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Der 20. Juli 1944 - mehr als ein Tag der Besinnung und Verpflichtung | 60 Jahre 20. Juli 1944 | bpb.de

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Der 20. Juli 1944 - mehr als ein Tag der Besinnung und Verpflichtung

Peter Steinbach

/ 16 Minuten zu lesen

Die positive Würdigung Stauffenbergs im 60. Jahr nach dem Attentat wirft die Frage auf, wie der Geschichte des Widerstands verpflichtete Normen entwickelt worden sind. Heute ist die Widerstandsgeschichte bestrebt, unterschiedliche Entwicklungen zu integrieren.

Stauffenberg - von der Diffamierung zur Anerkennung

Im 60. Jahr nach dem Anschlag auf Hitler macht die Konkurrenz der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten um die optimalen Sendeplätze großer Dokudramen über die Attentäter deutlich, dass die Würdigung dieser Hitler-Gegner inzwischen einen festen Ort in der historischen Erinnerung der Deutschen einnimmt. Dies war in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland keineswegs immer so. Zunächst bestimmte noch die NS-Propaganda das Bild. "Ehrgeizzerfressene Offiziere" hätten versucht, ihn zu töten, verkündete Hitler in den frühen Abendstunden des 20. Juli 1944 im Rundfunk. Die meisten Deutschen machten damals aus ihrem Abscheu gegen die Regimegegner keinen Hehl, und der Sicherheitsdienst registrierte akribisch, wie sehr die Deutschen der "Vorsehung", die Hitler vor dem Tode bewahrt habe, vertrauten.

Stauffenberg wurde damals nur insgeheim von jenen bewundert und gerechtfertigt, die dem Regime kritisch und distanziert gegenüberstanden und die wussten, dass Deutschland nur durch die militärische Niederlage von der NS-Herrschaft befreit werden konnte. Die meisten Zeitgenossen sahen nur den offenbar dilettantisch ausgeführten Versuch eines hohen Offiziers, in letzter Minute die eigene Haut und die Stellung seiner "Kaste" zu retten. Welcher Mut zur entscheidenden Tat gehörte, was der im Krieg schwer verletzte Offizier und Familienvater Stauffenberg riskierte, wollten sie weder wissen noch würdigen.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wechselte die Perspektive. Nun wurde Stauffenberg nicht länger als Verräter diffamiert, seine Familie nicht mehr geächtet. Geachtet war der Attentäter freilich auch nicht. Viel zu spät sei der Bombenanschlag erfolgt, nicht konsequent genug sei seine Ausführung gewesen, hieß es an Stammtischen. Die meisten Deutschen lehnten es bis weit in die fünfziger Jahre strikt ab, eine Schule oder eine Straße nach ihm zu benennen. Diese Ablehnung lässt sich tiefenpsychologisch erklären, denn Fragen der Nachwachsenden nach der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern wurden in der Regel so beantwortet, dass sich fast immer eine Rechtfertigung für die Angepassten und Mitläufer ergab, die durch ihr Verhalten vieles von dem ermöglicht hatten, wogegen sich Stauffenberg gestellt hatte. Dennoch kamen seine Tat und seine Herkunft Mitte der fünfziger Jahre vielen gelegen, die den Widerstand als Ausdruck eines "anderen Deutschland" deuteten. Das Wort von dem einen Gerechten, dessen Existenz Deutschland vor dem Verderben bewahren sollte, wurde oft zitiert. Nicht selten schien es gar, als sei das Deutsche Reich das erste von den Nationalsozialisten besetzte Land gewesen - mit Stauffenberg als Freiheitskämpfer.

Die beiden Nachfolgestaaten wollten zehn Jahre nach der Niederlage einen Teil ihrer Traditionen aus dem Widerstand begründen. In der DDR sah die Führung die Sache so: In entscheidendem Maße sei der Widerstand von den Kommunisten angeleitet worden, und die Moskauer Kommunisten seien die führende Kraft des Gesamtwiderstands gewesen. Hüben las sich das anders: Die Regimegegner hätten sich der Vollmacht eines Gewissens gebeugt, das vor allem die Menschenwürde zum Maßstab gemacht habe.

Wie sollte man mit Stauffenberg umgehen? Seine Herkunft und Funktion konnte man nicht verändern. Vielleicht ließ sich seine innere Überzeugung ein wenig korrigieren? Der Potsdamer Historiker Kurt Finker, ein DDR-Historiker, deutete ihn als Attentäter, der zumindest Kontakt zu den Kommunisten gesucht habe. Natürlich hatte Stauffenberg niemals eine programmatische Nähe zu den Zielen des kommunistischen Widerstands artikuliert, so sehr er sich darum bemühte, mit Vertretern der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung wie Julius Leber und Adolf Reichwein aus dem Widerstand ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk zu machen. Im Westen hingegen wurde Stauffenberg zunehmend als Regimegegner gezeichnet, der entschieden antikommunistisch war. Das war aber gewiss nicht sein Hauptmotiv. Vergessen wurde gern, dass er Leber ermutigt hatte, Kontakte zu kommunistischen Widerstandskämpfern zu suchen.

Warum ist es so schwer, Menschen aus den Denkvorstellungen ihrer Zeit heraus zu würdigen? Der angemessenen Würdigung von Stauffenberg stand eine Deutung im Weg, die ihn als Vorkämpfer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung reklamierte. Kritiker betonten dagegen, dass er aus den Denkvorstellungen des Obrigkeitsstaates heraus den Weg in den Widerstand gesucht und noch bis in die letzten Wochen vor dem Attentat in der Sicherung einer deutschen Hegemonialstellung in der Mitte Europas ein wichtiges Ziel seiner Bestrebungen gesehen habe. Stauffenberg wurde zum Objekt der Kritik des bürgerlich-militärischen Widerstands und vielleicht sogar ein besonders prominentes Opfer vieler Deutscher, die sich von den Widerstandskämpfern im Umkreis des 20. Juli 1944 abwandten.

Verstellt wurde der Blick auf den Menschen Stauffenberg, auf die Leistung, Positionen zu überwinden, die er mit den Nationalsozialisten zunächst geteilt hatte. Keinen Blick hatte man für die Stufen seiner Distanzierung. So war zu lesen, er habe vor der Hakenkreuzfahne salutiert, er sei ohne Zögern in den Krieg gezogen. Das Gespür für die Dramatik, die in der Überwindung individueller Verstrickungen in die Zeitströme liegt, war nur schwach ausgeprägt - man suchte den reinen Helden, die Lichtgestalt und verfehlte die Wirklichkeit eines Lebens an der doppelten Front: von Bomben und Gestapo, von Kooperation und Konfrontation, von Gehorsam und Widerspruch.

Bekannte und Freunde betonten Stauffenbergs Entschlossenheit und Selbstlosigkeit, seine Begeisterungsfähigkeit und Konsequenz. Er wurde erst spät - 1943 - zum Motor des Widerstands in Berlin. Als er diese Funktion übernommen hatte, zögerte er nicht, sondern suchte Verbindungen, wollte die Basis des Widerstands vergrößern. Stauffenberg suchte die Verantwortung. Dass er scheiterte, lag nicht an ihm, sondern an seinen Kameraden in den Berliner Kommandos und in den Wehrkreisen, die sich am Abend des 20. Juli auf ihre Bindung durch den auf Hitler geleisteten Eid besannen und Stauffenberg verrieten.

Ein Erfolg seiner Tat hätte viele Menschen vor dem Tod bewahrt. Er wollte die Deutschen von Hitler befreien. Danach hätten die Überlebenden um die Struktur und die Prägung Deutschlands gerungen. Welches Deutschland das Resultat geworden wäre, wissen wir nicht. Stauffenberg zum Symbol des Rückwärtsgewandten zu machen, weil er aus den Horizonten seiner Zeit handelte, wäre unhistorisch. Es wäre ebenso leichtfertig, ihn zum Träger der freiheitlichen Grundordnung zu überhöhen. Diese Ordnung war ein Resultat der Niederlage. Der Mensch Stauffenberg bleibt faszinierend. Er handelte nicht, als es zu spät war, sondern er handelte, weil er zu den wenigen gehörte, die entscheidungsfähig waren, die Verantwortung suchten und deshalb den "entscheidenden Wurf" riskierten.

"Weiße" und "schwarze Stränge" historischer Entwicklung

Der Widerstand hat sich einen Platz im Gedächtnis der Deutschen gesichert, auch in seiner Widersprüchlichkeit. Offensichtlich gehört der Streit um den "Besitz" am Widerstand seit der Befreiung von der NS-Herrschaft zu den wichtigen Voraussetzungen jeder historisch-politischen Identitätsdiskussion in Deutschland, die um "weiße" und "schwarze Stränge", um demokratische Traditionen, um "Tradition und Erbe", schließlich um den Stellenwert von "Auschwitz" im historischen Gesamtzusammenhang deutscher Geschichte kreiste.

In den fast sechzig Jahren öffentlichen Erinnerns an den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 hat sich eine weitgehende Übereinstimmung herausgebildet. Die Regimegegner jenes Tages gelten als Persönlichkeiten, deren wesentliches Ziel vor allem die besondere Stellung der Grundrechte, des freiheitlichen Rechtsstaats, des Föderalismus und der Idee des europäischen Zusammenschlusses gewesen sein soll.

Zuvor hatte ebenso wie die Bundesrepublik, die in den offiziellen Gedenkveranstaltungen verkünden ließ, die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 hätten dafür gesorgt, dass wir die Lektion der Geschichte im Grundgesetz und beim Aufbau unseres freiheitlichen Staates angenommen hätten, auch die DDR-Führung beansprucht, Vollstrecker des Vermächtnisses antifaschistischer Widerstandskämpfer zu sein. Galt in der DDR der Widerstand als kommunistisch inspiriert und geführt, so vernachlässigten die öffentlichen Redner der Bundesrepublik den Widerstand aus der kommunistischen Arbeiterbewegung und betonten stattdessen den christlichen, vor allem aber den bürgerlichen oder militärischen Widerstand. Erst in den siebziger Jahren begann eine Überschneidung der bis dahin säuberlich geschiedenen Widerstandsbereiche - die Besitzfrage schien sich in eine gesamtdeutsche Dimension zu weiten, welche die bis dahin geübte moralische Diskriminierung durch Differenzierung von Zielen, Aktivitäten und Entwicklungsphasen gerade im wissenschaftlichen Kontext obsolet werden ließ.

Dabei wirkte sich vor allem die Einsicht aus, dass die verfassungs-, sozial- und außenpolitischen Ziele mancher Widerstandskämpfer und -gruppen keineswegs in jene Kontinuität zu rücken war, die den Widerstand im Umkreis des 20. Juli 1944 gleichsam zur Station der Vorgeschichte der Bundesrepublik und der Frühgeschichte des Grundgesetzes machen sollte. Heute ist unbestritten, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus angemessen nur als Produkt seiner Zeit zu deuten ist. Mit der Relativierung der Ziele des bürgerlichen und militärischen Widerstands öffnete sich zugleich das Interesse für alltagsgeschichtliche Dimensionen der Selbstbehauptung, der Hilfe für Verfolgte, schließlich der Desertion und des Widerstands in den letzten Kriegswochen und -tagen.

Streit um die Breite und Vielfalt des Widerstands

Neben der politisch geprägten, auf Selbstlegitimation der beiden deutschen Staaten zielenden Reklamation einzelner Widerstandskämpfer verstärkte sich der Eindruck, Regimegegner hätten gleichsam aus dem schützenden Geflecht von Institutionen heraus gehandelt und seien so nicht selten als Repräsentanten ihrer Einrichtungen tätig geworden. Auch hier erfolgte in den sechziger Jahren eine Korrektur, denn es zeigte sich, dass manche wichtige Repräsentanten der Kirchen immer wieder Rücksicht auf das Regime genommen und den Widerstand einzelner ihrer Glieder nicht hinreichend gedeckt oder unterstützt hatten. Dies galt für Dietrich Bonhoeffer wie für Alfred Delp, die ihren Weg bis zum Ende allein gingen. Folge einer derartigen Bemühung war es, Verbindungen von Regimegegnern zu Vertretern der Kirche hervorzuheben, ohne anzugeben, was die Kontakte bedeuteten - allein aus der Tatsache einer Begegnung wird stillschweigend auf eine innere Übereinstimmung von Regimegegner und Institution geschlossen.

Auch Familienangehörige einzelner Widerstandskämpfer erwecken heute vielfach aus großer zeitlicher Distanz zu den Ereignissen den Eindruck, sie seien in Überlegungen, Pläne, Diskussionen und Risiken der Attentäter tief eingebunden gewesen. In Wirklichkeit gingen die meisten Regimegegner außerordentlich vorsichtig vor. Sie waren bestrebt, ihre Angehörigen nicht zu gefährden - oft haben jene die Entscheidung ihres Vaters, Bruders oder Ehemannes weder verstanden noch gebilligt. Bisweilen erst in den späten fünfziger Jahren, in denen Regimegegner und Emigranten den Zeitgenossen vielfach noch als "Verräter" galten und es noch keineswegs eine selbstverständliche Ehrung der Widerstandskämpfer in der Öffentlichkeit gab, haben sie die Entscheidungen ihrer Angehörigen gebilligt und sich dazu bekannt. Dies war wenigerselbstverständlich, als es uns heute anmutet. Denn die deutsche Nachkriegsgesellschaft hegte, wie demoskopische Umfrageergebnisse zeigen, erhebliche Vorbehalte gegenüber Emigranten und Widerstandskämpfern, Verfolgten und Häftlingen.

Erst mit der Organisation regelmäßiger Gedenkveranstaltungen seit den späten fünfziger Jahren ergaben sich Veränderungen. Sie wirkten sich nicht nur auf die demoskopisch manifeste Stimmungslage der Nation aus, sondern beeinflussten auch das Selbstbewusstsein der Angehörigen. Immer öfter folgte dem Bekenntnis zum Widerstand der Appell der Angehörigen an die Nachlebenden, sich mit seiner Geschichte und vor allem mit den Zielen der Regimegegnerschaft zu beschäftigen und sie in der Breite und Vielfalt, auch in ihrer Widersprüchlichkeit und graduellen Steigerung wahrzunehmen.

Zunächst hatte sich die Tendenz einer intensiven und geradezu auf Identifikation zielenden Aneignung bei Jugendlichen bemerkbar gemacht, die in den frühen fünfziger Jahren ihren eigenen Weg zur Wirklichkeit des "Dritten Reiches" gesucht hatten. Antworten auf ihre Fragen boten vor allem zwei Bücher: das - schließlich auch dramatisierte und verfilmte - Tagebuch der Anne Frank und die Erinnerungen von Inge Aicher-Scholl an ihre Geschwister Hans und Sophie, um die sich die Münchener Widerstandsgruppe der "Weißen Rose" zusammengefunden hatte. Mehrere Auflagen erreichte das Buch "Offiziere gegen Hitler" von Fabian von Schlabrendorff. In ihm findet sich das seit den fünfziger Jahren überlieferte, durch alttestamentarische Bezüge an Intensität gewinnende Diktum, Deutschland werde wie Sodom nicht dem Untergang preisgegeben sein, wenn es zehn Gerechte in seinen Mauern berge. Dieser Satz machte den Widerstand zum Bezugspunkt der Erwartung, dass sich Deutschland durch einige seiner Angehörigen aus der Abgrundlosigkeit des Verderbnisses befreit habe, welches sich im Nationalsozialismus verkörperte. Auch Churchills (nirgends nachzuweisende, angeblich auf eine Parlamentsrede des Jahres 1946 zurückgehende) Äußerung über den Widerstand als Beleg für eine Stabilisierung der moralisch auf den Widerstand gegründeten deutschen Demokratie tat ihre Wirkung und wurde immer wieder zitiert.

Allen hämischen Bemerkungen und rechtsextremistischen Äußerungen zum Trotz hatte sich im Hinblick auf den Widerstand in den fünfziger Jahren ein breiter Konsens herausgebildet, der in den siebziger Jahren problemlos auf jene Bereiche des Widerstands ausgedehnt zu werden schien, die zunächst aus prinzipiellen, politischen oder juristischen Gründen aus dem viel beschworenen nationalen Konsens ausgeschlossen waren. Diese Übereinstimmung drückte sich auch in der Gedenkstätte zur Erinnerung an den 20. Juli 1944 aus, die in den frühen fünfziger Jahren im Innenhof des Berliner Bendlerblocks, in den späten sechziger Jahren dann als ständige Ausstellung in den Arbeitsräumen von Stauffenberg eingerichtet worden war.

Im Zuge der Arbeit an dieser konzeptionell erweiterten Ausstellung, die Breite und Vielfalt des Widerstands spiegeln sollte und das in beiden Teilen Deutschlands vorherrschende Widerstandsbild zu reflektieren hatte, brach ein grundsätzlicher Streit über den Widerstand auf. Durchgängig hatte sich unter dem Eindruck der wissenschaftlichen Entwicklung der Widerstandsforschung die Frage gestellt, welcher Widerstand erinnerungs- und damit auch darstellungswürdig sei. Nach der ersten Teileröffnung der erweiterten Gedenkstätte entzündete sich Kritik an der Andeutung kirchlicher Anpassung, die unter dem Begriff "Im Sog der Zeit" den Hintergrund für die Darstellung des Widerstands aus christlichem Bekenntnis geben sollte. Dabei wurden die Konturen der Diskussionen über die Anpassung der Kirchen an Erwartungen und Forderungen des Regimes in seiner Konsolidierungsphase deutlich, die vor allem den Streit der fünfziger und sechziger Jahre über das Reichskonkordat vom Sommer 1933, die hingenommene Auflösung des politischen Katholizismus und die Lähmung des katholischen Vereins- und Verbandssystems geprägt hatten. Überraschend war, dass die Kritik mit einer Relativierung des ebenfalls ausgestellten Widerstands aus der Arbeiterbewegung einherging und die Darstellung des kommunistischen, sozialdemokratischen, sozialistischen und gewerkschaftlichen Widerstands als Versuch interpretierte, ein sozialdemokratisch inspiriertes Widerstandsverständnis zum Ausgangspunkt der thematischen Arbeit zu machen.

Damit war eine Frontstellung bezeichnet, die sich in der Folgezeit unterschiedlicher Argumente bediente, in Argumentation und Methode radikalisierte, insgesamt aber deutlich machte, dass die Beschäftigung mit dem Widerstand geschichtspolitisch immer noch von hoher Brisanz war und der Konsens einer Würdigung der gesamten Regimegegnerschaft nur so lange hielt, wie der "klassische Widerstandsbereich des 20. Juli 1944" nicht durch gleichgewichtige Erschließung anderer Themen relativiert oder einer Konkurrenz von Deutungen ausgesetzt wurde.

Es begann eine langwierige Auseinandersetzung um Bewertungen, Begriffe und Ausstellungsprinzipien, die von Einzelnen, von Gruppen und Institutionen geführt wurde. Der Grundkonflikt entzündet sich vordergründig an der Frage, ob historische Ausstellungen ein pluralistisches Geschichtsbild reflektieren oder ermöglichen sollen, insbesondere an Bildern und Kommentierung im Bereich des katholischen Widerstands. Während kein Betrachter Anstoß an einem Bild nahm, das den württembergischen Landesbischof Theophil Wurm nach der Aufhebung des Hausarrests im Kreis einer den Arm zum Hitlergruß hebenden Menge zeigt, rief ein Bild mit katholischen Geistlichen, die ebenfalls den Arm erhoben hatten, heftige Proteste hervor. Kritiker wandten sich an die Schulsenatorin, die es ablehnte, Druck auf die Ausstellungsleitung auszuüben. Sie nutzte die Eröffnung einer Ausstellung über den Widerstand der katholischen Kirche im Weltanschauungskampf, um energisch vor der Diffamierung des kommunistischen Widerstands zu warnen und für ein möglichst breites Spektrum der Widerstandsgeschichte zu plädieren.

Nach der zweiten Teileröffnung - unter anderem der Einheiten über das Exil und die Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen - wurde verlangt, eine eigenständige Ausstellungseinheit als Gegengewicht zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung zu konzipieren und mit der Raumbezeichnung "Christdemokraten im Widerstand" einzurichten. Der Einwand, es solle kein das aktuelle Parteienspektrum spiegelndes Bild des Widerstands gezeichnet, sondern ein sich am Selbstverständnis der Regimegegner orientierendes, integrales Spektrum der Gesamtgegnerschaft präsentiert werden, vermochte nicht zu überzeugen. Es müsse gezeigt werden, "dass die politische Ordnung, die der Widerstand erreichen wollte, auch heute noch unsere Zustimmung finden kann. Widerstand gegen den Nationalsozialismus, das ist die große, einigende Formel, aber Widerstand wofür, das ist doch letztlich eine noch wichtigere Frage", meinten die Kritiker.

Der Versuch, Widerstandsziele zu unterscheiden, führte zur Gegenüberstellung von demokratisch-antitotalitärem und kommunistisch-totalitärem Widerstand. Diese Argumentation machte einen Grundzug der "besitzergreifenden Widerstandsdiskussion" der Nachkriegszeit deutlich, bei welcher der Anspruch auf die Erinnerung einer Dimension des Widerstands mit der Abqualifizierung einer anderen einherging. Vergessen wurde meist, dass sich Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft im Laufe einer widersprüchlichen Entwicklung zu entfalten hatte.

Wandel der Erinnerung an den Widerstand

Vor allem die Erwähnung der Widerstandsgruppen um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen und deren Ehefrauen war in den fünfziger Jahren kaum opportun. Gerhard Ritter hatte sich, im Unterschied zu Hans Rothfels, in seiner Biografie von Karl Friedrich Goerdeler deutlich gegen die Würdigung der "Roten Kapelle" ausgesprochen und Verbindungen zwischen dem kommunistischen Widerstand und der SED-Führung hergestellt. Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck im Zusammenhang mit dem kommunistischen Exil als Gegner des NS-Staates als Zeitgenossen zu schildern, die, auf der Seite Stalins stehend, zugleich versuchten, das NS-Regime von außen zu bekämpfen, war umso weniger möglich, als die SED-Führung propagandistisch alles daran setzte, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus als kommunistisch geführt und von Moskau angeleitet erscheinen zu lassen. Dass es unabhängige kommunistische Widerstandsgruppen um Uhrig, Bästlein und Saefkow gab und dass das Nationalkomitee Freies Deutschland und der Bund Deutscher Offiziere zwar mit Stalins Einverständnis gebildet worden waren, aber eigenständig urteilende Anhänger aufwies, das zu erkennen weigerten sich viele Zeitgenossen.

Versuche, Hitlers Herrschaft von außen zu bekämpfen, erschienen geradezu als Parteinahme für die Interessen einer fremden Macht. Vor allem der Anspruch, Hitlers Diktatur durch die Zusammenarbeit mit einer anderen bekämpft zu haben, erregte manche Gemüter. Dies sei Verrat gewesen, wurde akzentuiert, unter der Assistenz schließlich auch rechtsextremistischer Wochenzeitungen. Die auf Besitzergreifung zielende Auseinandersetzung um Widerstandsbegriffe und Erscheinungsformen der Widerständigkeit - vor allem das "Risiko" des Kampfes innerhalb des NS-Staats wurde hervorgehoben - zeigte rasch, dass es nicht um eine reflektierte Klärung von diskussionswürdigen Grundproblemen des Verhältnisses zwischen Anpassung und Resistenz, von Selbstbehauptung und Protest, gar von Konspiration und Verschwörung bis hin zum Attentat vom 20. Juli 1944 ging, sondern vor dem Hintergrund kollektiven Durchhaltewillens oder einer bis in die letzten Tage des Krieges währenden Verstrickung vieler in die NS-Zeit um die nachträgliche Rechtfertigung persönlicher Positionen. Denn letztlich stellte sich mit der Frage nach dem Widerstand das Problem des persönlichen Verhaltens im "Dritten Reich".

Während des Braunschweiger Remer-Prozesses, den Angehörige von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 im Jahre 1952 gegen den damaligen SRP-Funktionär und ehemaligen Wehrmachtsmajor Otto-Ernst Remer angestrengt hatten, hob Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hervor: "Am 20. Juli 1944 war das deutsche Volk total verraten von seiner Regierung, und ein total verratenes Volk kann nicht mehr Gegenstand eines Landesverrats sein." Diese Klarstellung sollte den verbreiteten Verratsvorwurf gleichsam im Keim ersticken. Diejenigen, die sich gegen Hitler ausgesprochen und den Nationalsozialismus bekämpft hatten, sollten nicht länger als "Verräter" bezeichnet werden können. Als eigentlicher Verräter galt Bauer hingegen Hitler, dessen Verbrechen von seinen Anhängern oder willigen Gefolgsleuten nicht erkannt worden waren.

Eine weitere Differenzierung ergab sich aus der Unterscheidung von Widerstandsmotivationen, Verfolgungserfahrungen und Oppositionszielen. Sie drückte sich während der frühen fünfziger Jahre besonders deutlich in den Generalklauseln des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953 aus. Heftige konträre Bewertungen unterschiedlicher Gruppen waren seitdem durchgängige Begleiterscheinung der Widerstandsdiskussionen. Die damit einhergehende Distanzierung vom Gesamtwiderstand wurde durch die Kritik an den Emigranten verstärkt, und zwar durch jene, die dem Nationalsozialismus und seiner Politik nach 1933 folgten oder ihr verfügbar blieben. Der Rechtfertigung des eigenen passiven Gehorsams standen dabei Hinweise auf nationale Gemeinsamkeiten, auf die angeblich von Hitler ausgehende Faszination, auf den "Eid" oder auch auf die innere Übereinstimmung vieler mit seinen Zielen, in der Regel allerdings mit Ausnahme der Ermordung der Juden, zur Verfügung. Wurde der Widerstand in diesem Zusammenhang von ehemaligen Angepassten und Mitläufern noch kritisch-distanziert betrachtet, so lehnten viele Zeitgenossen das Exil nicht selten vollständig ab. Neben Selbstmord und Desertion galt die Emigration als einer der moralisch tiefststehenden und niedrigen Versuche, den Nationalsozialismus zu bekämpfen.

Mitte der fünfziger Jahre schien sich jedoch ein Wandel in der Beurteilung des Widerstands zu ergeben, der zum einen außen- und verteidigungspolitische Veränderungen spiegelte, zum anderen aber auch die Diskussion zwischen einer nachwachsenden Generation und der Generation ihrer Eltern über das "Dritte Reich" reflektierte. DieArgumentationsstrategie der Selbsterklärung wurde von den Zeitzeugen modifiziert: Der verbrecherische Charakter des Regimes wurde zwar nicht generell abgestritten, jedoch in der Regel von den persönlichen Lebenserfahrungen getrennt ("Nichts gesehen, nichts gewusst!") oder mit Nachkriegserfahrungen aufgerechnet: Flucht, Vertreibung, Vergehen sowjetischer Soldaten, Teilung Deutschlands und Kriegsgefangenschaft wurden abwehrend angeführt, wenn der verbrecherische Charakter des Regimes konstatiert und als politisch-moralische Herausforderung für die Zeitgenossen gedeutet wurde.

In den Kontroversen der achtziger Jahre wurde ein Grundkonflikt der Nachkriegszeit sichtbar, der unter dem Eindruck des in Gedenkfeiern zur Erinnerung an den Widerstand ritualisierten Konsenses aus dem Bewusstsein geraten war. Widerstand gegen den Nationalsozialismus zielte nicht auf die hehre Feierlichkeit von Nachgeborenen, die ihre persönlichen politischen Ziele auf den Gegensatz zum Nationalsozialismus beziehen wollten, sondern wirkte als Stachel im Fleisch der Zeitgenossen der NS-Zeit. Deshalb brachen immer wieder geschichtspolitische Kontroversen auf, die ihre Schubkraft nicht zuletzt aus der Realität des Völkermords an den Juden, der Verfolgung politischer Gegner und der mit allen Mitteln durchgesetzten Homogenisierung der Gesellschaft zogen. Mit den Verbrechen des "Dritten Reiches" wurde der Widerstand aber nicht nur historisch legitimiert, sondern er warf die grundlegende Frage nach dem Verhalten der Zeitgenossen auf. Indem sich manche der Angepassten und Gehorsamen von den moralisch krampfhaft diskreditierten Widerstandszielen, -formen und -gruppen insbesondere der politischen Linken distanzierten, rechtfertigten sie zugleich ihr eigenes Verhalten. Hinweise auf totalitäre Ziele kommunistischer Regimegegner, auf das bewusst vermiedene Risiko eines Widerstands von außen oder auf das egoistische und deshalb menschlich verwerfliche Paktieren mit fremden "Gewahrsamsmächten" sollen das persönliche Fehlverhalten der nicht zum Widerstand entschlossenen und befähigten "Mitläufer" erklären.

Was bleibt?

Inzwischen hat sich ein integrales Verständnis des Widerstands durchgesetzt. Es will die Verfolgung und Selbstbehauptungsbestrebungen von Regimegegnern, die unterschiedliche Traditionen verkörperten, auf die antipluralistische, antirechtsstaatliche, antiparlamentarische und antiliberale bzw. antimarxistische Herrschaftspraxis des Regimes beziehen. Alles andere würde das mit dem Selbstverständnis des Grundgesetzes zusammenhängende Konzept der streitbaren Demokratie rückwirkend in die NS-Zeit verlängern und dabei übersehen, dass die individuellen Grund- und Menschenrechte selbstverständlich auch dem politischen Gegner zustehen.

Es kommt nicht mehr darauf an, dass sich der Historiker als Staatsanwalt oder Weltgericht versteht, sondern er hat die Vielfalt von Herausforderungen zu begreifen, die das Jahrhundert der Diktaturen dem Individuum zumutete. Sechzig Jahre nach dem Attentat sind die Konflikte zwischen den Zeitgenossen und den Generationen ausgetragen. Zurück bleibt eine Chance: die Konfrontation mit einem Widerstand, in dem sich der Einzelne, legitimiert durch sein Gewissen, auf seine höchste Verantwortung beruft. Verkörperte sich im Widerstand nicht die Frage nach Geltungsgründen und Zielen politischer Herrschaft, die Interaktionen von Menschen prägen und rechtfertigen können, aber auch kritisierbar machen? So betrachtet, stellt sich in jedem Widerstandskämpfer eine Frage, die sich mit anderen zu einem Komplex bündelt, der Widerstandsgeschichte nur zu einem in der historisch-politischen Deutung zu bewältigenden Bereich der Sinndiskussion und -reflexion (also nicht Sinngebung oder gar -stiftung) machen kann, wenn die Nachlebenden in der historischen Erinnerung die Pluralität des Widerstands selbst aushalten können und als Bereicherung empfinden.

Dr. phil., geb. 1948; Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe (TH); seit 1983 wissenschaftlicher Leiter der ständigen Ausstellung "Widerstand gegen den Nationalsozialismus" in Berlin, seit 1989 wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin.
Anschrift: Institut für Geschichte, Franz-Schnabel-Haus, Universität Karlsruhe (Gebäude 30.91), Kaiserstraße 12, 76131 Karlsruhe.
E-Mail: E-Mail Link: ee03@rz.uni-karlsruhe.de

Veröffentlichungen u.a.: Widerstand im Widerstreit: Die Deutschen und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Paderborn 1994, 20012; (zus. mit Johannes Tuchel) Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin 2004.