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Hochschulreform aus Sicht der Hochschulen | Hochschulpolitik | bpb.de

Hochschulpolitik Editorial Die Zukunft der Geisteswissenschaften Hochschulreform aus Sicht der Hochschulen Hochschulreform aus studentischer Perspektive Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses Neues Steuerungsmodell für die Hochschulen? Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild?

Hochschulreform aus Sicht der Hochschulen

Margret Wintermantel

/ 15 Minuten zu lesen

Die deutschen Hochschulen werden europäischer, sie erhalten mehr Freiheiten von staatlicher Detailsteuerung und müssen mehr Studierende bewältigen. Wie nehmen sich die jetzigen Reformen gegen diesen Wandel aus?

Einleitung

Die Hochschulen und die Hochschulpolitik sind einem tief greifenden Wandel unterworfen. Bereits seit den 1990er Jahren wird das Verhältnis zwischen Staat und Hochschulen neu justiert. Getragen von der Einsicht, dass Hochschulen als Organisationseinheiten von der Größe mittlerer Unternehmen nicht wie nachgeordnete Einrichtungen von Ministerien behandelt werden können, wird die staatliche Detailsteuerung der Hochschulen schrittweise reduziert. Es vollzieht sich ein Wechsel von der Input- zur Outputsteuerung. Die Hochschulen übernehmen mehr eigene Entscheidungsverantwortung und legen im Gegenzug Staat und Steuerzahlern Rechenschaft über die erbrachten Leistungen ab.

Dieser Prozess erfordert die Einführung einer Vielzahl neuer Instrumente und Verfahrensweisen. Als Stichworte seien genannt: Globalhaushalte, Kosten-Leistungs-Rechnung, Controlling, strategische Planung, Zielvereinbarungen, Evaluation und Akkreditierung. Dazu gehören konsequenterweise auch Studienbeiträge (Gebühren). Ein schrittweises Herauslösen aus staatlicher Bevormundung heißt auch, das Mittelaufkommen zu diversifizieren, nicht alleine auf staatliche Mittel zu setzen, sondern sich verstärkt um die Einwerbung privater Mittel zu bemühen und auch die Studierenden an der Finanzierung des Studiums zu beteiligen. In einem mehr und mehr wettbewerblich organisierten Hochschulsystem haben Studienbeiträge zudem die Rolle von Preisen und ergänzen das Steuerungsinstrumentarium der Hochschule.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung im Januar 2005 den Weg für die Einführung von Studienbeiträgen freigemacht hat, werden in sieben Bundesländern derzeit die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Einführung geschaffen. Die niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Hochschulen erheben mit dem Wintersemester 2006/07 für Erstsemester Studienbeiträge, im nächsten Jahr folgen Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, das Saarland und Hamburg. Einführung und Gestaltung der Beiträge sind mit einem höchst kontroversen Diskussionsprozess verbunden.

Für die Studierenden stellt der Schritt vom kostenfreien zum beitragspflichtigen Studium einen Systemwechsel dar. Angesichts unzureichender Studienbedingungen und schlechter Betreuungsrelationen sehen sie oft nicht ein, warum sie einen finanziellen Beitrag leisten sollen.

Die Hochschulleitungen ihrerseits sehen darin eine Chance; sie sind damit beschäftigt, die Beiträge im Rahmen ihrer Möglichkeiten auszugestalten und die Erhebung zu organisieren. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Für welche Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre werden die Beiträge verwandt? Soll die Hochschule ihr Lehrangebot verändern, um attraktiver für zahlende Studierende zu sein? Die Hochschule muss entscheiden, wie sie die vom Gesetzgeber eingeräumten Spielräume für Beitragsbefreiungen nutzt, sie muss eruieren, ob sie Mittel von privater Seite einwerben kann, um Stipendien anbieten zu können.

Parallel dazu verläuft der so genannte Bologna-Prozess, der zu einer umfassenden Revision der Studieninhalte und -strukturen sowie der Studienabschlüsse führt. Er wurde angestoßen von den Bildungsministern von inzwischen 45 Staaten, die sich auf ein Arbeitsprogramm verständigten, das ihre Studiengänge besser vergleichbar und international wettbewerbsfähiger machen soll. Die deutschen Hochschulen haben sich diese Dynamik zu Eigen gemacht, weil sie neben der Chance einer weiteren internationalen Öffnung die Möglichkeit sehen, ihre Studienangebote zu modernisieren. Es geht um international verständliche Studienabschlüsse, aber auch darum, Lernziele und Lehrinhalte zu überdenken. Es geht um die erleichterte Anerkennung von Studienleistungen aus dem Ausland, um klarere Strukturen für deutsche Studierende sowie darum, die Abbrecherquote zu senken. Die Hochschulen hoffen zudem auf mehr Gestaltungsspielräume: Schwerfällige Rahmenprüfungsordnungen, die zwischen Staat und Wissenschaft ausgehandelt wurden, werden durch ein wissenschaftsnahes Qualitätssicherungssystem der Akkreditierung ersetzt.

Welche Bilanz können wir im Jahr 2006 ziehen, vier Jahre vor dem selbst gesetzten Ziel, bis 2010 die Umstellung auf die Bachelor- und Master-Abschlüsse vollzogen zu haben? Der Blick auf die Zahlen ist beeindruckend: Die jahrelange Arbeit der Hochschulen mündet in immer mehr Umstellungen, und die 50-Prozent-Marke des Anteils der neuen Studiengänge ist zum Wintersemester 2006/07 fast erreicht. Auf diese Leistungen sind die Hochschulen stolz, trotz der Dinge, die noch nicht "rund" laufen:

Den neuen Studienabschlüssen Bachelor und Master wird immer noch mit viel Skepsis begegnet. Was kann jemand nach einem dreijährigen Studium leisten? Verlieren wir nicht an Qualität durch die gestufte Studienstruktur? Schnell wird das Menetekel des Bachelor-Arztes, der sich mit dem Skalpell über unsere Bauchdecke beugt, an die Wand gemalt. Man kann und muss besonnen antworten, dass das von der Reform keinesfalls gewollt ist. Wir wissen schon lange, dass nicht für jeden Beruf ein vier- bis fünfjähriges Hochschulstudium erforderlich ist, für einige freilich schon. Deshalb brauchen wir flexiblere Studienangebote. Nicht für jeden Studienabschluss können wir ein Berufsfeld benennen, aber das ist nicht neu. Was war denn das Berufsfeld für manchen Magister-Absolventen? Hier wie auch in vielen Bachelor-Studiengängen können wir neben Fachwissen sehr gute methodische Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen vermitteln, um den Einstieg in das Erwerbsleben möglichst gut vorzubereiten. Hochschulen bilden wissenschaftlich aus, viel universeller als beispielsweise die Berufsbildung, und in enger Verbindung zur Forschung. Diesen besonderen Auftrag der Hochschulen stellt die Reform nicht in Frage, aber sie mahnt uns zur Verantwortung gegenüber den Chancen der Absolventen im Erwerbsleben.

Der Staat als Partner der Reformen, der die Hochschulen zunehmend in die Autonomie entlassen will, nimmt diese neue Rolle nicht immer an. Zusätzliche Ressourcen, die für die Umsetzung der Reform unerlässlich sind, wurden bis heute nicht zur Verfügung gestellt. Zielvereinbarungen geraten übermäßig detailliert und geben die Wege zum Ziel gleich vor. Die Gestaltung der neuen Studiengänge ist immer noch in das enge Korsett des Kapazitätsrechts gezwängt, das bessere Betreuungsrelationen kaum erlaubt. Die wissenschaftsnahe Qualitätssicherung sieht sich zunehmend mit der Aufgabe betraut, nun ihrerseits staatliche Vorgaben durchzusetzen. Und ausgerechnet in den staatlich regulierten Studiengängen, die bisher mit Staatsexamina abschließen, sieht der Staat die Notwendigkeit, Ausnahmen von der Reform vorzusehen.

Auch die Hochschulen müssen lernen: Eine inhaltliche Reform, die von den Kompetenzen ausgeht, die ein Absolvent oder eine Absolventin am Ende des Studiums erreicht haben soll, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Hochschulen bauen Kompetenzen und Beratungsstrukturen auf, entwickeln Management- und Entscheidungsstrukturen für die Studiengangsentwicklung und die interne und externe Qualitätssicherung. Wir wissen aus 22 Modellhochschulen, deren Reformprozess wir intensiv begleiten, dass die Reformarbeit neben dem Tagesgeschäft nur schwer zu leisten ist. Wir wissen auch, dass der Reformprozess Anlass ist, Kommunikations-, Entscheidungs- und Qualitätsmanagementstrukturen mit Bezug auf die Lehre aufzubauen, die es so intensiv vorher oft nicht gab.

Professionalisierung

Die Studienreform im Rahmen des Bologna-Prozesses ist untrennbar verknüpft mit der Professionalisierung und der Profilbildung der Hochschulen. Sie nehmen diese umfangreiche Aufgabe an, aber ihr Erfolg wird auch von externen Rahmenbedingungen bestimmt. Zum einen muss sich die Qualität der Studiengänge am Arbeitsmarkt bewähren. Aber umgekehrt sind es auch Signale der Arbeitgeber, welche die Reform verzögern oder - wie jüngst durch die Erklärung "More Bachelors and Masters Welcome" führender deutscher Unternehmen - erleichtern können. Die Hochschulen müssen künftig noch intensiver mit der Wirtschaft auch über die Lehre diskutieren und gemeinsame Projekte definieren. Zum anderen sind es die Vorgaben und die seitens des Staates bereitgestellten Mittel, die über den Erfolg der Reform entscheiden. Gelingt es, die Hochschulen in eine eigenverantwortliche Lehre zu entlassen, für deren Qualität sie dann auch geradestehen? Und gelingt es, die unglückliche Verknüpfung von Reform und Einsparen aufzubrechen? Derzeit erleben wir einen Abbau von Studienplätzen, und im Bundesdurchschnitt sind schon mehr als die Hälfte der Studiengänge zulassungsbeschränkt, weil die Hochschulen sonst ein einigermaßen gut betreutes Studium nicht gewährleisten können.

In den vergangenen Jahren wird zudem eine Diskussion über die Leistungsfähigkeit der deutschen Hochschulen in der Forschung geführt. Große deutsche Wirtschaftsunternehmen siedeln Forschungslabore an amerikanischen oder schweizerischen, nicht aber an deutschen Universitäten an. Nur mittlere Platzierungen in internationalen Rankings werfen die Frage auf, ob das jahrzehntelang verfolgte Konzept, dass alle Hochschulen mehr oder weniger von gleicher Qualität seien, nicht fehlgeschlagen ist. Die von Bund und Ländern finanzierte Exzellenzinitiative wurde mit dem Ziel entwickelt, "Leuchttürme" in der Hochschullandschaft zu schaffen, die international sichtbar und konkurrenzfähig sind. Exzellenzdiskussion und -wettbewerb haben einen Prozess der Differenzierung in Gang gesetzt. Konnten sich viele Hochschulen jahrelang hinter der Gleichheitsvermutung verstecken, kommt es nun darauf an, im Wettbewerb zu zeigen, dass sie besser oder zumindest nicht schlechter sind als andere. Die große Zahl von Universitäten, die an dem Wettbewerb teilgenommen hat, zeigt, dass der Ehrgeiz groß ist, zur universitären Spitzenforschung zu gehören. Die Exzellenzinitiative wird dazu führen, dass die Vormachtstellung der ausgewählten Hochschulen ausgebaut werden wird, weil sie über einen längeren Zeitraum mit beträchtlichen Mitteln gefördert werden und damit eine bessere Ausgangsposition im Wettbewerb um weitere Mittel erhalten. Im Oktober 2006 wurden die beiden Münchener Universitäten sowie die Universität Karlsruhe in der ersten Förderrunde ausgewählt.

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom Januar 2006, langfristig die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf die forschungsstarken Hochschulen zu konzentrieren, verstärken den Konkurrenzdruck. Es wird sich zeigen, wie weit es in diesem Prozess zu einer partiellen Entkoppelung von Forschung und Lehre kommen wird - zumindest im Sinne einer Verlagerung der Gewichte mit dem Ergebnis, dass einige Hochschulen die Forschung stark in den Vordergrund stellen, aber auch lehren, wenn auch vielleicht mit verringerten Anfängerzahlen, während andere zwar Forschung betreiben, aber die Lehre im Vordergrund ihrer Arbeit sehen.

Der Differenzierungsprozess berührt auch das Verhältnis von Universitäten und Fachhochschulen. Während durch die neue Studienstruktur und die neuen Abschlüsse die Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen eher schwinden, weil z.B. der Bachelor an einer Fachhochschule ebenso viel zählt wie der Bachelor an der Universität und auch dieselben weiteren Qualifizierungswege eröffnet, verstärkt die Exzellenzinitiative die Unterschiede zwischen den Hochschularten. Die Fachhochschulen sind wegen ihres geringeren Gewichts in der Forschung und ihres stärkeren Anwendungsbezugs am Wettbewerb und damit auch an Fördermöglichkeiten nur am Rande beteiligt. Sie können jedoch als Juniorpartner in Exzellenzclustern von Universitäten mitwirken.

An den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der Hochschulen, zu denen neben Forschung und Lehre auch die Weiterbildung gehört, wird sich nichts ändern. Der wesentliche Unterschied wird darin liegen, dass jede Institution innerhalb dieser Tätigkeitsfelder ihre Schwerpunkte definieren wird. Jede Hochschule sollte diesen Prozess als Chance begreifen, ihre Stärken zu identifizieren und zu bündeln, um ein klar erkennbares Portfolio zu entwickeln oder auch - im Falle kleinerer Hochschulen - ganz gezielt eine "Nische" zu besetzen. Allerdings muss es einen fairen Wettbewerb der Hochschulen geben, nicht einen Wettbewerb der Länder. Es darf nicht sein, dass die Finanzkraft des Landes, in dem sich die Hochschule befindet, zum alleinigen Kriterium für ihre Qualität wird.

Europäisierung

Der Prozess der Europäisierung der Hochschulforschung schreitet voran. Während der Bologna-Prozess darauf abzielt, die Studiensysteme vergleichbarer und durchlässiger zu machen, Mobilität zu erleichtern und den veränderten Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen, ist es erklärtes Ziel der EU-Mitgliedstaaten, Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Sie wissen, dass hierfür die Stärkung von Wissenschaft und Forschung Voraussetzung ist. Die USA und viele asiatische Staaten haben die Messlatte hoch gelegt. Die Investitionen in Wissenschaft und Forschung liegen deutlich über den europäischen Ansätzen. Die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten haben deshalb im Jahr 2000 das Ziel formuliert, bis 2010 den Anteil der Ausgaben für die Forschung an den Haushalten auf durchschnittlich drei Prozent anzuheben. Neben diesem quantitativen Ziel wurde eine Fülle struktureller Maßnahmen verabredet.

Die EU-Kommission ist im Zusammenhang mit der Verkündung der Lissabon-Strategie im Jahre 2000 mit der Initiative zum Aufbau eines Europäischen Forschungsraums hervorgetreten. Er soll die stärkere Vernetzung der europäischen Forschungskapazitäten und die Erhöhung der Forschungsausgaben im privat wie öffentlich finanzierten Bereich gewährleisten. Die europäischen Regierungschefs formulierten dafür in Lissabon die Vision eines europäischen Raums der Forschung und Innovation. Im Zuge der Umsetzung dieser Strategie kam es zu einschneidenden Neuerungen in der Forschungspolitik, die zuvor auf die Unterstützung von wirtschaftsnaher Forschung beschränkt war. Im Jahr 2005 wurde der Europäische Forschungsrat (ERC) gegründet, der, von einem unabhängigen Wissenschaftlergremium geführt, eine Fördereinrichtung für europäische Grundlagenforschung bildet. Er sieht sich in seinen Entscheidungen nur an das Kriterium der Exzellenz der Anträge und nicht mehr an das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Mitgliedstaaten gebunden. Damit wurden de facto die Arbeitsprinzipien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf die europäische Ebene übertragen. Der ERC wird in Zukunft mit den weltgrößtenFördereinrichtungen, etwa der National Science Foundation (NSF) in den USA, kooperieren und konkurrieren. Die deutschen Hochschulen haben diese Gründung begrüßt und nach Kräften unterstützt, da sie sich gute Chancen ausrechnen, von dieser Spitzenförderung zu profitieren. Das ERC ist Teil desso genannten 7. Forschungsrahmenprogramms der EU, das alle Forschungsaktivitäten zwischen 2007 und 2013 bündelt. Die vorgesehenen Finanzmittel der EU wurden für diesen Zeitraum im Jahresdurchschnitt um 75 Prozent gegenüber dem Niveau von 2006 erhöht.

Die mangelnde Dynamik der europäischen Forschung bei der Umsetzung ihrer oft hervorragenden Forschungsergebnisse in Produkte hat die EU-Kommission zum Anlass genommen, im Jahre 2005 eine weitere Initiative zu starten. Inspiriert vom Erfolg des Massachusetts Institute of Technology (MIT), schlug Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor, ein Europäisches Technologieinstitut (EIT) zu gründen. Es soll die besten Institute und Mitarbeiter europäischer Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie technologieorientierter Firmen zusammenführen und die Aufgaben des Wissensdreiecks Lehre, Forschung und Innovation unter seinem Dach wahrnehmen. Dieses Konzept befindet sich immer noch in der Diskussion auf Regierungsebene und auf Ebene der europäischen Hochschulen und der Wirtschaft.

Dabei ist klar geworden, dass eine solche Gründung "auf der grünen Wiese" kaum Erfolg versprechend ist. Der Aufbau von themengebundenen Netzwerken von Spitzeninstitutionen mit dem Auftrag, Innovationen auf wissenschaftlichen Neulandgebieten zu erzeugen, findet auch bei den deutschen und europäischen Hochschulen Unterstützung. Sie halten jedoch ein Modell für effektiver, das ihre besten Forschungseinrichtungen nicht an ein EIT auslagert, sondern Synergien durch gemeinsame Nutzung ihrer Labore und den gemeinsamen Einsatz ihrer Spitzenwissenschaftler unter dem EIT- wie unter dem Hochschuldach sucht. Die Profilbildung eines EIT sollte sich also nicht auf Kosten des Forschungsprofils der Hochschulen und Universitäten vollziehen, um das diese, wie die deutsche Exzellenzinitiative zeigt, zurzeit mit großem Einsatz ringen. Der Ausgang der EIT-Diskussion ist offen. Sie zeigt aber, dass sich ein europäischer Wissenschaftsraum sowohl in der Lehre und der wissenschaftlichen Nachwuchsbildung als auch in der Grundlagen- und innovationsorientierten Forschung entwickelt.

Ausbau der Kapazitäten

Zu den umfassenden Veränderungen, die sich gegenwärtig im Hochschulsystem vollziehen, gesellt sich eine quantitative Herausforderung: Die Kultusministerkonferenz rechnet in den nächsten sechs bis acht Jahren mit einem Anstieg der Studienberechtigtenzahlen um bis zu 30 Prozent. Diese Entwicklung wird durch den Trend zu höheren Qualifikationen, durch relativ starke Geburtenjahrgänge zu Beginn der 1990er Jahre und durch die Verkürzung der Schulzeiten in einigen Bundesländern verursacht. Sie stellt eine große Chance dar und muss aufgegriffen werden.

Gegenwärtig liegt der Anteil der Studienanfänger am Altersjahrgang in Deutschland mit etwa 34 Prozent weit unter dem OECD-Niveau. Die Quoten vergleichbarer Staaten liegen bei über 50 Prozent. Bedingt durch die hohen Schwundquoten erwerben nur gut 20 Prozent eines Altersjahrgangs in Deutschland einen Studienabschluss. Damit liegt die Quote um rund 15 Prozent unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung und die Altersstruktur der akademisch Beschäftigten muss davon ausgegangen werden, dass in Deutschland in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend akademische Nachwuchskräfte ausgebildet werden, um entstehende Lücken zu füllen. Dies ist für ein Land, dessen einzige Rohstoffquelle erklärtermaßen die Entwicklung von Know-how ist, eine beängstigende Perspektive. Wenn es gelänge, die große Zahl von Studienberechtigten tatsächlich mit einem Studienplatz zu versorgen, könnten diese Quoten nachhaltig gesteigert und damit der Wissenschaftsstandort Deutschland gestärkt werden. Um dies zu erreichen, muss die Kapazität der Hochschulen - zumindest vorübergehend - ausgebaut werden.

Der von der HRK vorgeschlagene Hochschulpakt 2020 zeigt einen Weg auf, diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Er kann nur zum Erfolg führen, wenn die erhöhte Nachfrage nach Studienplätzen als Chance statt als Last begriffen wird. Konkret muss die derzeitige Anzahl von Studienplätzen an Hochschulen insbesondere in den östlichen Bundesländern erhalten bleiben. Der durch mangelnde Nachfrage initiierte Abbau von Studienplätzen in Ostdeutschland ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Die ostdeutschen Länder müssen finanziell gestärkt werden, um die Kapazitäten aufrecht zu erhalten. Sie könnten etwa ein Viertel bis ein Drittel der zusätzlich benötigten Studienplätze bereitstellen. Darüber hinaus muss eine gleichmäßigere Auslastung der Hochschulen gefördert werden. Die weniger nachgefragten Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, ein entsprechendes Marketing zu betreiben. Die ZVS sollte in eine zentrale Servicestelle für Zulassungsmanagement umgewandelt werden und Studienbewerber und Hochschulen bei diesem Prozess unterstützen.

Für einen befristeten Zeitraum müssen darüber hinaus zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Dies gilt sowohl in räumlicher wie personeller Hinsicht. Insbesondere sollten ab 2015 frei werdende Professorenstellen ab sofort besetzt werden, so dass für die Jahre des besonders hohen Studierendenandrangs eine doppelte Besetzung von Professuren gegeben ist. Die Lehre ist im Rahmen der Einführung der gestuften Studienstruktur nachhaltig zu stärken. Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, auf verschiedene Personaltypen zurückgreifen zu können, die ihre Lehrkapazität erhöhen: Denkbar wäre es, Postdocs und habilitierte, aber noch nicht berufene Wissenschaftler mit Lehraufgaben zu betrauen, Wissenschaftler, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren, in den Lehrbetrieb zu integrieren, vorübergehend auf Seniorprofessorinnen und -professoren zurückzugreifen oder mehr Stellen für Lehrbeauftragte einzurichten. Zugleich muss die Lehre als Aufgabe der Hochschulen grundsätzlich aufgewertet werden. Dies kann durch Berücksichtigung bei Berufungsverfahren und durch Leistungszulagen im Rahmen der Besoldung erfolgen. Auszeichnungen für gute Lehre im Rahmen eines verstärkten Engagements der Wirtschaft - z.B. standortbezogen oder für jüngere Wissenschaftler - können ebenfalls Impulse geben.

Um die Ziele des Hochschulpaktes 2020 zu erreichen, bedarf es einer Kraftanstrengung des Bundes und der Länder, die auch die Bereitstellung erheblicher Finanzmittel einschließt. Gegenüber 2005 entsteht zum Höhepunkt des Studierendenandranges im Jahr 2013 ein jährlicher Mehrbedarf von 3,4 Milliarden Euro. Bereits für 2007 sind gegenüber 2005 Mehrausgaben von 600 Millionen Euro nötig. Noch bis zum Jahr 2020 wird es gegenüber 2005 einen jährlichen Mehrbedarf von 1,8 Milliarden Euro geben. Dies heißt, dass von 2007 bis 2020 durchschnittlich 2,3 Milliarden Euro pro Jahr notwendig sind. Dieser Durchschnittswert stellt jedoch nur das arithmetische Mittel der jährlichen Zuwächse dar; tatsächlich benötigen die Hochschulen in den ersten Jahren weit mehr als diesen Durchschnittswert und ab 2017 entsprechend weniger. Eine deutlich verbesserte Betreuungsqualität im Rahmen der gestuften Studienstruktur kann mit diesen Finanzmitteln allerdings nicht erreicht werden.

Föderalismusreform

Veränderung und Expansion sind die Begriffe, die das Hochschulsystem in Deutschland treffend beschreiben. Sie treffen nun - bedingt durch die Föderalismusreform - noch auf einen Wandel in den Zuständigkeiten für die Hochschulpolitik. Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Hochschulpolitik entfällt. Sämtliche Regelungsbereiche der Hochschulpolitik fallen künftig in die konkurrierende Gesetzgebung der Länder. Lediglich der Hochschulzugang und die Hochschulabschlüsse können bundesweit geregelt werden. Allerdings haben die Länder auch in diesen beiden Bereichen ein Abweichungsrecht: Wenn sie mit einer absehbaren Regelung des Bundes nicht einverstanden sind, können sie Landesrecht auch im Bereich von Zulassung und Abschlüssen schaffen. Dies ist gerade in der Phase der Umstellung auf die neuen Studiengänge von großer Bedeutung. Werden die Länder bundeseinheitliche Setzungen akzeptieren, oder werden sie bewusst eigene Wege gehen? Wie weit werden sie sich unterscheiden? Von dieser Frage wird es abhängen, ob wir im Ausland noch als einheitliches Hochschulsystem erkennbar bleiben und wie sich die Mobilität innerhalb Deutschlands und auch in Bezug auf das Ausland entwickeln wird.

Der Bund wird sich weiter aus der Finanzierung der Hochschulen zurückziehen. Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, die zur Hälfte vom Bund mitfinanziert wurde, wird entfallen, und damit entfallen auch die Instrumente der länderübergreifenden Koordinierung von Projekten und Plänen. Die Entwicklung der Hochschulsysteme der Bundesländer wird stärker als in der Vergangenheit von den politischen Vorstellungen und finanziellen Möglichkeiten des Landes abhängen. Auch hier entsteht neuer Koordinierungsbedarf, um Fehlentwicklungen wie den gleichzeitigen Abbau ein- und desselben Fachs in mehreren Ländern oder die parallele Einrichtung neuer kostenintensiver Institute in mehreren Ländern zu verhindern.

Gemeinsame Hochschulsonderprogramme von Bund und Ländern werden auch künftig möglich sein. Diese Regelung wurde in letzter Minute im Rahmen der Verhandlungen über die Föderalismusreform vereinbart. Sie war von den Hochschulen gerade angesichts des bevorstehenden Zuwachses an Studienbewerbern mit großem Nachdruck gefordert worden. Die gegenwärtigen Verhandlungen über den Hochschulpakt 2020 zeigen, wie schwierig es ist, die unterschiedlichen Interessen auszutarieren. Das Zustandekommen des Hochschulpaktes ist gewissermaßen die Nagelprobe für die weitere Entwicklung. Von ihm hängt es ab, ob die notwendigen Begabungsreserven für die Zukunft erschlossen werden und der Wissenschaftsstandort Deutschland wieder gestärkt werden kann. Er wird aber auch zeigen, wie weit die Bereitschaft der Länder zur Gemeinsamkeit bei gestärkter eigener Kompetenz geht.

Die Hochschulen haben es akzeptiert, dass es eine breite politische Mehrheit für eine Kompetenzverlagerung in der Hochschulpolitik in die Länder gab. Sie sehen ihre Aufgabe darin, für das notwendige Maß an Gemeinsamkeit zu werben, das im Interesse von Lehrenden und Lernenden und für das Agieren im europäischen Rahmen unerlässlich ist. Sie werden sich außerdem dafür einsetzen, dass der Kompetenzzuwachs bei den Ländern nicht in eine verstärkte Detailsteuerung mündet, sondern - entsprechend dem Trend der vergangenen zehn bis 15 Jahre - in mehr Autonomie für die Hochschulen umgemünzt wird. Darüber hinaus werden sie darauf drängen, dass die Länder den Kompetenzzuwachs finanzpolitisch unterfüttern, d.h., dass sie genügend Mittel zur Verfügung stellen, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern und die Wettbewerbsfähigkeit national und international aufrecht zu erhalten.

Dr. rer. nat. habil.; Professorin für Psychologie an der Universität des Saarlandes; seit März 2006 Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Ahrstraße 39, 53175 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: wintermantel@hrk.de