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Hochschulreform aus studentischer Perspektive | Hochschulpolitik | bpb.de

Hochschulpolitik Editorial Die Zukunft der Geisteswissenschaften Hochschulreform aus Sicht der Hochschulen Hochschulreform aus studentischer Perspektive Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses Neues Steuerungsmodell für die Hochschulen? Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild?

Hochschulreform aus studentischer Perspektive

Christian Berg Regina Weber Christian Berg / Regina Weber

/ 16 Minuten zu lesen

Rückkehr zur Wissenschaftlichkeit, soziale Absicherung und Chancengleichheit, das fordern die Studierenden von der Hochschulreform. Marktwirtschaftliche Effizienz kann das nicht leisten - die öffentliche Hand ist gefragt.

Einleitung

Die deutsche Hochschullandschaft ist seit mehreren Jahrzehnten gewaltigen Veränderungen unterworfen. Ab Mitte der siebziger Jahre stiegen die Studierendenzahlen in der Bundesrepublik kontinuierlich an, bis Mitte der neunziger Jahre waren schließlich mehr als doppelt so viele Studierende an deutschen Hochschulen immatrikuliert wie noch 20 Jahre zuvor. Ein Rückgang der Zahlen war nicht absehbar, auch der politische Wille zielte nach wie vor auf die Erhöhung der Bildungsbeteiligung bis zum tertiären Sektor.

Gleichzeitig wurde im zusammenwachsenden Europa nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" der Bildungsbereich zu einem Schauplatz der europäischen Zusammenarbeit, die weit über die Grenzen der Europäischen Union hinausging. 1999 trafen sich in der italienischen Universitätsstadt Bologna 29 Bildungsministerinnen und -minister, um sich auf die grundlegenden Ziele einer gemeinsamen europäischen Hochschulpolitik zu einigen.

Die Studiengänge an europäischen Hochschulen sollten angeglichen, die Chancen zum Studienwechsel innerhalb der EU verbessert und der europäische Bezug im Hochschulbereich insgesamt verstärkt werden. Ein Jahr später formulierte der Rat der Europäischen Union das Ziel der EU und ihrer Mitgliedsländer, zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Der Bildungs- und insbesondere der Hochschulbereich waren dabei von großer Bedeutung.

Für beide Prozesse ist die Zielmarke das Jahr 2010. Ebenfalls gemeinsam ist beiden Prozessen der unverbindliche Charakter, der dadurch entsteht, dass die Ziele und Absichten durch die entsprechenden Ministerinnen und Minister unterzeichnet werden und die einzelnen Länder die Umsetzung in nationalen Gesetzgebungsverfahren realisieren müssen. In der Bundesrepublik geschieht dies in erster Linie auf der Ebene der Bundesländer. Der Handlungsbedarf, der sich durch die steigenden Studierendenzahlen zwangsläufig ergeben hat, und die gemeinsamen europäischen Bestrebungen haben in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts zu tiefgreifenden Veränderungen im Hochschulbereich geführt. Obgleich die beiden genannten Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, ist in grundsätzlichen Fragen eine ähnliche Strategie zu erkennen. Beide Bestrebungen sehen eine europäische Zusammenarbeit vor - mit dem Ziel, Europa im weltweiten Wettbewerb zu stärken und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern.

Kritische Bestandsaufnahme

Die Umsetzung der europäischen Reformziele in der Bundesrepublik lässt sich an der Umstellung der Hochschulfinanzierung illustrieren. Während die Hochschulen bis vor wenigen Jahren noch anhand ihrer Auslastung finanziert wurden, werden mittlerweile die finanziellen Mittel der Hochschulen von gemessenen Erfolgen abhängig gemacht. Dabei werden alle Leistungen, die Hochschulen erbringen - Forschungsergebnisse, Studienabschlüsse oder Drittmitteleinwerbungen - formalisiert und erfasst. Diese Indikatoren dienen nicht nur als Bemessungsgrundlage bei der Mittelvergabe an die Hochschulen, sondern werden auch hochschulintern für die Verteilung von Geldern auf einzelne Fächer und Fachbereiche angewandt. Gleichzeitig schließen die Wissenschaftsministerien mit den Hochschulen so genannte Zielvereinbarungen ab, nach denen die Hochschulen innerhalb einer gewissen Zeitspanne bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben. Die Resultate der Vereinbarungen sind entweder finanzielle Zugewinne oder Einbußen für die jeweilige Hochschule, abhängig von der Erfüllung der Aufgaben.

Durch die im Januar 2004 gestartete Exzellenzinitiative der rot-grünen Bundesregierung ist eine neue Form der Hochschulfinanzierung entstanden, die sich von der herkömmlichen finanziellen Absicherung deutlich unterscheidet. Mit dem Ziel, "Eliteuniversitäten" zu schaffen, sollte eine Ausschreibung erfolgen, und die siegreichen Hochschulen sollten mit Finanzspritzen unterstützt werden. Letztlich sieht das Programm vor, dass einzelne Hochschulen zusätzliche Gelder für die Forschung oder für Promotionsstudiengänge bekommen können. Eine durchgreifende und flächendeckende Verbesserung der finanziellen Unterstützung der Hochschulen hat indes nicht stattgefunden. Vielmehr haben die Hochschulen durch die auf Leistungsindikatoren basierende Finanzierung eine Veränderung erfahren, von der nur wenige Hochschulen profitieren konnten, viele aber "auf der Strecke geblieben" sind und nun bei steigenden Studierendenzahlen mit weniger Geld auskommen müssen. Die Notwendigkeit einer besseren finanziellen Ausstattung konnte nicht überwunden werden.

Auch die Einführung von Studiengebühren, wie sie in vorerst sieben Bundesländern erfolgt ist, dient in keiner Weise einer Verbesserung der Hochschuleinnahmen - die Befürchtung, die staatlichen Mittel würden über lange Sicht gekürzt, entspricht internationalen Erfahrungen. Gleichzeitig sollen Studiengebühren als ordnungspolitisches Instrument die Studierenden zu Kundinnen und Kunden der eigenen Hochschule machen, die mit dem Studium in ihre eigene Zukunft investieren und zu diesem Zweck temporär an der Hochschule ein gewisses Bildungsangebot erwerben.

Neben diesen materiellen Grundlagen der Hochschule ist auch die Organisation der Wissenschaft und Bildung einem Wandel unterworfen, die sich von der Gruppenhochschule der Nachkriegszeit mit durchaus defizitärer demokratischer Mitbestimmung durch die Hochschulmitglieder weit entfernt hat. In der Vergangenheit waren die einzelnen Mitglieder der Hochschulen - Studierende, wissenschaftliche und andere Angestellte sowie Professorinnen und Professoren - auf verschiedenen Ebenen an fast allen Entscheidungen beteiligt und haben so die Entwicklung der Hochschulen maßgeblich mitgestaltet. Die Strukturen dieser Mitbestimmung sind ersetzt worden durch eine zentrale Entscheidungsstruktur, in der die Leitung der Hochschule nicht durch die akademische Gemeinschaft, sondern vorwiegend durch externe, in der Regel aus der Industrie und Wirtschaft kommende Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird.

Damit wird der Situation Rechnung getragen, dass die Aufgaben der Hochschulleitungen sich durch die Änderung der Finanzierungsstrukturen ebenfalls signifikant verändert haben. Bei der Aushandlung von Zielvereinbarungen sind die Hochschulen als Landeseinrichtungen abhängig von ihrem Verhandlungspartner, dem Ministerium. Dabei kommen Aufgaben auf die Hochschulen zu, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären und die über ihre eigentliche Arbeit als wissenschaftliche Einrichtung weit hinausgehen. Eine solche Aufgabenänderung rechtfertigt jedoch keinen Demokratieabbau jenseits der reinen Außenvertretungsfunktion. Die hochschulinterne Demokratie wird jedoch gemeinhin als ineffizient und handlungsunfähig angesehen. Für Forschung und Lehre hat das fatale Auswirkungen: Entscheidungen über die Einrichtung und Aufhebung von Studiengängen, die Berufung von freien Professuren oder die Einrichtung von Stellen für wissenschaftliche Angestellte erfolgen nicht mehr nach rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auf Grundlage des scheinbar besten materiellen Nutzens.

Neben den strukturellen und finanziellen Reformen der vergangenen Jahre hat der Bologna-Prozess zu weit reichenden Veränderungen in Studium und Lehre geführt. Die wohl bekannteste Auswirkung des Prozesses ist dabei die flächendeckende Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die die alten Diplom- und Magisterstudiengänge ersetzen werden. Dabei sollen vordergründig allein über die geänderte Studienstruktur und begleitende Maßnahmen wie die Einführung eines Credit-Point-Systems und einer genaueren Erläuterung des erreichten Abschlusses (Diploma Supplement) die Transparenz und Vergleichbarkeit von Studiengängen verbessert und dadurch letztendlich ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum geschaffen werden.

Betrachtet man die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland, kommen jedoch Zweifel an der Realisierung dieser Ziele auf. Mit den "Ländergemeinsamen Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 HRG für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen" hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2003 die Grundlage für die Strukturreform der Studiengänge an den deutschen Hochschulen gelegt. Diese Regelungen sollen den losen Rahmen, den die Vereinbarungen auf europäischer Ebene geben, ausfüllen. Die Umsetzung geht dabei weit über die Ziele des Bologna-Prozesses hinaus. Mit der Eröffnung von Möglichkeiten, den Zugang zu Masterstudiengängen einzuschränken, findet faktisch ein Bildungsabbau statt, da in Zukunft allein der Bachelorstudiengang als Erfüllung des garantierten Rechts auf Hochschulbildung ausreichen soll. Beim Nachweis von Qualifikationen und insbesondere bei den formal geregelten staatlichen Beschäftigungen ist jedoch nur der Masterabschluss mit den alten Studienabschlüssen Diplom und Magister vergleichbar.

Auch der generelle Zugang zur Hochschule steht zur Disposition. Die Anzahl der Studienplätze in den reformierten Studiengängen ist in vielen Fällen deutlich geringer als zuvor. Dies liegt an den veränderten Lehrformen: Die einem reinen Input-Konzept folgenden Massenvorlesungen sollen ersetzt werden durch eine stärker prozessorientierte Veranstaltungsform mit kleineren Studierendengruppen, die jedoch zwangsläufig eine größere Menge an Lehrenden benötigen. Die gewollten Strukturänderungen werden aber nicht mit der notwendigen finanziellen und personellen Ausstattung versehen. Angesichts fehlender Mittel sind die Hochschulen gezwungen, Zugangsbeschränkungen einzuführen, um das entwickelte Lehrkonzept zu realisieren. Die Zulassungsbeschränkungen der Masterstudiengänge sind dagegen in erster Linie politische Entscheidungen der jeweiligen Fächer. In der Idee der zweistufigen Studiengangskonzeption ist nach dem ersten Abschluss, dem Bachelor, eine Wahl zwischen dem weiteren Studium oder der Berufstätigkeit vorgesehen. Inwiefern die zukünftigen Studierenden einen Beruf oder die weitere Hochschulbildung wählen, ist derzeit kaum prognostizierbar. Durch die Beschränkung von Masterstudienplätzen und haltlosen Zulassungsbeschränkungen werden in planwirtschaftlicher Manier Studienplätze und Zukunftsentscheidungen von Bachelorabsolventinnen und -absolventen beeinflusst, die sich nicht an den individuellen Neigungen der Studierenden orientieren, sondern lediglich die Kosten-Nutzen-Rechnung an benötigten Studienplätzen berücksichtigen.

Marktorientierung und Wissenschaftsfreiheit

Das Ziel, einen einheitlichen und wettbewerbsfähigen Hochschulraum in Europa zu schaffen, basiert auf der Grundannahme einer globalisierten Wissensgesellschaft, in der sich Europa mit anderen wirtschaftsstarken Regionen messen muss. Während der eigentliche europäische Prozess eine weltweite Konkurrenz von transnationalen Bildungsräumen postuliert und dieser Konkurrenz ein "starkes Europa" entgegensetzen will, sind die Hochschulreformen in der Bundesrepublik zu weiten Teilen die Folge nationalökonomischer Überlegungen. Es geht nicht primär um eine verstärkte Zusammenarbeit europäischer Länder; stattdessen sollen die deutschen Hochschulen im europäischen Wettbewerb konkurrieren können. Der Ansporn der Wissenschaftsminister ist häufig die "Stärkung der deutschen Hochschulen im internationalen Wettbewerb". Die selbst gesteckten Reformziele deutscher Wissenschaftspolitik sind demnach im Wesentlichen die Steigerung von "Effizienz" und "Wettbewerbsfähigkeit"; der Bezug zu einer vernetzten europäischen Bildungslandschaft fehlt oft gänzlich.

Diese Reformziele sind wissenschaftsfern. Studierende werden so nicht mehr zu wissenschaftlichem Arbeiten befähigt oder gar zu staatsbürgerlicher Verantwortung ermutigt; der entsprechende Passus wird landauf, landab aus den Hochschulaufgabenkatalogen gestrichen. Die gewählten Begriffe entstammen mehr und mehr einem wirtschaftlichen Kontext; die Finanzierung und Strukturierung von Hochschulen soll den bewährten Strukturen privater Wirtschaftsunternehmen entsprechen.

Die gewählten Instrumente zur Messung der "Effizienzsteigerung" und Wettbewerbsfähigkeit folgen ebenfalls einer betriebswirtschaftlichen Systematik: Betreuungsrelationen, Studiendauer, Umfang von Drittmitteln und Anzahl der Veröffentlichungen lassen sich nur quantitativ messen und sind damit für die Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen völlig inadäquat.

Ein derart verkürzter Blick auf die Situation und die Leistungsfähigkeit von Hochschulen zwingt diese zu einer unfreiwilligen Profilschärfung, um den vorgegebenen Kriterien zu entsprechen und damit auch ihre finanzielle Basis zu sichern. In der Folge werden sich Hochschulen daher verstärkt auf bestehende Strukturen und Kompetenzen konzentrieren. Darunter leiden kleinere Fächer, die mit prestigeträchtigen Forschungsbereichen nicht konkurrieren können, weniger Mittel einwerben und bestenfalls "mitgeschleppt" werden. Dies beeinträchtigt wiederum die Interdisziplinarität und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses; es droht eine Monopolisierung konkurrenzfähiger Fachbereiche und - damit verbunden - der Verlust kritischer und innovativer Wissenschaft.

Es ist keine Frage, dass Hochschulen nicht nur einen nachvollziehbaren Umgang mit staatlichen Mitteln gewährleisten müssen, sondern auch darüber hinaus durch Drittmittel oder durch die Verwertung von Forschungsergebnissen ihre individuelle Situation verbessern sollten - auch, um notwendige Spitzenleistungen in Forschung und Lehre zu ermöglichen. Diese Mittel müssen jedoch als zusätzliche Hochschuleinnahmen zu einer soliden und ausreichenden Grundfinanzierung hinzugerechnet werden. In einer Hochschullandschaft, in der sich das wissenschaftliche Personal mehr mit Drittmittelanträgen und Ergebnismessungen als mit tatsächlicher Forschung befassen muss, wird wissenschaftliche Freiheit zu reiner Wissensverwaltung. Lernfreude und Lust am Neuen verkommt - seitens der Lernenden - zu einer langweiligen Aufnahme wiedergekäuter Fakten.

Zur Umstrukturierung deutscher Hochschulen gehört die so genannte "Stärkung von Leitungsstrukturen". Die Einführung von Managementstrukturen an Hochschulen durch starke Hochschulleitungen und schlanke Verwaltungen soll schnelle und unbürokratische Entscheidungen ermöglichen und "nicht zwingend erforderliche Gremien" ablösen. Mit der gleichzeitigen Einführung starker Hochschul- bzw. Aufsichtsräte bedeuten diese Strukturen eine Einschränkung von Partizipationsmöglichkeiten der Hochschulmitglieder. Die Mitbestimmung der einzelnen Statusgruppen wird dabei auf ein Mindestmaß reduziert; die Entscheidungen über Berufungen oder strukturelle Veränderungen obliegen nicht mehr länger dem demokratischen Urteil der Betroffenen (also Lehrenden und Lernenden), sondern werden durch die Hochschulleitung oder einen "Aufsichtsrat" gefällt.

Demokratische Entscheidungsstrukturen an Hochschulen beruhen wesentlich auf der gesamtgesellschaftlichen Funktion von Wissenschaft und Forschung. Dies wurde bereits in der 1961 erschienen "Denkschrift" des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) aufgegriffen und ist bis heute Grundlage des Verständnisses von Wissenschaftspolitik aus studentischer Sicht: "Wissenschaft als Ausschnitt aus dem gesellschaftlichen Lebensprozeß und ihre institutionellen Einrichtungen innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsordnung gehören daher notwendig zusammen." Hochschulen sind weder rein staatlich reglementierte Anstalten, noch dienen sie allein der Produktion von Arbeitskräften für die freie Wirtschaft. Die Verwurzelung von Hochschulen in einer sozialen und demokratischen Gesellschaft impliziert zugleich die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit von Hochschulen und damit von Wissenschaft und Forschung gegen staatliche oderwirtschaftliche Instrumentalisierung zu schützen. Darin wird die Notwendigkeit einer demokratischen Teilhabe evident: Nur durch die Partizipationsmöglichkeiten der Hochschulmitglieder können Hochschulen in gesellschaftlicher Verantwortung agieren. Die einseitige Einflussnahme durch Einzelne oder durch die freie Wirtschaft bedeutet dagegen eine unmittelbare Bedrohung unabhängiger und freier Wissenschaft.

Eingebettet in ein Gesamtkonzept einer neuen "Hochschulautonomie" soll der verstärkte Einfluss externer Hochschulexperten zugleich die staatliche Fachaufsicht ersetzen, während das Fachministerium lediglich die Rechtsaufsicht wahrnehmen soll. Die staatliche Verantwortung für die Hochschulen wird damit auf die Hochschule selbst verlagert; die Hochschulen werden endgültig dem politisch-parlamentarischen Einfluss entzogen.

So sehr eine sinnvolle Deregulierung dem hochschulischen Verwaltungsalltag und der Freiheit von Studium und Lehre auch entgegenkommen kann, so sehr stellen die aktuellen Entwicklungen eine deutliche Gefahr für die Hochschulen und ihre gesellschaftliche Verantwortung dar. Die langfristigen strategischen Entscheidungen über Inhalte und Aufgaben von Hochschulen liegen nicht mehr länger in den Händen demokratisch legitimierter Vertretungen. Die marktgerecht organisierte Hochschule kann sich so lediglich an kurzfristige Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen und auf scheinbar profitable Ergebnisse angewandter Forschung setzen. An dieser Stelle wird nochmals deutlich, dass eine autonom verwaltete, von staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle entfernte Hochschule ihren Charakter als öffentliche Bildungseinrichtung verliert. Sie wird zu einer nach marktwirtschaftlichen Gesetzen funktionierenden Einheit, in der weder wissenschaftliche Nachhaltigkeit noch gesellschaftliche Relevanz von Forschungsergebnissen, sondern eine kurzfristige und an wissenschaftsfremden Kriterien gemessene Effizienz den Ausschlag für strategische Entscheidungen in Forschung und Lehre gibt.

Soziale Dimension der Hochschulreformen

Die Hochschulreformen der vergangenen Jahre haben in vielerlei Hinsicht auch Auswirkungen auf die sozialen Rahmenbedingungen des Studiums und damit die individuelle Situation von Studierenden. Während ein zentrales Element des Bologna-Prozesses die Verbesserung der Mobilität von Studierenden und der sozialen Dimension des Studiums beinhaltet, werden diese Ziele anscheinend kaum umgesetzt. Zwar sind die auch auf nationaler Ebene formulierten Ziele durchaus anspruchsvoll - Bundesministerin Annette Schavan hat zum Beispiel unlängst angekündigt, 50 Prozent der Studierenden künftig zu einem Auslandsstudium motivieren zu wollen. Doch der Erfolg der ausgegebenen Losung "Nutzen Sie Ihre Chance und verbringen Sie einen Studienabschnitt im Ausland!" bleibt blass angesichts der Tatsache, dass ein studienbezogener Auslandsaufenthalt maßgeblich von der sozialen Situation der Studierenden abhängt. Das von Edelgard Bulmahn eingeführte "Auslands-BAföG" konnte zwar einige Studierende dazu motivieren, ins Ausland zu gehen, dennoch ist dabei der Anteil der Studierenden aus der höchsten sozialen Herkunftsgruppe mit 38 Prozent fast doppelt so hoch wie bei Studierenden aus der niedrigsten Herkunftsgruppe (20 Prozent).

Im Jahr 2003 entstammten lediglich zwölf Prozent aller Studierenden der Herkunftsgruppe "niedrig", während der Anteil von Studierenden aus der Herkunftsgruppe "hoch" mit 37 Prozent mehr als dreimal so hoch war. 1982 lag der jeweilige Anteil noch bei 23 Prozent (niedrig) bzw. 17 Prozent (hoch). Es ist unumstritten, dass für ein Studium in Deutschland primär die finanzielle Situation und weniger die individuelle Eignung und Leistungsfähigkeit ausschlaggebend ist. Dies zu ändern und - auch mit Blick auf die Armutsentwicklung in Deutschland - die Bildungsbeteiligung einkommensschwacher Menschen drastisch zu erhöhen, müsste ein wesentliches Ziel jeder Bundesregierung sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Seit der BAföG-Erhöhung 2001 wurden im Bereich der Studienfinanzierung keine neuen Schritte unternommen; die durch die Erhöhung erzielten Fortschritte sind inzwischen verpufft, wie der Ende des Jahres erscheinende BAföG-Bericht zeigt. Bundesministerin Schavan betrachtet das BAföG als "Auslaufmodell" und setzt auf die Studienkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die seit April 2006 als verzinste Darlehen über mehrere Jahre hinweg bis zu einer Höhe von monatlich 650 Euro an interessierte Studierende vergeben werden.

Damit setzt sich die Einführung von Marktmechanismen im Bildungsbereich bei der Studienfinanzierung fort. Die staatliche Unterstützung von Studierenden wird zurückgeschraubt; stattdessen findet eine Individualisierung von Lebensrisiken auch im Bereich der Studienfinanzierung statt. Studieren kann nur noch, wer zu massiver Verschuldung bereit ist. Dahinter steht die falsche Annahme, dass ein Studium lediglich individuelle Vorteile, sprich eine Erhöhung des eigenen Humankapitals bedeute. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Bildung, ihr Wert für ein friedliches und soziales Gemeinwesen wird dabei nicht nur verkannt, sondern geradezu verneint.

Die Einführung von Studiengebühren in zahlreichen Bundesländern folgt dieser Grundannahme. Wer studiert, investiert in sein eigenes Humankapital, dessen "return of investment" - das spätere Einkommen - dadurch erhöht wird. Neben der auf den ersten Blick scheinbar positiven Steigerung der Hochschulmittel sind Studiengebühren damit Bestandteil einer marktorientierten Umstrukturierung des deutschen Bildungssystems. Studiengebühren sind ein politisch gewolltes Steuerungsinstrument in einem Markt, der per Definition eine Auswahl notwendig macht.

Mit der 7. Änderung des Hochschulrahmengesetzes wurde den Hochschulen die Möglichkeit eröffnet, einen bedeutenden Teil ihrer Studienplätze über eigene Auswahlverfahren zu vergeben. Auch damit soll ein "Wettbewerb um die besten Köpfe" erreicht werden. Das einheitliche Verfahren der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) soll demnach einer flexibilisierten Vergabepraxis weichen, wobei sich die Studienanwärter an ihrer Wunschhochschule vorstellen. Diese wiederum soll dann entscheiden, ob der Bewerber oder die Bewerberin zu den Vorstellungen der Hochschule "passt". Mit dieser Entwicklung wird nicht nur der freie Hochschulzugang weiter eingegrenzt. Sie konterkariert auch das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung: Nicht mehr die individuelle Schulleistung, sondern die Ergebnisse hochschulinterner Auswahlverfahren sind für die Studienaufnahme entscheidend.

Den ersten Versuch, eine Standardisierung von Auswahlverfahren zu erreichen, stellen die von der Hochschulrektorenkonferenz bei der ITB Consulting GmbH in Auftrag gegebenen "Studierfähigkeitstests" dar. Die ersten probeweise an der FU Berlin in Umlauf gekommenen Fragebögen illustrieren, wohin der Weg führen soll: Neben erwarteten studienrelevanten Aspekten wird etwa nach den Hobbys der Studienbewerber gefragt. Es ist überflüssig zu erläutern, dass ein Jura-Bewerber, der seine Freizeit in der Bibliothek und auf dem Golfplatz verbringt, demjenigen, der Streetsoccer und Discobesuche zu seinen Hobbys zählt, vorgezogen wird. Derartige Verfahren dienen nicht der Eignungsfeststellung von Studierenden, sie bedienen elitäre Reproduktionsmechanismen. Stattdessen ist eine frühzeitige und intensive Beratung von Schülern und Schülerinnen notwendig, um diese für die Aufnahme eines Studiums zu begeistern und ihnen gleichzeitig eine "richtige" Studienwahl zu ermöglichen.

Anforderungen an eine progressive Hochschulreform

Die Hochschulen in der Bundesrepublik stehen zweifelsohne vor großen Herausforderungen. Der bevorstehende massive Anstieg der Studierendenzahlen, die chronische Unterfinanzierung des Hochschulsystems und der europäische Harmonisierungsprozess machen den dringenden Handlungsbedarf deutlich. Die Idee einer marktwirtschaftlich gestalteten Hochschule, die nach reinen Effizienzkriterien funktionieren soll, kann jedoch nicht die Antwort auf diese Herausforderungen sein. Stattdessen müssen neben einer adäquaten Finanzierung der Hochschulen insbesondere die Rückkehr zur Wissenschaftlichkeit und die verbesserte soziale Absicherung von Studierenden im Fokus der Bemühungen stehen, um die Bildungsbeteiligung zu erhöhen und die Attraktivität und Qualität der Hochschulen zu steigern.

Dem Anstieg der Studierendenzahlen kann nur mit einer deutlichen Erhöhung der öffentlichen Ausgaben begegnet werden. Dabei muss sich die Hochschulfinanzierung nach der tatsächlichen Auslastung und nicht an willkürlich gesetzten Kriterien orientieren. Das vom rheinland-pfälzischen Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner beworbene Konzept des Vorteilsausgleiches stellt dabei eine überlegenswerte Alternative zur bisherigen Hochschulfinanzierung dar. Es bietet den Ländern erstmals auch finanzielle Anreize dafür, Studienplätze zu schaffen statt bestehende aus Kostengründen zu streichen. Gleichzeitig muss der nach der Föderalismusreform angestoßene Hochschulpakt die finanziellen Anstrengungen der Länder ergänzen, indem er etwa die zusätzliche Finanzierung von Professorenstellen ermöglicht.

Die Notwendigkeit einer öffentlichen Hochschulfinanzierung folgt der staatlichen Verantwortung für die Hochschulen. Der öffentliche Auftrag, unabhängige Wissenschaft zu ermöglichen, muss sich auch in der Hochschulsteuerung widerspiegeln. Einerseits führt bei einem Hochschulsystem, das gesellschaftliche Verantwortung übernehmen soll, kein Weg an einer staatlichen Fachaufsicht vorbei; andererseits muss jedoch durch eine autonome und demokratische Hochschule die wissenschaftliche Freiheit gewährleistet sein. Ein Verständnis von Wissenschaft "als Ausschnitt aus dem gesellschaftlichen Lebensprozess" beinhaltet seitens der Hochschulen unbedingt ein Interesse an Beratung von außen. Hochschulräte, deren Mitglieder unterschiedliche gesellschaftliche Interessengruppen vertreten und beratend auf die Hochschulen einwirken, könnten den erforderlichen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen. In solchen Hochschulräten müssten etwa die strategische Entwicklung der Hochschule, die wissenschaftlichen Anforderungen an das Studium und an die Absolventen und Absolventinnen und damit auch die Gestaltung von Studiengängen diskutiert werden, um die Hochschulen mit den unterschiedlichen Erwartungen von Gesellschaft und Wirtschaft zu konfrontieren. Die Entscheidungen müssen jedoch durch demokratisch besetzte Gremien getroffen werden, deren Legitimation nur dann gegeben sein kann, wenn sie sich aus den Mitgliedern der Hochschule zusammensetzen.

Oberste Priorität allen bildungspolitischen Handelns muss die Durchsetzung sozialer Chancengleichheit sein und damit die Erhöhung der Bildungsbeteiligung, insbesondere von Menschen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten. Dies kann nur durch ein erhebliches staatliches Engagement im gesamten Bildungsbereich geschehen, wobei gerade dem vorschulischen und dem Weiterbildungsbereich eine besondere Bedeutung zukommt. Mit Blick auf die Hochschulbildung ist insbesondere eine deutliche Verbesserung des BAföG notwendig. Dabei muss allen Studierenden eine zuschussbasierte einkommens- und elternunabhängige Grundförderung zugute kommen. Eine entstaatlichte, allein auf den individuellen Nutzen von Bildung reduzierte Hochschullandschaft lässt jedenfalls den Grundsatz, Bildung als gesellschaftliche und vor allem auch soziale Frage zu definieren, außer Acht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bologna Declaration 1999, in: http://www.bologna-bergen2005.no/Docs/00-Main_doc/990719BOLOGNA_DECLARATION.PDF.

  2. Vgl. http://ec.europa.eu/education/policies/2010/et_2010_en.html.

  3. Die Beurteilung der Hochschuldemokratie als durchaus defizitär ist vor allem in der ungleichen Repräsentation von Studierenden und Hochschulpersonal im Vergleich zum Professorium begründet. Nachdem die gleiche Beteiligung aller vier Hochschulgruppen (Studierende, wissenschaftliche Angestellte, sonstige Angestellte und Professorium) zu Beginn der 1970er Jahre Realität wurde, hat das Bundesverfassungsgericht diese Entwicklung rückgängig gemacht. Die Freiheit von Forschung und Lehre nach dem Grundgesetz sei danach nur garantiert, wenn das Professorium über die Hälfte der Stimmen in Entscheidungsprozessen verfügt.

  4. Der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel beschreibt den Erfolg der bayerischen Hochschulen bei der Auswahl zum Exzellenzwettbewerb folgendermaßen: "Wir haben unsere Zeit nicht mit Gruppenuniversitäten und Mitbestimmung verschwendet, sondern uns ganz auf Wissenschaft und Forschung konzentriert"; in: Forschung & Lehre, (2006) 4, S. 194.

  5. So etwa der baden-württembergische Wissenschaftsminister in seiner Thesensammlung zur Hochschulreform. Vgl. Peter Frankenberg (Hrsg.), 17 Thesen zur Hochschulreform. Strategien einer ganzheitlichen Hochschulentwicklung in Deutschland, Stuttgart 2003.

  6. Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Hochschule in der Demokratie. Denkschrift des SDS, Frankfurt/M. 1961.

  7. So etwa im geplanten nordrhein-westfälischen "Hochschulfreiheitsgesetz", das zum 1. Januar 2007 in Kraft treten soll.

  8. So Annette Schavan am 19. 9. 2006 anlässlich der Vorstellung des Programmes "Go out!" von DAAD und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

  9. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003, 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, Bonn-Berlin 2004, S. 87.

  10. Ebd., Bild 4.11, S. 137.

Geb. 1981; studiert Philosophie und Soziologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Studentenwerks und kooptiertes Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen; von 2005 bis 2006 im Vorstand vom "Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften" (fzs).
E-Mail: E-Mail Link: christian.berg@fzs.de

Geb. 1982; studiert Politikwissenschaft an der Karlsuniversität in Prag; Mitglied des Gender Equality Committee von "The National Unions of Students in Europe" (ESIB) und der Arbeitsgruppe "Fortführung des Bologna-Prozesses" von BMBF und KMK; von 2005 bis 2006 im Vorstand des fzs.
E-Mail: E-Mail Link: regina.weber@fzs.de