gebliebene Weltmacht ist nun auch auf dem Territorium ihres ehemaligen Widersachers aktiv. Die mit den Ereignissen um Afghanistan verbundene Wiederbelebung der Geopolitik ist hier keineswegs etwas Neues. Gerade die kaspische Region war ja in den letzten Jahren der Raum, in dem das stattfand, was - in Anlehnung an die britisch-russische Rivalität im Zentralasien des 19. Jahrhunderts - etwas ungenau als eine Neuauflage des "great game" beschrieben wurde. Die Öl- und Gasvorkommen hatten ein neues Interesse an der Region geweckt und ein Ringen um Einflusssphären ausgelöst, im Wesentlichen zwischen den USA und der Türkei auf der einen sowie Russland auf der anderen Seite. Diese Rivalität mutete bisweilen an wie ein Rückfall in das Denken des Kalten Krieges, begrenzt und konzentriert auf eine Region, die geeignet schien für die Neuverteilung von Interessensphären.

Gerade der US-Politik im eurasischen Raum wurde in den letzten Jahren nicht nur von russischer, sondern auch von europäischer Seite vorgehalten, von geopolitischen Denkmustern geprägt zu sein, für die der frühere US-Sicherheitsberater Brzezinski als einer der aktivsten Protagonisten einer globalen amerikanischen Hegemonialstellung - mit einer besonderen Rolle der kaspischen Region - die Strategie vorgegeben habe. Unter den besonderen Bedingungen nach den Terroranschlägen scheint sich dies zu bestätigen. Dabei haben nicht mehr - wie es die US-Außenpolitik als eines ihrer wichtigsten Ziele in der Region offiziell definiert hat - Menschenrechte und Demokratisierung der neuen Staaten Priorität, sondern eben der Kampf gegen den Terrorismus. Die Vorbehalte gegen diktatorische Regime wie in Usbekistan oder die brutale Kriegführung in Tschetschenien treten in den Hintergrund. Mit Russland gibt es offenbar ein stillschweigendes Abkommen, separatistische Bewegungen einer Neubewertung zu unterziehen und sie mit Terrorismus gleichzusetzen. So schafft die außergewöhnliche Konfliktsituation die Gelegenheit für "Trittbrettfahrer" und aus Russlands Menschenrechtsverletzungen werden antiterroristische Maßnahmen. Vielleicht erleben wir hier gar nicht eine Neuorientierung der regionalen Politik, sondern einfach die durch außergewöhnliche Ereignisse vollzogene Zuspitzung einer schon angelegten Konstellation. Auf jeden Fall hat der Krieg in Afghanistan Bewegung in die Region gebracht, hat einen Schub ausgelöst, dessen Folgen noch nicht absehbar sind.

Auch schon vor dem 11. September war das Gebiet zu beiden Seiten des Kaspischen Meeres von der Bedrohung durch islamistische und terroristische Organisationen geprägt, wobei Gegenmaßnahmen durchaus im Bereich des staatlichen Terrorismus anzusiedeln sind. Genau ein Jahr zuvor hatte Washington die "Islamische Bewegung von Usbekistan" (IBU) in die Liste der terroristischen Organisationen aufgenommen. Ihr wurden enge Beziehungen zu bin Laden nachgesagt, von dem es hieß, er habe seine Aktivitäten vom Nahen Osten auf Zentralasien verlagert. Die dortige Eskalation der Gewalt durch Angriffe islamischer Rebellen im Ferganatal, dem Grenzgebiet von Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, stellte mit dem zeitlichen Zusammenfallen des spektakulären Auftretens islamischer Rebellen im Kaukasus - Auslöser des zweiten Tschetschenienkrieges - eine neue Dimension der Bedrohung dar. Die usbekische Führung sprach von einer groß angelegten Verschwörung der IBU und der Existenz eines Netzwerkes radikaler Islamisten über ganz Zentralasien und dem Kaukasus. Die Angriffe auf Usbekistan und Kirgistan starteten vom Gebiet der Taliban aus, deren eigene Offensiven von der IBU unterstützt wurden. Die Aktionen der IBU wiederum kamen den Taliban zugute, denn die Verbindung von warlords und Drogenmafia schuf ein Kuriersystem für afghanisches Opium nach Russland und dem Westen.

Diese Ereignisse verstärkten die Überzeugung sowohl in den USA als auch in Russland, dass Usbekistan eine wichtige Barrikade gegen den islamischen Fundamentalismus darstellt. Für Moskau war die "islamistische Verschwörung" der Beweis für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik in Zentralasien, die man gut zur politischen Reintegration des angestammten Einflussgebietes nutzen konnte. Dass diese Strategie nur zum Teil aufging, lag an Usbekistan, das derartige Versuche immer mit Misstrauen betrachtet hat. Es hat deshalb militärische Hilfe sowohl von den USA als auch von China angenommen. Zeitweise versuchte Präsident Karimow sogar, einen Ausgleich mit den Taliban zu finden.

Grundsätzlich sah und sieht auch heute noch die russische Führung die Hegemonialstellung der USA in einer unipolaren Welt als Bedrohung für Russlands Sicherheit an. Dabei wurde das "Nahe Ausland", das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, oft zum Schauplatz für den Überlebenskampf Russlands und zum Hauptobjekt der US-Einflussnahme hochstilisiert. Als Antwort auf den zunehmenden Einfluss der USA förderte Putin seit seinem Machtantritt die Stärkung der militärpolitischen Kooperation innerhalb der GUS. Er konnte den seit 1992 existierenden Kollektiven Sicherheitsvertrag der GUS erstmals zu einem ernst zu nehmenden Organ ausbauen. Darin sind die zentralasiatischen Staaten - mit Ausnahme Usbekistans und des neutralen Turkmenistans - mit Weißrussland und Armenien zu einem festen GUS-Kern unter russischer Führung zusammengeschlossen. Nach Jahren der Konzeptlosigkeit russischer Kaukasus- und Zentralasienpolitik unter Jelzin - gekennzeichnet vom Gegensatz zwischen Macht- und pragmatischer Politik sowie zwischen verschiedenen außenpolitischen Machtzentren - ist nach dem Machtantritt Putins eine politische Strategie erkennbar, welche die Grenzen und Möglichkeiten realistisch sieht. Putin will sowohl den Südkaukasus und Zentralasien in den russischen Einflussbereich reintegrieren als auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Kooperation mit den Staaten am Kaspischen Meer und den westlichen Ölgesellschaften nutzen. Die Politik Moskaus ist klarer und kohärenter geworden, während das Ziel, die Rückgewinnung der angestammten Einflusssphäre, das gleiche geblieben ist.

Die nichtkonstruktive Rolle Russlands im vergangenen Jahrzehnt in den Konflikten des Südkaukasus - Schlüsselkonflikt ist hier die Auseinandersetzung zwischen Armeniern und Aserbaidschanern um Berg Karabach - war für Aserbaidschan und Georgien der Grund für ihre entschiedene Westausrichtung. Beide bemühten sich durch Kooperation mit dem Westen die Integration beider Länder in europäische Sicherheitsstrukturen voranzutreiben, mit enger NATO-Anbindung und militärpolitischer Kooperation mit der Türkei. Georgien und Aserbaidschan organisierten sich zusammen mit der Ukraine, Moldawien und Usbekistan in der Staatengemeinschaft GUUAM (Anfangsbuchstaben der Staaten). Diese wurde durch gemeinsame Pipelinepläne und sicherheitspolitische Erwägungen zusammengehalten. Ihr gemeinsames Interesse war der Wunsch, sich der russischen Bevormundung zu entziehen. Da alle fünf Mitglieder GUUAMs nicht mehr im Sicherheitssystem der GUS organisiert sind, war die GUS in zwei Teile gespalten worden. Ihre intensivste westliche Unterstützung hatte diese Allianz während des NATO-Gipfels 1999 zu deren 50. Jahrestag erfahren. Die dort unter US-Ägide vollzogene Aufnahme Usbekistans in die Staatengemeinschaft war einer der markantesten Ausdrücke der US-Politik in ihrem Engagement in der kaspischen Region. Aufgrund der überzogenen Erwartungen, die sich an diese Politik von Seiten der GUUAM-Staaten knüpften, sah man sich aber gezwungen, sie zu relativieren. Im vergangenen Jahr gelang es Putin, dem Ärgernis GUUAM mittels erfolgreicher Spaltungsversuche die antirussische Spitze abzubrechen. Innenpolitische Ereignisse in der Ukraine und Moldawien kamen Moskau dabei entgegen. Seitdem besitzt die Staatengruppe nur noch eine ökonomische, keine sicherheitspolitische Dimension mehr.

Die Frage, ob diese Konstellationen nun durch den 11. September und den Krieg in Afghanistan verändert wurden, ist seitdem zum Objekt zahlreicher Spekulationen geworden. Hinsichtlich der oft geäußerten Befürchtung, die zentralasiatischen Führer nutzten ihre mit neuer Bedeutung versehene Position aus, um die Rechte ihrer Bürger weiter einzuschränken, muss man schlicht feststellen, dass sich der Trend im Grunde nur konsolidiert hat. Die Repression in Usbekistan benötigt keine Intensivierung mehr. Sicherlich gelingt es jetzt besser, die Verfolgung der islamistischen und nichtislamistischen Opposition zu rechtfertigen. Auch schlug das usbekische Parlament am 6. Dezember, einen Tag vor der Ankunft von Colin Powell in Taschkent, vor, Islam Karimow auf Lebenszeit zum Präsidenten zu machen. Doch das wäre vermutlich auch so geschehen. Auch die Mobilität zwischen den Staaten wurde eingeschränkt. Zwischen Kasachstan und Usbekistan, zwischen Usbekistan und Kirgistan wurden die Grenzen abgesichert, kirgisische Händler aus Kasachstan abgeschoben, Kommunikation und Handel dadurch behindert. Solche Maßnahmen werden aber vorübergehender Natur sein.

Dies enthebt die westlichen Staaten jedoch nicht ihrer Pflicht, die Langzeitwirkungen der diplomatischen und militärischen Aktionen in der Region zu bedenken. Länder, die durch Korruption und Mafiaaktivitäten geprägt sind, sind nicht nur anfällig für terroristische Organisationen, sondern auch für überzogene Gegenmaßnahmen. Kann und will militärische Präsenz wirklich politische und ökonomische Reformen stützen? Nur wenn sie verbunden ist mit einem Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere, wird der islamische Fundamentalismus, der ja nicht zuletzt auch eine Reaktion auf die Repressionen ist, in Zentralasien erfolglos bleiben. Vor dem 11. September war die wirtschaftliche und finanzielle Hilfe noch gekoppelt an Reformen und die Einhaltung der Menschenrechte. Unter der neuen geopolitischen Realität gilt dies nur noch eingeschränkt. Insgesamt wird die finanzielle Hilfe steigen, dies wird aber nicht unbedingt der Bevölkerung zugute kommen. Militärische Aktionen der Antiterrorismus-Koalition müssen begleitet werden von langfristigen Anstrengungen, die Region politisch und ökonomisch zu stabilisieren.

II. Zentralasien nach dem 11. September

Die Ereignisse haben Zentralasien über Nacht zu einem Epizentrum einer globalen Erschütterung gemacht. Ist die Landung amerikanischer Truppen in Zentralasien eine geopolitische Revolution von globaler Bedeutung? Als im September 1998 im Rahmen eines von der NATO initiierten internationalen Manövers US-Flugzeuge in Zentralasien landeten, wurde dies schon einmal als Anfang eines neuen Engagements misstrauisch betrachtet. Es war jedoch nur ein Intermezzo, denn die Clinton-Regierung entschied sich dann doch gegen eine US-Beteiligung an Sicherheitsmaßnahmen in der Region und ließ Russland den Vortritt. Ob dies tatsächlich den Weg geebnet hat für die Weiterentwicklung der von Afghanistan ausgehenden Sicherheitsbedrohung und somit letztlich die USA selbst getroffen hat, wie dies von manchem Beobachter nachträglich angeführt wird, ist reine Spekulation. Doch nun stehen wir möglicherweise vor einem langfristigen amerikanischen Engagement. Ein Abzug würde das alte Vakuum hinterlassen, möglicherweise mit neuen Sicherheitsbedrohungen. Man sollte sich durch den amerikanisch-russischen Schulterschluss nicht täuschen lassen. Russland, der traditionelle "Beschützer" der Region, kann über diese Veränderung nicht glücklich sein, denn die Linie, die das "Nahe Ausland" absteckt, ist aufgeweicht. Die Ankunft von US-Truppen löst eine nicht absehbare Dynamik aus.

So zeigte sich Putin zunächst besorgt über die spontane Kooperationsbereitschaft der GUS-Staaten und ermahnte sie, im Rahmen der GUS zu handeln und die GUS-Institutionen zur Konsultation zu nutzen. Vergeblich wurde versucht, Usbekistan und Kasachstan zurückzuhalten, lediglich Kirgisistans Angebot zur Nutzung seines Luftraums konnte verzögert werden. Die Erklärung von Verteidigungsminister Sergej Iwanow vom 14. September wies darauf hin, dass Zentralasien Moskaus ureigenste Einflusszone sei, für die nur die GUS mit ihrem Kollektiven Sicherheitsvertrag zuständig sei. Dabei ließ er - ebenso wie auch generell die westliche Presse - außer Acht, dass Usbekistan und Turkmenistan nicht dessen Mitglieder sind. Taschkent entgegnete auf Iwanows Warnung, man brauche seine Außenpolitik mit niemandem zu koordinieren und sei nicht auf Moskaus Erlaubnis angewiesen.

Am 18. September schickte Putin einen Beauftragten des Sicherheitsrates in die fünf Staaten mit dem Ergebnis, dass deren Präsidenten sich einige Tage mit öffentlichen Äußerungen zurückhielten. Inzwischen hatte Washington jedoch die zentralasiatischen Staaten direkt angesprochen und gleichzeitig Moskau klargemacht, dass es russische Einwände gegen die Einbeziehung der Nachbarstaaten Afghanistans in die Antiterrorismus-Koalition übergehen werde. Schon am 16. September bot Taschkent die Nutzung seines Luftraumes an. Als Putin am 24. September sein Veto aufhob, hatten Usbekistan, Kasachstan und Kirgisistan bereits ihren eigenen Weg beschritten. Die Entscheidung Washingtons, Truppen in Usbekistan zu stationieren, wurde zunächst noch durch die Äußerung Präsident Karimows relativiert, dass dies nur Nachschubkapazitäten betreffe und keine direkten Angriffe von usbekischem Boden auf Afghanistan geflogen werden würden. Die usbekische Bevölkerung selbst erfuhr nicht allzu viel davon. Es bleibt abzuwarten, ob sich antiwestliche Ressentiments in Usbekistan entwickeln werden, sollte es zu langfristigen Stationierungen kommen.

Nach den Gesprächen mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld landeten am 7. Oktober US-Elitetruppen. Die Restriktionen, die mit den Operationen verbunden waren, wie Beschränkung auf Hilfs- und humanitäre Missionen, erwiesen sich als flexibel. So bedeutete "Öffnung des Luftraumes" inoffiziell auch Landungsrechte und Nutzung der Flughäfen. Obwohl die ersten US-Militärs schon nach dem 20. September eintrafen, wurde dies von usbekischen Offiziellen bis zum 5. Oktober noch bestritten. In der Erklärung zwischen Usbekistan und den USA vom 12. Oktober war von Beschränkungen nicht mehr die Rede, in ihr wurden den USA militärische Basisrechte garantiert. Die US-Kräfte - inoffiziell wurden mindestens 2 000 vermutet - nutzen wie schon die Sowjets im Afghanistankrieg den Luftstützpunkt Chanabad. Hier konnten B-52-Bomber nach ihren Einsätzen in Afghanistan auftanken, bevor sie zu ihren Stützpunkten im Indischen Ozean zurückkehrten. Sie sollen auch gezielt Stützpunkte der IBU in Afghanistan in der Nähe von Kunduz angegriffen haben. Auch der usbekische Staatsfeind Nr. 1, Dschuma Namangani, der Führer der IBU, der in Usbekistan einen islamischen Staat errichten wollte, soll dabei umgekommen sein.

Dass Usbekistan von den zentralasiatischen Staaten am schnellsten und entschiedensten reagiert hat, bestätigt nur den Trend, der einige Jahre vor dem 11. September begonnen hatte. Die USA hatten immer die Unabhängigkeitsbestrebungen der zentralasiatischen Staaten unterstützt. Dabei hatte sich Usbekistan am weitesten vorgewagt. Es hat die ablehnende Haltung gegenüber den russischen Integrationsbestrebungen angeführt und sich geweigert, im Rahmen der GUS die politische oder militärische Kooperation weiterzuentwickeln. Es hat eine eher vorsichtige Politik der subregionalen Kooperation verfolgt und die Westorientierung, besonders mit den USA, ausgebaut. Usbekistan diente schon zu kommunistischen Zeiten als Hauptaufmarschgebiet für die in Afghanistan eingesetzten Sowjettruppen. Hier befinden sich gut ausgebaute Militärflugplätze und in der Nähe von Termes die einzige benutzbare Brücke über den Amu Darja, der das Land von Afghanistan trennt.

Im Gegensatz zu Pakistan stellt Usbekistan für die USA eine politisch sichere Basis dar. So sieht es nach einer langfristigen politischen Allianz auf der Basis militärischer Kooperation aus. Tatsächlich möchte Taschkent die amerikanische Präsenz auch nach dem Ende der antiterroristischen Maßnahmen erhalten. Auch Washingtons langfristige Absichten wurden nicht länger verheimlicht. Das Anfang Dezember unterzeichnete Wirtschaftsabkommen zwischen beiden Staaten sieht langfristige Beziehungen auf der Basis der übereinstimmenden Ziele im Kampf gegen den Terrorismus vor. Dies wäre eine historische Zäsur, ein derart weitgehendes Bündnis mit einem Staat auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion hat es noch nicht gegeben. Das Land kann als Gegenleistung einiges erwarten. Es werden ihm neue Anleihen, Schuldenerlasse und andere Vergünstigungen gewährt, man erhofft sich neue westliche Investitionen, Hilfe bei der Privatisierung und beim Aufbau des Tourismus und die Sicherung von Transitrouten an den Indischen Ozean. Alle diese Erwartungen sind allerdings zum Scheitern verurteilt, wenn das Verständnis für die Notwendigkeit von Reformen auf usbekischer Seite nicht wächst. Die amerikanische Hilfe will die verschleppten Reformen in Gang bringen, doch wie entschlossen sind die USA, darauf zu bestehen? Werden sie auch in Zukunft noch das Regime Karimows kritisieren? Kritiker der US-Politik in Zentralasien werden fragen, inwieweit Amerika hier aufgrund seiner Vorgehensweise in Afghanistan in Zukunft als moralische Instanz auftreten kann.

Präsident Karimow stellte in Zentralasien den Vorreiter bei der Unterstützung der antiterroristischen Maßnahmen dar. Hatte Moskau bisher den islamischen Fundamentalismus für seine Zwecke ausgenutzt, indem es versuchte, die Bedrohung zur Stärkung seiner politischen und militärischen Präsenz in Zentralasien zu nutzen, konnten die Staaten, allen voran Usbekistan, nun ihrerseits die Situation nutzen, um wieder ein Stück von Russland loszukommen. Der kasachische Präsident Nasarbajew folgte Karimow als erster. Auch das erdölreiche Kasachstan sucht einen Weg, unabhängig von Russland die Verbindungen zum Westen zu stärken. Doch anders als für Usbekistan ist die Kooperation mit Russland für dieses Land lebenswichtig. Auch das kleine, arme Kirgisistan muss vorsichtiger agieren, während Turkmenistan seinen offiziellen Status als neutrales Land hoch- und sich selbst heraushält. Tadschikistan, der engste Verbündete Russlands in Zentralasien, entschloss sich als letzter zur Kooperation.

Nachdem Sergej Iwanow noch am 14. September Moskaus Zustimmung zu Antiterrorismus-Aktionen in Zentralasien kategorisch abgelehnt hatte, erklärte Nasarbajew nur einen Tag später, noch bevor überhaupt eine Anfrage von amerikanischer Seite auf dem Tisch lag, seine volle Unterstützung bei der Bestrafung der Terroristen. Bevor Putin seine Zustimmung geben konnte, hatte Nasarbajew schon klar gemacht, dass Kasachstans nationale Entscheidungen nicht im Rahmen der GUS oder auf Empfehlung Moskaus getroffen worden seien. Nach Gesprächen mit einer türkischen Militärdelegation (19.-21. September) wurde ein türkisches Angebot über die Ausbildung eines kasachischen antiterroristischen Elite-Bataillons in der Türkei als Sofortmaßnahme angenommen. Am 9. November wurde zwischen dem kasachischen Verteidigungsministerium und dem türkischen Generalstab ein Abkommen über militärische Unterstützung der Türkei geschlossen.

In Kirgisistan bringt die Kooperation mit den USA Präsident Akajew eine Minderung der Kritik an seinem in den letzten Jahren zunehmend autoritärer gewordene Führungsstil ein. Kirgisistan hatte lange Zeit als demokratisches Musterland in Zentralasien gegolten, diesen Ruf aber zuletzt verspielt. Finanziell profitiert das von internationaler Hilfe abhängige Land von der Unterstützung der Antiterrormaßnahmen durch eine 105 Mio. US-Dollar-Hilfe des IMF. Nachdem am 6. Dezember ein Abkommen über die Stationierung von US-Kräften geschlossen worden war, landeten US-Transportflugzeuge am 8. Dezember nahe Bischkek. Auch Turkmenistan mit seiner 744 km langen Grenze zu Afghanistan trat der Antiterrorkoalition bei, allerdings nur passiv. Neben seinem Status als neutrales Land kommt erschwerend hinzu, dass Turkmenistan als einziges zentralasiatisches Land gute Beziehungen zu den Taliban hatte, wenngleich es auch die Beziehungen zur Nordallianz aufrechterhalten hatte. Auch das freundschaftliche Verhältnis zu Pakistan stammt noch aus der Zeit, als man an den Bau einer Gaspipeline über Afghanistan nach Pakistan glaubte.

Tadschikistan, dessen Grenze zu Afghanistan 10 000-20 000 russische Soldaten der 201. Division bewachen, hielt sich am längsten zurück. Ebenso wie Russland und Usbekistan hat es die Nordallianz unterstützt. Man fürchtete eine größere Fluchtwelle, für die das Land nicht gewappnet gewesen wäre. Doch Anfang Dezember wurde den USA ein 40 km von der afghanischen Grenze entfernter Luftwaffenstützpunkt zur Verfügung gestellt. Regelmäßige militärische Kontakte sollen wie in Usbekistan den Grundstein für eine ökonomische Kooperation - in diesem Fall auch mit Japan und der Türkei - legen. Ein Grund, der Tadschikistan zu diesem Schritt bewogen hat, ist finanzieller Natur; der zweite die Einsicht, dass nur die USA die Mittel besitzen, effektvoll gegen die aus dem Nachbarland kommende islamistische Bedrohung einzuschreiten und den Krieg in Afghanistan zum Stillstand zu bringen. Solange diese Bedrohung besteht, ist das vom Bürgerkrieg sich langsam erholende Land für ausländische Investoren nicht interessant.

Putins Versuch, wegen der Bedrohung durch den Terrorismus die Kontrolle über Zentralasien und den Kaukasus zu stärken, hat der 11. September zunichte gemacht. Zur Abwehr der Bedrohung waren die Mittel der USA notwendig. Dies verschafft den Staaten die Möglichkeit, ihre Bindung zum Westen zu intensivieren. Russland hatte keine andere Wahl, als dies zu akzeptieren, und musste sogar hinnehmen, dass sein "Satellitenstaat" Tadschikistan die "rote Linie" überschritt. Noch im Juni war die "Schanghai Organisation zur Zusammenarbeit" (SCO) mit dem Beitritt Usbekistans (vorher "Schanghai-Fünf", d. h. mit Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, China) als Annäherung zwischen Russland und China gefeiert worden. Sie sollte garantieren, dass nicht die USA als Stabilisator Zentralasiens auftreten.

Diese Organisation - ein loses Forum zur Lösung von Grenzproblemen und zur Abwehr des islamischen Fundamentalismus, halb Wirtschaftsgemeinschaft, halb Sicherheitssystem - sollte verschiedene Funktionen erfüllen. Chinas "Tsche-tschenien" ist Xinjiang, wo die uigurischen Separatisten ebenfalls mit islamistischen Terroristen gleichgesetzt werden. Russland und China ging es ferner um Begrenzung des westlichen Einflusses in der Region; die ehemaligen Sowjetrepubliken können wiederum durch die Beteiligung Chinas die Dominanz Russlands ein wenig ausgleichen. So hat Karimow es vorgezogen, dieser Organisation und nicht der "Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft" beizutreten, dabei allerdings klargestellt, dass Usbekistan die Gruppierung sofort verlassen würde, wenn sie zu einer militärischen Allianz werden sollte.

Die SCO sollte der Anfang eines regionalen Sicherheitssystems sein, für das man auch Pakistan gewinnen wollte. Der 11. September hat die Lage verändert. Usbekistan und Pakistan stehen im Zentrum als wichtigste Komponenten der Antiterrorkoalition, Kasachstan und sogar Tadschikistan treten als Verbündete der USA auf. So erscheint die SCO zurzeit im internationalen Antiterrorismus-Kampf als relativ irrelevant. Nasarbajew erklärte bei seinem Deutschlandbesuch im Oktober, dass sie nur ökonomische Kooperation ohne jegliche militärische Komponente beinhalte.

II. Der Kaukasus nach dem 11. September

Die Kampagne gegen den Terrorismus hat die US-Politik gegenüber den GUS-Staaten verändert. Im Vordergrund steht die Partnerschaft mit Russland und die Nutzung einiger zentralasiatischer Schlüsselländer, in zweiter Linie umfasst die globale Kampagne eine Koalition einer Reihe von Staaten, unter denen die südkaukasischen Länder eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen. Die Staaten auf der Westseite des Kaspischen Meeres haben jedoch nicht die unmittelbare Bedeutung für die Antiterrormaßnahmen wie die zentralasiatischen Nachbarländer Afghanistans. Aserbaidschan kann sein Territorium und seine Flughäfen den USA zur Verfügung stellen, was es auch sofort angeboten hatte. Für Bodenoperationen in Afghanistan sind diese aber nutzlos. Aserbaidschan würde aber sofort interessanter für die USA werden, sollten diese sich entschließen, ihre Aktionen auf andere Länder im Nahen Osten auszuweiten.

Der Südkaukasus wurde bisher hauptsächlich unter dem Blickwinkel der Energieentwicklung am Kaspischen Meer und seiner geopolitischen Rivalitäten und Spannungen gesehen. Dies war immer mit der Sicherheitsfrage verbunden, denn die vorhandenen und geplanten Pipelines brauchen in einer unsicheren Umgebung besonderen Schutz. So gefährdet der ungelöste Konflikt um Berg Karabach sämtliche Pipelineträume. Nun ist die Sicherheitsfrage vollends in den Mittelpunkt gerückt. Dies kann sich in einer Verschiebung der geopolitischen Balance niederschlagen, wie sie sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat. Als Folge der freien Hand, die Moskau jetzt in Tschetschenien gewährt wird, befürchtet man in Georgien und Aserbaidschan eine Revitalisierung russischer Interessen auch im Südkaukasus. Die Hoffnung, die sich dagegen an russisch-amerikanische Absprachen knüpft, ist, dass beide sich über ihre Handlungsgrenzen verständigt haben: als Gegenleistung für die Tolerierung russischen Vorgehens in Tschetschenien keine russische Intervention in Georgien.

Die neue Partnerschaft zwischen Russland und den USA eröffnet den südkaukasischen Staaten auch neue Chancen zur Kooperation mit Russland. Sie würde damit auch neue Möglichkeiten der Kooperation untereinander schaffen. Bis jetzt wird dies durch die Isolierung Armeniens und seine einseitige Orientierung an Russland verhindert. Armenien könnte seine Politik revidieren und damit seine strategische Bedeutung steigern. Armeniens Furcht ist, dass die Bedeutung Aserbaidschans in der Antiterrorismus-Kampagne und der Schulterschluss zwischen den USA und Russland zu einer für Armenien unvorteilhaften Lösung des Karabachproblems führen könnte.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen um Berg Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan unter Vermittlung der OSZE hat eine Stimmung tiefer Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung im Südkaukasus um sich gegriffen. Da sowohl Präsident Schewardnadzes Zeit in Georgien als auch die von Präsident Alijew in Aserbaidschan sich ihrem Ende zuneigen - sie haben ihre Länder vor dem Zerfall bewahrt -, stehen mögliche innenpolitische Turbulenzen in beiden Staaten vor der Tür. Beide sind durch separatistische Bewegungen in ihrem Bestand gefährdet. So ist es kein Wunder, dass die Gelegenheit ergriffen wurde, an den Kampf gegen die eigenen "Terroristen" zu erinnern. In Aserbaidschan wurden sofort nach dem 11. September armenische Terrororganisationen wie die Asala (Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia) mit den Anschlägen in Verbindung gebracht. Manche Kommentatoren betrachteten die Lage als günstig, so genannte antiterroristische Operationen - gemeint ist damit die Rückeroberung der von den Armeniern besetzten Gebiete - zu fordern. Die Gleichsetzung von Terrorismus und Separatismus, von Russland in Tschetschenien mit Erfolg vorgeführt, erschien auch hier verführerisch.

Aserbaidschan ist in den letzten Jahren zum Aufenthalts- und Durchgangsort verschiedener islamistischer Vereinigungen geworden. Zwar ist die große Mehrheit der Muslime säkularistisch eingestellt, doch von Iran aus gelenkte Gruppen sind im Süden und so genannte Wahhabiten im Norden aktiv. Sie stellen allerdings noch keine Bedrohung dar. Was von den zahlreichen kursierenden Gerüchten wahr ist, lässt sich schwer überprüfen. Immerhin wurden 1999 drei Mitglieder des ägyptischen "Islamischen Dschihad" aus Aserbaidschan ausgewiesen. Dessen aserbaidschanische Zelle soll als Netzwerk des auch in Dagestan aktiv gewesenen al-Zawahiri, der rechten Hand bin Ladens, gedient haben. Die kuwaitische Organisation "Revival of Islamic Legacy" mit Verbindungen zur al-Qaida, die mehrere Moscheen in Aserbaidschan errichtet hatte, wurde verboten. Nachgewiesen wurden eine Reihe von Telefonanrufen von bekannten arabischen Terroristen nach Baku und der Plan eines Anschlages auf die amerikanische Botschaft in Baku.

Um die Antiterrorismus-Koalition zu stärken, setzte Washington wie in Zentralasien ökonomische Mittel ein. Das US-Embargo gegen Aserbaidschan wurde auf Druck von Colin Powell vom US-Senat am 16. Oktober für mindestens ein Jahr ausgesetzt. Transportflugzeuge mit militärischer Ausrüstung und humanitären Hilfeleistungen konnten somit in Baku zwischenlanden. Die Aussetzung demonstriert die Bedeutung, die Washington Aserbaidschan in der Kampagne gegen den Terrorismus beimisst, nicht zuletzt auch bei der Kooperation auf geheimdienstlicher Ebene. Sie eröffnet Washington nicht nur die Möglichkeit, Aserbaidschan militärische Hilfe zukommen zu lassen, sondern auch Armenien. Dies würde nicht nur Armenien, das seinen Luftraum zur Verfügung gestellt hat, stärker an den Westen binden, sondern könnte auch die Verhandlungen über eine Lösung in Karabach neu beleben.

Pläne für eine Luftwaffenbasis in Baku sind bisher offiziell noch nicht bestätigt worden. Wenn sie verwirklicht werden sollten, wäre dies für Baku ein großer Erfolg, denn inoffiziell war ein NATO- oder US-Stützpunkt in den vergangenen Jahren immer als Wunschziel betrachtet worden. Eine US-Präsenz im Lande gilt als Garantie für Stabilität und Sicherheit.

Das Land, das durch die neuen geopolitischen Gegebenheiten am meisten verlieren kann, ist Georgien. Der russische Druck auf Schewardnadze, seinerseits gegen die Tschetschenen auf georgischem Territorium vorzugehen bzw. russische Patrouillen im georgischen Grenzgebiet zu Tschetschenien zuzulassen, wird stärker. Georgische Kontrolle ist dort in der Tat nicht vorhanden. Das Gebiet war zur Basis von Drogen- und Waffenschmugglern und Entführern geworden und in Moskaus Augen zur Nachschubbasis für Terroristen. Die Strafe war die Einführung eines Visaregimes für georgische Bürger in Russland mit weitreichenden Folgen für die georgische Wirtschaft. Für Aserbaidschan wurden entsprechende Absichten fallen gelassen, als Belohnung für die Kooperation im Kampf gegen die tschetschenischen Rebellen. Im Zuge einer Annäherung zwischen Aserbaidschan und Russland nach dem Besuch Putins in Baku im Januar 2001 wurden mehrfach Tschetschenen an Russland ausgeliefert.

Die neue Lage nach dem 11. September führt zu einer entschlosseneren Haltung Moskaus, seine Militärbasen in Georgien zu halten. Der vereinbarte Rückzug aus zwei der vier russischen Militärstützpunkte wurde weiter verzögert. Es verschärften sich auch wieder die Spannungen um die abtrünnige Republik Abchasien, de facto ein unabhängiger Staat innerhalb Georgiens. Die Ereignisse wurden wieder einmal Moskau angelastet, sodass Schewardnadze mit einem Austritt aus der GUS drohte. Führende russische Politiker ihrerseits nutzten die Stunde, um ein Festhalten an der russischen Truppenpräsenz im Land zu rechtfertigen. Putin dagegen überraschte mit einer Ankündigung am 12. Oktober, sich nicht in Georgien einmischen zu wollen und eventuell sogar die russischen peacekeeping-Truppen in Abchasien abzuziehen. Damit demonstriert er vor allem die Hilflosigkeit der georgischen Führung. Auch ohne direkte Intervention kann er Druck auf das Land ausüben, denn ein Abzug würde die Situation nur verschärfen.

Ebenso überraschend kam Schewardnadzes Äußerung am 3. Dezember, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern einen Wendepunkt erreicht hätten und eine Einigung über den Abzug der russischen Truppen jetzt möglich wäre. Einige Tage vorher hatte er noch die Verletzung georgischen Luftraumes durch russische Bomber angeprangert. Wenn Schewardnadze darauf verzichtet, die baldmöglichste Räumung aller vier Militärbasen anzustreben, bedeutet das ein Einfrieren des Status quo, das letztlich russischen Interessen entgegenkommt. Die Lage wurde durch eine innenpolitische Krise im November zusätzlich verschärft, in deren Verlauf die Regierung zurücktreten musste und die möglicherweise der Anfang einer allmählichen Entmachtung Schewardnadzes sein könnte.

Die chaotische innere Situation Georgiens könnte zum Ausgangspunkt einer möglichen Reorientierung der georgischen Außenpolitik werden, deren Ziel es war, innerhalb von fünf Jahren NATO-Mitglied zu werden. Um kein Missverständnis über eine mögliche Umverteilung amerikanischer Hilfsleistungen nach Zentralasien als Zeichen einer Vernachlässigung amerikanischer Interessen in Georgien aufkommen zu lassen, stellte Rumsfeld bei seinem Besuch in Tbilissi (Tiflis) im Dezember eine Intensivierung der militärischen Kooperation - bisher jährlich 20 Mio. US-Dollar - in Aussicht. In den vergangenen Jahren hat Georgien, das auf US-Hilfe angewiesen ist, auch die militärischen Bindungen zur Türkei vorangetrieben. Sie beinhalten türkische Hilfe bei der Modernisierung und Ausbildung der desolaten georgischen Streitkräfte und den Ausbau eines Flughafens.

III. Interessen der Türkei und Irans

Ein unabhängiges Georgien ist ein wichtiges Element der türkischen Kaukasuspolitik. Ohne Georgiens Beteiligung können die amerikanisch/türkischen Pläne für eine Pipeline von Baku nach Ceyhan an die türkische Mittelmeerküste nicht verwirklicht werden. Die ethnische Verbundenheit mit den Turkvölkern bestimmt schon lange nicht mehr Ankaras Außenpolitik. Georgien wurde genauso wichtig für die Türkei wie das "Bruderland" Aserbaidschan. Die Initiative Ankaras zur Unterzeichnung eines Militärabkommens zwischen der Türkei, Georgien und Aserbaidschan steht vor der Verwirklichung.

Nach dem 11. September ergibt sich für die Türkei die Perspektive, wieder verstärkt in Zentralasien Einfluss zu nehmen. Die Türkei soll eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau Afghanistans übernehmen, besonders im Bereich des Erziehungs- und Gesundheitswesens. Türkische Hilfe für Afghanistan besitzt eine lange Tradition. Seit den zwanziger und dreißiger Jahren unter Atatürk bis zur Abschaffung der Monarchie in Afghanistan 1973 hatte die Türkei dem Land beim Aufbau des Militärs und der Bürokratie geholfen, um das säkulare System auch in Afghanistan zu stärken. In den vergangenen Jahren hat Ankara die usbekische Gruppe der Nordallianz unterstützt. Die intensiven Kontakte zum Usbeken-General Dostum kommen der Türkei jetzt zugute. Als dieser 1998 mit Hilfe von Rivalen aus den eigenen Reihen von den Taliban aus Mazar-i Scharif vertrieben wurde, fand er sein Exil in der Türkei, ehe er 2001 wieder nach Afghanistan zurückkehrte.

Als erstes Land eröffnete die Türkei jetzt wieder eine Botschaft in Kabul. 90 Mitglieder einer Spezialtruppe wurden nach Afghanistan geschickt, als Teil einer diplomatischen Offensive, um auf Afghanistans politische Zukunft Einfluss zu nehmen. Das türkische Engagement wurde auch von Pakistan begrüßt. Für die Führung der International Security Assistence Force (ISAF), an der 1000 türkische Soldaten teilnehmen sollen, ist die Türkei als Nachfolger Großbritanniens im Gespräch.

Auch Iran, das schon vor dem Angriff auf die Taliban zwei Millionen afghanische Flüchtlinge beherbergt hat, hat die Nordallianz unterstützt. Die Feindschaft zu den Taliban entwickelte sich nicht wegen deren Beihilfe zum Terrorismus, sondern wegen der Unterdrückung der schiitischen Minderheit in Afghanistan und des von Afghanistan ausgehenden Drogenhandels über Iran. Besonders gespannt waren die Beziehungen zu den Taliban, als diese 1998 elf iranische Diplomaten in Mazar-i Scharif töteten. Iran lehnt jedoch die amerikanischen Luftangriffe ab und hat seinen Luftraum nicht zur Verfügung gestellt. Nur eine UN-Aktion gegen den Terrorismus würde man unterstützen. Selbstverständlich begrüßt Teheran den Sturz der Taliban, doch die damit verbundene Verschiebung der geopolitischen Kräfteverhältnisse stellt es vor neue außenpolitische Herausforderungen: Man sieht sich jetzt ringsum von Amerika-freundlichen Staaten umgeben, gleichzeitig ist die so genannte strategische Partnerschaft mit Russland, deren gemeinsames Ziel die Fernhaltung der USA aus der Region um das Kaspische Meer gewesen ist, fragwürdig geworden. Die Beziehungen waren zuletzt durch die Unstimmigkeiten über die sektorale Aufteilung des Kaspischen Meeres ohnehin gespannt. Positiv gesehen bietet das Ende der Taliban-Herrschaft Iran die Gelegenheit, seine Beziehungen zu Pakistan zu verbessern und die wirtschaftliche Kooperation zu intensivieren.

IV. Russische Politik im Wandel

Russische Politik im Kaukasus und Zentralasien steht grundsätzlich vor der Wahl zu entscheiden, ob dortige Stabilität oder Instabilität für die eigenen Interessen vorteilhafter ist. Dies kann je nach Region oder Zeitpunkt variieren und ist abhängig von der Position des Entscheidungsträgers. Putins Meinung zur Krise in Georgien beispielsweise ist nicht unbedingt die seiner Generäle. Teile der russischen Führung und der Militärs sind über die selbstständigen Aktionen der zentralasiatischen Staaten alarmiert. Man kann zwar die islamistische Gefahr dafür ausnutzen, die zentralasiatischen Staaten, die für Russland auch eine Pufferzone darstellen, wieder enger an sich zu binden. Dies ist jedoch immer mit einem Risiko verbunden, und letztlich bleibt die Furcht vor einem Entgleiten der Kontrolle. Der 11. September war dafür Warnung genug.

Nach allgemeiner Meinung soll man die Amerikaner unterstützen, dies aber in erster Linie zugunsten der eigenen nationalen Interessen. Trotz Schulterschlusses mit den USA wird Russland den Kampf gegen den Terrorismus auf seine eigene Art und nach seinen eigenen Interessen führen. Für die westliche Welt ist es schwieriger geworden, Moskaus brutale Aktionen in Tschetschenien zu verdammen. Laut Verteidigungsminister Iwanow sind Afghanistan und Tschetschenien zwei Äste eines Baumes. Der als liberal geltende Boris Nemzow verlangte noch am 6. September, dass Putin die Verhandlungen mit Maschadow wieder aufnehmen solle, am 13. September wollte er nur noch die "Sprache der Kalaschnikows" hören.

Kritische Stimmen aus dem militärisch-industriellen Komplex fürchten aber auch nach den Vergeltungsaktionen um ihre guten Beziehungen zur islamischen Welt und um ihre Märkte in Irak und Iran. Einigkeit besteht weitgehend darüber, dass Russland für seine Kooperation einen Preis verlangen kann. Dazu gehören unter anderem die Forderung nach dem Verzicht auf eine NATO-Erweiterung in die baltischen Länder, nach Verzicht auf das SDI-Programm, Aktionsfreiheit in Tschetschenien inklusive des Grenzgebietes in Georgien und nach Anerkennung der besonderen russischen Interessen in Aserbaidschan.

Putin ist es gelungen, die Opposition gegen die Kooperation mit den USA zu beruhigen. Deutlichstes Zeichen dafür war der Schwenk, den Verteidigungsminister Iwanow machen musste. Die Zurückhaltung des Westens bezüglich Tschetscheniens könnte die Hardliner überzeugt haben, die plötzliche Chance zur tatsächlichen Eindämmung der islamistischen Gefahr mag dann den Ausschlag gegeben haben. Unter der Voraussetzung, dass dieses nur den USA gelingen würde, hofft Putin dabei auf einen gründlichen Durchbruch in den Beziehungen zum Westen, auch mit Blick auf den riesigen Schuldenberg Russlands. Putin hat eingesehen, dass er Russlands Position als Großmacht nur zusammen mit den Amerikanern und nicht gegen sie wiederherstellen kann.

Russlands eigene Interessen in Afghanistan liegen in der Stärkung der Nordallianz und der Installierung von Russland-freundlichen Vertretern in der neuen Regierung. Die Ankunft eines begrenzten Kontingents russischer Truppen für humanitäre Zwecke Ende November in Kabul sollte wohl auch diese Ansprüche unterstreichen. Die Frage ist, ob Russland unter den gegebenen Umständen sein Sicherheitskonzept im Rahmen des Kollektiven Sicherheitsvertrages der GUS aufrechterhalten kann. Dieses sieht drei militärische Zweige mit gemeinsamen Einheiten unter russischer Führung vor, die Allianz mit Weißrussland im Westen, mit Armenien im Kaukasus sowie mit Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan in Zentralasien. Moskau möchte, dass auch Georgien, Aserbaidschan und Usbekistan wieder an gemeinsamen militärischen und antiterroristischen Übungen teilnehmen. Usbekistan könnte dies im Rahmen der SCO tun, doch beide antiterroristischen Initiativen stagnieren ein Jahr nach ihrer Initiierung. In Zentralasien sollte ein Bataillon der 201. Division zu einer gemeinsamen schnellen Eingreiftruppe umgewandelt werden, doch Kasachstan, Kirgisistan und sogar Tadschikistan haben bisher keine Truppen dazu beigesteuert. Das Antiterrorismus-Zentrum der GUS in Moskau ist unterfinanziert, sodass die anderen GUS-Staaten wenig Interesse zeigen.

Während Washington auf eine langfristige Zusammenarbeit mit Moskau hofft, erwartet Putin, von den USA als Großmacht anerkannt zu werden. Die Vertreibung der Taliban ist das gemeinsame Ziel, doch ein Angriff auf Irak würde die Partnerschaft vor eine Zerreißprobe stellen. Der militärisch-industrielle Komplex hat gerade in den Staaten des Nahen Ostens weitreichende Interessen. Nach dem Ende der gegenwärtigen Euphorie über die gemeinsame Front könnte die Realität in Gestalt der Rivalität im Nahen Osten, Zentralasien und im Kaukasus wieder die Oberhand gewinnen. Bleiben die USA längerfristig in Zentralasien, bedeutet dies einen klaren Einflussverlust. Bei einer gemeinsamen Kontrolle der Region mit den USA könnte sich diese aber auch zu einer Zone der Kooperation entwickeln, in der Russland seine Interessen ohne hegemonialen Anspruch wahrnimmt. Ein nicht zu unterschätzender Faktor wird der gegenwärtige wirtschaftliche Aufwind in der Region sein. Er könnte Russland für die GUS-Staaten wieder attraktiver machen.

Die durch den gemeinsamen Feind entstandene Euphorie über die neue Zusammenarbeit erfuhr ihre erste Ernüchterung durch die einseitige Aufkündigung des Anti Ballistic Missile (ABM)-Vertrages von 1972 seitens der USA. Der unerwartet schnelle Erfolg der USA im Kampf gegen die Taliban und al-Qaida in dem Gebiet, in dem die Sowjetunion ihre Erniedrigung erfahren musste, hat offensichtlich den Wert der russischen Unterstützung eingeschränkt und die USA in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Russland wurde - wie schon im Kosovokonflikt - demonstriert, dass es eben keine gleichwertige Macht ist.

Wie der russische Historiker Pavel Baev schreibt, hat eine Einmischung Russlands in Afghanistan immer in erster Linie das Ziel gehabt, die Lage in Zentralasien zu sichern und zu stabilisieren. Dies ist heute nicht mehr nur ein geopolitisches Ziel im engeren Sinne, sondern mit geoökonomischen Ölinteressen gekoppelt. Die Außenpolitik Putins integriert Sicherheitspolitik mit den Interessen des russischen Energiekomplexes. Zurzeit ist Russland nicht auf dem Weg zu einer militärischen, sondern zu einer Energiegroßmacht. Afghanistan selbst liegt nicht im Zentrum des Interesses, sondern die Kaspische Region mit ihren Ölvorkommen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion.

V. Der Krieg gegen den Terror und Ölinteressen

Haben die USA besondere Energieinteressen in Afghanistan, und hat dies die Entscheidung, dort zu intervenieren, beeinflusst? Bedenkt man, dass die US-Regierung von früheren Repräsentanten der Ölindustrie geführt wird, liegt es nahe anzunehmen, dass dementsprechende Überlegungen das strategische Denken beeinflussen. Dies zum hauptsächlichen Antrieb für die Antiterrormaßnahmen zu erklären verkürzt allerdings das komplexe Geschehen auf die Dimensionen eines "great game" mit dem Charakter eines Nullsummenspiels. Ebenso naiv ist es anzunehmen, die geopolitischen und geoökonomischen Überlegungen spielten keine Rolle. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass diese Interessen die Entscheidung leichter gemacht haben.

Wie lassen sich die US-Interessen skizzieren? Zunächst einmal gilt es für die USA zu verhindern, dass der Großteil des Öls und Gases aus dem Kaspischen Becken über russische Pipelines fließen wird. Aus diesem Grund hält Washington auch weiterhin an der politisch wichtigen, wirtschaftlich aber umstrittenen Pipeline von Baku über Georgien in die Türkei fest. Sie steht aus strategischen Gründen im Zentrum der US-Vorstellung eines Transportkorridors in Ost-West-Richtung als Rückgrat der "Neuen Seidenstraße"; für Aserbaidschan stellt sie das Symbol der Loslösung von Russland dar. Für eine Pipeline über Iran, für die sich einige - auch amerikanische - Ölgesellschaften eingesetzt haben, ist die Zeit noch nicht reif. Dem Ziel einer Diversifizierung eines Pipelinesystems würde man am ehesten nahe kommen, wenn Pipelines über Afghanistan verwirklicht werden könnten, ist es doch wahrscheinlich, dass der zukünftige Markt für das kaspische Öl eher Südostasien als Europa sein wird. Auf längere Sicht braucht das Kaspische Becken eine Route, die zu den asiatischen Märkten führt, sei es über Iran oder Afghanistan.

Die Verhandlungen der US-Ölgesellschaft Unocal über eine Gaspipeline für das turkmenische Erdgas über Afghanistan nach Pakistan hatten schon 1995 begonnen. Als die Taliban 1996 die Macht in Kabul übernahmen, wurde spekuliert, dass sie von Pakistan auch deshalb unterstützt wurden, um eine solche Pipeline zu sichern. Von einer einzigen Administration versprach man sich die Realisierung eher als von einem in verschiedene Herrschaftsgebiete aufgeteilten Land. Auch die USA dachten ähnlich; Unocals Pipelinepläne hatten Vorrang vor etwaigen Bedenken über den Charakter der Taliban. Washingtons Verhalten gegenüber den Taliban wurde durch die Energiepolitik bestimmt. Da diese Unocal favorisierten, wurden sie zunächst nicht kritisiert. 1997 wurde mit den Taliban ein Abkommen über das 890 Meilen lange Pipelineprojekt "Centgas" unterzeichnet. Erst Kampagnen gegen Unocals Politik bewirkten im Dezember 1998, dass die Gesellschaft ihr Vorhaben einstellte.

Zurzeit verhält sich Unocal abwartend und dementiert erst einmal etwaige neue Absichten mit der Begründung, dass die Gesellschaft ihre Aktivitäten woandershin verlegt habe. Der turkmenische Präsident Nijasow möchte dagegen das Pipelineprojekt wieder aufnehmen. Eine Realisierung würde Russland vor die Konsequenz stellen, einen Teil des turkmenischen Erdgases zu verlieren. Dieses fließt fast ausschließlich nach Norden und bringt Transitgebühren ein, bzw. man kann es teurer verkaufen. Die Kontrolle über Zentralasien wird schwächer, wenn Afghanistan zu einer Alternative für einen Exportausgang der kaspischen Energieressourcen werden würde. Wenn Russland das nicht verhindern kann, wird es zumindest eine Beteiligung daran anstreben.

Kann Russland bei der Ausbeutung der Öl- und Gasvorräte des Kaspischen Beckens zum Rivalen der USA werden? Oder kann sich die Rivalität am Kaspischen Meer, die sich über Jahre hinweg entwickelt hat, im Zuge der Ereignisse zu einer viel versprechenden Kooperation wandeln? Die Gegebenheiten haben sich in letzter Zeit ein wenig zugunsten Russlands verschoben. Zweifel an der Entwicklung am Kaspischen Meer hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Jetzt sind die Sicherheitsbedenken wieder gestiegen, nicht zuletzt aufgrund der permanent instabilen Situation in Georgien. Das Kaspische Meer wird nicht den Nahen Osten ersetzen können. Eine Reihe von noch unerschlossenen Quellen in Südamerika und Afrika, die mögliche Rückkehr Iraks auf den Ölmarkt geben den Ölgesellschaften eine Fülle von neuen Möglichkeiten. Mehr als die Hälfte ihres Öls beziehen die USA bereits aus der westlichen Hemisphäre.

Eine verbesserte Beziehung Russlands zum Westen macht es auch für den Westen als Energiequelle interessanter. Experten sagen voraus, dass Russlands Ölproduktion in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird. Mit der Verbesserung von Russlands Image, seinem wirtschaftlichen Aufschwung und bei unverändert instabiler Lage im Südkaukasus könnten die multinationalen Gesellschaften ihre langfristigen Exportstrategien überdenken und mehr auf Russland setzen. Das heißt nicht, dass die bereits begonnenen Pipelineprojekte hinfällig werden. Die Ölgesellschaften denken in langfristigen Kategorien, ihre kaspischen Projekte sind auf 30 Jahre veranschlagt. Neue Möglichkeiten der Kooperation könnten die USA in einigen Fragen der Pipelinepolitik zu Kompromissen veranlassen. Sie werden jedoch erst dann einen Zugang nach Süden zulassen, wenn die Route Baku-Ceyhan gesichert ist.

Ein wirtschaftlich gestärktes Russland als alternativer Energielieferant besonders für Europa ist durch die Beteiligung Russlands an der Antiterrorismus Kampagne näher gerückt. Putins langfristiges strategisches Denken wird sich auszahlen und Russland nicht nur für Europa, sondern auch für die südkaukasischen Staaten wieder attraktiver machen. Letzteres könnte sich beschleunigen, wenn es den Vertretern des russischen Energiekomplexes gegen den Widerstand der beharrenden Kräfte gelingt, sich auch an Projekten wie der Pipeline Baku-Ceyhan zu beteiligen. Die russische Ölgesellschaft Lukoil, die solches angekündigt hat, ist auf dem Weg zu einem global player. Mit einer Beteiligung könnte sich Putin weitere Konzessionen der USA verschaffen. Generell gesehen haben die Terroranschläge und die damit verbundene Unsicherheit die kurzfristigen Erwartungen der Ölgesellschaften in der Kaspischen Region gesenkt, längerfristig hoffen sie auf Verbesserung ihrer Perspektiven durch die gleichzeitige Steigerung des amerikanischen Engagements und der russischen Kooperationsbereitschaft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Weinheim-Berlin 1997.

  2. Vgl. Rainer Freitag-Wirminghaus, Die Staatengemeinschaft GUUAM: Neuer Aufbruch oder langsamer Niedergang?, in: Orient, (2001) 2, S. 267-294.

  3. Vgl. Itar-Tass vom 14. September 2001, zit. in: Vladimir Socor, Jamestown Foundation Monitor - A daily briefing on the former Soviet states, 18. September 2001, Vol. VII, No. 170.

  4. "As regards our interests, unconditionally, they are long-term and President Karimow and I have exchanged views on this. Our interests in this region should be permanent and these relations will continue after the (Afghan) crisis", so Colin Powell, zit. in: Eurasianet vom 12. 10. 2001; vgl. auch Farida Harba, US aid to Uzbekistan to greatly expand under economic cooperation agreement, (http://www.eurasianet. org).

  5. Für Wirtschaftsreformen und die Sicherheitsmaßnahmen erhält Usbekistan 100 Mio US-Dollar, dazu einen Kredit der US Export-Import Bank von 50 Mio. zur Unterstützung der mittelständischen Unternehmen. Die Beziehungen zum IMF, der seine Mission im April wegen mangelnder Kooperation Karimows eingestellt hatte, sollen wiederhergestellt werden. Der US-Kongress billigte am 15. Oktober 800 Mio. US-Dollar an Entwicklungshilfe für die GUS und 5 Mio. für die Drogenfahndung in der Türkei und Zentralasien.

  6. Vgl. Habar Television, Habar news agency, AFP, 15./16. September.

  7. Die Umformung der GUS-Zollunion in die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft war im Oktober 2000 ein neuerlicher Integrationsversuch auf dem Gebiet der alten Sowjetunion. Im Entscheidungsgremium der neuen Institution ist Russland die dominierende Kraft.

  8. Vgl. Habar, Interfax, 3.- 4. Oktober. Eine gemeinsame Erklärung vom 7. Januar 2002 ruft zur verstärkten Bekämpfung des Terrorismus in den eigenen Ländern auf, was sich vor allem auf Tschetschenien und Xinjiang bezieht, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 8. Januar 2002.

  9. Vgl. Aserbaidschanisches TV vom 12. September 2001.

  10. Eine armenische Nachrichtenagentur meldete, bin Laden befände sich in Baku und seine Organisation hätte dort ihr Zentrum, während von aserbaidschanischer Seite Verbindungen des Bruders von bin Laden nach Berg Karabach angeprangert wurden. Unterstellt wurde auch die Verwicklung von bin Laden nahe stehenden Gruppen in den über Berg Karabach laufenden Drogenhandel.

  11. Vgl. BBC Monitoring Service - United Kingdom vom 5. Oktober 2001. Azerbaijan closes down Islamic organizations. Text of report by Azerbaijani TV station ANS vom 5. Oktober.

  12. Sektion 907 des Freedom Support Act von 1992 verbietet der amerikanischen Regierung Hilfsleistungen an Aserbaidschan, solange Aserbaidschan nicht seine Blockade gegen Armenien aufhebt. Alle Versuche einer Aufhebung des Verbots scheiterten bisher am Einfluss der armenischen Lobby in den USA.

  13. So hat der Kongress 4,3 Mio. US-Dollar für militärische Hilfe an Armenien beschlossen. Vgl. The importance of Armenia and Azerbaijan, in: Washington Times vom 24. 12. 2001.

  14. Auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul im November 1999 hat Russland dem Abzug aus zweien der vier Militärbasen in Georgien bis zum 1. Juli 2001 zugestimmt. Die beiden restlichen sollen nach georgischer Vorstellung nach drei, nach russischer nach 14 Jahren geräumt werden.

  15. Eine Allianz aus inoffiziellen georgischen Kämpfern und tschetschenischen Rebellen griff Anfang Oktober ein abchasisches Dorf an, ein Hubschrauber der UN-Beobachter wurde abgeschossen.

  16. Vgl. Igor Torbakov, Russia considers its own interests as Moscow ponders anti-terrorist actions, in: Eurasianet vom 18. 9. 2001.

  17. Auf dem GUS-Gipfel in Moskau im November 2001 wurde über eine russische Initiative zum Aufbau gemeinsamer Peacekeeping-Truppen für Operationen auf GUS-Gebiet beraten. Einige GUUAM-Staaten bestehen darauf, dass nur die UN oder die OSZE das Recht dazu haben.

  18. Dies gilt nicht nur für Russland. Auch die Türkei hätte mit einer amerikanischen Ausweitung der Antiterrorismus-Kampagne auf Irak ein großes Problem, da sie eine Teilung Iraks und einen kurdischen Staat befürchtet.

  19. Vgl. Pavel Baev, Russia in the great anti-terrorist game. Biweekly Briefing, 19. Dezember 2001 (www.cacianalyst. org).

Dr. phil., geb. 1948; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut, Hamburg.

Anschrift: Deutsches Orient-Institut, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg.
E-Mail: Freitag-Wirminghaus@t-online.de

Zahlreiche Veröffentlichungen über Zentralasien, Kaukasus und die Türkei.