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Gemütliche Blase? Zur Brüsseler Kommunikationskultur

Jan Georg Plavec

/ 17 Minuten zu lesen

Eine Befragung von Politikern und Journalisten in Brüssel zeigt, dass beide Gruppen zu einer spezifischen europäischen Kommunikationskultur beitragen. Sie bewegen sich dabei in einem Spannungsverhältnis zu ihren jeweiligen nationalen Bezugsöffentlichkeiten.

Über die Europäische Union wird seit Jahren vorrangig im Krisenmodus gesprochen. Auf die Wirtschafts-und Staatsschuldenkrise sowie zahlreiche interne Zerwürfnisse folgen nun der Brexit und im Mai 2019 die Europawahlen, für die viele Kommentatoren Zugewinne im Lager der Rechtspopulisten und Europaskeptiker vorhersagen.

"Europa" werde eben nicht richtig vermittelt, heißt es gerade in europhilen Kreisen. Die Dauerkrise als Kommunikationsproblem? So sah es der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seinem Amtsantritt 2014, als er auf das schwindende Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU verwies und explizit eine bessere Kommunikation anmahnte. 2016 gaben die Staats- und Regierungschefs in der "Erklärung von Bratislava" sich selbst die Aufgabe, die Kommunikation "zuallererst mit unseren Bürgern" zu verbessern. Die Generaldirektion Kommunikation der Kommission leitete daraus den Auftrag ab, es sollten "die zentralen Botschaften der Europäischen Kommission klarer kommuniziert werden, und es müssen konkrete Maßnahmen in den Mittelpunkt rücken, die für die europäischen Bürgerinnen und Bürger und die nationalen Parlamente von Bedeutung sind."

Neu ist der Ansatz nicht: Schon im 2006 von der Kommission vorgelegten Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik ist von einer "Kluft" zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern die Rede, die mit besserer Kommunikation zu überbrücken sei. Man kann sich schon wundern, dass zwar seit Jahren über eine gelingende europapolitische Kommunikation gesprochen wird – im Endeffekt aber kaum mehr passiert ist als eine interne Reform der Sprecherdienste der EU-Institutionen und die Eröffnung von "Verbindungsbüros" in den Mitgliedstaaten. Deren Aktivitäten erreichen vor allem die ohnehin schon überzeugten Europäer, während die "Europaskeptiker" zumindest medial an Oberwasser gewinnen. Wo ließe sich also stattdessen ansetzen?

In diesem Beitrag werde ich zeigen, dass es sich lohnt, die Politikerinnen und Politiker sowie die Journalistinnen und Journalisten in Brüssel genauer in den Blick zu nehmen. Diese Akteure handeln routinemäßig jene Botschaften aus, die die Grundlage für die Europadebatten in den nationalen Massenmedien bilden. Versteht man die Grundhaltungen, die hinter diesem Aushandlungsprozess stecken, eröffnet sich ein neuer Blick auf den Gehalt der als defizitär empfundenen Kommunikation über Europa. Hierfür werde ich im Folgenden die Ergebnisse einer Befragung von je 150 dauerhaft in Brüssel stationierten EU-Politikern und -Korrespondenten vorstellen, die ich im Frühjahr 2016 im Rahmen meiner Dissertation erstellt habe.

Europäische Öffentlichkeit?

Mittlerweile gilt es als Gemeinplatz, der EU ein Kommunikationsdefizit zu bescheinigen – auch in der Forschung. Auf die Anregung von Jürgen Habermas Anfang des neuen Jahrtausends, die Möglichkeit und das Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit auszuloten, hat sich eine lebhafte Debatte entwickelt. Ausgangpunkt ist die Beobachtung, dass europäische Politik zwar in weiten Teilen vergemeinschaftet ist, dass über diese Politik aber weitgehend ausschließlich in nationalen Öffentlichkeiten berichtet und diskutiert wird – die zwangsläufig einen tendenziell eingeengten, eben nationalen Blick auf die EU haben. Für eine europäische Öffentlichkeit wären demnach europaweit verbreitete Massenmedien wünschenswert, die EU-Politik aus einer europäischen Sichtweise betrachten und vorrangig europäische statt nationale Politiker zu Wort kommen lassen – ganz so, wie es die 1990 gegründete und 1998 eingestellte Zeitung "The European" versucht hat.

Es ist jedoch absehbar, dass eine "echte" europäische Öffentlichkeit so bald nicht entstehen wird. Medienmärkte und Öffentlichkeiten sind in der EU weiterhin überwiegend national organisiert. Stattdessen lässt sich auf eine graduelle Europäisierung nationaler Debatten zur EU-Politik hoffen. Diese Debatten laufen auch in Zeiten von Social Media und Filterblasen vor allem in den nationalen Massenmedien. Es sind die Zeitungen, Politik- und Wirtschaftsmagazine, Rundfunksender sowie deren Online-Ableger, die eine kontinuierliche Berichterstattung über EU-Politik leisten. Sie sind ein zentraler Referenzpunkt auch für jene Teile des Publikums, die kein Zeitungsabonnement haben und bei seriösen Nachrichtenformaten umschalten.

Akzeptiert man diesen Befund, ist nach den Entstehungsbedingungen der Berichterstattung zu fragen. Dabei richtet sich der Blick nach Brüssel. Hier entstehen routinemäßig jene Nachrichten von und über EU-Politik, die durch die traditionellen Massenmedien einen Großteil der mehr als 500 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger erreichen. Erstellt werden diese Beiträge überwiegend von den rund tausend dauerhaft in Brüssel akkreditierten Korrespondentinnen und Korrespondenten, die dafür regelmäßig mit den Vertreterinnen und Vertretern der schwerpunktmäßig in Brüssel tätigen EU-Institutionen Kommission, Parlament und Rat sowie der Ständigen Vertretungen der nationalen Regierungen kommunizieren – in Pressekonferenzen, Hintergrundgesprächen, Interviews oder über Presseanfragen.

Politische Kommunikationskultur

Zwar wurden Journalisten und ihre Arbeitsroutinen sowie der Brüsseler Kommunikationskontext in zahlreichen Studien beschrieben. Insbesondere die Interaktion von Politikern und Journalisten sowie die sie prägenden Einstellungen (in Form von Erwartungen und Rollenbildern) wurden aber weitestgehend ausgeklammert. Dabei prägt gerade jenes grundlegende Verständnis von politischer Kommunikation, das diese Politiker und Journalisten in der täglichen Zusammenarbeit gemeinsam entwickeln, in entscheidender Weise die Botschaften, die von Brüssel aus ihren Weg in die Öffentlichkeit(en) finden. Zur Untersuchung dieser Zusammenhänge hat die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Pfetsch das Konzept der politischen Kommunikationskultur entwickelt. Darunter versteht sie die Summe der Einstellungen von Politikern und Journalisten in Bezug auf die Herstellung politischer Botschaften, die an ein gemeinsames Publikum gerichtet werden.

Kommunikation wird dabei als Prozess verstanden, der sich aus den vier Dimensionen der Kommunikationskultur zusammensetzt: Die erste Dimension ist der Input, etwa in Form von öffentlicher Meinung. Er wird, das ist die zweite Dimension, nach spezifischen Regeln verarbeitet – der medialen Verwertungslogik der Journalisten oder der Machtlogik der Politiker. Damit hängt, drittens, der kommunikative Output zusammen: also die Reichweite und das Themensetzungspotenzial verschiedener kommunikativer Praktiken. Dazu gesellen sich, viertens, die Selbst- und Fremdbilder – also die Rollen, die Politiker und Journalisten selbst zu spielen meinen oder die sie bei der jeweils anderen Gruppe wahrnehmen.

Kommunikationskultur entsteht da, wo Politiker und Journalisten regelmäßig miteinander agieren. In Brüssel ist dies der Fall, und zwar unter den einzigartigen Bedingungen eines multinationalen Machtzentrums, in dem ein kommunikatives Milieu Tag für Tag routinemäßig politische Botschaften aushandelt. Der Begriff "aushandeln" ist bewusst gewählt: Tatsächlich kann die Interaktion von Politikern und Journalisten zumindest in liberalen Demokratien als Austausch von Informationen gegen Publizität modelliert werden. Die Geschäftsmäßigkeit dieser Beziehungen einschließlich der Gefahr einer zunehmenden geistigen Nähe der politischen und kommunikativen Eliten zueinander wird allerdings traditionell kritisch gesehen.

Mit der politischen Kommunikationskultur sind die systemischen Bedingungen, unter denen kommuniziert wird, unmittelbar verknüpft: Kommunikationssystem und -kultur bilden eine Einheit. Der Vergleich von neun westeuropäischen Ländern zeigt, dass sich die politischen Kommunikationskulturen in Europa in mehrere Typen einteilen lassen – je nachdem, ob sie eher einer von der Politik dominierten Agenda folgen oder eher der Logik und den Bedürfnissen der Massenmedien. Insgesamt clustern sich Kommunikationskulturen regional, es gibt also einen süd-, mittel- und nordeuropäischen Kommunikations-Kulturraum.

In Brüssel gelten hingegen besondere Bedingungen für die Kommunikationskultur. Zwar stellt sich auch hier die Frage, ob eher nach den Regeln der Politik oder der Medien kommuniziert wird. Vor allem aber gewinnt das Mit- respektive Gegeneinander auf der europäischen Ebene an Komplexität. Politiker stehen vor der Herausforderung, dass sie ihre Positionen einerseits vor einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit vertreten müssen – und andererseits für ihren Verbleib an der Macht besonders auf heimische Wählerinnen und Wähler angewiesen sind. Dazu kommen die spezifischen EU-Machtstrukturen, also etwa die zentrale Rolle der EU-Kommission für die Nachrichtenredaktionen. Auf Medienseite lassen sich die Korrespondenten grundsätzlich in zwei Gruppen einteilen: Zum einen gibt es solche mit nationaler oder regionaler Zielgruppe, die bei der Berichterstattung vor allem die Anforderungen ihrer heimischen Newsrooms beachten müssen, zum anderen solche, deren Medien eine nicht nationale und zumeist elitäre Zielgruppe haben. Dazu zählen die traditionell einflussreiche "Financial Times" sowie das auf die "Brüsseler Blase" zielende Online-Portal samt Wochenzeitung "Politico".

Mit Blick auf die politische Kommunikation in Brüssel stellen sich nun drei Fragen: Erstens, entsteht im Brüsseler Kommunikationskontext eine von Politikern und Journalisten breit geteilte, gewissermaßen "europäische" Kommunikationskultur – oder ist Brüssel vielmehr eine Ansammlung von Akteuren, die letztlich nur ihr Heimatland im Blick haben und in einem babylonischen "Kommunikations-Multikulti" aneinander vorbeireden? Zweitens, hat sich in Brüssel eine homogene Kommunikationselite aus Politikern und Journalisten herausgebildet, mit gemeinsamen Kommunikationszielen und einem gemeinsamen Verständnis, wie diese Ziele zu erreichen sind – oder sind die Interaktionen in Brüssel ähnlich konfliktreich und antagonistisch, wie man es aus manchen nationalen Kommunikationssystemen kennt? Und drittens, ist abzusehen, ob sich mit der eventuellen Ankunft einer größeren Zahl von Europaskeptikern nach der Europawahl daran etwas ändert?

Diese drei Punkte bestimmen mit, was am Ende aus Brüssel berichtet wird und worüber die Bürger diskutieren. Je homogener die Politiker und Akteure in Europas "erster und vielleicht einziger Öffentlichkeit" – also dem Elitenmilieu in Brüssel – sind, desto wahrscheinlicher spiegelt sich dieses gemeinsam europäische Verständnis in den Medien, Debatten und den Vorstellungen der Europäer wider.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Um die Brüsseler Kommunikationskultur zu erfassen, habe ich in der ersten Jahreshälfte 2016 die Einstellungen von je 150 Politikern und Journalisten abgefragt, die permanent in Brüssel arbeiten beziehungsweise dort akkreditiert sind. Auf Politikerseite wurden die in der Hierarchie am höchsten stehenden Vertreter der drei Institutionen Kommission, Parlament und Rat sowie die Ständigen Vertretungen adressiert: also Kommissare und ihre Kabinettchefs, das Präsidium, die Ausschuss- und nationalen Delegationsvorsitzenden im Parlament sowie die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten. Bei den Journalisten wurden entsprechend ihres zahlenmäßigen Anteils im corps de presse permanent akkreditierte Korrespondenten von Medien mit nationaler/regionaler sowie transnationaler Zielgruppe befragt. In der Summe ergibt sich aus den Teilnehmern ein repräsentatives Bild der Brüsseler Kommunikationselite.

Um zu ermitteln, ob bei den Einstellungen der Befragten die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede überwiegen, wurden die Antworten gruppenweise aggregiert und miteinander verglichen – nach Nationalität und Berufsgruppe sowie gesondert für Alterskohorten und Europaskeptiker. Politikern und Journalisten wurden jeweils die gleichen Fragen gestellt – von denen sich viele auf die Wahrnehmung von und die Erwartungen an die jeweils andere Gruppe beziehen. Zudem mussten alle Befragten ihre Nationalität, ihr Alter, die Institution oder das Medium, für die oder das sie arbeiten, sowie ihre Arbeitserfahrung in Brüssel angeben. Die Gipfel- oder Ministertreffen wurden von der Erhebung insofern ausgeklammert, als weder nationale Spitzenpolitiker noch die für einzelne Gipfeltreffen anreisenden nationalen Journalisten befragt wurden. So gesehen dokumentieren die Antworten der befragten Politiker also eher den relativ bürokratischen Charakter der Kommission und verdeutlichen den Umstand, dass die (für die Studie befragten) Ständigen Vertreter in der Regel diskret hinter verschlossenen Türen verhandeln und politisch sensible Themen von den nationalen Spitzenpolitikern entscheiden lassen.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich in Brüssel durchaus eine gemeinsame Kommunikationskultur herausgebildet hat – insbesondere mit Blick auf allgemein anerkannte "Spielregeln". So berichten Politiker und Journalisten von einem gegenseitigen Grundvertrauen und nur wenigen Regelverstößen wie falsch übermittelten Informationen oder einem Bruch vorab vereinbarter Vertraulichkeit. Fast alle Befragten beschreiben das Verhältnis zur jeweils anderen Akteursgruppe als weitgehend konfliktfrei. Das ist weniger trivial, als es zunächst klingt. Dass beispielsweise politische Loyalitäten zwischen Politikern und Journalisten so gut wie keine Rolle spielen, ist ein bemerkenswerter Kontrast insbesondere zur hoch politisierten Medienlandschaft in Süd- und Osteuropa.

Insgesamt sind in Brüssel eher die Politiker tonangebend, was die Themensetzung angeht. Zwar gelten allgemein medienzentrierte Kommunikationspraktiken als besonders effektiv – also etwa Informationen an Medien durchzustechen, um deren Bedarf nach exklusiven Meldungen für die eigenen Zwecke auszunutzen, oder die Platzierung eines Interviews in der "Financial Times". Mehr als drei Viertel der befragten Politiker und Journalisten halten das für effektiv, und ebenfalls drei Viertel der Befragten erwarten, dass etwa mit einer Rede im EU-Parlament tendenziell nur ein viel kleineres Publikum erreicht werden kann. Aber anders als in Berlin, wo Politiker vielfach über eine teilweise aggressive und kampagnenhafte Themensetzung durch die Medien selbst klagen, wird die politische Agenda in Brüssel von der Politik vorgegeben und machen sich die Politiker vor allem die klare Brüsseler Medienhierarchie zu nutze. Dies berichtet übereinstimmend eine große Mehrheit der befragten Politiker und Journalisten. Dabei kontrastieren sie – auch das wurde abgefragt – Brüssel mit ihrem jeweiligen nationalen Kommunikationssystem. Nur ein Viertel der EU-Korrespondenten versteht sich selbst als Agenda-Setter oder Kommentator. Stattdessen dominieren die Selbstbilder des neutralen Reporters (72 Prozent Zustimmung) sowie des kritischen Aufklärers (87 Prozent).

Zwar braucht europäische Politik die Medien, um Botschaften an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen. Es gehört aber zur Eigenart des Brüsseler Milieus, dass sich diese Macht für die Journalisten nicht in eine Agenda-Setting-Dominanz übersetzt. Eine Erklärung dafür könnte der teils eklatante Ressourcenmangel sein, unter dem – mit Ausnahme weniger Leitmedien – fast alle Korrespondentenbüros leiden. Bereits vor zehn Jahren ergab eine Umfrage, dass Journalisten in Brüssel einen durchschnittlichen Beitrag in maximal sechs Stunden recherchieren und fertigstellen müssen. In meiner Untersuchung bestätigen drei Viertel der Befragten, dass Ressourcenmangel eine Einschränkung ihrer Arbeit bedeute – weit stärker als politische Einflussnahme oder der Wunsch der Redaktion nach kommerziell verwertbaren Beiträgen.

Bemerkenswertes Publikumsbild

In zwei weiteren Punkten sind sich die befragten Politiker und Journalisten in Brüssel einig: Sie geben relativ wenig auf Meinungsumfragen und haben ein durchweg negatives Publikumsbild. Weder auf Politikmaßnahmen noch für die Karriere von Politikern schreiben die befragten Politiker und Journalisten der öffentlichen Meinung einen relevanten Einfluss zu. Während Kritiker einer zu starken Beachtung von Meinungsumfragen diesen Befund begrüßen dürften, stimmt das negative Publikumsbild der Brüsseler Akteure nachdenklich. 71 Prozent der Befragten, egal ob Politiker oder Journalist, stimmen der Aussage zu, dass "gewöhnliche Bürger EU-Politik ohnehin nicht verstehen". Die Brüsseler Eliten trauen ihren Wählern respektive Lesern/Zuschauern/Hörern also nicht besonders viel zu, und ihr Fatalismus trägt nicht dazu bei, dass die vielfach von europäischen und nationalen Spitzenpolitikern vorgetragenen Forderungen nach einer einfachen, klaren Sprache beim Reden über europäische Politik eingelöst werden.

Möglicherweise ist diese Haltung aber auch schlicht Ausdruck eines kaum auflösbaren Widerspruchs: In Brüssel kommunizieren Politiker und Journalisten in einem kosmopolitischen Umfeld; zugleich sind sie überzeugt, dass die heimischen Publika eine auf die national oder sogar regional relevanten Aspekte zugespitzte Kommunikation erwarten: Über sämtliche Akteursgruppen hinweg stimmen drei Viertel der Befragten der Aussage zu, dass die allgemeine Öffentlichkeit politische Botschaften nur dann versteht, wenn diese mit einem "nationalen Dreh" versehen werden. Zugleich ist es unter den Befragten Konsens, dass man für ein echtes Verständnis europäischer Politik auch andere Positionen als die eigene, nationale verstehen muss. Hier scheinen sich die Kommunikationseliten in einem echten Dilemma zu befinden, auf das viele mit Verbitterung reagieren.

Nationale beziehungsweise regionale Besonderheiten zeigen sich in Brüssel nur vereinzelt. Die Politiker und Journalisten scheinen ihre nationalen Kommunikationskulturen kaum aus dem Heimatland nach Brüssel "mitzunehmen". Eine der wenigen Ausnahmen: Befragte aus Deutschland und Österreich schätzen Boulevardmedien als relativ einflussreich ein, während unter den Befragten aus den süd- und osteuropäischen Systemen mit ihren einflussreichen Fernsehsendern vor allem Talkshowauftritte als effektiv gelten.

In der Vergangenheit wurde den Politikern und noch stärker den Journalisten in Brüssel eine Art blinde Europhilie unterstellt. Unter den Befragten zeigt sich aktuell jedoch vielmehr, dass die Zufriedenheit mit der EU vor allem mit der Lage im eigenen Land zusammenhängt. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang für EU-Politiker: Diese zeigen sich besonders dann mit der EU und der europäischen Demokratie zufrieden, wenn die Interessen ihres Heimatlandes aus ihrer Sicht gut vertreten sind. Hier hat sich also ein instrumentelles Verständnis von der Zufriedenheit mit europäischer Demokratie entwickelt.

Eine letzte übergreifende Gemeinsamkeit bei der Kommunikation in der europäischen Mehrebenenöffentlichkeit zeigt sich in den Antworten auf die Frage nach den Netzwerken: Mit Ausnahme der Journalisten von transnational orientierten Elitemedien berichten die Befragten durchweg, dass sie mehr Kontakte mit Politikern respektive Journalisten aus dem eigenen Land haben als mit solchen aus den übrigen EU-Mitgliedstaaten. Dieser Befund muss nicht zwingend überraschen – aber er deutet doch darauf hin, dass im multinationalen Brüsseler Kommunikationsumfeld zumindest für Korrespondenten nationaler Medien der Bezug zum heimischen Publikum das Kommunikationsverhalten maßgeblich prägt. Die Politiker tun das Ihre, um in den für sie relevanten nationalen Medien aufzutauchen: Hintergrundgespräche werden häufig auf die Bedürfnisse von Journalisten aus dem eigenen Land optimiert; vor jedem Gipfel- und fast jedem Ministertreffen und auch danach organisieren die Ständigen Vertretungen Pressekonferenzen, die mehrheitlich von Journalisten aus dem eigenen Land frequentiert werden. Wenn in der Folge in den nationalen Medien vorrangig die Positionen der nationalen Spitzenpolitiker berichtet werden, kann dies nicht verwundern. Diese "nationale Versäulung" wird schon lange beklagt – auch sie bedingt eine nur langsam voranschreitende Europäisierung der medialen Berichterstattung. Darauf deutet auch der Befund hin, dass jene Brüsseler Akteure, die sich in einem internationalen Netzwerk bewegen, tendenziell seltener zu einer national verengten Kommunikation von EU-Politik neigen.

Homogenität mit Brüchen

Die geschilderten Ergebnisse deuten darauf hin, dass es tatsächlich eine relativ homogene Brüsseler Kommunikationselite gibt. Dennoch ergeben sich durchaus Unterschiede, wenn man die Einstellungen von Politikern und Journalisten kontrastiert. So divergieren in Brüssel (wie auch in nationalen Kommunikationskulturen) das Selbst- und Fremdverständnis der Akteure erheblich. Sowohl Politiker als auch Journalisten sehen sich selbst in einer neutral informierenden, am Gemeinwohl orientierten Kommunikationsrolle – unterstellen der Gegenseite aber jeweils, sich stärker von egoistischen oder politisch motivierten Beweggründen leiten zu lassen.

Bei keiner der vier Dimensionen der Kommunikationskultur unterscheiden sich die Einstellungen der Brüsseler Politiker stärker von denen der Journalisten als bei den Rollenbildern. Solche Differenzen sind allerdings vor dem Hintergrund der Ergebnisse zu nationalen Kommunikationskulturen zu erwarten oder zu einem bestimmten Maß sogar zu begrüßen – schließlich verfolgen Politiker und Journalisten per definitionem unterschiedliche Kommunikationsziele, und eine gewisse Skepsis bezüglich der Beweggründe des Gegenübers schadet einer unabhängigen und kritischen Berichterstattung keineswegs.

Auf die Frage, was am Journalismus im EU-Kontext besonders kritikwürdig ist, stören sich die befragten Politiker besonders an einer zu seichten (56 Prozent) sowie einer vorrangig auf taktische Aspekte beschränkten Berichterstattung (62 Prozent). Allerdings ist der Anteil der Journalisten, die diese Kritik ebenfalls vorbringen, ebenfalls hoch (45 Prozent). Insgesamt fallen die Unterschiede, wie Politiker und Journalisten die Brüsseler Kommunikationskultur einschätzen, in weiten Teilen geringer aus als in nationalen Kommunikationskulturen. Allerdings können die EU-Politiker nicht durchweg als in sich homogene Gruppe betrachtet werden. Insbesondere die EU-Abgeordneten stechen heraus. Sie fühlen sich den Medien gegenüber in einer relativ schwachen Position und sie bevorzugen eher Gesprächspartner mit einer ähnlichen politischen Haltung. 61 Prozent der befragten Abgeordneten sehen sich in der Rolle des Selbstdarstellers, unter den Vertretern von Kommission und Rat sieht sich nicht einmal jeder Dritte so. Als Vorkämpfer für politische Positionen sehen sich vier von fünf befragten Parlamentariern, in Rat und Kommission ist das nur bei jedem zweiten der Fall. Diese Befunde bilden neben der Verteilung von Macht nicht zuletzt die Rolle des EU-Parlaments als "politischster" EU-Institution ab.

Auch innerhalb des Korrespondentenkorps gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. Wenn Journalisten für eine nicht national definierte Zielgruppe berichten, sehen sie sich stärker als kritischer Watchdog. Auch empfinden die Journalisten bei solchen Medien mehr Einfluss auf die EU-Politik und pflegen mehr internationale Kontakte. So gesehen wird von den Vertretern von Medien wie der "Financial Times" oder "Politico" eine wahrhaft europäische Kommunikationspraxis gelebt – wobei diese Journalisten berichten, erheblich häufiger mit Vertretern von Kommission und Rat oder Ständigen Vertretungen Kontakt zu haben als mit EU-Abgeordneten. Diese orientieren sich, möglicherweise auch wegen des Kontakts zu ihrem Elektorat und der offensichtlichen Wiederwahlabsicht, stärker hin zu Journalisten aus ihrem Heimatland.

So ist mit Blick auf die Publikumsausrichtung der Akteure zwar keine Spaltung, aber doch eine geteilte Orientierung festzustellen: Korrespondenten nationaler Medien haben häufiger mit EU-Abgeordneten (aus ihrem eigenen Land) und vor allem mit einheimischen Politikern Kontakt, während bei Journalisten für transnational orientierte Medien die Nationalität eine untergeordnete Rolle spielt und diese sich stärker hin zu den Institutionen Kommission und Rat orientieren. Insgesamt zeigen sich innerhalb der Kommunikationseliten durchaus unterschiedliche Einstellungssets entlang der von Institutionen und Publikumsausrichtung des Mediums vorgegebenen Grenzen. Das Mehrebenensystem EU scheint also eine Hürde für eine vollständige Homogenisierung der politischen und kommunikativen Eliten in Brüssel zu sein.

Was die kommunikativen Folgen eines möglichen Erstarkens der Europaskeptiker bei der Europawahl 2019 betrifft, wird man abwarten müssen, wie die Wahl tatsächlich ausgeht. Die Ergebnisse meiner Umfrage zeigen jedoch: Jene Brüsseler Akteure, die mit der EU insgesamt unzufrieden sind und eine weitere politische Integration nicht befürworten, haben nur moderat andere Kommunikationseinstellungen als der tendenziell europafreundliche Brüsseler Mainstream. Zwar nehmen europaskeptische Politiker und Journalisten eher politischen Druck auf die Berichterstattung wahr, und gleichzeitig empfinden sie das Verhältnis zur jeweils anderen Gruppe als konfliktreicher. Im Wesentlichen halten Europaskeptiker aber dieselben Output-Strategien für zielführend und haben auch keinen ausgeprägten Hang, die klassischen Medien zu meiden. Scheinbar hatten sich die Europaskeptiker, die insbesondere im Parlament zu finden sind, zum Zeitpunkt der Erhebung 2016 in der kommunikativen Brüsseler Realität eingerichtet. Das sagt indes wenig darüber aus, ob und mit welcher Tonalität diese Akteure etwa über Social-Media-Kanäle ihre europaskeptische bis -feindliche Agenda befördern.

Der Kontext entscheidet

Der detaillierte Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Einstellungen der Politiker und Journalisten in Brüssel zeigt, dass sich unter den dortigen Kommunikationseliten eine weitgehend einheitliche Kommunikationskultur herausgebildet hat. Diese Gemeinsamkeiten erklärt die Kommunikationsforschung mit dem gemeinsamen Kommunikationskontext: Die Politiker und Journalisten werden in Brüssel sozialisiert, und zwar binnen sehr kurzer Zeit, wie ein Vergleich der Werte von erfahrenen und unerfahrenen Akteuren zeigt. Allerdings legen sich die Einflüsse der europäischen Mehrebenenstruktur über die Brüsseler Einheitlichkeit: Weil massenmediale EU-Kommunikation von Brüssel aus ihren Weg in die (noch) 28 nationalen Publika finden muss, spielen nationale Bedürfnisse und Besonderheiten sowie die Stellung der Akteure in der Brüsseler Macht- respektive Medienhierarchie eine zentrale Rolle bei der Vermittlung politischer Botschaften. Deutlich wird insbesondere, dass zahlreiche Politiker und Journalisten EU-Politik in Brüssel zwar gesamteuropäisch verstehen – sie dann aber doch mit einer nationalen Perspektive vermitteln.

Für die Berichterstattung in den Massenmedien bedeutet dies, dass eine Europäisierung – verstanden als eine Weitung des Horizonts hin zu einem vollständigeren Bild politischer Aushandlungsprozesse auf europäischer Ebene – weiterhin nur in Trippelschritten vorankommen wird. Ob eine Beschleunigung dieses Prozesses aus dem Mediensystem selbst kommen kann, ist mehr als fraglich. Stattdessen zeigt die Befragung der Brüsseler Kommunikationseliten, dass insbesondere die tonangebenden Politiker ihr Kommunikationsverhalten stärker europäisieren müssten – sowohl mit Blick auf ihre inhaltlichen Aussagen, als auch durch eine verstärkte Ansprache von Journalisten nicht vorrangig aus dem eigenen Land. Ein weiterer Weg wäre – gerade jetzt zur Europawahl – die Aufstellung gesamteuropäischer Wahllisten und Umsetzung entsprechender Kampagnen. Ob die meisten Politiker in Brüssel und den europäischen Hauptstädten just das wollen, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Europäische Kommission, Anhang des Beschlusses der Kommission zur Annahme des als Finanzierungsbeschluss geltenden Arbeitsprogramms 2018 im Bereich Kommunikation, C (2017) 8516 final, 18.12.2017, Externer Link: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2018-annual-work-programme_annex_to_wp-2018-c2017-8516_dg-comm_de_0.pdf.

  2. Vgl. Europäische Kommission, Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik, KOM (2006) 0035 endgültig, 1.2.2006, Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0035:FIN:DE:PDF.

  3. Vgl. Javier Ruiz-Soler, Gibt es eine europäische Öffentlichkeit? Forschungsstand, Befunde, Ausblicke, in: APuZ 37/2017, S. 35–40.

  4. Vgl. Barbara Pfetsch, Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA im Vergleich, Wiesbaden 2003.

  5. Vgl. Jay G. Blumler, The Crisis of Public Communication, 1995–2017, in: Javnost – The Public 1–2/2018, S. 83–92. Für Deutschland vgl. Leif Kramp/Stephan Weichert, Gefährliche Nähe zwischen Politik und Medien, 26.5.2010, Externer Link: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-05/politik-medien-hintergrund.

  6. Vgl. Barbara Pfetsch (Hrsg.), Political Communication Cultures in Western Europe, Basingstoke 2014.

  7. Siehe etwa Daniel C. Hallin/Paolo Mancini, Comparing Media Systems, Cambridge 2004; Barbara Pfetsch/Eva Mayerhöffer/Tom Moring, National or Professional? Types of Political Communication Culture across Europe, Cambridge 2004.

  8. Olivier Baisnée, Can Political Journalism Exist at EU Level?, in: Raymond Kuhn/Erik Neveu (Hrsg.), Political Journalism, Abingdon-on-Thames 2002, S. 108–128.

  9. Vgl. Leif Kramp/Stephan Weichert, Die Meinungsmacher. Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus, Hamburg 2010.

  10. Vgl. Journalists @ Your Service/APCO Worldwide, Media Relations and Europe – From the Journalist’s Perspective, Mai 2008, Externer Link: https://kosmopolit.files.wordpress.com/2008/06/apco-survey.pdf.

  11. Siehe hierfür beispielhaft Baisnée (Anm. 8).

  12. Vgl. Stefan Tobler, Zur Emergenz transnationaler Öffentlichkeiten. Konfliktinduzierter Kampf um Definitionsmacht und transnationale Kommunikationsverdichtung im Politikprozess "Internationale Steuerpolitik im EU-und OECD-Raum", in: Kurt Imhof/Otfried Jarren/Roger Blum (Hrsg.), Integration und Medien, Mediensymposium Luzern, Bd. 7, Integration und Medien, Wiesbaden 2002.

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ist Kommunikationswissenschaftler, Redakteur bei der "Stuttgarter Zeitung" und Promovend an der Freien Universität Berlin. E-Mail Link: mail@jangeorgplavec.de