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Think Tanks in Deutschland - Berater der Politik? | Die Reformdebatte und die Intellektuellen | bpb.de

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Think Tanks in Deutschland - Berater der Politik?

Martin Thunert

/ 25 Minuten zu lesen

In Deutschland wird der wissenschaftliche Sachverstand von der Politik zu wenig genutzt. "Think Tanks" müssen ihre Dienstleistungen zielgruppenorientierter vermarkten und aktiver Kontakt zu Politik und Wirtschaft suchen.

Politikberatung in der Krise?

"In den USA blüht die Kultur der ,Think Tanks`, in Deutschland haben sie nicht viel zu melden", lautete der Aufmacher, mit dem eine große deutsche Tageszeitung vor kurzem einen Bericht über die Politikberatung in Deutschland einleitete. Zwar hat Politikberatung Konjunktur, aber sie sieht sich zunehmend der Kritik ausgesetzt. Die Klagen über Defizite der wissenschaftlichen Beratungspraxis reißen nicht ab - insbesondere in einem der Hauptgebiete wissenschaftlicher Beratung, der Wirtschaftspolitik. "Phobie gegen Praxisnähe", "theoretische Verspieltheit", "sprachliche Abschottung", "mangelnder Realitätsbezug und Unkenntnis der politischen Abläufe" sowie "Ignoranz des Faktors Zeitknappheit" - so urteilen die Macher über die Wissenschaftler. Umgekehrt sehen die Theoretiker die Politik weniger durch inadäquate Beratungsformen und den Mangel an Ideen als durch Umsetzungsprobleme institutioneller Art sowie durch politische Scheuklappen, politische Instrumentalisierung der wissenschaftlichen Beratung, schlechtes Zeitmanagement, die Unfähigkeit zur Prioritätensetzung und eine "Verarmung des zukunftsgerichteten Denkens" blockiert. Diese Schuldzuweisungen sind kein spezifisch deutsches Phänomen. Dahinter verbirgt sich das prinzipielle Problem der schwer in Einklang zu bringenden Funktionslogiken von Politik und Wissenschaft. "Der Politiker' erwartet political advice, der Berater will aber meist nur policy-advice geben - ein Konflikt, der in Deutschland besonders stark empfunden wird."

Könnten Einrichtungen Abhilfe schaffen, in denen wissenschaftliche Experten arbeiten, die neben Sachverstand auch das Verständnis für die auf Problemlösung und Machterhalt/Machterwerb ausgerichtete Logik der Politik auszeichnet und die zudem über ausgeprägte kommunikative Kompetenzen sowie idealerweise über Kenntnisse der praktischen Politik verfügen, statt sich primär über den Tatbestand zu beklagen, dass die offizielle Politik wissenschaftliche Empfehlungen nicht immer umsetzen will oder sich aus den zumeist konträren wissenschaftlichen Empfehlungen die politisch zweckmäßigste und institutionell anschlussfähigste herauspickt? Solchen praxisorientierten sozial- oder wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten, für die sich die Begriffe think tanks oder "Denkfabriken" eingebürgert haben, gilt die Aufmerksamkeit dieses Beitrags. Wie entwickelt ist die "Think Tank'"-Kultur in Deutschland im Vergleich zum westlichen Ausland - insbesondere zu den USA und Großbritannien - und welches Potenzial haben die in Deutschland tätigen Institute, als Politikberater zu wirken? Der Terminus think tank entstand während des Zweiten Weltkriegs in den USA. Er umschrieb einen abhörsicheren Ort (tank), an dem zivile und militärische Experten Invasionspläne schmiedeten und an militärischen Strategien feilten (think). Erst in den sechziger und siebziger Jahren bürgerte sich der Begriff zur Etikettierung von praxisorientierten Forschungsinstitutionen auch außerhalb der Sicherheitspolitik ein. Heute wird der Begriff "Think Tank" frei verwendet und ist schwer eingrenzbar. Nach dem Verständnis des Verfassers sind Think Tanks privat oder öffentlich finanzierte praxisorientierte Forschungsinstitute, die wissenschaftlich fundiert politikbezogene und praxisrelevante Fragestellungen behandeln und im Idealfall entscheidungsvorbereitende Ergebnisse und Empfehlungen liefern.

Die Think-Tank-Landschaft in Deutschland

Zwischen 80 und 130 Think Tanks existieren in Deutschland, je nachdem, ob man praxisbezogene Universitätsinstitute dazurechnet. Weltweit sprechen Schätzungen von ca. 3 000, davon 50 Prozent in Nordamerika und 600 in Europa. Mehr als 50 Prozent der Institute wurden in den vergangenen 25 Jahren gegründet, die ältesten Institute datieren indes aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Das Spektrum der deutschen Institute beginnt bei ca. zwei Dutzend staatlich finanzierten großen akademischen Denkfabriken mit Jahresetats von 5bis 15 Millionen Euro. Zu diesen "Forschungsriesen" zählen neben anderen

- die sieben großen Wirtschaftsforschungsinstitute: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Berlin), Institut für Weltwirtschaft (Kiel), IFO-Institut (München), Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (Essen), HWWA-Institut (Hamburg), Institut für Wirtschaftsforschung (Halle), Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (Mannheim);

- die großen außen-, friedens- und sicherheitspolitischen Denkfabriken: Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (Berlin), Deutsches Überseeinstitut (Hamburg), Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (Frankfurt), Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (an der Universität Hamburg), ferner europa- und entwicklungspolitische Forschungszentren wie Zentrum für europäische Integrationsforschung und Zentrum für Entwicklungsforschung (an der Universität Bonn) sowie

- Einrichtungen der praxisorientierten Sozial-, Umwelt- und Technikforschung: z.B. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (Köln), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Berlin), Einrichtungen des Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen wie Wuppertal-Institut oder Institut für Arbeit und Technik (Gelsenkirchen), Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Karlsruhe) oder Akademie für Technikabfolgenabschätzung Baden-Württemberg (Stuttgart).

- Hinzu kommen privat oder mischfinanzierte Organisationen wie die Bertelsmann-Stiftung, das Centrum für Angewandte Politikforschung an der Universität München, das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Berlin), das von der Deutschen Post AG ins Leben gerufene Institut zur Zukunft der Arbeit (Bonn) sowie eine Reihe von Stiftungen und Akademien, häufig sind dies Unternehmensstiftungen wie z.B. die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft der Deutschen Bank oder die Aventis-Stiftung, bei denen Think-Tank-Arbeit einen Teil des Geschäfts ausmacht. In der Fachterminologie werden diese Einrichtungen, insbesondere die staatlich geförderten, als akademische Think Tanks bezeichnet, da bei ihnen die wissenschaftliche Analyse und die Anerkennung in Fachkreisen eine herausragende Rolle spielt.

Mit diesem klassischen Typus des Think Tank ist die heutige Institutslandschaft aber nur unvollständig erfasst. Nicht nur in den angelsächsischen Staaten, sondern zunehmend auch in Deutschland gibt es eine Reihe von häufig kleineren Instituten, die ihre Aufgabe nicht primär in der wissenschaftlichen Analyse, sondern verstärkt in der politischen Anwaltschaft für bestimmte Themen, sachpolitische Lösungsansätze oder für die von ihnen vertretenen wissenschaftlich-weltanschaulichen Paradigmen (soziale Marktwirtschaft, Nachhaltigkeit usw.) sehen. Von den klassischen akademischen Denkfabriken unterscheiden sich die advokatischen Think Tanks meist durch thematische Spezialisierung und durch eine kleinere Zahl fest angestellter Forscher. Stattdessen unterhalten sie Netzwerke externer Experten. Sie betreiben in der Regel keine Grundlagenforschung, sondern agieren als Wissens- und Ideenmakler. Zur bunten Gruppe der advokatischen Think Tanks gehören in Deutschland zunächst Einrichtungen, die fest an Interessenvertretungen wie Verbände oder Parteien gebunden sind. Zu nennen sind hier die Forschungsakademien der parteinahen politischen Stiftungen (Friedrich-Ebert-Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Hanns-Seidel-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung) oder verbandsnahe Einrichtungen wie das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft bzw. das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Diese Einrichtungen gehören zu den größten ihres Typus und lassen sich in ihrer Struktur nicht immer leicht von akademischen Think Tanks unterscheiden.

Eine zweite, stetig wachsende Gruppe der advokatischen Think Tanks wie das Öko-Institut (Freiburg), die Stiftung Marktwirtschaft und Politik in Berlin (ehemals: Frankfurter Institut), das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (Bonn) oder das Oswald-Nell-Breuning-Institut an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt am Main forscht innerhalb bestimmter Leitbilder wie Nachhaltigkeit, Marktwirtschaft oder soziale Gerechtigkeit, ohne dabei organisatorisch und finanziell direkt an Parteien oder Verbände gebunden zu sein. Auch eine kleine Zahl sicherheits- und entwicklungspolitischer Spezialinstitute wie das Institut für Strategische Analysen (Bonn), das Berliner Institut für Transatlantische Sicherheit oder die Stiftung Institut für Entwicklung und Frieden (Bonn) gehören zur Gruppe der advokatischen Denkfabriken.

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Aspekte der Kommunikation und Vermarktung von Themen, Produkten und Forschern nicht nur den advokatischen Think Tanks sehr wichtig sind, sondern auch bei einigen akademischen Think Tanks, insbesondere den nicht mit staatlicher Grundfinanzierung ausgestatteten, immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dagegen steht die ideologische Profilierung selbst der meisten advokatischen Institute in Deutschland hinter der thematischen Profilbildung zurück und wird weniger offensiv betrieben als von Think Tanks dieses Typus in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. In der deutschen politischen Kultur wird der Anschein überparteilicher Wissenschaftlichkeit und rein thematischer Kompetenz offenbar mehr geschätzt als ein klar erkennbares ideologisches Profil, mit dem häufig mangelnde wissenschaftliche Seriösität assoziiert wird. Hinter der Fassade sind viele advokatische Think Tanks und eine nicht geringe Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an akademischen Think Tanks nicht weniger auf ein klares Forschungsparadigma und/oder auf eine bestimmte Weltanschauung festgelegt, innerhalb deren Rahmen Themen und Empfehlungen angesiedelt sind, als ihre amerikanischen und britischen Kollegen. Es kommt hinzu, dass ein Teil der Medien Pointierung, Parteinahme und ideologische Profilbildung durchaus schätzen. Die wenigen Institutsleiter, die dies offen tun - wie Meinhard Miegel vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft, Bonn, oder der Amerikaner Jeffrey Gedmin vom Aspen-Institut Berlin -, sind in den Medien entsprechend präsent.

Der Typus der akademischen Denkfabrik ist in Deutschland nach wie vor tonangebend, befindet sich aber seit einem Jahrzehnt in einem Wandlungsprozess. Verantwortlich dafür ist nicht allein der Wettbewerb der advokatischen Institute in ausgewählten Themenfeldern, sondern auch der Veränderungsdruck durch Evaluationen: In den neunziger Jahren haben der Wissenschaftsrat, der Bundesrechnungshof sowie private Unternehmensberatungen und Rechnungsprüfer die Arbeit der staatlich finanzierten akademischen Think Tanks im Auftrag der öffentlichen Geldgeber evaluiert. Die meisten der von den Evaluierungskommissionen unterbreiteten Vorschläge wurden mittlerweile von den betroffenen Instituten und ihren Aufsichtsgremien umgesetzt, etwa die Zusammenlegung wichtiger vom Bund geförderter außen- und sicherheitspolitischer Forschungsinstitute und deren Verlegung als Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit nach Berlin. Trotz Haushaltskürzungen bei Bund und Ländern scheinen nur sehr wenige Institute in ihrer Existenz bedroht zu sein, viele betroffene Institute vermochten, die Kürzung der Grundfinanzierung durch eine erhöhte Einwerbung von Projektmitteln zu kompensieren. Der Hauptstadtumzug hat insbesondere zur Ansiedelung aussen- und sicherheitspolitischer Think Tanks in Berlin geführt. Gleichwohl ist Berlin nicht das einzige Zentrum der politikberatenden akademischen Think Tanks in Deutschland: Länder(ko)finanzierte Institute, international und auf Europa ausgerichtete Institute sowie private Stiftungen verblieben in ihren jeweiligen Standorten außerhalb Berlins. Zu beobachten ist jedoch eine Verlagerung zahlreicher politikberatender und kommunikativer Aktivitäten nach Berlin.

Politikberatendes Potenzial des Think-Tank-Sektors in Deutschland

Generalisierungen über das politikberatende Potenzial des Think-Tank-Sektors über Politikfelder und Institutstypen hinweg sind angesichts des heterogenen Charakters der Felder kaum möglich. Beratungsdefizite können sowohl auf quantitative Ursachen - wie die zahlenmäßige Unterversorgung mit Beratungsgremien - zurückgeführt werden als auch in qualitativen Gründen - die in den Inhalten und Vermittlungsformen der Beratung liegen - zu suchen sein. Beide Möglichkeiten sollen im Folgenden am Beispiel der Think-Tank-Landschaft untersucht werden.

Von einer quantitativen Unterversorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Think Tanks kann angesichts der Zahl der Institute sowie der für deren Unterhaltung aufgewandten öffentlichen Mittel schlechterdings kaum gesprochen werden. Kein europäisches Land und - außer den USA - kein Land weltweit wendet für diese Art der Politikberatung durch "angewandte Grundlagenforschung" mehr öffentliche Mittel auf als die Bundesrepublik Deutschland. Berücksichtigt man ferner, dass ein Teil der Politikberatung heute transnational erfolgt - etwa durch die Forschungseinrichtungen der OECD, durch amerikanische Think Tanks wie die Rand Corporation, den German Marshall Fund usw. sowie zunehmend durch in Brüssel angesiedelte europäische Think Tanks -, so trägt das weltweit zu beobachtende Wachstum von Think Tanks in den Industriestaaten kaum dazu bei, die These von der quantitativen Unterversorgung zu erhärten. Denkbar ist jedoch, dass Asymmetrien und Einseitigkeiten im Angebot an Think Tanks, eine von der operativen Politik weit entfernte Prioritätensetzung oder eine mangelnde Schlagkräftigkeit eine partielle Unterversorgung verursachen.

Quantitativ besonders gut ausgestattet sind Think Tanks in Deutschland in den Bereichen Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie der partei- und verbandsnahen advokatischen Beratung. Alleine die sechs am Gemeinschaftsgutachten beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute beschäftigen mehrere Hundert Wissenschaftler. Der Bereich der internationalen Politik ist in den Feldern Länder- und Regionalanalysen, insbesondere Europaforschung, in der Entwicklungspolitik sowie der Kriegsursachen- und Friedensforschung heute besser bestückt als vor einem Jahrzehnt. Mit der SWP verfügt Deutschland über den größten Think Tank zu internationalen Fragen auf dem Gebiet der Europäischen Union, in der Europa- und Deutschlandforschung sucht das Centrum für Angewandte Politikforschung in Europa seinesgleichen. Beeindruckend ist ebenfalls die in den Bereichen Technik- und Umweltforschung seit Ende der achtziger Jahre aufgebaute Forschungskapazität mit Politikberatungsauftrag, der größtenteils von den Bundesländern und gesellschaftlichen Initiativen ausging.

Dennoch gibt es innerhalb der einzelnen großen Politikbereiche Wirtschaft/Soziales/Bildung, Internationale Politik und Umwelt/Technik Themen, denen die politikberatende Aufmerksamkeit weniger zuteil wird, bei denen die Beratung nahezu ausschließlich über Forschungsaufträge durch Ministerien etc. gesteuert wird, oder zu denen es kaum konkurrierende Institutsangebote gibt. Zu diesen Bereichen gehören nach der subjektiven Auffassung des Verfassers, die sich insbesondere auf Hintergrundgespräche und die Auswertung von Arbeitsgebieten der Institute stützt, die Familienpolitik und Teile der Bildungspolitik, die Themen Minderheiten, Zuwanderung und Integration sowie in der internationalen Politik (militär)strategische Analysen und Risikoabschätzungen sowie Know-how über Regionen, die nicht im aktuellen Fokus der deutschen Außenpolitik stehen, dies aber morgen tun können. Besonders auffällig ist ferner, dass die überwiegende Mehrheit der Think Tanks und ihrer Abteilungen aus disziplinären Monokulturen bestehen und Querschnittsthemen, die interdisziplinär zusammengesetzte Forscherteams erfordern, daher unterrepräsentiert sind. Damit reproduziert sich das in der Ministerialverwaltung häufig anzutreffende Problem der Ressortblindheit tendenziell auch in derexternen Politikberatungslandschaft. Die Politikberatung bei Querschnittsthemen und gesellschaftlichen Grundsatzfragen wurde daher verstärkt zu einem Arbeitsbereich privatwirtschaftlicher Beratungsanbieter wie Management Consultants, Zukunfts- und Trendforscher sowie Public-Affairs-Büros.

In Deutschland und Kontinentaleuropa ist nach wie vor die Vorstellung vorherrschend, dass die Unabhängigkeit von politikberatenden Think Tanks am besten durch die Bereitstellung staatlicher Grundfinanzierung gewährleistet werden kann. Dies mag die Asymmetrie zwischen öffentlich und privat finanzierten Instituten sowie zwischen akademischen und advokatischen Think Tanks teilweise erklären. In den USA - und tendenziell auch in Großbritannien - wird politische Unabhängigkeit von Think Tanks als weitgehende Abwesenheit von staatlicher Finanzierung buchstabiert. Als Schlüssel zur politischen Unabhängigkeit eines Think Tank gilt hier die Diversifizierung der Finanzierungsquellen.

Nüchtern betrachtet, sind politische Abhängigkeiten von Geldgebern weder in staatlich noch in privat finanzierten Institutslandschaften vollkommen auszuschließen. Bei der Möglichkeit, Abhängigkeiten und Einflussnahme von außen durch Diversifizierung der Finanzierungsquellen zu reduzieren, befinden sich die öffentlich grundfinanzierten Institute im Nachteil. Zudem kann der Druck von Sponsoren, denen gegenüber Rechenschaft abzulegen ist, die Schlagkräftigkeit des Think Tank verbessern. Eine Mischfinanzierung von Think Tanks aus privaten und öffentlichen Mitteln scheint daher die anzustrebende Finanzierungsbasis zu sein. Für den deutschen Fall hieße dies, die bestehende Form der großzügigen staatlichen Grundfinanzierung weniger großer Institute und Parteistiftungen zu überdenken - zumindest in denjenigen Politikfeldern, in denen andere Finanzierungsformen nicht zu einer Unterversorgung mit Beratungsangeboten führen würden. Dies ist keinesfalls mit einer umfassenden Privatisierung der Politikberatung durch Think Tanks zu verwechseln, sondern zielt auf eine veränderte, eher auf Wettbewerb als auf zeitlich unbefristete Grundfinanzierung ausgerichtete Vergabe der öffentlichen Mittel für Politikberatung ab.

Wie sieht es bei den advokatischen Think Tanks, aber auch bei den akademischen Think Tanks mit der weltanschaulichen Ausgewogenheit aus? In den USA werden Think Tanks, bei denen eine ideologische Identifizierung möglich ist, großzügiger finanziert als sozialdemokratisch-ökologisch sowie "idealistisch" ausgerichtete Think Tanks (2:1). Auch bei der quantitativen Messung der öffentlichen Sichtbarkeit amerikanischer Think Tanks in den Medien - nicht aber bei der Einschätzung ihrer Glaubwürdigkeit durch Politikerstäbe, Abgeordnete und Journalisten - haben die konservativen Institute in den USA die Nase leicht vorn. Von einer derartig eindeutigen ideologischen Asymmetrie kann in Deutschland schon aufgrund der geringeren Profilierung keine Rede sein, selbst dann nicht, wenn man unterstellt, dass die Ausgewogenheit leicht nach Politikfeldern variiert. Der hohe Anteil öffentlich finanzierter Denkfabriken ist sicherlich ein wesentlicher Grund für eine ideologisch ausgewogenere Think-Tank-Landschaft in Deutschland. Eine weitere und vermutlich wichtigere Ursache des Übergewichts der konservativen amerikanischen Think Tanks liegt darin, dass ein beachtlicher Teil der amerikanischen Unternehmerschicht und ihrer Familienstiftungen eine dezidierte - u.a. auf Friedrich von Hayek zurückgehende - Vorstellung von der strategischen Rolle von Ideen im politischen Wettbewerb besitzt ("war of ideas") und so die Bereitschaft vorhanden ist, gezielt in die Produktion und Verbreitung ihnen genehmer Ideen zu investieren. Dagegen verstehen sich nur wenige deutsche Unternehmer sichtbar als Ideenkrieger.

Weitere quantitative Indikatoren wie die wissenschaftliche Qualifikation der in den Think Tanks tätigen Forscher, die geographische Verteilung der Institute usw. zeigen, dass der deutsche Think-Tank-Sektor im europäischen Maßstab quantitativ führend ist und auch weltweit keineswegs deutlich hinterherhinkt. Wenn die Politikberatungspraxis durch Think Tanks in Deutschland dennoch defizitär zu sein scheint, kann dies nach dem bisherigen, international vergleichenden Kenntnisstand nicht an einer quantitativen Unterversorgung in der Breite liegen. Die Gründe für Defizite sowie die Chancen von deren Beseitigung müssen somit primär im qualitativen Bereich verortet werden. Im Vordergrund stehen dabei die Anreizsysteme für externe Politikberatung durch Think Tanks sowie die Problematik der Kommunikation zwischen Think Tanks einerseits und Öffentlichkeit und Politik andererseits. Werden die existierenden Think Tanks den heute an Politikberatung gestellten Anforderungen gerecht?

Anreize für Politikberatung durch Think Tanks

Institutionelle Faktoren wie programmatisch schwache Parteiapparate, die Trennung von exekutiver und legislativer Gewalt, Fragmentierung des Kongresses, das so genannte "Beutesystem'" der höheren Verwaltung, das dem Präsidenten und Einzelstaatsgouverneuren die Auswechslung der nahezu gesamten Ministerialverwaltung ermöglicht, sowie die Verfügbarkeit nennenswerter privater Geldgeber haben in den USA die Nachfrage nach externer Beratung begünstigt und für ein weltweit einzigartiges Spektrum von Think Tanks gesorgt. Insbesondere der massenhafte Austausch in der höheren Verwaltung nach dem Wechsel einer Administration befördert die für die USA so typische Rotation von Beratern zwischen den Sphären der Think-Tank-Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik. Ein von Partei- und Verbandsspitzen sowie Ministerialbeamten dominierter Prozess der Politikentwicklung und -findung, wie wir ihn in Deutschland und den meisten parlamentarischen Regierungssystemen traditionell kennen, bietet sicherlich deutlich weniger Einfallstore für externen Sachverstand und damit weniger Anreize für externe Berater. Da in Deutschland kein politischer Systemwechsel zur Präsidialdemokratie mit Beutesystem bevorsteht, müsste eine verbesserte Anreizstruktur für Think Tanks innerhalb des bestehenden Verfassungsrahmens erfolgen. Im Interesse einer verbesserten Politikberatungspraxis wäre das Nachdenken über folgende Veränderungen lohnenswert:

Öffnung und Durchlässigkeit abgeschotteter Funktionsbereiche: Die zunehmende Komplexität der Problemlagen, die nicht nur Querschnittskompetenz, sondern die gleichzeitige Bearbeitung und Beobachtung Dutzender von Problemlagen und Themenentwicklungen erfordert, ist selbst von gut ausgebauten ministeriellen Planungsstäben nicht alleine zu bewältigen. Neben dem verbesserten Austausch und Wechselmöglichkeiten zwischen den Funktionsbereichen Wissenschaft, Politik/Administration, Wirtschaft, Medien wäre auch an den verstärkten Aufbau von "Policy Units" und internen Denkfabriken in Regierungszentralen und ministeriellen Leitungsebenen zu denken, die mit gemischten Teams aus Karrierebeamten und externen Kräften besetzt sind und die mehr sein müssten als die Feuerwehrtruppe des Ministers. Im Ausland haben sich solche Policy Units des Öfteren als das Scharnier etabliert, das die Welt der Think Tanks mit der Welt der bürokratischen Politik verbindet. Ohne eine Aufweichung der starren Laufbahnregeln des Berufsbeamtentums wird der Ausbau eines Austausches zwischen diesen Bereichen - der bisher nur punktuell und dann nur in einer Richtung erfolgt - nicht zu bewerkstelligen sein.

Föderalismus: Föderale Strukturen können dann einen exzellenten Rahmen für einen florierenden Markt für externe Politikberatung abbilden, wenn sie wettbewerbsföderalistisch ausgerichtet sind und den Gliedstaaten eigenständige Handlungsmöglichkeiten bieten, statt unter der Kuratel von Parteidisziplin und Einheitsstaatdenken zu stehen. Wie sich Föderalismus positiv auf die Herausbildung von regionalen Beratungsmärkten auswirkt, kann man nicht nur in den Einzelstaaten der USA, sondern selbst in dem mit bescheidenen Autonomierechten ausgestatteten Schottland beobachten. Nur eine Förderung der fiskalischen und handlungstechnischen Eigenständigkeit der Länder könnte die Anreizstrukturen für Politikberatung auf subnationaler Ebene verstärken.

Direkte Demokratie und Kandidatenzentrierung: Ähnlich positive Anreize auf externe Beratung wie vom Wettbewerbsföderalismus lassen sich von der Einführung von direktdemokratischen Verfahren sowie der stärkeren Kandidatenzentrierung beim Wettbewerb um politische Ämter erwarten. Da sich individuelle Kandidaten bei Vorwahlen oder personalisierten Wahlen weniger auf Parteiapparate stützen können oder wollen, steigt ihr Bedarf nach externer Beratung, gerade dann, wenn diese proaktiv agiert und nicht auf Beratungsaufforderungen wartet.

Raum für Außenseitertum: Wissenschaftlich gestützte Politikberatung durch Think Tanks erfordert nicht nur ein entwickeltes Sensorium auf Seiten der Think Tanks für die Bedürfnisse und Machtkalküle der politischen Entscheider, sondern auch einen unternehmerischen Politikertypus, der sich deutlich von dem des Parteisoldaten unterscheidet. Zu den wichtigsten Katalysatoren der Heranziehung von externer Politikberatung und selbst der Gründung von Think Tanks gehörten und gehören im Ausland Politikerinnen und Politiker wie Margaret Thatcher und Tony Blair in Grossbritannien oder der frühe Bill Clinton in den USA, die sich als Außenseiter verstanden und die sich aus der Gefangenschaft des Parteiapparates, der Linienbürokratie und der Verbandslobbys zumindest teilweise befreien wollten. In Deutschland dürfte eine vergleichbare Haltung insbesondere bei einer jüngeren Nach-68er-Politikergeneration anzutreffen sein, deren Angehörige mehr sein wollen als verkappte Verbandsfunktionäre im Abgeordnetengewand und die sich in der Mediendemokratie mit unkonventionellen Vorschlägen zu profilieren versuchen und die Querschnittsthemen wie das der Generationengerechtigkeit zu besetzen gedenken. Um hier Abhilfe zu schaffen, müsste das Wahlrecht (Stichwort: Single Transferable Vote) und die innerparteiliche Willensbildung (Stichwort: Vorwahlen) auf den Prüfstand.

Medienmarkt: Ein zunehmender Wettbewerb der Informationsmedien in Verbindung mit einem verstärkten Orientierungsbedürfnis eines beachtlichen Teils der Bevölkerung, das von einer Vielzahl schwer einzuschätzender Ereignisse und Problemlösungsvorschläge gespeist wird, hat die Nachfrage nach medialer Präsenz von Think-Tank-Experten dramatisch erhöht - besonders, aber nicht nur, in Krisensituationen. In den USA vollzog sich der Aufschwung der Think Tanks nicht zufällig parallel zur Entwicklung von Nachrichtensendern wie CNN, MSBNC, Fox News Channel sowie der Public Affairs Programme in Sendern wie PBS und CSPAN. Dieser beratungsfreundliche Prozess dürfte in Deutschland schon weiter fortgeschritten sein als die zuvor genannten.

Es sind diese und andere länderübergreifende Triebkräfte, die den Aufschwung der externen Politikberatung durch Think Tanks weltweit vorantreiben - selbst in den als so abgeschottet geltenden politischen Entscheidungssystemen wie dem japanischen oder dem britischen.

Die Politikberatungspraxis der Bundesrepublik Deutschland, bei der Think Tanks eine zunehmend wichtigere und kaum zu übersehende Rolle spielen, ist während des vergangenen Jahrzehnts - insbesondere auf der Anbieterseite - ein gutes erstes Stück von den genannten Triebkräften erfasst worden, wie folgende Indizien belegen: Die Think-Tank-Landschaft der Bundesrepublik Deutschland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist nur noch rudimentär mit der Ausgangslage der achtziger oder frühen neunziger Jahre vergleichbar. In mehreren der klassischen und etablierten Think Tanks - einschließlich von Teilen der politischen Stiftungen - fand teils wegen des Umzugs in die neue Hauptstadt, teils wegen altersbedingter Fluktuation und insbesondere aufgrund der Neuberufung dynamischer und beratungswilliger Direktoren seit Mitte der neunziger Jahre eine stille Revolution statt. Die früher häufig mangelnde Öffentlichkeitsorientierung der Institute wurde als Problem erkannt und in vielen Fällen verbessert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden zu einer medialen Darstellung ihrer Expertise ausdrücklich ermuntert, was in Einzelfällen eine entsprechende Schulung beinhalten kann. Ein wachsender Teil der deutschen Institute bzw. ihrer Fachabteilungen steht dem Bemühen ihrer amerikanischen und britischen Kollegen, der Forderung von Medien und Politik nach einer hohen Geschwindigkeit des Ratgebens nachzukommen, in nichts nach. Gleichzeitig ist der Wunsch erkennbar, dies ohne die Preisgabe der wissenschaftlichen Seriosität der Empfehlung zu bewerkstelligen. Das Profil einer Reihe sehr großer akademischer Think Tanks wird zunehmend von dynamischen und z. T. visionären Direktoren geprägt. Diese bilden heute eine nach wie vor sehr überschaubare Gruppe von ca. einem Dutzend professoralen Beratungsunternehmern, die ihre Institute häufig in Kooperation teils mit den öffentlichen Geldgebern und Universitäten, teils mit privaten Stiftungen oder mit Teilen der operativen Politik umstrukturierten und z. T. neu positionierten. Diese politisch-professoralen Beratungsunternehmer und ihre führenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmen zusammen mit einigen professoralen "Beratungssolisten" maßgeblich den Markt der wissenschaftlich gestützten Politikberatung in Deutschland.

Längerfristig ebenso bedeutsame Veränderungen vollziehen sich auch außerhalb der akademischen Institute in der Welt der unabhängigen advokatischen Think Tanks sowie in der Welt der politischen Kommunikation und der Public Affairs. Parallel zu den professoralen Beratungsunternehmern an der Spitze etablierter akademischer Think Tanks ist in den vergangenen Jahren eine ebenfalls überschaubare Gruppe jüngerer, akademisch und international ausgebildeter, aber nicht an Universitäten tätiger Beratungsunternehmer herangewachsen. Die durch das Internet stark reduzierten Startkosten eines kleinen Think Tank haben sie dazu bewogen, die Gründung eines advokatischen Think Tank herkömmlichen politischen Aktivitäten vorzuziehen. Think Tanks der jüngeren Generation wie BerlinPolis, Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen oder Deutschland Denken wurden von 30- bis 40-Jährigen gegründet, zeichnen sich durch ein pragmatisches Politikverständnis, durch Unzufriedenheit mit den wissenschaftszentrierten Formen der Politikberatung in Deutschland und durch die Neigung zum politischen Unternehmertum aus. Diese neue Beratergeneration betont Beratungskonzepte, die bewusst aus wissenschaftsferneren Bereichen wieProdukt-PR, politische Kommunikation oder Strategieberatung entnommen sind. "Sie (die neuePolitikberatergeneration, M.T.) verknüpft moderne wissenschaftliche Analyseformen mit strategischen Techniken und einer umfassenden Kenntnis des politischen Felds, um praktische Handlungskonzepte für die einzelnen Akteure im politischen Feld zu entwickeln." Die neuen Beratungsakteure und Think-Tank-Manager begreifen Beratung als Netzwerkgeschäft. Beratungsrelevante Themen sollen nicht nur wissenschaftlich durchdrungen, sondern kampagnenfähig inszeniert und professionell vermittelt werden. Dass Aufmerksamkeit der politischen Entscheider, aber auch der Öffentlichkeit eine knappe Ressource ist, steht hier am Ausgangpunkt, nicht am Ende des Beratungskonzepts.

Die in Deutschland eklatante Asymmetrie zwischen einem gut ausgestatteten Sektor der überwiegend staatlich finanzierten akademischen und einiger partei- und interessengebundener Think Tanks einerseits und dem Feld der überwiegend privat alimentierten unabhängigen advokatischen Think Tanks andererseits bringt es mit sich, dass die Bedeutung der kleinen advokatischen Think Tanks oft als sehr gering eingeschätzt wird. Erneut gibt der Blick in das westliche Ausland zu denken: Auch in den USA und Großbritannien wurden Einrichtungen wie die Anfang der siebziger Jahre gegründete Heritage Foundation, das Cato Institute oder jüngst die New America Foundation, in Großbritannien das Institute of Economic Affairs, das Adam Smith Institute oder in den neunziger Jahren Demos oder das Foreign Policy Centre zum Zeitpunkt ihrer Gründung von den etablierten Einrichtungen belächelt. Heute zwingen diese oftmals selbst sehr stark gewachsenen Think Tanks wie Heritage, Cato oder Demos die akademischen Traditionsinstitute zum Wettbewerb um Gehör in den Medien, bei den Entscheidern und bei den Geldgebern oder haben sich wichtige Nischenplätze erobert.

Möglichkeiten verbesserter Wirkung von Think Tanks

Think Tanks in Deutschland müssen sich darauf einrichten - und haben dies zum Teil bereits getan-, dass ihre Abnehmer und Geldgeber anspruchsvoller werden. Es werden von ihnen nicht nur Informationen erwartet, sondern zunehmend auch Ratschläge und Empfehlungen dahingehend, welcher Standpunkt eingenommen werden sollte bzw. welcher Lösungsansatz eines bestimmten Problems anderen vorzuziehen ist. Strategische Beratung ersetzt rein informative, faktenbezogene Beratung. Die Scheu der großen Institute vor Pointierung und Parteinahme ist die Chance der kleineren advokatischen Institute.

Die Konkurrenz der Think Tanks untereinander wird zunehmen, da die Finanzierungsressourcen begrenzt sind und sich die Tätigkeit transnational wirkender Institute verstärken wird - insbesondere auf europäischer Ebene. Wenn Entwicklungen in der anglo-amerikanischen Welt auch für Deutschland Relevanz besitzen, dann hat im Wettbewerb um Gehör der unternehmerisch geführte Think Tank mit starkem Marketing die Nase vorn, der mit wissenschaftlichem Anspruch auftritt und Glaubwürdigkeit erzeugt, aber gleichzeitig Aufsehen erregende Ideen (the big idea) produziert, sich dezidiert an praktischer Politik- und Öffentlichkeitsberatung orientiert, bestimmte Fragestellungen von strategischer Bedeutung auswählt und seine Ergebnisse und Empfehlungen maßgeschneidert an unterschiedliche Zielgruppen kommuniziert. Es scheint, als gerieten weniger öffentlichkeits- und medienorientierte, sondern primär akademisch orientierte Think Tanks ins Hintertreffen - mit Ausnahme derjenigen Einrichtungen, die primär vertrauliche Beratung anbieten. Noch haben längst nicht alle deutschen Think Tanks das nötige Sensorium für die z. T. sehr individuellen Bedürfnisse ihrer sehr unterschiedlichen Abnehmer entwickelt.

Neben der ernsthaften Umsetzung der von allen Seiten geforderten Durchlässigkeit der abgeschotteten Bereiche politisch-administratives System, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien hinkt Deutschland bei den Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Politikberatung der internationalen Entwicklung hinterher. In den beratungsrelevanten Disziplinen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist Arbeitsteilung zwischen Grundlagenforschung einerseits, die an Universitäten und an externen Akademien betrieben wird, und politikbezogener Beratungsforschung, für die in den USA primär die Schools of Public Policy zuständig sind, andererseits noch nicht institutionalisiert.

Think Tanks bedürfen eines besseren Sensoriums für die zeitliche Dimension der Politikgestaltung. Da sie in der Regel an einer Veränderung des Status quo interessiert sind, ist es notwendig abzuschätzen, wann sich im Kalender des politischen Geschäftes Gelegenheitsfenster für Veränderungen öffnen und zu welchen Zeitpunkten dies weniger wahrscheinlich ist.

Häufig lässt sich der Zeitpunkt dafür nicht präzise vorherbestimmen, da sich Großereignisse (z.B. ein Terroranschlag, eine Naturkatastrophe usw.), von denen Politikwechsel oftmals ausgelöst werden, nicht voraussagen lassen. Es ist unbestritten, dass die Gunst der Umstände für den Einfluss externer Beratungsideen entscheidend sein kann. Ein Beispiel aus der Weltpolitik der USA mag dies illustrieren: Ohne die Zäsur des 11. September 2001 wären die aus neokonservativen Think Tanks stammenden außenpolitischen Berater der Bush-Administration, die seit Anfang der neunziger Jahre für die gewaltsame Beseitigung Saddam Husseins und eine Neuordnung des Nahen Ostens eintraten, im Weißen Haus höchstwahrscheinlich ohne Gehör geblieben. Als das politikfeldverändernde Ereignis eintrat, waren die Herren aus den neokonservativen Denkerstuben mit ihren Vorschlägen am richtigen Ort zur Stelle - und hatten wenig Konkurrenz. "Denken auf Vorrat" ist folglich eine Grundregel für Think Tanks. Sie müssen der Tagesordnung der Politik vorauseilen, ohne ihr entrückt zu sein. Gleichzeitig ist die Politik westlicher Demokratien von zeitlich in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Ereignissen und Abläufen wie Wahlen, Legislaturperioden, Gipfeltreffen, Parteitagen usw. bestimmt. Die Chance, dass wissenschaftlich gestützte Empfehlungen zur Lösung von Sachfragen Gehör finden, ist umso größer, je besser die Lösungsvorschläge mit dem Kalender der Politik und mit dem Strom der Ereignisse verknüpft werden. So muss eine Regierung, die lange im Amt ist und Verschleißerscheinungen zeigt, anders beraten werden als eine neue Regierung. Politikberatung ist umso erfolgreicher, je zeit- und situationsgerechter sie erfolgt. Diese Koordinationsleistung der drei Ströme Problemlage, Lösungsidee und Politikkalender ergibt sich in der Regel nicht von selbst, sondern muss von "politischen Unternehmern" erbracht werden. Die Politikberatungslandschaft der USA erscheint vielen deutschen Beobachtern deshalb so attraktiv, weil sich viele der dortigen Beratungseinrichtungen als aktiv handelnde politische Unternehmer oder Beratungsunternehmer verstehen und nicht in der Rolle des passiven Informationsdienstleisters verharren, der erst nach Aufforderung aktiv wird. Um die zeitliche Dimension der Beratungschancen nutzen zu können und Denken auf Vorrat zu betreiben, dürfen die Denkfabriken weniger Auftragsforschung einwerben, sondern müssen ihre eigene Agenda kontrollieren können.

Glaubwürdigkeit durch wissenschaftliche Seriosität, Politiknähe durch ein Gespür für Themen, Zeitpunkt und Menschen sowie mediale Präsentation des Instituts und seiner Ideen heißen - nicht nur in den USA - die Grundregeln für erfolgreiche Politikberatung durch Think Tanks.

Typen von Think Tanks in Deutschland (Auswahl):

Externer Link: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin

Externer Link: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Berlin

Externer Link: Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), München

Externer Link: Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt

Externer Link: Institut für Strategische Analysen (ISA), Bonn

Externer Link: Council on Public Policy (CPP), Bayreuth

Externer Link: Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Externer Link: Deutsches Überseeinstitut (DÜI), Hamburg

Externer Link: Hamburgisches Weltwirtschaftsarchiv, Hamburg

Externer Link: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

Externer Link: Institut für Wirtschaftsordnung (IFO), München

Externer Link: Institut für Arbeit und Technologie (IAT), Gelsenkirchen

Externer Link: Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG), Bonn

Fussnoten

Fußnoten

  1. Marcus Albers/Miriam Hollstein, Die ratlose Republik, in: Die Welt am Sonntag vom 27.7. 2003, S. 3.

  2. Zur Schwierigkeit, zu verlässlichen Zahlen über Expertengremien zu gelangen, vgl. Sven T. Siefken, Expertengremien der Bundesregierung - Fakten, Fiktionen, Forschungsbedarf, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 34 (2003) 3, S. 483 - 504.

  3. Unter zahlreichen publizistischen Beiträgen zu diesem Thema siehe für die wirtschaftspolitische Beratung jüngst Karen Horn, Guter Rat ist umsonst, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 19.10. 2003, S. 41.

  4. So der ehemalige Leiter der Planungsabteilung des Kanzleramts unter Gerhard Schröder, Wolfgang Nowak, der heute für die Alfred-Herrhausen-Stiftung in Frankfurt am Main tätig ist. Zit. in: M. Albers/M. Hollstein (Anm. 1) S. 3.

  5. Zum schwierigen Verhältnis der akademischen Sozialwissenschaft und der Politik in den USA vgl. Lisa Anderson, Pursuing Truth, Exercising Power. Social Science and Public Policy in the 21st Century, New York 2003. Andere Autoren weisen auf den immer breiter werdenden Graben zwischen den Theoretikern und den Praktikern der internationalen Politik hin. Vgl. u.a. Joseph Lepgold/Miroslav Nincic, Beyond the Ivory Tower. International Relations Theory and the Issue of Policy Relevance, New York 2001.

  6. Ulrich Heilemann, Politikberater als Mahner und Propheten? Zur Rolle der wirtschaftspolitischen Beratung in der Demokratie, in: Verein Freiburger Wirtschaftswissenschaftler (Hrsg.), Offen für Reformen? Institutionelle Voraussetzungen für gesellschaftlichen Wandel im Wohlfahrtsstaat, Baden-Baden 1998, S. 144.

  7. Der Beitrag stützt sich auf eine Auswertung von Daten und Befunden der internationalen Think-Tank-Literatur, auf die Auswertung von Hintergrundgesprächen des Verfassers mit Think-Tank-Verantwortlichen seit Mitte der neunziger Jahre sowie deren Interviews in den Medien sowie auf eine Befragung deutscher Think Tanks in den neunziger Jahren.

  8. Ausführlich dazu vgl. Martin Thunert, Think Tanks als Ressourcen der Politikberatung. Bundesdeutsche Rahmenbedingungen und Perspektiven, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 12 (1999) 3, S. 10 - 19.

  9. Die Zahlen variieren sehr stark, je nachdem, wie viele praxisorientierte universitäre Forschungsinstitute man dazurechnet oder nicht.

  10. Einen Gesamtüberblick geben James McGann/R. Kent Weaver, Think Tanks and Civil Societies, New Brunswick, N. J. 2000.

  11. Die sechs erstgenannten Institute erstellen zweimal jährlich ein Gemeinschaftsgutachten zur Konjunkturentwicklung in Deutschland.

  12. Vgl. Wissenschaftsrat, Stellungnahme zu den Wirtschaftsforschungsinstituten der Blauen Liste in den alten Ländern - Allgemeine Gesichtspunkte, Berlin, 23.1. 1998.

  13. Vgl. Bundesrechnungshof, Die Präsidentin des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Gutachten über die Koordinierung und Rationalisierung der Aktivitäten im Bereich Ostforschung, im August 1996, II1 - 3027/94

  14. So z.B. die Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg, deren Schließung in der bisherigen Form nach 2004 ansteht.

  15. Die Gesamtetats der großen akademischen Think Tanks in Deutschland betragen zwischen 5 und 15 Millionen Euro pro Institut, kleinere Institute müssen mit Jahresetats von 0,5 bis 3 Millionen Euro auskommen. Darin sind Drittmittel in der Regel enthalten.

  16. Wie subjektiv diese Einschätzungen sein können, zeigt, dass Manfred Mols den Bereich der beratungsrelevanten Außen- und Sicherheitspolitik mit einer 1998 ermittelten Gesamtzahl von ca. 200 Experten für unterversorgt hielt. Vgl. Manfred Mols, Politikberatung im außenpolitischen Entscheidungsprozess, in: Wolf-Dieter Eberwein/Karl Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Band 4: Institutionen und Ressourcen, München 1998, S. 253 - 264.

  17. Mit einem Jahresetat von ca. 10 Millionen Euro verfügt die SWP indes nur über ein Drittel der Mittel thematisch vergleichbarer amerikanischer Institute wie des Center for Strategic and International Studies in Washington, D. C.

  18. Vgl. Heinrich Kreft, Die wissenschaftliche Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik in den USA - Ein Vergleich zu Deutschland, in: Gerhard Kümmel (Hrsg.), Wissenschaft, Politik und Politikberatung. Erkundungen zu einem schwierigen Verhältnis, Strausberg 2002, S. 115 - 138.

  19. Vgl. u.a. Andrew Rich, U.S. Think Tanks at the Intersection of Ideology, Advocacy, and Influence, in: Policy Community, (Winter 2001), S. 54 - 59 (National Institute for Research Advancement, Tokio), und Martin Thunert, Conservative Think Tanks in the United States and Canada, in: Rainer-Olaf Schultze/Roland Sturm/Dagmar Eberle (Hrsg.), Conservative Parties and Right-Wing Politics in North America, Opladen 2003, S. 229 - 252.

  20. Vgl. M. Thunert (Anm. 19), S. 240 - 242.

  21. Vgl. R. Kent Weaver/Paul Stares (Hrsg.), Guidance for Governance. Comparing Alternative Sources of Public Policy Advice, Tokyo-Washington, D. C. 2001.

  22. Zum internationalen Vergleich politischer Beratungslandschaften vgl. R. K. Weaver/P. Stares (Anm. 21).

  23. Namen möchte der Verfasser an dieser Stelle bewusst nicht nennen, da einige der unwillentlich Ausgelassenen erfahrungsgemäß sehr empfindlich reagieren. Als Beispiel, wie eine solche Neuausrichtung aussehen kann, dienen die Darstellung des Ifo-Instituts und seines Direktors Hans-Werner Sinn, in: Rainer Hank/Georg Meck, Die Sinn-Fabrik, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 19.10. 2003, S. 40, oder das Interview mit dem Direktor der SWP, Christoph Bertram, Wir nehmen Politikern ihre Aufgabe nicht ab, in: Berliner Morgenpost vom 2.1. 2001, URL: http://morgenpost.berlin1.de/archiv2001/010102/politik/story379694.html vom 18.1. 2001.

  24. Nach dem Kenntnisstand des Verfassers wird im Herbst 2003 keiner der oben aufgeführten akademischen Think Tanks von einer Wissenschaftlerin geleitet. Eine Ausnahme ist das von Heide Pfarr geleitete WSI der Hans-Böckler-Stiftung.

  25. Zur Gruppe der Beratungssolisten vgl. die Portraits des Berliner Politikwissenschaftlers Herfried Münkler in: Jörg Lau, Der Ein-Mann-Think Tank, in: Die Zeit, Nr. 45 vom 30.10. 2003, S. 45, oder des Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach in: Elisabeth Niejahr, Der Arzt als Politikum, in: Die Zeit, Nr. 35/2002.

  26. Dominik Meier/Constanze Miller, Anforderungen an die politische Kommunikation von morgen, in: Daniel Dettling/Max von Bismarck (Hrsg.), Marke D. Das Projekt der nächsten Generation, Opladen 2003, S. 171.

  27. Um den Vorteil, den wirtschaftsnahe und konservative Think Tanks in diesem Marktsegment in den USA bisher genossen, nicht unbeantwortet zu lassen, gründeten ehemalige Mitarbeiter der Clinton-Administration um den ehemaligen Clinton-Stabschef John Podesta im September mit großem finanziellen und personellen Aufwand den advokatischen Think Tank Center of American Progress in Washington, D. C.

  28. Meine Überlegungen folgen hier den Ausführungen John Kingdons zur Verkopplung der drei Strömungen (problem stream, policy stream und political stream) durch politische Unternehmer (policy entrepreneurs). Vgl. John Kingdon, Agendas, Alternatives and Public Policies, New York 19952.

Dr. phil, geb. 1959; Habilitation in Politikwissenschaft an der Universität Hamburg; derzeit DAAD Visiting Associate Professor of Political Science an der University of Michigan, Ann Arbor, USA.
Anschrift: University of Michigan, Department of Political Science, 6735 Haven Hall, 505 S. State Street, Ann Arbor, MI 48109 und Postfach 701012, 60560 Frankfurt/M.
E-Mail: E-Mail Link: martin.thunert@t-online.de oder E-Mail Link: thunert@umich.edu

Veröffentlichungen zur Politik westlicher Industriestaaten, insbesondere zu den USA, Kanada und Großbritannien, zu Fragen der Politikberatung, der Verfassungspolitik und des Lobbyismus.