Entwicklungszusammenarbeit gegen Fluchtursachen in Afrika – Kann das gelingen?
Der Höhepunkt der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise lag ohne Zweifel im Jahr 2015, als mehrere Hunderttausend Flüchtlinge vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan nach Europa kamen. Seitdem richtet sich der Blick in der deutschen und europäischen Migrationsdebatte stark auf den afrikanischen Kontinent. Zwar ist die Gesamtzahl der Menschen, die die Europäische Union als irreguläre Migrantinnen und Migranten auf dem Seeweg erreichen, in den vergangenen drei Jahren stark zurückgegangen. Aber der Anteil der Ankommenden, die aus den Staaten südlich der Sahara stammen, ist seit 2015 gewachsen.[1]Bei der medialen und politischen Debatte um die Frage, wie denn die Herausforderung der irregulären Migration in Deutschland und Europa zu bewältigen sei, hat sich die Forderung nach einer "Bekämpfung der Fluchtursachen" parteiübergreifend etabliert. Auch wenn die Debatte um Fluchtursachen und deren Bekämpfung – gerade auch in Bezug auf Subsahara-Afrika – sicherlich noch am Anfang steht und vielfach kaum zwischen Flucht und irregulärer Migration unterschieden wird, so kommt der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in entsprechenden Überlegungen eine Schlüsselrolle zu. Der ehemalige Ministerialdirektor im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Michael Bohnet, sprach in diesem Zusammenhang gar von der "Stunde der Entwicklungspolitik".[2]
Die angedachte Wirkungslogik besteht darin, Bleibeperspektiven zu eröffnen, die zum einen zur Schaffung menschenwürdiger Umstände beitragen und zum anderen Menschen davon abhalten sollen, die gefährliche Reise durch die Sahara beziehungsweise über das Mittelmeer überhaupt anzutreten. Dabei spielt auch der demografische Faktor eine wichtige Rolle: Die Bevölkerung in einigen afrikanischen Ländern wächst so stark, dass 2030 wahrscheinlich mehr als zwei Milliarden Menschen in Afrika leben werden – davon über 50 Prozent unter 18 Jahren.[3] Diese jungen Menschen brauchen ein Auskommen, dass ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. So hat sich der Fokus deutscher Afrikapolitik auf Beschäftigungs- und Privatsektorförderung verschoben. Die Idee der "Fluchtursachenbekämpfung" hat außen- und entwicklungspolitische Initiativen der jüngsten Zeit wie den "Marshallplan mit Afrika"[4] des BMZ maßgeblich beeinflusst.
Geht die Idee, mit den Mitteln der EZ Migration zu reduzieren oder zu verhindern, auf? Damit verbunden ist die Frage, ob ein Großteil der afrikanischen Bevölkerung tatsächlich auf die nächstbeste Gelegenheit wartet, die Flucht in Richtung Europa anzutreten, wie manche Medien bisweilen suggerieren? Ist das verbreitete Bild Afrikas als "Katastrophenkontinent" gerechtfertigt? Welche Erkenntnisse aus der Entwicklungs- und Migrationsforschung lassen sich zu diesen Fragen ableiten?
Völkerwanderung nach Europa?
Auch wenn das Narrativ einer drohenden oder bereits begonnenen "Völkerwanderung" vom afrikanischen Kontinent in Richtung Europa einer empirischen Grundlage entbehrt, fällt die öffentliche Wahrnehmung von Migrationsprozessen seit einigen Jahren vorwiegend negativ aus. Dies ist nicht zuletzt bedingt durch den starken Anstieg von Flüchtlings- und Asylantragszahlen im Jahr 2015 in Deutschland, Europa und anderen westlichen Industrieländern sowie durch die Zunahme der irregulären Migration aus den Staaten südlich der Sahara. Rechtspopulistische und migrations- beziehungsweise migrantenfeindliche Parteien sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. Auch das "Brexit"-Votum im Vereinigten Königreich sowie der Erfolg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 waren von Migrationsfragen beeinflusst. So ist selbst in eher linksliberalen Medien von der Gefahr einer afrikanischen Völkerwanderung die Rede.[5]In diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, dass sich einerseits die Wahrnehmung der afrikanischen Migration gewandelt hat und von einer weiter fortschreitenden "Versicherheitlichung" geprägt ist.[6] Auf politisch-programmatischer Ebene manifestiert sich diese Versicherheitlichung beispielsweise in EU-Programmen, die auf Migrationskontrolle und Grenzsicherung fokussieren, etwa in verschiedenen Migrationspartnerschaften oder im Khartoum- und im Rabat-Prozess, zwei Dialogforen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten zur Eindämmung der irregulären Migration.[7] Andererseits haben die Begrifflichkeiten "Migration" und "Migrant" im deutschen Alltagssprachgebrauch eine zunehmend negative Konnotation entwickelt, zwischen Flucht und Migration wird dabei häufig kaum unterschieden.

Der Großteil der afrikanischen Migrationsbewegungen ist innerafrikanisch: Etwa zwei Drittel der internationalen Migrantinnen und Migranten Afrikas leben in einem anderen afrikanischen Land. Hinzu kommt, dass in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten auch die afrikanische Zuwanderung nach Nordamerika oder in die Staaten am Persischen Golf stark zugenommen hat.[8] Die innerafrikanischen Migrationsprozesse sind dabei sehr vielfältig und umfassen neben traditioneller saisonaler Migration – etwa in die Zentren kommerzieller Landwirtschaft – zum Beispiel auch Bildungsmigration.[9]
Auch Fluchtbewegungen von Afrikanerinnen und Afrikanern finden in erster Linie innerhalb des afrikanischen Kontinents statt: Von den weltweit sechs größten Herkunftsländern von Flüchtlingen unter dem Mandat des UN-Flüchtlingskommissars sind vier in Subsahara-Afrika. Namentlich sind dies der Südsudan, Somalia, Sudan und die Demokratische Republik Kongo. Der Großteil der etwa 1,1 Millionen somalischen Flüchtlinge findet Schutz in Kenia und Äthiopien. Auch unter den zehn Ländern mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit finden sich mit der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan, Nigeria und dem Südsudan und insgesamt etwa 8,5 Millionen Menschen vier afrikanische Länder.[10]